Année politique Suisse 2003 : Grundlagen der Staatsordnung / Rechtsordnung
Strafrecht
Bei der Genehmigung von zwei
Internationalen Übereinkommen zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus resp. von terroristischen Bombenanschlägen sowie einer Reihe von dazu gehörenden Gesetzesanpassungen übernahm der Nationalrat weitgehend die Entscheide der kleinen Kammer aus dem Vorjahr. Auf Antrag seiner Rechtskommission war er insbesondere damit einverstanden, auf die Einführung eines speziellen Straftatbestands des Terrorismus zu verzichten. Bei den Gesetzesanpassungen war eigentlich nur noch die vom Ständerat beschlossene
Registrierungspflicht für so genannte Prepaid-Karten für Mobiltelefone umstritten, auf welche die Kommissionsmehrheit verzichten wollte. Im Plenum setzte sich die Registrierungspflicht für diese wegen ihrer Anonymität von Kriminellen geschätzten Karten deutlich durch. Die neuen gesetzlichen Bestimmungen zur Bekämpfung der finanziellen Unterstützung des Terrorismus und die beiden Internationalen Übereinkommen wurden vom Nationalrat in der Gesamtabstimmung oppositionslos resp. mit einer Gegenstimme (Bignasca, lega, TI) gutgeheissen. Ein Teil der Linken hatte allerdings in der Debatte mit dem Datenschutz begründete Vorbehalte gegen die vorgeschlagenen strafrechtlichen Mittel zur Terrorismusbekämpfung geäussert. In der Schlussabstimmung lehnten die Grünen die Strafrechtsrevision ab, eine Minderheit der SP enthielt sich der Stimme
[33].
Der Bundesrat beantragte dem Parlament die Ratifizierung des
Zweiten Zusatzprotokolls zum Europäischen Übereinkommen über die Rechtshilfe im Strafrecht. Dieses 2001 beschlossene Protokoll beabsichtigt primär eine Anpassung des Übereinkommens an die Entwicklung der Kriminalitätsformen aber auch der Ermittlungsmethoden (z.B. Einvernahme mittels Videokonferenzen). Eine wesentliche Neuerung ist die Ausweitung der Rechtshilfe auf Delikte, welche durch Verwaltungsbehörden geahndet werden können. Das Zusatzprotokoll, das sich weitgehend auf entsprechende Entwicklungen der Rechtshilfe innerhalb der EU stützt, bringt für die Schweiz in der Praxis wenig Veränderungen, da diese Regelungen bereits in die bilateralen Rechtshilfeabkommen mit den Nachbarstaaten aufgenommen worden sind. Der Nationalrat hiess in der Wintersession das Zusatzprotokoll diskussionslos gut
[34].
Die Differenzbereinigung beim neuen
Gesetz über die verdeckte Ermittlung konnte im Berichtsjahr abgeschlossen werden. Dabei beharrte der Nationalrat erfolgreich darauf, dass eine Führungsperson eines verdeckten Ermittlers in einem Strafprozess nicht ebenfalls legendiert, das heisst mit einer falschen Identität ausgestattet auftreten darf, und dass diese Ermittlungsmethode auf die im Gesetz in einem Katalog aufgeführten Straftaten beschränkt bleibt. In der Schlussabstimmung im Nationalrat lehnten die Grünen die neuen Fahndungsmethoden ab, bei der SP enthielt sich rund die Hälfte der Fraktionsmitglieder der Stimme
[35].
Als Zweitrat befasste sich der Ständerat mit dem neuen Bundesgesetz über die
Verwendung von DNA-Profilen im Strafverfahren und zur Identifizierung von unbekannten oder vermissten Personen. Als Verschärfung gegenüber der nationalrätlichen Fassung fügte der Ständerat die Bestimmung ein, dass zur Aufklärung von Verbrechen auch Massenuntersuchungen durchgeführt werden können. Dabei werden DNA-Proben nicht nur von konkret Tatverdächtigen genommen, sondern von einem weiteren Personenkreis, auf den bestimmte in Bezug auf die Tatbegehung festgestellte Merkmale zutreffen (z.B. junge Männer eines Dorfes). Ferner strich die kleine Kammer die vom Nationalrat aufgenommene Bestimmung, dass eine Person von den Behörden die Durchführung einer DNA-Analyse verlangen kann, um sich von einem bestehenden Tatverdacht zu befreien. Sie argumentierte dabei, dass bei einem Straf- resp. Ermittlungsverfahren diese Möglichkeit im Rahmen der Verteidigungsrechte ohnehin gegeben sei. Gegen den Widerstand der Linken, welche von den Massenuntersuchungen vor allem eine Stigmatisierung von Minderheitsgruppen anderer Hautfarbe oder Sprache befürchtete, schloss sich der Nationalrat in der Differenzbereinigung dem Ständerat an. In der Schlussabstimmung wurde das Gesetz im Nationalrat mit 124:18 Stimmen und im Ständerat einstimmig verabschiedet
[36].
