Année politique Suisse 1999 : Allgemeine Chronik / Öffentliche Finanzen
Indirekte Steuern
Der Nationalrat überwies eine Motion der FDP-Fraktion, die vom Bundesrat ein Konzept für eine künftige Inanspruchnahme der Mehrwertsteuer zur
Mitfinanzierung der Sozialversicherungswerke und weiterer Bundesaufgaben verlangte, als Postulat
[19].
Im Dezember gab der Bundesrat bekannt, dass er die 1998 zur
Finanzierung der Eisenbahngrossprojekte beschlossene Erhöhung der Mehrwertsteuersätze linear um 0,1 Prozentpunkte (auf 2,4 resp. 7,6%) auf den 1.1.2001 in Kraft setzen wird
[20].
Der Ständerat beriet in seiner Frühjahressession als Erstrat den im Vorjahr vom Bundesrat vorgeschlagenen
Dringlichen Bundesbeschluss im Bereich der Umsatzabgabe im Finanzmarkt. Eintreten und Anträge der Kommission waren unbestritten. Da im Nationalrat auch SP und GP mit der Vorlage einverstanden waren – mit dem Vorbehalt, dass sie eine weitere Steuerbefreiung der Börsengeschäfte nicht gutheissen werden – wurde der Entwurf auch im Nationalrat deutlich verabschiedet
[21].
Beide Räte überwiesen noch in der Frühjahressession Motionen ihrer WA-Kommissionen mit deutlichem Mehr. Der Bundesrat wurde damit beauftragt, eine
Anschlusslösung an die dringlichen Massnahmen im Bereich der Umsatzabgabe vorzubereiten und einen Entwurf für die
Änderung des Stempelsteuergesetzes vorzulegen. Mit einem möglichst geringen Einnahmenausfall soll die Wettbewerbsfähigkeit des Schweizer Finanzplatzes im Bereich des Umsatzstempels sichergestellt werden
[22].
In seiner Frühjahressession befasste sich der Nationalrat erneut mit den Differenzen zum Ständerat beim Bundesgesetz über die Mehrwertsteuer (MWSt); rund 40 waren noch übriggeblieben. Strahm (sp, BE) wandte sich im Namen einer Kommissionsminderheit gegen die Steuerausnahme für die Zollfreigebiete Samnaun und Sampuoir (GR). Jans (sp, ZG) forderte, dass die beiden Talschaften wenigstens die Steuerausfälle vollständig kompensieren sollten, falls an der Befreiung festgehalten würde. Das Plenum folgte dem Mehrheitsantrag seiner WAK und hiess den Ständeratsentscheid gut. Zudem folgte der Rat einem Antrag von Baumberger (cvp, ZH), wonach die periodische Indexierung der im Gesetz genannten Frankenbeträge bereits dann anzupassen ist, wenn der Landesindex 15% statt 30% ansteigt. In Bezug auf die Humanmedizin forderten Gysin (sp, BS), Raggenbass (cvp, TG), Vallender (fdp, AR), Wiederkehr (ldu, ZH) sowie die Grüne Fraktion mit Erfolg, die Naturärzte bei der Besteuerung den Schulmedizinern gleichzustellen und sie von der MWSt zu befreien. Rechsteiner (sp, BS) setzte sich vergeblich gegen eine Steuerbefreiung privater Alters- und Pflegeheime zur Wehr. Die vom Ständerat beschlossene Steuerbefreiung der im Rahmen gemeinnütziger Jugendaustauschorganisationen durchgeführten Kultur- und Bildungsförderung fand auch im Nationalrat Zustimmung.
Kühne (cvp, SG) und Speck (svp, AG) forderten sodann mit einer Kommissionsminderheit, dass die
Vermietung und Verpachtung von Sportanlagen zur Förderung des Breitensports von der MWSt befreit werde. Der Rat folgte dem Antrag mit 92 zu 45 Stimmen. Ein von Gros (lp, GE) vorgetragener Minderheitsantrag zur Steuerbefreiung internationaler Flüge wurde dagegen abgewiesen. Bundesrat Villiger führte an, dass grundsätzlich alle Transportleistungen versteuert werden sollten. Da jedoch die EU die
internationalen Flüge nicht besteuert, sei es für die Schweiz unmöglich, die Besteuerung im Alleingang vorzunehmen. Der Bundesrat begrüsste deshalb die ständerätliche Version, welche die Entscheidung über eine Besteuerung von Transportdienstleistungen dem Bundesrat überlassen will. In der Abstimmung wies das Plenum den Antrag Gros zurück und schloss sich der kleinen Kammer an. Schliesslich verlangte Columberg (cvp, GR), dass gemäss dem Entscheid im Ständerat auf die Besteuerung der Kurtaxe verzichtet werden solle. Bundesrat Villiger stellte indes klar, dass nicht die Kurtaxe an sich besteuert werde, sondern nur touristische Leistungen, die aus den Einkünften der Kurtaxe bezahlt werden. Das Plenum folgte dem Bundesrat und der Kommissionsmehrheit und hielt damit die Differenz zum Ständerat aufrecht
[23].
