Année politique Suisse 1997 : Grundlagen der Staatsordnung / Institutionen und Volksrechte
Volksrechte
Im Berichtsjahr kam es zu einer mit einem fakultativen Referendum verlangten Volksabstimmung. Die Bürgerinnen und Bürger lehnten den Dringlichen Bundesbeschluss des Parlaments vom Dezember 1996 über Sparmassnahmen bei der Arbeitslosenversicherung ab. Mit einem zustandegekommenen Referendum wurde zudem ein Parlamentsbeschluss des Berichtsjahres bekämpft (Schwerverkehrsabgabe); die Volksabstimmung darüber wird 1998 stattfinden. Die Unterschriftensammlung gegen zwei weitere Beschlüsse blieb hingegen erfolglos (Staatsschutzgesetz, PTT-Reform).
Es wurden insgesamt sechs Volksinitiativen eingereicht (zwei zur Gesundheitspolitik, zwei zur Handhabung der Volksrechte und je eine zum Mietrecht und zur Landesverteidigung), das waren eine weniger als im Vorjahr. Je zwei davon stammten von der SP bzw. der Detailhandelskette Denner AG, je eine von Ärzten und vom Schweizerischen Mieter- und Mieterinnenverband.
Abgestimmt wurde im Berichtsjahr über drei Volksinitiativen (EU-Beitritt vors Volk, gegen Kriegsmaterialausfuhr und Jugend ohne Drogen); alle wurden abgelehnt. Eine der diversen vorliegenden EU-Initiativen wurde zurückgezogen, nachdem die Initianten feststellen mussten, dass ihr Vorstoss im Parlament auch von integrationsfreundlichen Abgeordneten keine Unterstützung erhielt. Damit erreichte Ende 1997 der Bestand der eingereichten, aber dem Volk noch nicht zum Entscheid vorgelegten Initiativen den Stand von 24 (1996: 22).
Neu lanciert wurden 1997 zehn Volksinitiativen (wobei zwei Denner-Initiativen noch im gleichen Jahr eingereicht werden konnten). Bei vier früher lancierten Initiativen lief die Frist für die Unterschriftensammlung ungenutzt ab (darunter ein Begehren der SD gegen die Einwanderung).
Volk und Stände sprachen sich einmal - zustimmend - zu einer vom Parlament vorgeschlagenen Verfassungsänderung aus (Aufhebung des Pulverregals). Insgesamt kam es somit zu
fünf Volksabstimmungen (drei Initiativen, je ein obligatorisches und ein fakultatives Referendum). Bei vier dieser Entscheide folgten die Stimmberechtigten dem Antrag von Regierung und Parlament, einmal (Sparmassnahmen bei der Arbeitslosenversicherung) entschieden sie anders
[54].
Der Kanton
Appenzell-Ausserrhoden folgte dem Beispiel Nidwaldens aus dem Vorjahr und
schaffte seine Landsgemeinde ab. Am 27. April beschloss die Landsgemeinde auf Antrag der Regierung, darüber eine Urnenabstimmung durchzuführen. Deren Verdikt fiel mit 11 623 zu 9911 Stimmen relativ deutlich gegen die Beibehaltung der Landsgemeinde aus
[55].
Nationalrat Dünki (evp, ZH) befürchtet, dass die Medienberichterstattung über
Meinungsumfragen vor dem Abstimmungstermin das Verhalten der Bürger und Bürgerinnen auf unzulässige Weise beeinflusst. Er reichte deshalb eine parlamentarische Initiative für ein Verbot der Publikation und der Kommentierung von Meinungsumfragen, die in einem Zusammenhang mit einer Wahl resp. einer Abstimmungsvorlage stehen, während dreissig Tagen vor einem Abstimmungs- oder Wahltermin ein. Die Staatspolitische Kommission war zwar auch der Überzeugung, dass nicht alle Meinungsumfragen auf seriösen Grundlagen beruhen, teilte jedoch Dünkis Sorgen in bezug auf Gefahr für die freie Meinungsbildung nicht. Auf ihren Antrag hin lehnte der Rat den Vorstoss mit 93 zu 42 Stimmen ab
[56].
