Année politique Suisse 2002 : Grundlagen der Staatsordnung / Politische Grundfragen und Nationalbewusstsein
Grundsatzfragen
Die 1992 anlässlich der Volksabstimmung über den EWR-Beitritt zu Tage getretenen grossen Meinungsdiskrepanzen zwischen der Romandie und der übrigen Schweiz hatten die beiden Parlamentskammern veranlasst, eine so genannte Verständigungskommission zu bilden. Deren Bericht führte zu einer vom Parlament 1994 verabschiedeten Motion mit der generellen Aufforderung an den Bundesrat, dem besseren
Verständnis zwischen den Sprachregionen besondere Beachtung zu schenken und dabei vor allem auch die in einem Katalog aufgeführten 23 Empfehlungen zu berücksichtigen. Eine Interpellation von Ständerat Stadler (cvp, UR) bot der Regierung nun Gelegenheit, über die Umsetzung dieser Ratschläge und ihrer Wirksamkeit ausführlich Bericht zu erstatten. Zusätzlich machte Stadler in seinem Vorstoss auch darauf aufmerksam, dass die Ergebnisse der neueren Volksabstimmungen (z.B. über den UNO-Beitritt) immer mehr einen
Graben zwischen den städtischen Zentren und den ländlichen Regionen der Deutschschweiz aufdeckten, dessen Tiefe diejenige der Kluft zwischen den Sprachregionen übertreffe, und dessen Überbrückung deshalb für die Wahrung der nationalen Identität von ebenso grosser Bedeutung sei
[1].
Die von der GfS jährlich durchgeführte Befragung über die politischen und gesellschaftlichen Probleme, welche die Schweizerinnen und Schweizer am stärksten beschäftigen, ergab im Vergleich zum Vorjahr einige Veränderungen. Die vier erstplatzierten Themen und ihre Rangordnung blieben zwar die selben, die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit (52% der Nennungen), die Sorge um die Sicherung der Altersvorsorge (49%) und die Asylpolitik (43%) haben aber gegenüber dem weiterhin an der Spitze liegenden Bereich
Gesundheitswesen und -kosten (58%) aufgeholt. Wie zu erwarten war, ging die Angst vor terroristischen Anschlägen, welche im Herbst des Vorjahres mit 27% der Nennungen den fünften Platz belegt hatte, wieder auf das vor den Attentaten in den USA und dem Amoklauf im Zuger Parlament registrierte Niveau zurück und wurde nur noch von 8% der Befragten zu den fünf wichtigsten Problemen gezählt
[2].
Die Arbeit der
Historikerkommission Bergier war im Vorjahr offiziell abgeschlossen worden. Im Jahr 2002 wurde der Schlussbericht veröffentlicht und vom Bundesrat kurz gewürdigt. Dabei warnte die Landesregierung davor, diese wissenschaftliche Arbeit für aktuelle politische Ziele zu instrumentalisieren. Die Ergebnisse sollen in den nächsten zwei Jahren im Rahmen einer Wanderausstellung auch einem breiten Publikum zugänglich gemacht werden. Zu einer grossen öffentlichen Debatte über die Befunde der Historikerkommission
kam es aber bis anhin nicht; diese hatte in den Jahren der Entstehung des Berichts stattgefunden
[3].
Der Nationalrat hatte 2000 einer parlamentarischen Initiative Rechsteiner (sp, SG) für die Aufhebung von
Gerichtsurteilen gegen Flüchtlingshelfer während der Zeit der faschistischen Regime in Europa und gegen Personen, welche im
spanischen Bürgerkrieg auf der Seite der Internationalen Brigaden gegen die Faschisten gekämpft hatten, Folge gegeben. Seine Rechtskommission legte im Herbst eine entsprechende Gesetzesvorlage vor. Ihre Mehrheit sprach sich allerdings nur für eine Rehabilitierung der verurteilten Flüchtlingshelfer, nicht aber der Spanienkämpfer aus. Konkret beantragte sie, die Strafurteile gegen die Flüchtlingshelfer generell abstrakt aufzuheben. In einem zweiten Schritt soll dann eine spezielle Kommission in jedem Einzelfall auf Gesuch hin entscheiden, ob das konkrete damals ergangene Urteil unter diesen Aufhebungsbeschluss fällt. Entsprechende Gesuche können von den Verurteilten, deren Angehörigen oder schweizerischen Organisationen, welche sich für den Schutz der Menschenrechte einsetzen, gestellt werden. Explizit werden Schadenersatz- oder Genugtuungsansprüche ausgeschlossen. In der Wintersession befasste sich der Nationalrat mit der Vorlage. Nachdem Eintreten unbestritten war, gab einzig der von der Linken unterstützte Antrag der Kommissionsminderheit zu reden, auch die wegen Kriegsdienst in fremden Armeen verurteilten schweizerischen Spanienkämpfer in die Rehabilitierung einzuschliessen. Diese Forderung konnte sich jedoch nicht durchsetzen. In der Gesamtabstimmung wurde die Gesetzesänderung gegen die Stimmen der Mehrheit der SVP-Fraktion mit 131:27 gutgeheissen
[4].
