Année politique Suisse 2013 : Grundlagen der Staatsordnung / Institutionen und Volksrechte
Regierung
Die in der Wintersession 2013 durchgeführten Wahlen verliefen im Vergleich zu den Vorjahren ohne viel Geplänkel. Zum
Bundespräsidenten für das Jahr 2014 wurde turnusgemäss Didier Burkhalter mit 183 von 222 eingegangenen Stimmen gewählt. Johann Schneider-Ammann erhielt 10 Stimmen und auf neun Stimmzetteln waren Namen anderer Regierungsmitglieder vermerkt. 17 Stimmzettel gingen leer und drei ungültig ein. Die im Vergleich zu vergangenen Jahren unumstrittene Wahl wurde in der Presse als Vertrauensbeweis für den FDP-Bundesrat gewertet. Didier Burkhalter wird 2014 nicht nur als Bundespräsident, sondern auch als Präsident der OSZE walten. Er kündigte an, dass die Öffnung der Schweiz auf die Welt sein Präsidialjahr prägen solle, was von der Presse besonders positiv hervorgehoben wurde. Dies stehe in Kontrast zum Präsidialjahr des aktuellen Bundespräsidenten Ueli Maurer, für den das Amt mehr Bürde als Würde sei, was durch eine Igelmentalität und einige, vor allem aussenpolitische Fauxpas zum Ausdruck gebracht wurde. Maurer selber zog allerdings ein positives Fazit; er habe seine Ziele, nämlich effizientere Bundesratssitzungen und den geschlossenen Auftritt des Gremiums als Team, erreicht. Als Vizepräsidentin für 2014 wurde ebenfalls turnusgemäss Simonetta Sommaruga gewählt. Sie erhielt für eine SP-Kandidatin neben 17 leeren und neun ungültig eingereichten Stimmzetteln bemerkenswerte 180 Stimmen. 12 Stimmen entfielen auf Doris Leuthard und 13 Stimmen auf andere Personen. Auch dieses Resultat wurde in der Presse als solid bezeichnet. Die höchste Stimmenzahl (seit Einführung der Proporzwahl 1920) hatten in den 1970er Jahren Hans Peter Tschudi (sp) und Willi Ritschard (sp) mit jeweils 213 Stimmen erzielt; den Negativrekord hält Micheline Calmy-Rey (sp) mit den 2011 erhaltenen 106 Stimmen
[1].
Die Stimmberechtigten befanden am 9. Juni über die
Initiative für eine
Volkswahl des Bundesrates. Das von der SVP lancierte Volksbegehren verlangte, dass die Schweizer Regierung nicht mehr von der Vereinigten Bundesversammlung gewählt, sondern durch die Wahlbevölkerung bestimmt wird. Die Wahl wäre zeitgleich mit den Gesamterneuerungswahlen für den Nationalrat und in gesamtschweizerischem Majorzverfahren mit einem Wahlkreis abzuhalten. Für die italienischen und französischen Sprachminderheiten würden insgesamt zwei Sitze reserviert. Im Vorjahr hatten sich Bundesrat und Parlament ziemlich eindeutig gegen das nach der Abwahl von Christoph Blocher aus dem Bundesrat 2007 aufgegleiste Begehren ausgesprochen, das schon bei den Verfassungsdiskussionen 1848 und 1872 und zwei Mal als Initiative der SP in den Jahren 1900 und 1942 keine Mehrheiten gefunden hatte. Die Initiative wurde von einem überparteilichen Komitee bekämpft, dem alle Parteien ausser der SVP angehörten. Sogar die Grünen, die als Oppositionspartei selber schon ähnliche parlamentarische Vorstösse lanciert hatten, sprachen sich gegen das Anliegen aus. Das Gegnerkomitee trat unter dem Motto an, dass Bewährtes nicht aufs Spiel zu setzen sei. Das aktuelle Gleichgewicht zwischen den Gewalten sei eine zentrale Determinante für die politische Stabilität und den Wohlstand in der Schweiz. Der von der SVP geforderte Systemwechsel sei kaum begründbar und beruhe auf populistischen Forderungen. Der Verweis auf die Kantone, wo die Volkswahl der Regierung funktioniere – das bedeutendste Argument der Initiativbefürworter – wurde von den Initiativgegnern abgewiesen, da ein Wahlkampf in den Kantonen mit einem Wahlkampf auf nationaler Ebene kaum vergleichbar sei. Ein solcher würde amerikanische Verhältnisse evozieren und die zeitlich bereits arg belasteten Bundesräte nicht nur zusätzlich unter Druck