Der Ständerat überwies eine Motion Marty (fdp, TI) in Postulatsform, welche einen besseren arbeitsrechtlichen Schutz für Personen forderte, welche zur Aufdeckung von Korruptionsfällen beitragen (sogenannte
whistleblowers). Der Bundesrat hatte sich gegen die Motion ausgesprochen, da das Obligationenrecht mit dem Verbot der missbräuchlichen Kündigung bereits entsprechende Schutzmassnahmen enthalte
[37]. Der Bundesrat gab einen Vorentwurf für eine Verschärfung des Kampfs gegen die Korruption in die Vernehmlassung. Um die Ratifizierung eines entsprechenden Europarats-Übereinkommens zu erlauben, soll in Zukunft nicht nur die aktive, sondern auch die
passive Bestechung von Privaten (also die Annahme von Bestechungszahlungen durch einen Angestellten eines Unternehmens) strafbar werden
[38].
Der Ständerat setzte sich in der Sommersession mit den Vorschlägen des Bundesrates über die
Aufteilung von eingezogenen kriminell erworbenen Vermögenswerten an die an der Ermittlung beteiligten Gemeinwesen auseinander. Es handelt sich dabei in der Regel um gut 20 Mio Fr. pro Jahr. Der Rat hiess die Regierungsvorlage ohne Änderungen gut. Ein Antrag der Ratslinken, der Bund habe seinen Anteil (drei Zehntel) für Entwicklungshilfeprojekte im Zusammenhang mit der Bekämpfung des Drogenanbaus und der sexuellen Ausbeutung von Kindern zu verwenden, wurde deutlich abgelehnt. Als Gegenargumente wurden angeführt, dass nur ein kleiner Teil der beschlagnahmten Werte aus den beiden angegebenen Deliktkategorien stammen würden, und es zudem grundsätzlich nicht sinnvoll sei, einen von den Budgetierungsregeln ausgenommenen Spezialfonds für bestimmte Entwicklungshilfeprojekte zu bilden. Im Nationalrat unterlag ein Antrag der Linken für einen zweckgebundenen Fonds für die dem Bund zufallenden Gelder ebenfalls. Vorgeschlagen hatte sie, dass zwei Drittel für Suchtprävention und -behandlung im Inland und ein Drittel für die Bekämpfung des Drogenanbaus im Ausland verwendet werde. Durchsetzen konnte sich hingegen ein Kompromissvorschlag, welcher auf die Schaffung eines Fonds verzichtet, aber die Kantone verpflichtet, einen nicht näher quantifizierten Teil der Gelder für die Suchtprävention und -behandlung zu verwenden, und einen ebenfalls nicht spezifizierten Teil des Bundesanteils für Entwicklungsprojekte in ausländischen Drogenanbaugebieten einsetzt
[39]. In der ersten Runde der Differenzbereinigung in der Wintersession hielten beide Ratskammern an ihrer Version fest
[40].
Der Bundesrat nahm von der weitgehend positiven Reaktion auf seine Vorschläge für die
Vereinheitlichung der kantonalen Strafprozessordnungen Kenntnis und beauftragte das EJPD mit der Ausarbeitung einer Vorlage. Inhaltlich hat er sich auf das Staatsanwaltmodell festgelegt. Als weitere wichtige Neuerungen sind das Recht eines Festgenommenen auf den sofortigen Beizug eines Anwalts sowie die Möglichkeit, dass sich die Staatsanwaltschaft und der Angeschuldigte über Schuldspruch und Strafe vorgerichtlich einigen können (sog. plea bargain) vorgesehen
[41].