In der Fortsetzung der
Differenzbereinigung blieb im Berichtsjahr im Wesentlichen noch die Frage zu regeln, was mit dem Fondsvermögen nach Ablauf der auf dreissig Jahre angesetzten Lebensdauer der Solidaritätsstiftung (und dem Verzicht auf deren Weiterführung in neuer Form) geschehen soll. Der Nationalrat rückte in der Frühjahrssession von seiner Idee ab, den ganzen Betrag der AHV zu überschreiben. Als Kompromiss beschloss er die Zuteilung zu je einem Drittel an Bund, Kantone und AHV, womit sich auch die kleine Kammer relativ knapp (26:18 Stimmen) einverstanden erklärte. In der Schlussabstimmung sprach sich der Nationalrat mit 104:66 Stimmen für die Solidaritätsstiftung aus. Neben der nahezu geschlossenen SVP-Fraktion hatte auch eine Mehrheit der FDP Nein gestimmt
[5]. Die Gold-Initiative der SVP, welche die ausserordentlichen Erlöse aus dem Goldverkauf der Nationalbank vollumfänglich der AHV zukommen lassen wollte, wurde mit 141:41 Stimmen zur Ablehnung empfohlen, wobei Cavalli (TI) im Namen der Mehrheit der SP-Fraktion Sympathie zur SVP-Volksinitiative bekundete und bedauerte, dass bei dieser Konstellation (Initiative und Gegenvorschlag) im Parlament nicht beide Vorlagen unterstützt werden konnten. In der kleinen Kammer lauteten die Stimmenverhältnisse bei beiden Vorlagen 33:5
[6].
Die Federführung der
Kampagne für die Solidaritätsstiftung wurde von der von alt Nationalrätin Judith Stamm (cvp, LU) präsidierten Schweizerischen Gemeinnützigen Gesellschaft (SGG) übernommen. Die Hilfswerke waren, neben den Bundesbehörden, nahezu die einzigen, welche in der Öffentlichkeit für den Gegenvorschlag mit der Solidaritätsstiftung warben. Finanzielle Unterstützung erhielten sie immerhin von den Grossbanken, welche ihr Engagement damit begründeten, dass der Bundesrat seinerzeit mit der Ankündigung der Solidaritätsstiftung einen Beitrag zur Entspannung des gestörten Klimas zwischen der Schweiz und den USA geleistet habe
[7]. In der Werbung wurde insbesondere betont, dass der Gegenvorschlag eine ausgewogene Lösung darstelle, welche verschiedenen Bedürfnissen gerecht werde. Da die Aufgaben der Solidaritätsstiftung sehr allgemein definiert waren (Unterstützung von Projekten, welche im In- und Ausland soziale Ausschliessung, Armut und Gewalt bekämpfen) konnte nur mit einzelnen Beispielen von Projekten illustriert werden, wie die Stiftung das Geld einsetzen könnte
[8].
Das vom freisinnigen Ständerat Merz (AR) präsidierte
Komitee für ein doppeltes Nein sprach sich für eine Verteilung der Erträge der Goldverkäufe nach dem üblichen Schema (zwei Drittel für die Kantone, ein Drittel für den Bund) und für die Auflage, diese primär für einen Schuldenabbau zu verwenden, aus
[9].