setzen, sondern auch in einen Dauerwahlkampf verwickeln, der eine Kollegialregierung verunmöglichen würde. Stille Schaffer hätten zudem gegen charismatische, medial taugliche Personen weniger gute Chancen und Geld würde eine noch grössere Rolle spielen als heute. Schliesslich wurde auch die Quotenregel für die sprachlichen Minderheiten kritisiert; die Wahrscheinlichkeit, dass die beiden Sitze an die Romandie gingen und der Kanton Tessin kaum mehr Regierungsvertreter stellen könnte, sei enorm hoch. Die SVP ihrerseits setzte sich überraschend lau für ihr Anliegen ein. Zwar wurde ein 2,8 Mio. Auflagen starkes Extrablatt in die Haushalte gestreut, in dem mit dem Untergang der Schweiz gedroht wurde, wenn den Mauscheleien im Bundesrat und den Hintertreppen-Absprachen bei Regierungswahlen nicht durch das Volk Einhalt geboten würden. Im Gegensatz zu anderen Parteien wolle man die Mitspracherechte des Souveräns stärken und nicht noch weiter abbauen. Zudem schaltete die Partei ein für SVP-Verhältnisse sehr unspektakuläres Text-Plakat („Dem Volk vertrauen!“). Wichtige Exponenten der Partei schalteten sich aber kaum in den Abstimmungskampf ein und nahmen teilweise gar demonstrativ Stellung gegen die Initiative. Die Kantonalsektion Thurgau empfahl gar die Nein-Parole und die SVP Unterwallis beschloss Stimmfreigabe bei der parteieigenen Initiative. Es wurde parteiintern auch befürchtet, dass sich eine Volkswahl zuungunsten der SVP auswirken könnte. Prominente Unterstützung erhielt die Idee der Volkswahl allerdings durch die ehemalige SP-Bundesrätin Micheline Calmy-Rey. Sie befand, dass die Volkswahl zu einer besseren Machtbalance zwischen Bundesrat und Parlament führe, weil die Regierung damit über mehr Legitimität verfügen würde. Erste Umfragen Anfang Mai liessen eine relativ geringe Begeisterung in der Bevölkerung für die Idee der Volkswahl erahnen. Tatsächlich wurde das Begehren Anfang Juni dann auch deutlich mit 76,3% Nein-Stimmenanteil und durch alle Kantone abgelehnt. In einigen Kantonen der Romandie (FR, NE, JU) lagen die Ja-Anteile gar unter 20%. Am höchsten war die Zustimmung im Kanton Tessin (32,2% Ja), was aufgrund der Debatten um den Minderheitenschutz etwas überraschend war. Die gesamtschweizerische Stimmbeteiligung lag bei 39,2%, was die laue Kampagne neben dem Umstand, dass die APS-Inserateanalyse einen absoluten Negativrekord hinsichtlich Anzahl Zeitungsinserate ausmachte, ebenfalls wiederspiegelt. Noch am Abend der Abstimmung äusserten sich die Parteipräsidenten zum Abstimmungsausgang. CVP-Präsident Darbellay wertete das Resultat als Zeichen nationaler Kohäsion, FDP-Präsident Müller war froh über die Wahrung der Konkordanz, die durch eine Volkswahl in Gefahr geraten wäre, und SP-Präsident Levrat freute sich, dass die „psychologische Verarbeitung der Abwahl Blochers“ nun zum Abschluss kommen könne. SVP-Präsident Brunner anerkannte zwar, dass das Thema vom Tisch sei, wehrte sich aber vorsorglich gegen künftige Beschneidungen der direkten Demokratie. Der Leidensdruck sei anscheinend momentan noch zu tief. Justizministerin Sommaruga sah im Resultat den Wunsch des Souveräns, die Demokratie vor Dauerwahlkämpfen zu schützen. Das deutliche Nein wurde in der Presse als Vertrauensbeweis in die Institutionen und insbesondere in den Bundesrat gewertet, man sah im Abstimmungsergebnis aber auch eine Ohrfeige an die SVP, die an einem wenig experimentierfreudigen Volk vorbeipolitisiert habe. Die noch im Vorjahr von Wermuth (sp, AG) eingereichte parlamentarische Initiative, die neben der Volkswahl auch einige zusätzliche Reformen wie die Aufstockung der Regierungsmitglieder auf neun oder die Transparenz der Wahlkampagnenfinanzierung gefordert hatte, wurde im Berichtjahr kurz nach dem abschlägigen Volksentscheid zurückgezogen
[2].
