Année politique Suisse 2001 : Bildung, Kultur und Medien / Kultur, Sprache, Kirchen
Kirchen
Bundesrätin Metzler eröffnete zwei Monate vor der Volksabstimmung vom 10. Juni mit viel persönlichem Engagement die Abstimmungskampagne zur Aufhebung des Bistumsartikels in der Bundesverfassung, die National- und Ständerat im Vorjahr beschlossen hatten. Sie führte aus, kein Staat kenne eine Bewilligungspflicht für Bistümer. Eine solche Einschränkung des Rechts einer Glaubensgemeinschaft auf Selbstorganisation und damit der Religionsfreiheit sei nicht gerechtfertigt, namentlich auch nicht durch das Interesse der öffentlichen Sicherheit – ganz abgesehen davon, dass die staatliche Kompetenz, Massnahmen zur Wahrung des religiösen Friedens zu treffen, ohnehin in der Verfassung bleiben wird. Die Streichung der Ausnahmeregelung sei auch von der Europäischen Menschenrechtskonvention und vom internationalen Menschenrechtspakt II her geboten. Mit Ausnahme der EDU und der PdA, welche die Nein-Parole ausgaben, sowie der SD, die Stimmfreigabe beschlossen, folgten alle politischen Parteien dieser Argumentation.
Weit weniger geeint zeigten sich die
kirchlichen Organisationen. Während die Bischofskonferenz erwartungsgemäss für eine Streichung der Bestimmung eintrat, taten sich mehrere katholische Laienorganisationen schwer damit, da sie im Bistumsartikel eine Art Pfand für eine Mitsprache der Kirchenbasis bei Bischofsernennungen sahen; gegen eine Streichung sprach sich schliesslich aber nur der Schweizerische Katholische Frauenbund aus. Die reformierte Landeskirche verzichtete nach längerem Hin und Her auf eine Abstimmungsempfehlung. Obgleich sie die Information des Bundesrates als einseitig empfand – insbesondere bestritt sie, der Bistumsartikel sei diskriminierend und menschenrechtswidrig – wollte sie nicht Öl ins Feuer der konfessionellen Diskussionen giessen; sie plädierte aber erneut für die Schaffung eines Verfassungsartikels, in dem die Beziehungen zwischen dem Bund und den Religionsgemeinschaften zeitgemäss geregelt würden. Gegen die Streichung wehrten sich hingegen evangelikale Splittergruppen
[42].
In der Volksabstimmung hiessen Volk und Stände mit
knapp zwei Drittel Ja-Stimmen die Streichung des Bistumsartikels gut. Am deutlichsten stimmten grossmehrheitlich katholische Kantone zu (Freiburg, Tessin, Solothurn und Wallis), am knappsten war das Resultat in Genf und Glarus sowie in den protestantisch-dominierten Kantonen Schaffhausen und Bern
[43].
Artikel 72 Abs. 3 BV (Bistumsartikel)
Abstimmung vom 10. Juni 2001
Beteiligung: 42,0%
Ja: 1 194 556 (64,2%) / 26 6/2 Stände
Nein: 666 108 (35,8%) / 0 Stände
Parolen:
– Ja: FDP, SP, CVP, SVP (1*), EVP, LPS, GP, CSP, FPS; ZSA (Arbeitgeber), CNG; Schweiz. Bischofskonferenz (SBK)
– Nein: EDU, PdA; Kath. Frauenbund, Bund aktiver Protestanten, Arma, IG Frauen Kirche
– Stimmfreigabe: SD; SGB, Schweiz. Evangelischer Kirchenbund (SEK)
* in Klammer Anzahl abweichender Kantonalsektionen
Gemäss der
Vox-Analyse waren für das deutliche Resultat in erster Linie römisch-katholische und CVP-nahe Bevölkerungsteile ausschlaggebend, während die Protestanten nur knapp zustimmten. Die Befürworter machten für ihren Entscheid weniger das Grundrecht der Religionsfreiheit als vielmehr die gesellschaftliche Entwicklung geltend, die konfessionelle Ausnahmeartikel nicht mehr rechtfertige. Demgegenüber befürchteten die Gegner vor allem eine Stärkung der Macht der katholischen Kirche, insbesondere des Vatikans
[44].