Die SVP führte den Kampf nur nebenbei gegen die Solidaritätsstiftung, welche sie als (im Zusammenhang mit der Auseinandersetzung um nachrichtenlose Vermögen aus dem 2. Weltkrieg) vom Ausland „erpresst“ bezeichnete. Sie konzentrierte sich in ihrer Propaganda weitgehend auf ihr eigenes Projekt. Dabei argumentierte sie, dass die überschüssigen Goldreserven der Nationalbank „Volksvermögen“ seien, welches nun dem Volk zurückerstattet werden müsse. Dies geschehe am besten über ihre Zuteilung an den AHV-Fonds, da damit auf eine Erhöhung der Mehrwertsteuer zur Finanzierung der steigenden AHV-Kosten verzichtet werden könne.
Der Wirtschaftsdachverband
economiesuisse, dessen Vorgängerorganisation Vorort sich noch zugunsten der Solidaritätsstiftung ausgesprochen hatte, distanzierte sich nun von ihr und gab die Stimme frei. Die SVP-Goldinitiative empfahl sie zur Ablehnung
[10]. Beim
Gewerkschaftsbund überwog das Interesse an den zusätzlichen Mitteln für die AHV. Er empfahl sowohl den Gegenvorschlag des Parlaments als auch die SVP-Initiative zur Annahme. Bei der Stichfrage gab er dann allerdings der ersten Lösung (je einen Drittel für die AHV, die Solidaritätsstiftung und die Kantone) den Vorzug
[11]. Die Geschäftsleitung der
SP hatte den Delegierten eine analoge Empfehlung vorgeschlagen. Diese fanden es aber taktisch unklug, die von ihnen als populistisch bezeichnete SVP-Initiative zu unterstützen und gaben dazu die Nein-Parole aus. Drei SP-Kantonalsektionen aus der Westschweiz beschlossen allerdings abweichend davon die Ja-Parole zur Goldinitiative. In einem vergleichbaren Dilemma, allerdings mit umgekehrten Vorzeichen, befand sich die FDP. Mit einem doppelten Nein und dem Vorschlag, die Mittel auf Bund und Kantone zum Zweck des Schuldenabbaus zu verteilen, hätte sie sich zwar als einzige um gesunde öffentliche Finanzen bemühte Regierungspartei profilieren können. Andererseits hatte die FDP die Solidaritätsstiftung von Anfang an gegen die Kritik der SVP verteidigt. Die Delegierten entschieden sich mit 128:89 Stimmen für die Ja-Parole zum Gegenvorschlag, wovon dann in der Folge gut die Hälfte der Kantonalsektionen abwich
[12]. Wie diese abweichenden FDP-Sektionen empfahl auch die Liberale Partei ein doppeltes Nein
[13].
Neben der SVP und dem Gewerkschaftsbund unterstützten nur die FPS und die SD die SVP-Volksinitiative. Der Gegenvorschlag wurde von diesen drei Parteien, von den Liberalen und dreizehn Kantonalsektionen der FDP sowie vom Gewerbeverband abgelehnt
[14].
Am 22. September
lehnte das Volk sowohl die SVP-Initiative als auch den Gegenvorschlag mit knappen Mehrheiten von 52,4% resp. 51,8% ab. Das Ständemehr war von beiden Vorlagen deutlich verfehlt worden. Die SVP-Initiative hatte in der Nordostschweiz und im Tessin am meisten Unterstützung gefunden, die Variante mit der Solidaritätsstiftung wurde in Basel-Stadt (56%), Jura, Neuenburg, sowie hauchdünn in Bern, Zürich und Luzern angenommen. Die nicht mehr relevante Stichfrage ging knapp zugunsten der Solidaritätsstiftung aus. Die nach dem Urnengang durchgeführte Meinungsumfrage (Vox-Analyse) ergab, dass das wichtigste, allerdings nicht das einzige Motiv für die Ablehnung des Gegenvorschlags die darin enthaltene Solidaritätsstiftung gewesen war. Diese war nur von den unter 40jährigen und den Personen mit Hochschulabschluss mehrheitlich gutgeheissen worden. Während die Sympathisanten der FDP und der CVP gespalten waren, folgten diejenigen der SP und der SVP weitgehend den Parolen ihrer Parteien; das vom Gewerkschaftsbund und einem Teil der SP propagierte doppelte Ja hatte nur ein gutes Viertel der SP-Anhängerschaft zu überzeugen vermocht. Die Befragung ergab nur wenige Hinweise auf die gewünschte Verwendung der Nationalbankgelder. Am ehesten schien eine Aufteilung auf verschiedene Bereiche mehrheitsfähig zu sein, wobei der Verwendungszweck Schuldenabbau deutlich weniger Sympathien genoss als die Zuweisung an die AHV, an das Bildungswesen oder an die Kantone
[15].