VI „Volkswahl des Bundesrates“
Abstimmung vom 9. Juni 2013
Beteiligung: 39,5%
Ja: 480 291 (23,7%) / 0 Stände
Nein: 1 550 080 (76,3%) / 23 6/2 Stände
Parolen:
– Ja: SVP (2)*.
– Nein: FDP, CVP, SP, GP, GLP, BDP, EVP, CSP; SGV, Travail.Suisse.
* In Klammer Anzahl abweichender Kantonalsektionen
Die
VOX-Analyse zur Volkswahl-Initiative zeigte einen starken positiven Zusammenhang zwischen Zustimmung zur Initiative und Misstrauen in den Bundesrat. Lediglich jede zehnte Person mit Vertrauen in den Bundesrat stimmte dem Volksbegehren zu, während immerhin jeder zweite Misstrauende ein Ja einlegte. Die Analyse bestätigte zudem die Skepsis in den eigenen Reihen der SVP. Gemäss VOX stimmte lediglich gut die Hälfte der SVP-Sympathisantinnen und Sympathisanten der Initiative aus der Küche ihrer präferierten Partei zu. Bei Anhängerinnen und Anhängern von CVP und FDP lag die Zustimmungsrate bei rund 20% und bei jenen der SP gar unter 10%. Die Nachbefragung zeigte zudem einen Geschlechterbias: Frauen waren der Volkswahl gegenüber skeptischer eingestellt als Männer. Die verschiedenen Argumente der Initiativgegner schienen allerdings laut der VOX nicht verfangen zu haben, als wichtigstes Ablehnungsargument wurde nämlich relativ unspezifisch das gute Funktionieren des aktuellen Wahlsystems genannt. Auch der zweitwichtigste Grund, das neue System stelle zu hohe Anforderungen an die Stimmbevölkerung, die nicht über das Interesse und die Kompetenz verfüge, die Regierung zu bestimmen, weist darauf hin, dass das Vertrauen ins politische System und in die Institutionen relativ hoch und der Wunsch nach Veränderung relativ gering ist
[3].
Nachdem sich 2012 die Staatspolitischen Kommissionen der beiden Kammern uneinig gewesen waren über eine parlamentarische Initiative Minder (parteilos, SH), welche auf eine
Reform des Wahlverfahrens bei der Bestellung der Bundesräte abzielte, kam das Geschäft im Berichtjahr in den Ständerat. Minder forderte eine gleichzeitige und gesamthafte Wahl der Regierungsmitglieder, um taktischen Spielchen vorzubeugen. Die ständerätliche Kommission hatte den Vorstoss mit Stichentscheid des Präsidenten gutgeheissen, in der SPK-NR war die bisherige nacheinander erfolgende Einzelwahl aber vorgezogen worden mit der Begründung, Parteitaktik könne durch neue Regelungen nicht verhindert werden. Mit demselben Argument wurde der Initiative dann auch in der kleinen Kammer mit 30:8 Stimmen keine Folge gegeben
[4].
