Année politique Suisse 2006 : Bildung, Kultur und Medien / Bildung und Forschung
 
Berufsbildung
Der Nationalrat überwies ein Postulat Rechsteiner (sp, SG), das eine Übersicht über die anerkannten Bildungsgänge der höheren Berufsbildung inklusive der höheren Fachschulen fordert. Aufzuzeigen sei auch, welche Anbieter welche Bildungsgänge mit welchen Abschlüssen führen [15]. Abgelehnt wurden die Motionen Menétrey-Savary (gp, VD) und Pfister (svp, SG), welche Massnahmen zur Qualitätssicherung von privaten Berufsfachschulen resp. eine obligatorische Akkreditierung verlangten. Der Bundesrat wies in seiner Antwort auf die Möglichkeit zur freiwilligen Akkreditierung hin [16].
Diskussionslos billigte der Nationalrat eine Motion Bruderer (sp, AG), welche den Bundesrat auffordert, die Einhaltung des gesetzlichen Obligatoriums für Berufsschulsport in den Kantonen zu überprüfen und bei Nichtumsetzung Sanktionen zu ergreifen [17].
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Lehrstellen
Auch in diesem Berichtsjahr befasste sich das Parlament mit der Lehrstellenknappheit: Der Ständerat überwies eine im Vorjahr von der grossen Kammer gebilligte Motion Galladé (sp, ZH) in geänderter Form, wonach der Bundesrat Betriebe, die Lehrstellen und andere Ausbildungsplätze anbieten, bei der Vergabe öffentlicher Aufträge vermehrt berücksichtigen muss; die WAK wollte die Lehrlingsausbildung jedoch nicht wie die Motionärin als zwingendes Kriterium für das Beschaffungswesen festlegen [18]. Der Nationalrat hiess diskussionslos Postulate seiner WBK und von Robbiani (cvp, TI) gut. Ersteres verlangte einen Bericht zu den Defiziten im Lehrstellenbereich (Berufsfelder, Regionen, Massnahmen, Basislehrjahr), letzteres eine Darstellung der Massnahmen, welche die Bundesverwaltung zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit ergriffen habe. In seiner Antwort auf eine dringliche Anfrage der SP-Fraktion erklärte der Bundesrat, der Bund habe in den letzten sieben Jahren die Anzahl Lehrstellen um 41% erhöht. Bis Ende 2011 strebe er einen Lernendenanteil von 4% an. Für stellenlose junge Arbeitnehmende habe er in Zusammenarbeit mit der Arbeitslosenversicherung die Möglichkeit geschaffen, in der Administration oder in bundesnahen Unternehmungen ein sechsmonatiges Berufspraktikum zu absolvieren [19].
Im Sommer lancierte FDP-Nationalrat Otto Ineichen (LU) das schweizweite, auf drei Jahre angelegte Projekt „Speranza 2000“, welches von Unternehmen, Kantonen und dem Bund getragen wird. Ziel war es, bis im Herbst 2000 Praktikumsstellen für schulisch schwache Jugendliche zu schaffen, welche keine Lehrstelle finden. Die Praktikumsplätze für ein oder ein halbes Jahr sollen mittelfristig in zweijährige Grundausbildungen mit eidgenössischem Berufsattest überführt werden; die Berufsverbände reagierten mit Skepsis. Eine erste Zwischenbilanz ergab 1800 neue Lehrstellen auf Ende Oktober, die jedoch nicht alle besetzt werden konnten. Die Initianten erklärten, nicht überall habe die Zusammenarbeit gleich reibungslos funktioniert, erfolgreich sei sie in den Kantonen Luzern, Aargau und Thurgau verlaufen. Eine Weiterführung des Projekts sei geplant [20].
An der zweiten nationalen Lehrstellenkonferenz in Genf stellte Bundesrätin Leuthard ein vom Bund finanziertes Stützprogramm für schulisch und sozial benachteiligte Jugendliche vor. Das von Bund und Kantonen gemeinsam getragene „Case-Management“ will Jugendliche bereits ab dem 7. Schuljahr erfassen und gezielter als bisher fördern; Lehrer, Berufsberater und Eltern werden miteinbezogen. Ab dem 9. Schuljahr erhalten die Betroffenen einen persönlichen Coach zur Seite gestellt, der ihnen bei der Berufswahl und der Lehrstellensuche hilft. Er steht solange zur Verfügung, bis eine definitive Lösung für den Berufseinstieg gefunden ist. Die Kosten dieses Engagements übernimmt der Bund, er unterstützt Pilotprojekte und leistet die Anschubfinanzierung. Die Kantone klären den konkreten Bedarf ab, damit das Konzept im kommenden Frühjahr umgesetzt werden kann. Ausgebaut wird auch das Beratungsangebot für Lehrbetriebe: Bund, Kantone und Arbeitsorganisationen erarbeiten ein Hilfsprogramm für jene Betriebe, die Jugendliche mit erschwerten Anforderungen ausbilden. Sie erhalten Unterstützung in rechtlichen, organisatorischen und sozialen Fragen sowie bei Konflikten und Krisen. Um die Zahl jener Schulabgänger zu erhöhen, die eine Ausbildung auf Sekundarstufe II erreichen (Ziel ist eine Erhöhung von 90% auf 95% bis 2015), plant die EDK das Projekt „Nahtstelle“, das den Übergang von der Schule zur nachobligatorischen Ausbildung optimiert, damit Jugendliche künftig weniger Zeit verlieren durch unnötige Wechsel, Lehrabbrüche oder Wartejahre. Gewerbe und Gewerkschaften reagierten positiv auf die beiden Projekte [21].