Volksinitiative „Überschüssige Goldreserven in den AHV-Fonds“
Abstimmung vom 22. September 2002
Beteiligung: 45,2%
Ja: 984 058 (47,6%) / 6 Kantone
Nein: 1 085 072 (52,4%) / 14 6/2 Kantone
Parolen:
— Ja: SVP, SD, FPS; SGB.
— Nein: SP (3*), FDP, CVP, GP, LP, EVP, EDU, CSP; economiesuisse, SGV, CNG.
— Stimmfreigabe: SBV.
* In Klammer Anzahl abweichender Kantonalsektionen
Gegenentwurf der Bundesversammlung „Gold für AHV, Kantone und Stiftung“
Abstimmung vom 22. September 2002
Beteiligung: 45,2%
Ja: 984 537 (48,2%) / 6 ½ Kantone
Nein: 1 057 398 (51,8%) / 14 5/2 Kantone
Parolen:
— Ja: SP, FDP (13*), CVP, EVP, PdA, CSP; SGB, CNG.
— Nein: SVP, LP, SD, EDU, FPS; SGV.
— Stimmfreigabe: economiesuisse, SBV.
* In Klammer Anzahl abweichender Kantonalsektionen
Im Gegensatz zu im Vorfeld des Volksentscheids geäusserten Befürchtungen wurde die Ablehnung der Solidaritätsstiftung im Ausland kaum zur Kenntnis genommen und löste auch keine negativen Reaktionen aus
[16]. Nach der Abstimmung begann sofort der Wettbewerb der Vorschläge,
wie die Erträge aus den Goldverkäufen der Nationalbank zu verteilen und zu verwenden seien. Dabei tauchte die Idee einer Neuauflage der Solidaritätsstiftung nicht mehr auf. Die FDP und nach einigem Zögern auch die CVP sprachen sich für die Anwendung der Verteilungsformel für die normalen Nationalbankgewinne aus (zwei Drittel Kantone, ein Drittel Bund). Diese Position machte sich auch die Konferenz der Kantonsregierungen zu eigen und wurde von den Kantonen Jura, Obwalden und Solothurn mit der Einreichung von Standesinitiativen bekräftigt. Nach Ansicht des Eidg. Finanzdepartements bräuchte es aber auch dazu einen speziellen Parlamentsbeschluss, da es sich bei den Goldverkäufen um aussergewöhnliche Erträge handle. Im nationalen Parlament wurden in Bezug auf die Verwendung der Mittel verschiedene Vorstösse deponiert. So verlangten die Freisinnigen Merz (AR) und Favre (VD) in gleichlautenden Motionen in den beiden Räten, dass die Erträge zum Schuldenabbau verwendet werden müssen. Ein weiterer Freisinniger (Dupraz, GE) schlug hingegen mit einer parlamentarischen Initiative eine analoge Verteilung wie das eben abgelehnte Gegenprojekt vor, nur dass anstelle einer Solidaritätsstiftung ein Forschungsfonds alimentiert werden soll. Ebenfalls mit einer parlamentarischen Initiative forderte der Christlichsoziale Fasel (FR) die vollumfängliche Verwendung der Erträge durch den Bund für die Erhöhung der Kinderzulagen. Die SVP hielt an ihrer ursprünglichen Idee fest, primär die AHV zu begünstigen. Sie reichte eine parlamentarische Initiative ein, welche einen Drittel der Erträge den Kantonen und zwei Drittel der AHV zukommen lassen will. Eine identische Verteilung schlug der Genfer Nationalrat Grobet (alliance de gauche) ebenfalls mit einer parlamentarischen Initiative vor. Die SP hat sich noch nicht definitiv festgelegt, bevorzugt aber Lösungen, welche neben der AHV auch Forschung und Bildung von den Erträgen profitieren lassen
[17].