Den beiden im Vorjahr vom Nationalrat abgelehnten Standesinitiativen des Kantons Tessin, die eine
Erhöhung der Zahl der Bundesratsmitglieder von sieben auf neun gefordert hatten, gaben auch die Kantonsvertreter in der Frühjahrssession keine Folge. Zwar hatte die Staatspolitische Kommission (SPK-NR) das eine Begehren, welches zusätzlich zur Erhöhung eine Verfassungsbestimmung einführen wollte, mit der verboten werden sollte, dass mehr als zwei Mitglieder der Bundesregierung aus der gleichen Sprachgegend komme, abgelehnt, die reine Erhöhung – alleiniger Gegenstand der zweiten Tessiner Kantonsinitiative – empfahl die SPK-SR allerdings zur Annahme. Mit der Ablehnung der Staatsleitungsreform sei das Thema zwar negativ beantwortet worden, die Kommission sehe es aber nach wie vor als wichtig an. Mit zwei zusätzlichen Bundesräten würde die integrierende Funktion des Bundesrates in den verschiedenen Sprachregionen verbessert und die Arbeitslasten könnten adäquater verteilt werden. Die Gegner – sogar Bundesrätin Sommaruga (sp) schaltete sich in die Diskussion ein, obwohl der Bundesrat in der Regel bei einer Vorprüfung einer Standesinitiative nicht Stellung nimmt – befürchteten eine Belastung des Kollegialprinzips, das mit neun Personen nicht mehr funktionieren könne. Das Gegenargument verfing im Ständerat letztlich knapp und beiden Initiativen wurden mit 21 zu 20 Stimmen bei 2 Enthaltungen keine Folge gegeben. Die Motionen Jacqueline Fehr (sp, ZH), Christine Bulliard-Marbach (cvp, FR) und Dominique de Buman (cvp, FR), die alle das gleiche Anliegen vertraten, wurden, weil mehr als zwei Jahre hängig, Ende Berichtjahr abgeschrieben. Die Diskussionen wurden damit allerdings nicht beendet: Die SPK-NR beschloss nämlich Ende August, eine Kommissionsinitiative auszuarbeiten, die eine Erhöhung des Bundesrates auf neun Mitglieder und die angemessene Vertretung der Landesgegenden und Sprachgemeinschaften in der Exekutive erneut aufs Tapet bringen soll
[5].
Die unendliche Geschichte um die
Staatsleitungs- und Regierungsreform fand im Berichtjahr schliesslich doch ein Ende. Zur Erinnerung: Die Räte hatten 2004 eine Vorlage des Bundesrates zurückgewiesen. Nach einer erfolgreich umgesetzten Verwaltungsreform hatte dann die Exekutive 2009 erneut Reformbedarf angemeldet und die Arbeiten zur Staatsleitungs- und Regierungsreform wieder aufgenommen. Die Optimierung der Regierungstätigkeit wurde zudem auch vom GPK-Bericht zur UBS-Krise angemahnt. Die Zusatzbotschaft war allerdings im Vorjahr von beiden Räten erneut zerzaust worden. Auf die zuletzt übrig gebliebene Idee einer zweijährigen Amtszeit des Bundespräsidenten war der Nationalrat 2012 nicht eingetreten. Diesem Entscheid folgte der Ständerat in seiner Frühjahrssession 2013 und versenkte die Vorlage damit endgültig
[6].
Von der Debatte zur Staatsleitungs- und Regierungsreform (vgl. oben) blieb einzig eine
Revision des Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetzes übrig, welche die Regierungsführung stärken soll, indem die Bundeskanzlei das Sekretariat der Bundesratsausschüsse übernimmt. Zudem soll die Bundeskanzlei auch Unterstützung hinsichtlich Krisenmanagements leisten und dafür eine langfristige und kontinuierliche Lage- und Umfeldanalyse vornehmen, welche die Regierung früh und umfassend über kommende Entwicklungen und Herausforderungen informieren soll. Der von den Räten 2012 beschlossene Präsidialdienst wird ab 11. Januar 2015 zur Verfügung stehen. Das gab der Bundesrat im Rahmen seiner Sitzung Mitte Mai bekannt
[7].
