Année politique Suisse 2001 : Grundlagen der Staatsordnung / Politische Grundfragen und Nationalbewusstsein
 
Grundsatzfragen
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Stimmung in der Bevölkerung
Die Rangliste der politischen und gesellschaftlichen Probleme, welche die Schweizerinnen und Schweizer am stärksten beschäftigen, hat sich gemäss einer von der GfS jährlich durchgeführten Befragung gegenüber dem Vorjahr kaum verändert. An der Spitze blieb mit 64% der Nennungen der Bereich Gesundheitsfragen (inkl. Kosten). Das Ende des Wirtschaftsbooms drückte sich in einer gesteigerten Angst vor Arbeitslosigkeit aus: 45% der Befragten zählten die Sorge um den Arbeitsplatz zu einem der fünf wichtigsten Problembereiche (2000: 34%). Dass bei dieser regelmässig im Herbst durchgeführten Befragung dieses Jahr, also unmittelbar nach den Terroranschlägen in den USA und dem Amoklauf im Zuger Parlament, die Angst vor Terrorismus wesentlich stärker verbreitet war als in früheren Jahren, war zu erwarten. Mit einem Anteil von 27% der Nennungen figurierte dieses Thema auf dem sechsten Platz; dabei erscheint fast bemerkenswerter, dass auch nach dem 11. September und nach Zug mehr als 70% der Schweizerinnen und Schweizer Terroranschläge nicht zu ihren fünf grössten Sorgen zählten [1].
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Die Schweiz im 2. Weltkrieg
Ende August stellte die „Unabhängige Kommission Schweiz – Zweiter Weltkrieg“ (Kommission Bergier) die ersten acht und Ende November weitere zehn von insgesamt 25 Studien vor, welche sich mit einzelnen Aspekten des Oberthemas wirtschaftliches Verhalten der Schweiz und ihrer Unternehmen sowie Flüchtlingspolitik vor, während und unmittelbar nach der Kriegszeit befassen. Am 19. Dezember verabschiedete die Kommission Bergier ihren umfangreichen Synthesebericht und übergab ihn dem Bundesrat; sie hatte damit ihre 1996 begonnene Arbeit abgeschlossen und löste sich formell auf. Eine Stellungnahme des Bundesrats zum Schlussbericht und dessen Veröffentlichung sind für das Frühjahr 2002 vorgesehen [2].
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Solidaritätsstiftung
Die Auseinandersetzung um die Verwendung der nicht mehr für die Währungspolitik benötigten Goldbestände der Nationalbank ging im Berichtsjahr weiter. Der Bundesrat veröffentlichte im Februar seine Position zu der im Vorjahr von der SVP eingereichten Volksinitiative für eine Zuweisung aller Erträge aus dem Verkauf der nicht mehr benötigten Goldreserven an die AHV. Er empfahl sie zur Ablehnung, da dadurch nicht nur die Solidaritätsstiftung verhindert würde, sondern auch der Bund und die Kantone auf unbefristete Zeit hinaus ein Anrecht auf diese Mittel verlören [3]. Ein aus SP-Politikern gebildetes Komitee lancierte schliesslich noch eine zweite Volksinitiative. Diese will nicht die überflüssigen Goldreserven, sondern den jährlichen Reingewinn der Nationalbank (abzüglich einer Mia Fr. pro Jahr für die Kantone) in den AHV-Ausgleichsfonds einfliessen lassen [4].
Der Ständerat befasste sich als Erstrat mit den Anträgen des Bundesrats aus dem Vorjahr zur Verwendung der verfügbaren Goldbestände. Dabei wich er, mit dem Einverständnis des Bundesrats, von dessen Vorschlag ab, die Verwendung der nicht für die Solidaritätsstiftung benötigten Gelder erst später in einem Gesetz zu regeln. Seine WAK argumentierte, diese Verteilungsfrage sei von derartiger Bedeutung, dass sie im Rahmen einer Übergangsbestimmung auf Verfassungsebene entschieden werden müsse. Dies biete zudem den Vorteil, der Goldinitiative der SVP einen direkten Gegenvorschlag gegenüber zu stellen. Der Ständerat beschloss auf Antrag seiner WAK, dass der gesamte Verkaufserlös der 1300 t Gold (rund 18 Mia Fr.) in einen auf 30 Jahre befristeten Fonds einfliessen soll, welcher bewirtschaftet wird und dessen Substanz real erhalten werden muss. Die Fondserträge sollen zu je einem Drittel der Solidaritätsstiftung, der AHV und den Kantonen zukommen. Ein Antrag Hess (fdp, OW), auf die Solidaritätsstiftung zu verzichten und zwei Drittel der Fondserträge an die Kantone zu überweisen, wurde mit 35:9 Stimmen abgelehnt. Bei der Beratung des Gesetzes über den Zweck und die Organisation der Solidaritätsstiftung hielt sich der Rat weitgehend an die Vorgaben des Bundesrats. Zu Reden gab insbesondere ein knapp abgelehnter Antrag der Kommissionsmehrheit, dass die Mitglieder des Stiftungsrats nicht älter als 40 Jahre sein dürfen. Die Kommissionsmehrheit wollte damit zusätzlich verdeutlichen, dass diese Stiftung zukunftsgerichteten Projekten verpflichtet ist und nichts mit der schweizerischen Politik während des 2. Weltkriegs zu tun hat [5].