Im weiteren wies der Rat den Antrag Zwygart (evp, BE) zurück, der verlangt hatte, Beiträge der öffentlichen Hand an Ausbildungsstätten von anerkannten Berufen oder
Fachhochschulen und Universitäten als Subventionen zu betrachten und somit von der MWSt zu befreien. Mit 90 zu 86 Stimmen akzeptierte der Rat hingegen den von der Kommissionsminderheit vorgeschlagenen
Sondersatz für die Hotellerie bis Ende 2003. Damit wurde der Sondersatz von 3,5% entsprechend dem Ständeratsbeschluss um zwei Jahre erstreckt. Bezzola (fdp, GR) wies darauf hin, dass auch die ausländischen Konkurrenten im Tourismus einen solchen Sondersatz kennen. Ob dieser Frage verlief der Graben mitten durch die bürgerlichen Fraktionen. Die Kommissionsmehrheit begründete die Streichung mit dem Argument, die MWSt sei der falsche Ort für eine Strukturpolitik im Tourismus. Entgegen den Warnungen von Bundesrat Villiger vor Steuerausfällen in der Höhe von 40 Mio Fr. stimmte das Plenum dem Minderheitsantrag Widrig (cvp, SG) und damit dem vollen Vorsteuerabzug für Kultur- und Sportverbände zu. Entgegen anderslautender Anträge votierte das Plenum ausserdem gemäss Ständeratsbeschluss für die Grenzwerte von 3 Mio Fr. steuerbarem Umsatz und 60 000 Fr. effektiver Steuerlast bei der Saldosteuer
[24].
Obwohl die ständerätliche WAK die Differenzen zum Nationalrat in der Aprilsession abbauen wollte, hielt die kleine Kammer an zahlreichen Beschlüssen fest. So stützte sich das Plenum bei der
Besteuerung von Heilbehandlungen weiterhin auf die kantonale Zulassung der Gesundheitspersonen ab. Auch hielt es mit 17 zu 17 Stimmen bei Stichentscheid des Präsidenten am Steuersatz von 4,6% für Sportverbände fest. Hingegen folgte der Ständerat in der Gruppenbesteuerung dem Beschluss des Nationalrates. Auch bei der Steuerbefreiungsliste für das
Fundraising gemeinnütziger Organisationen kam er dem Nationalratsbeschluss ein Stück weit entgegen
[25].
Die letzten Differenzen mussten in der
Einigungskonferenz gelöst werden. Beide Räte stimmten in der Sommersession der Steuerbefreiung aller Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin zu, wobei der Bundesrat die Details festlegen muss. Behandlungen, die der Schönheit oder dem Wohlbefinden dienen, unterliegen allerdings der MWSt. Auch bei der Steuerbefreiung der Kur- und Verkehrsvereine setzte sich der Ständerat durch. Hingegen folgte die Einigungskonferenzen bei den Kultur- und Sportvereinen, die freiwillig für eine Unterstellungen unter die MWSt optieren, dem Steuersatz des Nationalrates von 2,3%
[26].
Der Nationalrat überwies stillschweigend eine Motion Vallender (fdp, AR) als Postulat, die vom Bundesrat eine Verfassungsänderung forderte, die als Rechtsgrundlage für eine
ökologisch ausgerichtete Steuerreform dienen soll
[27].
Zum Grundsatzentscheid in Richtung Ökologische Steuerreform siehe unten, Teil I, 6a (Politique énergétique).
Nachdem der Bundesrat im vergangenen Jahr dem
Internationalen Olympischen Komitee (IOK) die Mehrwertsteuer bis zum Inkrafttreten des Mehrwertsteuergesetzes erlassen hatte, wurde er von zahlreichen Parlamentariern und von den Medien harsch kritisiert. Vielfach wurde der Steuererlass mit der Kandidatur von Sion für die Olympischen Winterspiele 2006 in Zusammenhang gebracht. Bundesrat Ogi wollte diesen Vorwurf nicht so stehen lassen, der Entscheid des Bundesrates diene dazu, die Attraktivität der Schweiz als Sitz für internationale Organisationen zu bewahren. Auch die WAK-NR empfahl ihrer Kammer, den Beschluss gutzuheissen. Laut einer Zusammenstellung des Finanzdepartementes existierten 1997 mit rund 50 internationalen Organisationen, darunter 21 UNO-Unterorganisationen und sieben NGO's besondere Steuerabkommen resp. wurden Verhandlungen darüber geführt
[28].