Im Juni nahmen die Räte Kenntnis vom
Geschäftsbericht des Bundesrates für das Jahr 2012. Die Regierung beschrieb die 2012 realisierten Massnahmen entlang von sechs Leitlinien: (1) die Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandortes Schweiz wurde mit einem Massnahmenpaket zur Stärkung des Bankensektors gesichert. Zudem soll der Wohlstand mit der Wachstumspolitik 2012-2015 gefördert und die Agrarpolitik weiterentwickelt werden. (2) Die aussenpolitischen Schwerpunkte sahen eine Intensivierung der Zusammenarbeit mit Europa vor. Wichtig war zudem die Stärkung der Schweiz als Gaststaat für internationale Organisationen. (3) In der Sicherheitspolitik wurde eine verbesserte Vorsorge für Katastrophen und Notlagen mit einem Fokus auf kritische Infrastrukturen hergestellt. Ansonsten lag der Schwerpunkt der Sicherheitspolitik auf der Kampfflugzeugbeschaffung. (4) Die Sozialpolitik konzentrierte sich auf die umfassende Reform „Altersvorsorge 2020“. (5) In der Energiepolitik wurde ein Massnahmenpaket für den schrittweisen Umbau der Energieversorgung angegangen. In der Infrastrukturpolitik stand die Finanzierung der Eisenbahninfrastruktur im Vordergrund. (6) Die Kredite im Bereich Bildung, Forschung und Innovation sollen für 2013 bis 2016 ein überdurchschnittliches Wachstum aufweisen um die Spitzenstellung der Schweiz zu festigen. Auch die Kooperation in internationalen Forschungsorganisationen soll weiterhin ein Schwerpunkt sein
[8].
Der im Vorjahr aufgestaute Unmut ob der Beratung zum
Legislaturplanungsbericht des Bundesrates, der sehr lange Ratsdebatten und zahlreiche Änderungen evoziert, die in der Regel einzig zu allgemeinen und unverbindlichen Grundsatzbeschlüssen für einzelne Planungsmassnahmen führen, hatte sich in verschiedene Vorstösse ergossen, über die nun im Berichtjahr befunden wurde. Die praktisch identische Stossrichtung der drei parlamentarischen Initiativen beinhaltete die Forderung, dass der Legislaturplanungsbericht von den Räten nicht mehr abgeändert werden kann. Das Parlament solle diesen lediglich noch debattieren und zur Kenntnis nehmen können, um den Beratungsaufwand, der in keinem Verhältnis zum Nutzen stehe, zu reduzieren. Den drei Vorstössen wurde von der Staatspolitischen Kommission des Nationalrates mit 15 zu 8 Stimmen in globo Folge gegeben. Die SPK-SR hatte eine der drei Initiativen bereits 2012 gutgeheissen und gab 2013 auch den anderen beiden Folge
[9].
2011 hatten beide staatpolitischen Kommissionen zwei parlamentarischen Initiativen Binder (svp, ZH) und Leutenegger Oberholzer (sp, BL) Folge gegeben, die eine Karenzfrist für
die Übernahme bezahlter Mandate durch ehemalige Bundesrätinnen und Bundesräte verlangen. Stein des Anstosses für diese Debatte war die Übernahme eines Verwaltungsratsmandates von alt Bundesrat Moritz Leuenberger (sp) wenige Tage nach seinem Rücktritt bei der Baufirma Implenia gewesen, die zur Amtszeit Leuenbergers einige wichtige Bundesaufträge erhalten hatte. Die Staatspolitische Kommission des Nationalrates schlug in ihrem Gesetzesentwurf eine zweijährige Karenzfrist nicht nur für Bundesräte, sondern auch für Topkader der Bundesverwaltung vor. Der Bundesrat wehrte sich gegen diese Bestimmungen, da sie schädlich und in einem Milizsystem nicht angebracht seien. Zudem verwies die Regierung auf das „Aide-mémoire“, das vor Jahresfrist mit dem Passus ergänzt worden war, dass ehemalige Regierungsmitglieder bei der Annahme von Mandaten die erforderliche Sorgfalt walten lassen sollen. Dies genügte der grossen Kammer jedoch nicht uns sie folgte ihrer Kommission mit 99 zu 86 Stimmen bei fünf Enthaltungen. Dabei zeigten sich insbesondere die SP und die SVP kritisch gegenüber der Regierung, wohingegen die geschlossenen Parteien der GLP, FDP und BDP sowie die Mehrheit der CVP-EVP-Fraktion den Entwurf ablehnten. Allerdings verwarf der Nationalrat die Idee einer Karenzfrist für Verwaltungskader. Die kleine Kammer nahm im Berichtjahr noch nicht Stellung zum Geschäft
[10].