Wie bereits Ende 2001 angekündigt, musste der Bundesrat dem Parlament einen weiteren
Nachtragskredit (insgesamt den vierten) zugunsten der Expo beantragen. Ohne die zusätzlichen 120 Mio Fr. Bundeshilfe hätte der unter Liquiditätsproblemen leidenden Ausstellung ein Abbruch kurz vor der Eröffnung gedroht
[18]. Zudem schlug die Regierung vor, eine bereits früher gewährte Defizitgarantie von 58 Mio Fr. in ein Darlehen umzuwandeln. Damit erhöhten sich die Aufwendungen des Bundes für die Expo (ohne die Kosten für die Beiträge der Departemente an die eigenen Ausstellungsprojekte und für die Dienstleistungen der Armee) auf knapp 850 Mio Fr. Wie bereits bei früheren Nachtragskrediten lehnten die Grünen und die SVP diese zusätzlichen Finanzspritzen ab und beantragten Nichteintreten; zu ihnen gesellte sich nun auch noch eine knappe Mehrheit der CVP-Fraktion. Der Nichteintretensantrag wurde dank der geschlossenen Haltung der SP und der FDP mit 122:69 Stimmen abgelehnt. Nachdem es auch im Ständerat nicht an kritischen Worten zum Finanzmanagement der Expo-Verantwortlichen gefehlt hatte, stimmte die kleine Kammer dem Zusatzkredit mit 31:2 Stimmen ebenfalls zu. Anschliessend überwies sie in Postulatsform eine im Vorjahr vom Nationalrat gutgeheissene Motion Baumann (svp, TG), welche vom Bundesrat eine vollständige Transparenz über die Kosten und Einnahmen der Expo verlangt
[19].
Nachdem die Medien in den Wochen zuvor ausführlich – und mit zunehmender Begeisterung – über die Ausstellung berichtet hatten, öffnete diese
am 15. Mai termingerecht ihre Tore. Jedes der vier zum Teil am Seeufer, zum Teil auf Plattformen im Wasser situierten und „Arteplage“ genannten Ausstellungsgelände umfasste zwischen 7 und 11 Einzelausstellungen (insgesamt 38) und stand unter einem übergreifenden Motto. In Biel (Motto „Macht und Freiheit“) standen die Bereiche Mensch, Arbeit und Technik im Vordergrund, in Neuenburg („Natur und Künstlichkeit“) die Natur und die Umwelt; in Yverdon (VD) („Ich und das Universum“) das sinnliche Erleben und die Gesundheit und schliesslich in Murten (FR) („Augenblick und Ewigkeit“) die physische und psychische Sicherheit. Jede der vier Arteplages bestach mit einer
einheitlich gestalteten eigenen Architektur und verfügte über besondere Bauten, welche zu
unverwechselbaren Erkennungszeichen wurden (Klangtürme in Biel, UFO-förmige Dachkonstruktionen („Galets“) in Neuenburg, künstliche Wolke in Yverdon und Monolith in Murten). Neben den eigentlichen Ausstellungen wurden auf allen vier Arteplages und auf dem als fünfte, mobile Arteplage konzipierten so genannten Piratenschiff (Beitrag des Kantons Jura) eine Vielzahl von kulturellen Veranstaltungen jeglicher Geschmacksrichtung durchgeführt
[20].
Die Besucher fanden sich in der erwarteten Anzahl ein. Insgesamt wurden in den vier Arteplages rund
10,3 Mio Eintritte gezählt, wovon 3,4 Mio in Neuenburg, 3 Mio in Biel, 2 Mio in Murten und 1,9 Mio in Yverdon. Die Zahl der Personen, welche die Expo besucht haben, ist allerdings geringer, da Mehrfacheintritte nicht speziell erfasst wurden. Der grösste Teil der Besucher reiste mit den öffentlichen Verkehrsmitteln an (65% anstelle der prognostizierten 55%
[21]); das befürchtete Chaos auf den Strassen blieb aus, und mangels Nachfrage mussten sogar einige der bereitgestellten Parkplätze im Verlaufe der Expo geschlossen werden. Bestbesuchter Tag war der Schliessungstag (20. Oktober), als sich insgesamt 180 000 Personen zu einer Abschiedsparty, welche bis in die Morgenstunden dauerte, auf den vier Arteplages trafen. Nach übereinstimmenden Eindrücken war eine grosse Mehrheit der Besucher vom Gebotenen sehr angetan. Zu diesem guten Urteil beigetragen hat sicher auch die Qualität der Architektur und ihre gelungene Einbettung in die landschaftlich reizvolle, aber vielen Schweizern wenig bekannte Drei-Seen-Region an der Sprachgrenze zwischen der Deutschschweiz und der Romandie. In den Presseberichten positiv vermerkt wurde zudem die entspannte und freundliche Atmosphäre unter den Besuchern, welche sich auch nicht durch die zum Teil recht langen Wartezeiten bei einzelnen Ausstellungspavillons verdriessen liessen
[22].