Im Nationalrat forderten ein Postulat der Grünen Fraktion und ein Postulat Weber (sp, AG), vom Bundesrat, den Beschluss rückgängig zu machen. Allerdings hatte der Ständerat die bundesrätliche Vorlage im vergangenen Jahr mit 22 zu 8 Stimmen bereits akzeptiert.
Das IOK verzichtete dann überraschend
vor der Behandlung im Nationalrat
auf das Mehrwertsteuergeschenk. Hingegen hielt es an der ausgehandelten allgemeinen Steuerbefreiung fest; damit bereitete es auch dem Seilziehen um den Sitz des IOK ein Ende. Verschiedene europäische Städte hatten um den zukünftigen Sitz des IOK gebuhlt und Steuergeschenke in Aussicht gestellt. Die Grünen sowie Weber zogen daraufhin ihre Vorstösse wieder zurück
[29].
Mit einer parlamentarischen Initiative wollte daraufhin Gysin (sp, BS) die seit einem Bundesbeschluss von 1955 geltende
unbegrenzte Kompetenz des Bundesrates zum Erlass von Steuerbefreiungen einschränken und durch eine klare Regelung mit Beurteilungs- und Entscheidungskriterien ersetzen. Nach der Meinung von Gysin pflegt der Bundesrat, die ihm erteilte Kompetenz zu extensiv auszulegen. Ausserdem sei der geltende Bundesbeschluss veraltet und rechtsstaatlich höchst bedenklich, wie das Gerangel um den Mehrwertsteuererlass für das IOK unter Beweis gestellt habe. Im Namen einer Minderheit der WAK-NR empfahl Fässler (sp, SG) den Vorstoss zur Annahme. Speck (svp, AG) argumentierte dagegen im Namen der Kommissionsmehrheit, die Initiative sei aufgrund der laufenden Revisionsarbeiten am entsprechenden Bundesbeschluss überflüssig und deshalb abzulehnen. Mit 103 zu 52 folgte das Plenum diesem Mehrheitsantrag
[30].
[19]
Amtl. Bull. NR, 1999, S. 1256 ff. 19
[20]
BBl, 2000, S. 1134 f.; Medienmitteilung der Eidg. Steuerverwaltung vom 23.12.99. 20
[21]
Amtl. Bull. StR, 1999, S. 65 ff., 187 und 285 f.;
Amtl. Bull. NR, 1999, S. 307 ff., 347 und 585 f.;
BBl, 1999, S. 7969. Vgl.
SPJ
1998, S. 151. 21
[22]
Amtl. Bull. NR, 1999, S. 312 f.;
Amtl. Bull. StR, 1999, S. 67 f. 22
[23]
Amtl. Bull. NR, 1999, S. 313 ff.; Presse vom 16.3.99. Siehe
SPJ
1997, S. 151 f. und
1998, S. 148 f. 23
[24]
Amtl. Bull. NR, 1999, S. 337 ff., 348 ff. und 814 ff.;
NZZ, 17.3. und 1.6.99. 24
[25]
Amtl. Bull. StR, 1999, S. 355 ff. und 408 ff.;
NZZ, 23.4. und 3.6.99. 25
[26]
Amtl. Bull. NR, 1999, S. 1107 f. und 1603;
Amtl. Bull. StR, 1999, S. 539 f. und 714;
BBl, 1999, S. 7479 ff. Zu den wichtigsten Neuerungen bei der MWSt unter dem Aspekt der EU-Kompatibilität vgl.
NZZ, 30.12.99. 26
[27]
Amtl. Bull. NR, 1999, S. 374 ff. 27
[28]
BaZ, 26.1.99;
TA, 26.1. und 24.2.99;
AZ, 1.2.99;
NZZ, 13.2.99. Vgl.
SPJ
1998, S. 148 f. 28
[29]
Verhandl. B.vers., 1999, I, Teil II, S. 119 (Grüne);
Amtl. Bull. NR, 1999, S. 823 f. (Weber); Presse vom 18.2.99. Im Juni entschied der BR, das IOK ab 1.7.99 in das MWSt-Register einzutragen; für die vergangenen vier Jahre wurde ihm die Steuer erlassen (
NZZ, 25.6.99). 29
[30]
Amtl. Bull. NR, 1999, S. 2581 ff. 30
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