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Berufsordnungen
Im Berichtsjahr verabschiedete das Parlament das Medizinalberufegesetz (MedBG); ihm unterstellt sind Ärztinnen und Ärzte, Zahnärztinnen und Zahnärzte, Apothekerinnen und Apotheker, Tierärztinnen und Tierärzte und neu auch Chiropraktorinnen und Chiropraktoren. Das MedBG ist so flexibel gestaltet, dass der Bundesrat später weitere Medizinalberufe hinzufügen kann. Im Gegensatz zur grossen Kammer folgte der Ständerat im Zweckartikel dem Bundesrat und hielt an der Dreiteilung Ausbildung, Weiterbildung und Fortbildung fest. Er strich den vom Nationalrat hinzugefügten Passus, wonach die Kantone keine weiteren als die im Gesetz definierten universitären Medizinalberufe bezeichnen können. Beim Miteinbezug der Palliativmedizin und bei den Ausbildungszielen erklärte sich der Rat mit der Ergänzung der grossen Kammer einverstanden. Das Selbstbestimmungsrecht der Patientinnen und Patienten sei zu wahren, ein Einbezug der Angehörigen gehe jedoch zu weit. Gegen den Antrag des Bundesrates bestätigte der Ständerat mit 22:10 Stimmen die Bestimmung des Nationalrates, die bei den Berufspflichten eine Berufshaftpflichtversicherung verlangt, sie aber nicht für die Berufsbewilligung voraussetzt. Mit 19:13 Stimmen folgte die kleine Kammer einer Kommissionsminderheit Brunner (sp, GE) und verweigerte dem Bundesrat die Kompetenz, Personen mit einem Diplom oder Weiterbildungstitel aus einem Staat, mit dem die Schweiz keinen Vertrag über die gegenseitige Anerkennung abgeschlossen hat, zu erlauben, ihren Beruf in einem Gebiet mit nachgewiesener medizinischer Unterversorgung selbständig auszuüben. Gemäss Ständerat handle es sich dabei um eine Diskriminierung sowohl der Randregionen als auch der Mediziner. Schliesslich nahm die kleine Kammer die vom Nationalrat gestrichene Bestimmung wieder auf, wonach Medizinalpersonen nur objektive Werbung machen dürfen, die dem öffentlichen Bedürfnis entspricht und die weder irreführend noch aufdringlich sein darf. Chancenlos blieb ein linker Antrag, der sich für eine Vertretung der Patientenorganisationen in der Medizinalberufekommission einsetzte. Die Vorlage passierte die Gesamtabstimmung mit 30:1 Stimmen [22].
Im Differenzbereinigungsverfahren einigten sich die Räte darauf, dass die Kantone wie vom Ständerat gewünscht nebst den im Bundesgesetz vorgesehenen Berufen noch weitere akademische Gesundheitsberufe anerkennen dürfen. In der Frage der Weiterbildung setzte sich der Nationalrat durch, der diese Aufgabe grundsätzlich dem jeweiligen gesamtschweizerischen Berufsverband übertragen wollte, um eine Zersplitterung der Weiterbildung zu vermeiden; dabei ging es jedoch nicht darum, den Berufsverband (sprich die FMH) als Monopolisten zu etablieren. Der Bundesrat erhält die Kompetenz, die Versorgung von Randregionen mit Medizinalpersonen nach Bedarf auszugestalten. Schliesslich darf das Medizinalpersonal über die Nennung der Spezialisierung hinaus für sich Werbung machen, diese muss aber objektiv sein und dem öffentlichen Bedürfnis entsprechen. Das MedBG passierte die Schlussabstimmung im Nationalrat mit 189:0 und im Ständerat mit 44:0 Stimmen [23].
 
[15] AB NR, 2006, S. 2029 und Beilagen V, S. 306 f.
[16] AB NR, 2006, S. 699 f. und 1114 sowie Beilagen III, S. 724; siehe auch Presse vom 22.12.06; SPJ 2005, S. 223 (Motion Freysinger).
[17] AB NR, 2006, S. 2028 und Beilagen V, S. 229 f.; vgl. auch SPJ 2005, S. 223.
[18] AB SR, 2006, S. 11 ff.; vgl. SPJ 2005, S. 224.
[19] AB NR, 2006, S. 1117 und 1576 sowie Beilagen III, S. 584 f., Beilagen IV, S. 282 ff. (SP) und 348; siehe auch die Antworten des BR auf zwei Anfragen Rey (sp, VS) in AB NR, 2006, Beilagen IV, S. 311 und Beilagen V, S. 68.
[20] Presse vom 7.6. und 25.11.06; NZZ und TA, 2.11.06; BaZ, 13.11.06.
[21] Presse vom 14.11.06. Der NR lehnte eine vom SR im Vorjahr gutgeheissene Motion Berset (sp, FR) ab, welche eine rasche Umsetzung der individuellen Begleitung von Lehrlingen und Lehrtöchtern mit schulischen Schwierigkeiten gefordert hatte, da die notwendigen Massnahmen bereits ergriffen seien (AB NR, 2006, S. 267 ff.; vgl. SPJ 2005, S. 224).
[22] AB SR, 2006, S. 77 ff.; vgl. SPJ 2005, S. 224 f.
[23] AB NR, 2006, S. 716 ff., 984 und 1145; AB SR, 2006, S. 406 ff. und 617; BBl, 2006, S. 5753 ff.