Nahezu ausnahmslos sehr positiv waren die
Berichte in den ausländischen Medien, welche sich überrascht über die „sinnliche“, „spielerische“ und „phantasievolle“ Landesausstellung zeigten, welche ihrer Ansicht nach so wenig den über die Schweiz verbreiteten Clichés entsprach
[23].
Inhaltliche Kritik an der Expo war eher selten. Einerseits monierten einige Vertreter der politischen Linken (längst nicht alle) und einzelne Kulturschaffende, die Themen seien auf eine zu spielerische und unverbindliche Art dargestellt worden, und die Ausstellungsmacher hätten damit auf eine pädagogisch gezielte Aufklärung über Probleme und Missstände der Schweiz verzichtet. Andererseits bemängelten auch einige konservative Politiker eine Beliebigkeit und überdies das Fehlen resp. die nicht vorhandene Dominanz traditioneller nationaler Symbole (z.B. Schweizer Flaggen)
[24].
Bei der Planung der Expo war man 1996 davon ausgegangen, das der Bund rund 130 Mio Fr. und die Privatwirtschaft 800 Mio Fr. beisteuern würden. Das
private Sponsoring erreichte dann aber nur 330 Mio Fr. und die Unterstützung des Bundes stieg demzufolge auf 864 Mio Fr. an
[25]. Obwohl die Besucherzahl die Erwartungen sogar leicht übertraf, blieben die Einnahmen aus dem Billetverkauf unter dem Budget: Der Grund dafür lag darin, dass mehr Personen als ursprünglich angenommen vergünstigte Karten im Vorverkauf bezogen oder anstelle von Tageskarten die billigeren Abendkarten gelöst hatten
[26].
Die finanziellen Probleme der Expo waren aber mit dem Ausstellungsende noch nicht abgeschlossen. Da die Einnahmen geringer als erwartet ausgefallen waren,
beantragte der Bundesrat einen weiteren Verpflichtungskredit von 90 Mio Fr., wovon 80 Mio in das Bundesbudget für 2003 aufgenommen wurden. Anlässlich der Budgetberatung in der Dezembersession gab das Parlament gegen den Widerstand der Grünen und einer Minderheit der SVP auch dazu seine Zustimmung
[27]. Die
provisorische Schlussabrechnung der Expo.02 enthielt keine neuen negativen Überraschungen. Sie wies ein Defizit von 563 Mio Fr. (bei einem Gesamtbudget von 1,6 Mia Fr.) aus, welches mit diesem und den früher gesprochenen Zusatzkrediten sowie der ebenfalls schon vorher bewilligten Defizitgarantie des Bundes gedeckt ist
[28].
Der Bundesrat beantragte dem Parlament einen Verpflichtungskredit von 15 Mio Fr. für die Teilnahme der Schweiz an der
Weltausstellung „Expo 2005 Aichi“ in Japan. Diese Ausstellung wird unter dem Motto „Die Weisheit der Natur“ stehen
[29].
[1]
AB SR, 2002, S. 657 ff. und Beilagen IV, S. 103 ff. Vgl.
SPJ 1993, S. 15 f.
[2] Claude Longchamp e.a.,
Wirtschaftsskepsis bestimmt die heutigen Sorgen. Schlussbericht zum ‚Sorgenbarometer 2002’ für das Bulletin der CS, Bern (GfS) 2002.
[3] Presse vom 23.3.02;
BaZ, 10.10.02;
NZZ, 28.11.02. Vgl. dazu auch
AB NR, 2002, Beilagen V, S. 70 f. Der NR lehnte ein Postulat der SVP ab, welches den BR auffordern wollte, den Schlussbericht zuhanden einer Neubearbeitung an die Kommission zurückzuweisen (
AB NR, 2002, S. 71; vgl.
SPJ 2001, S. 14 f.). Siehe dazu auch die Interpellationen Müller-Hemmi (sp, ZH) betreffend die Diffusion der Forschungsergebnisse der Bergier-Kommission in
AB NR, 2002, Beilagen, III, S. 487 ff. bzw. der Grünen betreffend der Konsequenzen für die heutige Asylpolitik (
AB NR, 2002, Beilagen, IV, S. 460 f.). Zur neuen gesetzlichen Regelung des Umgangs mit nachrichtenlosen Bankkonten siehe unten, Teil I, 4b (Banken).