Die Geschäftsprüfungskommissionen beider Räte gaben Mitte März in ihrem
Bericht zum Rücktritt des SNB-Präsidenten Hildebrand einige Empfehlungen ab, wie sich der Bundesrat in Zukunft in ähnlichen Situationen verhalten soll. Nach Ansicht der GPK hatte der Bundesrat seine Kompetenzen überschritten. Die Kommissionen hielten fest, dass die Massnahmen, die von der damaligen Bundespräsidentin Calmy-Rey (sp) ergriffen wurden, einer rechtlichen Grundlage entbehrten. Eine der Empfehlungen der beiden GPK lautete deshalb, dass auch bei dringlichen Geschäften mit grosser politischer Tragweite die rechtliche Zuständigkeit abzuklären sei, um das Legalitätsprinzip – keine staatliche Handlung ohne Rechtsgrundlage – nicht zu verletzen. Zudem solle der Bundesrat auch in ausserordentlichen Situationen statt Ad-hoc-Ausschüsse reguläre Ausschüsse nutzen. Zudem wurde die ehemalige SP-Bundesrätin gerügt, weil sie den Gesamtbundesrat zu spät informiert habe; auch die Bundeskanzlei hätte früher einbezogen werden müssen. Es sei deshalb ein Kommunikationssystem zu schaffen, mit dem das gesamte Gremium einfach, schnell und sicher informiert werden könne. Dieses System soll zudem auch sicherstellen, dass bundesrätliche Telefonkonferenzen – eine solche hatte Anfang 2012 stattgefunden – abhörsicher sind. Gemahnt wurde von den beiden GPK zudem die schlechte Qualität der Bundesratsprotokolle. Diese seien zu knapp abgefasst und teilweise gar fehler- und lückenhaft gewesen. Nachvollziehbarkeit sei so nicht gegeben und die Arbeit der GPK werde damit erschwert. Nicht nur vom Bundesrat, sondern auch in der Presse wurde die Kritik der zuständigen Kommissionen als teilweise zu heftig erachtet: ein gewisser Spielraum müsse der Regierung in Krisensituation eingeräumt werden. Sogar Christoph Blocher nahm das Vorgehen von Micheline Calmy-Rey in Schutz, die in der NZZ eine Plattform zu ihrer Verteidigung erhielt
[11].
Die 2010 begonnene Idee von ordentlichen
Bundesratssitzungen ‚extra muros‘ wurde auch im Berichtjahr umgesetzt. Am 24. April tagten die Regierungsmitglieder in Schloss Prangins (VD) und trafen sich im Anschluss mit der Bevölkerung von Nyon
[12].
Viermal trafen sich Regierungsmitglieder mit den Parteipräsidenten und Fraktionsspitzen der Regierungsparteien (CVP, FDP, SP, SVP und BDP) zu den so genannten traditionellen
von-Wattenwyl-Gesprächen. Die regelmässig abgehaltenen informellen Gespräche tragen den Namen des Hauses in der Berner Altstadt, in dem sie stattfinden. Im Februar stand die Altersvorsorge 2020 zur Debatte; im Mai sprachen die Beteiligten über die kurz- und mittelfristigen finanzpolitischen Herausforderungen und die Unternehmenssteuerreform III; Ende August standen die EU-Dossiers, der Finanzplatz und erneut die Reform der Altersvorsorge auf der Agenda und im November waren die bevorstehenden finanzpolitischen Weichenstellungen das Hauptthema der Gespräche, deren Resultate wie immer geheim blieben
[13].