In einem ungewöhnlichen Vorgang unterstellte die Ausländerkommission, in Absprache mit dem Patriarchat von Belgrad und den hiesigen
serbisch-orthodoxen Kirchgemeinden – mit rund 100 000 Gläubigen die drittgrösste christliche Glaubensgemeinschaft in der Schweiz –, diese einer
Notverwaltung. Die Massnahme drängte sich auf, da der für die Schweiz zuständige, in Hildesheim (D) residierende Patriarch trotz anderslautenden Empfehlungen immer wieder pointiert konservativ-nationalistische und zudem oft schlecht ausgebildete Priester seiner Wahl in die Schweiz geschickt und sich um rechtliche Dinge wie die Aufenthaltsbewilligung foutiert hatte. Es wird nun eine Gesamtregelung für die Bewilligung von orthodoxen Geistlichen angestrebt, ähnlich wie sie für die muslimischen Imame besteht. Damit soll eine gewisse Fähigkeit zur Integration in die hiesige Gesellschaft und der Wille dazu sichergestellt werden
[45].
Der Bundesrat bekundete seine Intention, bei der Revision des Tierschutzgesetzes das
Schächtverbot aufzuheben. Seit 1893 ist das Schächten – die im
Judentum und im
Islam als rituell erachtete Schlachtung durch Kehlenschnitt ohne vorherige Betäubung des Tieres – in der Schweiz verboten. Der Bundesrat begründete seinen Entscheid für eine Neuregelung mit der Bundesverfassung, welche die Glaubens- und Gewissensfreiheit garantiert (Art. 15). Zudem kenne keines der Nachbarländer ein derart absolutes Schächtverbot. Der Israelitische Gemeindebund sowie kirchliche Kreise begrüssten die Lockerung, da das Schächtverbot eine langjährige Diskriminierung der nicht-christlichen Religionen und eine Einschränkung ihrer ritueller Gebote darstelle. Ganz anders sahen dies Tierschutzkreise und die Gesellschaft der Schweizer Tierärzte, die unter Berufung auf die Würde des Tieres ein Referendum in Aussicht stellten; ihnen schlossen sich der Bauernverband und die Stiftung für Konsumentenschutz an. Von den Parteien sprachen sich die CVP, die SVP und die GP grundsätzlich für eine Lockerung (unter gewissen Auflagen) aus, die SP widersetzte sich und die FDP enthielt sich einer Aussage
[46].
Die Regierung des Kantons
Zürich änderte die Bestattungsverordnung und schuf damit für die Gemeinden die Möglichkeit,
separate Gräberfelder für Angehörige ausserchristlicher Glaubensgemeinschaften einzurichten. Sie kam damit einem Wunsch strenggläubiger Muslime nach, die eine gemeinsame Bestattung mit Angehörigen anderer Religionen ablehnen. In einer gemeinsamen Medienmitteilung befürworteten der Evangelisch-Reformierte Kirchenrat und die Römisch-Katholische Zentralkommission diese Liberalisierung als wichtigen Beitrag für das friedliche Nebeneinander der verschiedenen Religionen und Kulturen
[47].
[42] Presse vom 11.4.-9.5.01. Zur Geschichte des Bistumsartikels siehe
NZZ, 20.4. und 27.4.01. Vgl.
SPJ 2000, S. 291 f. 42
[43]
BBl, 2001, S. 4660 ff.; Presse vom 11.6.01. Der SEK sprach sich grundsätzlich dafür aus, eine Volksinitiative für einen Religionsartikel zu lancieren (
Bund, 28.7.01). 43
[44] Ballmer-Cao, Than-Huyen et al.,
Analyse der eidg. Abstimmungen vom 10. Juni 2001, VOX Nr. 74, Genf 2001. 44
[45]
TA, 12.2.01. Zu den Imamen siehe
SPJ 2000, S. 292. 45
[46] Presse vom 22.9., 26.9. und 24.12.01;
NZZ, 10.10. (Gegner einer Aufhebung des Verbots) und 12.12.01 (Befürworter). Siehe auch
Lit. Krauthammer. 46
[47]
NZZ, 29.6.01. Siehe
SPJ 1999, S. 334 und
2000, S. 292. In Basel setzten die Landeskirchen je einen Muslimbeauftragten ein, um die gegenseitige Verständigung zu fördern (
NZZ, 11.1.01). In Genf beschloss der Kantonsrat, ein entsprechendes Integrationsbüro einzurichten (
Bund, 3.7.01). 47
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