[4]
BBl, 2002, S. 7781 ff. und
BBl, 2003, S. 490 ff. (BR);
AB NR, 2002, S. 2151 ff.
[5] Die Ablehnung der Solidaritätsstiftung durch die FDP wurde von Kommentatoren in einen direkten Zusammenhang mit dem gleichzeitig erfolgten Nein der CVP zu einem neuen Kredit für die Expo.02 gebracht (vgl.
AZ, 6.3.02).
[6]
AB NR, 2002, S. 33 ff. und 469 f.;
AB SR, 2002, S. 81 ff. und 264;
BBl, 2002, S. 2742; Presse vom 6.3., 15.3. und 23.3.02;
AZ, 8.3.02 und
SGT, 14.3.02 (zur Sympathie der SP für die SVP-Initiative). Vgl.
SPJ 2001, S. 15 f.
[7]
BZ, 17.4.02;
SoZ, 7.7.02 (Banken);
AZ, 27.8.02.
[8] Auch in Medien, welche der Stiftung wohlgesinnt waren, wurde dazu kritisch angemerkt, dass die als Beispiele angeführten Projekte bereits heute von der öffentlichen Hand unterstützt würden und es deshalb dazu eigentlich keiner neuen Stiftung bedürfe (vgl. etwa
LT, 14.9.02).
[9]
BZ, 2.7.02;
NZZ, 20.8.02.
[11]
LT, 15.6.02. Vgl. dazu auch Serge Gaillard in
BZ, 6.9.02.
[12]
TA, 24.6. (SP) und 19.8.02 (FDP).
[15]
BBl, 2002, S. 7821 ff.; Presse vom 23.9.02; Mahnig, Fabian / Milic, Thomas,
Vox – Analyse der eidgenössischen Abstimmungen vom 22. September 2002, Zürich 2002.
[17]
24h, 24.9.02 (EFD);
LT, 24.9.02;
NZZ, 17.10.02;
AZ, 17.10.02 (CVP);
NZZ, 13.11. (Kantone) und 29.11.02 (Standesinitiativen);
TA, 9.11. und 10.12.02 und
BaZ, 7.12.02 (SP). Im Berichtsjahr noch nicht behandelte parlamentarische Vorstösse: Merz (02.3452), Favre (02.3451), Dupraz (02.447), Fasel (02.445), SVP (02.449) und Grobet (02.446).
[18] Siehe dazu Expo-Präsident Steinegger in
AZ, 9.1.02.
[19]
BBl, 2002, S. 1243 ff.;
AB NR, 2002, S. 76 ff.;
AB SR, 2002, S. 160 ff. und 168 (Postulat); Presse vom 31.1. und 7.3.02. Zur CVP-Position siehe auch Presse vom 25.-27.2.02 und
SGT, 6.3.02.Vgl.
SPJ 2001, S. 16.
[20] Vgl. u.a. die Presse vom 14.-18.5.02.
[21]
NZZ, 26.10.02 (in diesen 65% sind die Anreisen in Bussen privater Reiseveranstalter inbegriffen).
[22] Vgl. dazu beispielhaft Kurt Müller in
NZZ, 22.8.02. Vgl. auch die Schlussbilanzen in der Presse vom 19.-22.10.02. Unmittelbar nach dem Abschluss begannen die Abbrucharbeiten.
[23] Vgl. dazu etwa
Blick, 23.5.02;
AZ, 26.6.02.
[24] Für die linke Kritik vgl. etwa Jean Ziegler in
SonntagsBlick, 11.8.02.
[25]
TG, 6.3.02;
SGT, 4.5.02. Vgl. dazu auch
Lit. Lüchinger.
[26] Presse vom 24.10.02.
[27]
AB NR, 2002, S. 1812 ff.;
AB SR, 2002, S. 1123 ff.;
NZZ, 1.10.02. Vgl. auch
AB NR, 2002, Beilagen V, S. 173 ff. (Antwort des BR auf eine Interpellation der SVP zu den Verantwortlichen für das finanzielle Missmanagenment).
[29]
BBl, 2002, S. 7751 ff.;
BZ, 1.5.02;
NZZ, 14.11.02. Zu den Projektideen für den schweizerischen Beitrag siehe
Bund, 17.10.02.
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