Nach der letzten offiziellen Bundesratssitzung werden traditionellerweise
Angaben zur Arbeit der Regierung veröffentlicht. Im Berichtjahr verbreitete der Bundesratssprecher André Simonazzi diese Angaben per Twitter. Der Bundesrat habe sich 2013 zu 40 ordentlichen und 5 ausserordentlichen Sitzungen getroffen, an denen über 2 500 Vorlagen, 1 400 Vorstösse und 600 Fragen behandelt worden seien
[14].
Zur Kompetenz des Bundesrates zum Abschluss völkerrechtlicher Verträge vgl. unten, Kapitel 2 (Principes directeurs).
Nachdem der Nationalrat im Vorjahr auf der Basis einer
Evaluation der Anhörungs- und Vernehmlassungspraxis bereits drei Postulate überwiesen hatte, wollte die SVP-Fraktion mit einer Motion den Anliegen noch weiteren Nachdruck verleihen. Die Evaluation hatte drei Hauptkritiken zu Tage gefördert: zu wenig Transparenz bei der Kommunikation der Vernehmlassungsresultate, eine nicht nachvollziehbare Unterscheidung zwischen Vernehmlassung und Anhörung sowie die zu häufigen Anhörungskonferenzen mit zu kurzen Fristen und willkürlicher Auswahl der Teilnehmer. Neben diesen drei in den GPK-Postulaten verpackten Punkten zur Verbesserung dieser Situation wollte die SVP zusätzlich noch die Kompetenzen der Bundeskanzlei, die mit der Koordination von Vernehmlassungen betraut ist, klären. Der Nationalrat unterstützte mit Ausnahme der SP- und der FDP-Liberale-Fraktion den Vorstoss mit 117 zu 73 und überwies ihn an die kleine Kammer, wo die Motion im Berichtjahr noch nicht diskutiert wurde
[15].
Anfang November legte der Bundesrat seine Botschaft zur
Revision des Vernehmlassungsgesetzes vor und beantragte gleichzeitig die Abschreibung der drei oben erwähnten Postulate. Die Änderung sieht drei Schwerpunkte vor: (1) Zwischen Anhörung und Vernehmlassung wird begrifflich nicht mehr unterschieden, wobei Vernehmlassungen in der Regel vom Bundesrat und nur bei untergeordneter Tragweite von einem Departement eröffnet werden. (2) Das Ergebnis jeder Vernehmlassung soll zur Erhöhung der Transparenz zwingend in einem Bericht festgehalten werden. (3) Die gesetzlich verankerte Vernehmlassungsfrist von drei Monaten soll beibehalten, Verlängerungen aufgrund von Ferien und Feiertagen aber besser geregelt werden. Eine Fristverkürzung bei Dringlichkeit muss im Begleitschreiben neu sachlich begründet werden. Die Räte nahmen die Diskussion des Entwurfs im Berichtjahr noch nicht vor. 2014 wird sich der Ständerat als Erstrat mit der Botschaft auseinandersetzen
[16].
[1]
AB NR, 2013, S. 2244;
NZZ, 29.11.13;
TG, 30.11.13;
LT und
NZZ, 2.12.13;
BaZ, 4.12.13; Presse vom 5.12.13;
Exp. und
TG, 12.12.13;
NZZ, 21.12.13; Maurer:
LT und
WW, 3.1.13;
NZZ, 26.1.13;
WW, 14.3.13; Fauxpas:
NZZ, 20.7.13;
Bund, 30.7.13;
NZZ, 2.8.13;
SO, 11.8.13;
Blick, 13.9.13;
So-Bli, 15.9.13;
BaZ, 25.9.13;
SGT, 29.11.13;
NZZ, 17.12.13 (Igelmentalität);
So-Bli, 22.12.13 und Presse vom 28.12.13 (Bilanz).