Die im Rahmen der Verfassungsreform vom Bundesrat vorgeschlagene
Erhöhung der Unterschriftenzahlen für Initiativen und Referenden stiess in den vorberatenden parlamentarischen Verfassungskommissionen auf Skepsis. Eine Subgruppe der nationalrätlichen Kommission lehnte mit klarer Mehrheit jegliche Heraufsetzung ab; in der ständerätlichen Untergruppe kam ein analoger Beschluss mit dem Stichentscheid des Präsidenten zustande
[57].
Die Verfassungskommissionen selbst fassten im Berichtsjahr zu den Unterschriftenzahlen noch keine Beschlüsse. Hingegen befürwortete diejenige des Nationalrats die Einführung der
allgemeinen Volksinitiative - bei welcher das Parlament über die Zuweisung auf die Verfassungs- oder Gesetzesebene entscheiden würde - und des
Finanzreferendums. Die
Gesetzesinitiative und das
konstruktive Referendum lehnte sie hingegen ab
[58].
Die SPS konnte ihre Volksinitiative "mehr Rechte für das Volk dank dem Referendum mit Gegenvorschlag", welche die Einführung des sogenannten
konstruktiven Referendums verlangt, im März mit 123 205 gültigen Unterschriften einreichen
[59]. Im Kanton Bern, der diese Form des Referendums 1993 als erster Kanton eingeführt hat, wurde davon erstmals Gebrauch gemacht. Das Volk stimmte dem Parlamentsbeschluss zu einer Steuergesetzrevision zu und lehnte den Gegenvorschlag der FDP ab
[60].
Parallel zu seiner Volksinitiative für tiefere Medikamentenpreise lancierte der Chef der Detailhandelskette
Denner AG, Karl Schweri, im August eine Volksinitiative für eine "
Beschleunigung der direkten Demokratie". Diese verlangt, dass die Volksabstimmung über ausformulierte Volksinitiativen spätestens zwölf Monate nach deren Einreichung stattfinden muss. Falls die Bundesversammlung einen Gegenvorschlag ausarbeitet, kann diese Frist mit dem Einverständnis des Initiativkomitees um ein Jahr verlängert werden
[61]. Nach nur vier Monaten Sammeltätigkeit - zu einem guten Teil durch entlöhnte Unterschriftensammler - konnte dieses Volksbegehren eingereicht werden
[62].
[54] wf,
Initiativen + Referenden, Zürich 1998;
BüZ, 29.12.97. Vgl. auch A. Gross, "Erfolgreiche Demokratie braucht engagierte Basis", in
TW, 31.7.97 sowie
SPJ 1996, S. 38 f. Zu den einzelnen Volksabstimmungen und Initiativen siehe die entsprechenden Kapitel.54
[55]
TA, 23.4.97; Presse vom 28.4.97;
NLZ, 29.9.97. Zu Nidwalden siehe
SPJ 1996, S. 39.55
[56]
Amtl. Bull. NR, 1997, S. 2174 ff. Vgl. auch
SPJ 1990, S. 46.56
[57]
TA, 17.5., 21.5. (Subkommission NR) und 14.10.97 (Subkommission StR). Vgl. auch
SPJ 1996, S. 40.57
[59]
BBl, 1997, IV, S. 1516 f.; Presse vom 26.3.97. Vgl.
SPJ 1996, S. 41.59
[60]
Bund, 29.9.97. Vgl.
SPJ 1993, S. 43.60
[61]
BBl, 1997, III, S. 1412 ff.;
Ww, 5.6.97;
TA, 25.6.97. Zu der im Berichtsjahr in Kraft getretenen Bestimmung, dass eine Volksinitiative spätestens 9 Monate nach der Schlussabstimmung im Parlament dem Volk vorgelegt werden muss, siehe
SPJ 1996, S. 39.61
[62]
BBl, 1998, S. 235 ff.;
TA, 10.12.97.62
Copyright 2014 by Année politique suisse