Année politique Suisse 2005 : Sozialpolitik / Gesundheit, Sozialhilfe, Sport
Suchtmittel
Für die Raucherinnen und Raucher wird die Luft in der Schweiz immer dünner. Verschiedene Kantone (BE, BL, JU, SG) nahmen parlamentarische Vorstösse an, die ein
generelles Rauchverbot in öffentlich zugänglichen geschlossenen Räumen (vorderhand noch mit Ausnahme von Restaurants und Bars) verlangen. Der Kanton Tessin ging noch einen Schritt weiter. Auf Antrag der Regierung nahm der Grosse Rat eine Gesetzesänderung an, welche das Rauchen in allen Gastrobetrieben untersagt, also in Restaurants, Bars, Cafés, Nachtlokalen und Diskotheken, nicht aber in sämtlichen Hotelzimmern; die Lega dei Ticinesi kündigte umgehend das Referendum an
[28]. Ende Juni gaben die öffentlichen Transportunternehmen bekannt, dass mit dem Fahrplanwechsel am 11. Dezember alle
Raucherabteile in den Zügen der SBB, der BLS und der RhB
aufgehoben werden; das Rauchverbot gilt auch für Schalterhallen, nicht ausreichend durchlüftete Perrons und für geschlossene Räume auf Schiffen. Ersten Berichten zufolge wurde das Rauchverbot positiv oder zumindest gelassen aufgenommen
[29].
Auf
Bundesebene will das Parlament allenfalls das Heft selber in die Hand nehmen, falls der Bundesrat nicht von sich aus aktiv wird. Im April gab die SKG-NR einer parlamentarischen Initiative Gutzwiller (fdp, ZH) Folge, die Massnahmen zum Schutz der Bevölkerung und der Wirtschaft vor dem Passivrauchen verlangt, insbesondere in Bildungs- und Gesundheitseinrichtungen, in der öffentlichen Verwaltung, an den Arbeitsplätzen und in Räumen und Verkehrsmitteln, die für den freien Zugang beziehungsweise für die Nutzung durch die Allgemeinheit bestimmt sind. Wie es das neue Parlamentsgesetz verlangt, erklärte sich die Schwesterkommission des Ständerates vor der vertieften Behandlung eines Entwurfs mit dem Vorhaben grundsätzlich einverstanden
[30].
In der Märzsession stimmte auch der Ständerat der Ratifizierung der sehr restriktiv formulierten
UNO-Konvention von 1989 zu, und zwar diskussionslos und einstimmig. Sie übernahm dabei den bereits vom Nationalrat beschlossenen Vorbehalt, wonach die Schweiz Anbau, Erwerb und Besitz von Drogen zum Eigenkonsum für straffrei erklären kann
[31].
Die SGK-NR beschloss, die unbestrittenen Elemente der 2004 in der grossen Kammer gescheiterten Revision des Betäubungsmittelgesetzes, insbesondere das
4-Säulen-Konzept (Prävention inklusive Jugendschutz, Therapie, Schadensverminderung – beispielsweise durch die medizinisch kontrollierte Heroinabgabe – und Repression) mit einer parlamentarischen Initiative wieder aufzunehmen. Separat angehen will die Kommission die Frage des Cannabiskonsums. Die Schwesterkommission des Ständerates, welcher die Drogenpolitik immer offener angegangen war, signalisierte Unterstützung
[32].
Mit dem neuen
Strassenverkehrsgesetz wurde per Anfang Jahr eine Drogenpolitik der
Nulltoleranz im Bereich des
Cannabis-Konsums in die Praxis umgesetzt. Ob dabei der Drogenkonsum im konkreten Fall die Fahrfähigkeit beeinträchtigt, ist nicht entscheidend. In der Verordnung zum Gesetz wurde der Grenzwert für den Cannabis-Wirkstoff THC mit 1,5 Mikrogramm pro Liter Blut festgeschrieben; gemäss neueren Studien aus Deutschland entsprechen aber erst 4 bis 5 Mikrogramm THC dem heutigen Alkoholgrenzwert von 0,5 Promille. Fachleute erklärten, dass damit „Kiffer“ diskriminiert werden, da auch bei der Bestrafung eine Ungleichbehandlung besteht: wer nachweislich mehr als 1,5 Mikrogramm THC im Blut hat, macht sich eines Vergehens schuldig, das mit Busse oder Gefängnis bis zu drei Jahren bestraft wird; der mit 0,5 bis 0,8 Promille alkoholisierte Verkehrsteilnehmer riskiert dagegen nur eine Busse
[33].
[28]
24h, 22.2.05;
SoZ, 24.2.05;
BZ, 22.6.05;
Blick, 19.7.05;
NZZ, 8.8.05; Presse vom 13.10.05.
[29] Presse vom 30.6. und 6.12.05;
NZZ, 19.12.05.
[30] Pa. Iv. 04.476;
TA, 30.4.05;
NZZ, 31.8.05 (SGK-SR). Immer mehr Betriebe, so neu CSS und Novartis, verfügen ein Rauchverbot auf dem Firmengelände (
AZ, 7.9.05). Aufgrund eines Postulates des NR von 2002 ist der BR angehalten, einen Bericht über den Schutz vor dem Passivrauchen zu erstellen; siehe
SPJ 2002, S. 204.
[31]
AB SR, 2005, S. 279 f. Siehe
SPJ 2004, S. 179.
[32] Pa. Iv. 05.470;
NZZ, 5.2.05;
LT, 6.5.05. Siehe
SPJ 2004, S. 178 f. Die Eidg. Kommission für Drogenfragen empfahl in einem neuen Bericht, von der Trennung zwischen legalen und illegalen Substanzen abzusehen und zu einer differenzierteren, auf die jeweiligen Konsummuster abgestimmten Drogenpolitik zu gelangen (Presse vom 24.5.05). In einer gemeinsamen Absichtserklärung von Städten, Kantonen und Verbänden wurde eine dreistufige politische Strategie angeregt: Rasche Verankerung der unbestrittenen Elemente der gescheiterten Revision des BetMG, Suche nach einem mehrheitsfähigen Cannabis-Kompromiss und Ausarbeitung eines suchtpolitischen nationalen Leitbildes (
NZZ, 4.10.05).
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