[2] BRG 12.056:
LT, 26.3.13; Presse vom 27.3.13;
So-Bli, 31.3.13;
NZZ, 3.4.13;
AZ, 5.4.13;
BZ, 6.4.13;
LT, 7.4.13;
TG und
24H, 2.4.13;
TA, 12.4.13;
NLZ und
BaZ, 13.4.13;
SGT, 15.4.13;
NZZ, 16.4.13;
TA, 19.4.13;
NF und
NLZ, 20.4.13;
So-Bli, 21.4.13;
NZZ, 22.4.13; Presse vom 23.4.13;
NF und
SGT, 29.4.13;
AZ und
Lib., 30.4.13; Presse vom 3.5. und 4.5.13;
SO, 5.5.13; Presse vom 6.5. und 7.5.13 (Calmy-Rey);
SGT und
TZ, 8.5.13 (TG);
NZZ., 10.5. und 11.5.13;
SO, 12.5.13;
BZ und
LT, 13.5.13;
WW, 16.5.13;
NF und
NZZ, 21.5.13;
CdT und
WW, 23.5.13;
NZZ, 27.5.13;
LT und
NZZ, 30.5.13;
TG, 1.6.13;
NZZ, 7.6.13; Presse vom 10.6.13; Pa.Iv. 12.489 (Wermuth);
Lit. Gross et al.;
Lit. Milic et al.;
Lit. Bühlmann; vgl.
SPJ
2012, S. 39 f.
[3]
Lit. Nai/Sciarini;
NZZ, 15.8.13.
[4] Pa.Iv. 11.491:
AB SR, 2013, S. 89 f.;
AZ, 7.3.13; vgl.
SPJ 2012, S. 40 f.
[5] Kt.Iv. 12.307; 10.321:
AB SR, 2013, S. 173 ff.; Mo. 11.4103 (Fehr); Mo. 11.4107 (de Buman); Mo. 11.4110 (Bulliard-Marbach); Pa.Iv. 13.443 (SPK-NR);
NZZ, 2.2.13;
NZZ und
CdT, 15.3.13;
TG, 31.8.13;
CdT, 2.9.13;
LT, 21.9.13;
SoS, 7.12.13; vgl.
SPJ 2012, S. 41.
[6] BRG 01.080:
AB SR, 2013, S. 172 f.;
NZZ, 15.3.13.
[7] Medienbericht BR vom 15.5. und 9.10.13.
[8] BG 13.001:
BBl, 2013, S. 1841 ff.;
AB SR, 2013, S. 464 ff.;
AB NR, 2013, S. 1012 ff. und 1049 ff.; Medienmitteilung BR vom 11.3.13.
[9] Pa.Iv. 12.427 (SVP-Fraktion), Pa.Iv. 12.432 (CVP-EVP-Fraktion), Pa.Iv. 12.433 (Kommission 12.008-SR): Medienmitteilung SPK-NR vom 22.2.13; vgl.
SPJ 2012, S. 42 ff.
[10] Pa.Iv 10.511 (Binder) und Pa.Iv. 10.517 (Leutenegger Oberholzer):
AB NR, 2013, S. 1457 ff.; Bericht der SPK-NR vom 3.5.13:
BBl, 2013, S. 5215 ff.; Medienmitteilung BR vom 14.8.13;
LT und
NZZ, 19.1.13;
NZZ, 4.5.13;
NZZ und
LT, 15.8.13;
Lib. und
TA, 16.8.13;
NZZ, 17.9.13; Presse vom 19.9.13.
[11] Bericht der GPK-NR und SR vom 15.3.13:
BBl, 2013, S. 5627 ff.; Medienmitteilung BR vom 18.3. und 24.5.13;
NZZ, 16.3. und 19.3.13 (inkl. Beitrag von Calmy-Rey und Blocher); LZ, 19.3.13;
AZ und
NZZ, 20.3.13;
NZZ, 22.3.13;
SO, 24.3.13.
[12] Medienmitteilung BR vom 3.4. und 15.4.13;
LM, 25.4.13;
SO, 28.4.13.
[13] Medienmitteilungen BR vom 15.2., 17.5., 30.8. und 8.11.13;
SO, 19.5.13.
[15] Mo. 12.3759:
AB NR, 2013, S. 1478;
NZZ, 19.9.14; vgl.
SPJ 2012, S. 44.
[16] BRG 13.088:
BBl, 2013, S. 8875 (Botschaft und Entwurf); Medienmitteilung BR vom 6.11.13; Abgeschrieben: Po. 12.3649, Po. 12.3650 und Po. 12.3651;
NZZ, 10.4. und 5.11.13;
BaZ und
NZZ, 7.11.13.
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