Mit der Bereinigung der letzten übrig gebliebenen Differenzen konnte auch die Erneuerung des
Jugendstrafrechts verabschiedet werden
[42].
Das Parlament folgte dem Antrag des Bundesrats und beschloss, die
Volksinitiative „für eine lebenslange Verwahrung für nicht therapierbare, extrem gefährliche Sexual- und Gewaltstraftäter“ zur Ablehnung zu empfehlen. In der Debatte waren sich zwar alle einig, dass sich die Gesellschaft besser vor rückfallgefährdeten extrem gefährlichen Straftätern schützen müsse. Für die meisten waren aber die dazu im Vorjahr im Rahmen der Strafrechtsrevision beschlossenen Mittel ausreichend und auch besser geeignet als die von der Initiative verlangten. Im Nationalrat sprachen sich nur eine klare Mehrheit der SVP, zwei Freisinnige und die beiden Vertreter der SD und der EDU dafür aus. Vorangehend war ein Antrag von Rechsteiner (sp, SG) gescheitert, die Initiative von der Rechtskommission eingehender auf ihre völkerrechtliche Zulässigkeit überprüfen zu lassen. Dass die Initiative, welche für lebenslänglich Verwahrte eine periodische Überprüfung der Verwahrungsgründe praktisch ausschliesst, nicht EMRK-konform ist, war auch von Strafrechtlern moniert worden. Allerdings verstösst sie nicht gegen zwingendes Völkerrecht (wie etwa Folterverbot, Sklavereiverbot), was gemäss neuer Bundesverfassung automatisch zu einer Ungültigkeitserklärung führen würde. Justizministerin Metzler vertrat bei der Begründung ihrer Ablehnung des Antrags Rechsteiner die Ansicht, dass der Initiativtext eine völkerrechtskonforme Auslegung zulassen würde. Der Ständerat plädierte mit einer Gegenstimme ebenfalls für die Ablehnung der Initiative
[43].
Die Probleme, welche sich vor einigen Jahren beim
Vollzug des revidierten Geldwäschereigesetzes (Einbezug der Finanzintermediäre) ergeben hatten, schienen weitgehend behoben zu sein. Die vom Nationalrat im Jahr 2001 überwiesene Motion für eine bessere personelle Dotierung der Kontrollstelle des Bundes wurde vom Ständerat zuerst aus formalen Gründen in ein Postulat umgewandelt und dann als erfüllt abgeschrieben
[44].
Das Parlament ratifizierte einstimmig das Zusatzprotokoll zum Übereinkommen des Europarats über die
Überstellung verurteilter Personen für den Strafvollzug. Dieses erlaubt es in gewissen Fällen, einen ausländischen Straftäter auch ohne dessen Einwilligung eine Strafe in seinem Herkunftsland absitzen zu lassen
[45].
Der Nationalrat befasste sich mit den Kommissionsvorschlägen zur Umsetzung von zwei parlamentarischen Initiativen von Felten (sp, BS) für die strafrechtliche Verfolgung von
Vergewaltigung und anderen Gewaltakten in der Ehe oder eheähnlichen Verhältnissen. Diese gelten in Zukunft als Offizial- und nicht nur als Antragsdelikt. Bei weniger gravierenden Straftatbeständen (einfache Körperverletzung, Tätlichkeit, Drohung, Nötigung) kann das Verfahren auf Wunsch des Opfers eingestellt werden. Gegen den Widerstand der SVP und der Liberalen hiess der Nationalrat die neuen Bestimmungen mit 118 zu 33 Stimmen gut. Nachdem der Ständerat oppositionslos zugestimmt hatte, wurde die Gesetzesrevision in der Herbstsession verabschiedet
[46].
Der Nationalrat und nach ihm auch der Ständerat überwiesen eine Motion von Jacqueline Fehr (sp, ZH), welche den Bundesrat verpflichtet, bei der UNO einen Vorstoss für die Schaffung eines
Kompetenzzentrums für Internetkriminalität und dabei insbesondere Kinderpornografie einzureichen. Diese Motion war im Rahmen der Eidgenössischen Jugendsession 2002 ausgearbeitet worden
[47]. Er gab ebenfalls einer parlamentarischen Initiative Aeppli (sp, ZH) Folge, welche fordert, dass bei der Strafverfolgung von bedeutenden Fällen von Internetkriminalität (v.a. Kinderpornografie), analog zu Wirtschaftskriminalität und organisiertem Verbrechen, der Bund die Federführung übernimmt
[48].