Als Zweitrat schloss sich der Nationalrat diesen Entscheiden an. Zuvor hatte er sich allerdings mit einer Reihe von Anträgen auseinanderzusetzen, welche eine andere Ertragsverteilung wünschten. Der SP war vor allem das Drittel für die Kantone ein Dorn im Auge; Gewerkschafter innerhalb der SP sympathisierten sogar offen mit einer Unterstützung der „Goldinitiative“ der SVP. Ohne Erfolg versuchten die Sozialdemokraten, den Kantonsanteil mit einer Zweckbindung zugunsten von Bildungsausgaben zu versehen (Antrag Fässler, SG); von vielen SP-Abgeordneten unterstützt wurde auch ein Antrag Marti (sp, GL), die Kantone leer ausgehen zu lassen und zwei Drittel für den AHV-Fonds zu reservieren. Erfolglos blieb ebenfalls der Versuch von Kaufmann (svp, ZH), mit einer Zuweisung der gesamten Erträge an die AHV auf 30 Jahre ein offensichtliches Manko der SVP-Initiative (Zuweisung auf unbeschränkte Zeit) zu beheben. Eine Abweichung zum Ständerat ergab sich beim Vorgehen nach dreissig Jahren. Die kleine Kammer hatte beschlossen, dass, falls nicht durch eine neue Verfassungsbestimmung eine Verlängerung (unter Umständen mit einem neuen Zweck der Mittelverwendung) beschlossen wird, das Stiftungsvermögen zum üblichen Verteilschlüssel für Nationalbankgewinne (ein Drittel Bund, zwei Drittel Kantone) an die öffentliche Hand fallen soll. Der Nationalrat stimmte mit knapper Mehrheit einem Antrag Rechsteiner (sp, BS) zu, der für diesen Fall das Fondsvermögen vollumfänglich der AHV übertragen will. In der Gesamtabstimmung wurde der Gegenvorschlag zur SVP-Initiative gegen den Widerstand der SVP gutgeheissen. In der noch nicht abgeschlossenen Differenzbereinigung bestätigte der Ständerat seinen Beschluss zum Verteilungsmodus für den Fall, dass die Stiftung nach dreissig Jahren nicht weitergeführt werden sollte [6].
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Landesausstellung (Expo 02)
Die Vorbereitungen für die Expo 02 kamen weiter voran und die Ausstellungsbauten an den vier Standorten begannen konkrete Gestalt anzunehmen. Im Frühjahr wurde definitiv entschieden, welche 37 Einzelausstellungen den Kern der Veranstaltung bilden sollen [7]. Es waren aber weiterhin auch die finanziellen Probleme, die ein grosses Interesse der Öffentlichkeit auf sich zogen. Liquiditätsengpässe konnten im Frühjahr mit Hilfe von Krediten der Grossbanken überbrückt werden. Diese Kredite wurden allerdings nur unter der Bedingung gewährt, dass der Bund vom Sommer an einen Teil davon selbst übernehmen und zudem die Finanzierung der weiteren ungedeckten laufenden Ausgaben absichern werde. Zu diesem Zweck beantragte der Bundesrat dem Parlament die Umwandlung eines guten Teils der im Vorjahr gesprochenen Defizitgarantie (300 von 338 Mio Fr.) in ein für die Kreditabsicherung zu verwendendes Darlehen. Gegen den Widerstand der SVP und der Grünen stimmte das Parlament diesem Antrag zu [8]. Da die Sponsorengelder der Wirtschaft unter den Erwartungen ausfielen, beschloss der Bundesrat Ende 2001, dem Parlament nochmals einen Kredit von 120 Mio Fr. zu beantragen [9].
 
[1] NZZ, 15.2.02; www.bulletin.credit-suisse.ch. Zu den Anschlägen in den USA resp. Zug siehe unten, Teil I, 1b (Staatsschutz) resp. 1c (Einleitung).1
[2] TA, 5.7.01; NZZ, 28.8.01; Presse vom 31.8. und 30.11.01; BaZ, 20.12.01. Siehe auch Bergier in NZZ, 8.9.01.Vgl. SPJ 2000, S. 15.2
[3] BBl, 2001, S. 1403 ff. Vgl. SPJ 2000, S. 16.3
[4] BBl, 2001, S. 1499 ff.4
[5] AB SR, 2001, S. 406 ff.; TA, 3.2.01; Presse vom 5.5.01 (Modell der WAK-StR). Vgl. SPJ 2000, S. 15 f.5
[6] AB NR, 2001, S. 1120 ff.; AB SR, 2001, S. 755 ff.; Presse vom 25.9. und 26.9.01.6
[7] Vgl. etwa Presse vom 12.4. und 15.5.01; Bund, 20.8.01.7
[8] AB NR, 2001, S. 703 ff. (v.a. 722 ff.); AB SR, 2001, S. 220 ff.; NZZ, 24.2.01. Vgl. SPJ 2000, S. 17. Siehe auch den ausführlichen Bericht der GPK-SR über die Probleme der Expo in BBl, 2001, S. 2542 ff. sowie die Antwort des BR auf eine Interpellation der GP bezüglich der finanziellen Situation der Expo in AB NR, 2001, III, Beilagen, S. 319 ff.8
[9] SoZ, 2.12.01; BaZ, 14.12. und 20.12.01.9