Nach der sehr kontrovers ausgefallenen Vernehmlassung zum Vorentwurf für eine
Revision des Waffenrechts beschloss das EJPD, zu einigen besonders umstrittenen und seiner Ansicht nach auch missverstandenen Punkten im Herbst eine zweite Vernehmlassung durchzuführen. Diese zweite Konsultation fiel aber nicht positiver aus als die erste. Namentlich die SVP und die FDP, aber mit Einschränkungen auch die CVP, lehnten das vorgesehene Waffenregister weiterhin als bürokratischen Leerlauf ab, der nichts zur Verbesserung der Sicherheit werde beitragen können
[49].
[33]
AB NR, 2003, S. 220 ff. und 520;
AB SR, 2003, S. 372;
BBl, 2003, S. 2847 ff. (Gesetz über die Terrorismusfinanzierung). Vgl.
SPJ 2002, S. 29 f. Zu den Prepaid-Karten siehe auch
LT, 8.3.03.
[34]
BBl, 2003, S. 3267 ff.;
AB NR, 2003, S. 1833 f.
[35]
AB NR, 2003, S. 361 f. und 1441;
AB SR, 2003, S. 487 f. und 713;
BBl, 2003, S. 4465 ff. Vgl.
SPJ 2002, S. 28 f.
[36]
AB SR, 2003, S. 360 ff., 493 und 714;
AB NR, 2003, S. 778 ff., 1033 und 1242;
BBl, 2003, S. 4436 ff.;
BaZ, 19.3.03. Vgl.
SPJ 2002, S. 30.
[37]
AB SR, 2003, S. 1021 f.
[38]
NZZ, 21.8.03. Zum Stand der Korruptionsbekämpfung siehe auch die Antwort des BR auf eine Interpellation Gysin (sp, BS) in
AB NR, 2003, Beilagen I, S. 368 ff.
[39]
AB SR, 2003, S. 636 ff.;
AB NR, 2003, S. 1798 ff. Vgl.
SPJ 2002, S. 23.
[40]
AB SR, 2003, S. 1145 ff.;
AB NR, 2003, S. 1978 f.
[41]
LT und
SGT, 3.7.03. Vgl.
SPJ 2002, S. 30.
[42]
AB NR, 2003, S. 787 f. und 1241;
AB SR, 2003, S. 487 und 713;
BBl, 2003, S. 4445 ff. Vgl.
SPJ 2002, S. 31. Siehe dazu auch
Lit. Doelling und Riklin.
[43]
AB NR, 2003, S. 277 ff., 296 ff. und 1244;
AB SR, 2003, S. 579 f. und 716;
BBl, 2003, S. 4434 f. Vgl.
SPJ 2002, S. 31. Zum Aspekt der EMRK-Widrigkeit siehe auch Stefan Trechsel in
NZZ, 22.5.03.
[44]
AB SR, 2003, S. 60 ff. Vgl.
SPJ 2002, S. 25.
[45]
AB SR, 2003, S. 1018 f. und 1246;
AB NR, 2003, S. 1831 f. und 2130;
BBl, 2003, S. 8247 f. Vgl.
SPJ 2002, S. 31.
[46]
AB NR, 2003, S. 788 ff. und 1741;
AB SR, 2003, S. 853 f. und 1028. Vgl.
SPJ 2002, S. 31 f.
[47]
AB NR, 2003, S. 501 (Beilagen I, S. 338 f.);
AB SR, 2003, S. 1149 ff. Zur Arbeit der nationalen Koordinationsstelle gegen Internetkriminalität siehe
NZZ, 20.12.03.
[48]
AB NR, 2003, S. 1966 f.;
BZ, 23.1.03. Vgl.
SPJ 2002, S. 32.
[49] Presse vom 23.9.03;
BZ, 20.11.03. Siehe auch
AB NR, 2003, S. 1402.Vgl.
SPJ 2002, S. 32.
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