Année politique Suisse 1988 : Infrastructure, aménagement, environnement / Transports et communications
Eisenbahnverkehr
Zu einem
Entscheid über die Linienwahl für die geplante Neue Eisenbahn-Alpentransversale (NEAT) ist es im Berichtsjahr noch nicht gekommen. Bundesrat Ogi betonte aber, dass angesichts des rasch wachsenden Transportvolumens im entstehenden europäischen Binnenmarkt eine neue Bahntransitlinie durch die schweizerischen Alpen aus verkehrs-, umwelt- und aussenpolitischen Gründen unbedingt nötig sei. Der Bundesrat beauftragte das EVED mit der Durchführung eines Vernehmlassungsverfahrens, das am 15. September mit Frist bis zum 15. Januar 1989 eröffnet wurde. Zu den Vernehmlassungsunterlagen gehörte auch ein im Auftrag des EVED erstellter Expertenbericht über die Zweckmässigkeit des Projekts sowie der einzelnen Varianten. Dieser kam im wesentlichen zum Schluss, ,dass nur eine NEAT imstande sei, eine Uberflutung der Schweiz durch den internationalen Strassenschwerverkehr zu verhindern. Von den fünf zur Diskussion stehenden Varianten schnitt in den Augen der Experten die Splügenroute wegen ihres verhältnismässig geringen Nutzens für die schweizerischen Benutzer am schlechtesten ab
[57].
Die
Vernehmlassung führte zu einer Häufung von kontroversen Stellungnahmen und Analysen in den Medien. Wie erwartet setzten sich die Kantonsregierungen für die geographisch am nächsten bei ihnen durchführende Variante ein: Die Westschweiz und Bern favorisierten die Lötschberg-Simplon-Lösung, die Kantone der Innerschweiz (Uri allerdings nur mit Vorbehalten) und der Nordwestschweiz sowie Zürich, Schaffhausen und Tessin votierten für einen Gotthardbasistunnel, und die Ostschweiz verlangte die Einlösung des historischen "Ostalpenbahn-Versprechens". Schon vor der Vernehmlassung war die Bevorzugung der Gotthard-Variante durch die SBB beziehungsweise des Lötschbergtunnels durch die BLS bekannt. Von den politischen Parteien wurden im Berichtsjahr erst wenige Stellungnahmen abgegeben, und die FDP verlangte gar eine Fristverlängerung, um den Delegiertenrat über die Antwort entscheiden zu lassen. Demgegenüber sprach sich der TCS für einen raschen Bau der NEAT aus, ohne aber zur Linienwahl Position zu beziehen
[58].
Die dem Umweltschutz verpflichteten Verbände zeigten sich gegenüber der Notwendigkeit einer neuen Transitlinie skeptisch. Im Sinne eines Kompromisses stellte sich der VCS nach einigem Zögern hinter eine sogenannte Netz-Variante, die zuerst von der LITRA in die Diskussion gebracht worden war. Diese sieht vor, sowohl am Gotthard als auch am Lötschberg einen Basistunnel zu bohren, dafür aber auf die aufwendigen und. nur mit schweren Eingriffen in die Landschaft zu verwirklichenden neuen Zufahrtslinien zu verzichten. Eine derartige Lösung wurde ebenfalls von der SP gewünscht, welche – wie auch. der Schweizerische Bund für Naturschutz (SBN) und der VCS – ihre Zustimmung zur NEAT von flankierenden Massnahmen zur Reduktion des Strassenschwerverkehrs abhängig machte. Die Grüne Partei der Schweiz sprach sich grundsätzlich gegen den Bau einer NEAT aus, da neue Verkehrswege nicht eine Umlagerung der Verkehrsströme auf die Schiene, sondern bloss zusätzlichen Verkehr bringen würden
[59].
Während sich bei der Frage der Linienwahl der NEAT die Kantone darum reissen, dass die neue Verbindung bei ihnen durchführe, zeigte sich bei den ersten Schritten zur Realisierung der im Vorjahr vom Volk beschlossenen Bahn 2000, dass der
heftigste Widerstand gegen die Neubaustrecken aus den betroffenen Kantonen kommt. In der Detailplanung zum Vorprojekt berücksichtigten die SBB zwar einige Vorschläge der Anwohner und der Kantonsbehörden zur
Linienführung zwischen Mattstetten (BE) und Rothrist (AG) sowie auf dem Solothurner Ast. Die auch von den Kantonsregierungen Berns und Solothurns unterstützten Begehren nach zusätzlichen Untertunnelungen, welche Mehrkosten in der Höhe von rund 400 Mio Fr. verursachen würden, lehnten die Bundesbahnen aus finanziellen Gründen jedoch ab. Der Bundesrat zeigte sich in seiner Antwort auf eine Einfache Anfrage Luder (svp, BE) freilich bereit, dem Parlament unter Umständen einen Zusatzkredit zur Realisierung von umweltfreundlicheren Lösungen zu unterbreiten
[60]. Widerstand gegen die Bahn 2000 hat sich nun ebenfalls im Kanton Baselland formiert. Auch dort verlangte die Opposition, dass die neue Linie grösstenteils unter den Boden zu legen sei
[61]. Im Nationalrat kam die Bahn 2000 in mehreren Vorstössen zur Sprache: Die Volkskammer überwies in Postulatform Forderungen für die Erarbeitung eines langfristigen Bauplans, für Zusatzkredite für Umweltschutzmassnahmen im Raume Solothurn, für ein Lärmschutzkonzept und für die Suche nach möglichst umweltschonenden Lösungen mit grosszügigen Entschädigungen für die durch den Bahnbau betroffenen Landwirte
[62].
Der Basler Automobiljournalist Böhi brach die Unterschriftensammlung für seine
Volksinitiative für den Bau sowohl eines Eisenbahnbasistunnels als auch einer zweiten Strassentunnelröhre durch den Gotthard ab. Als Grund nannte er seine Verärgerung über die zu wenig speditive Behandlung seiner Volksinitiative "Pro Tempo 130/100" durch Bundesrat und Parlament
[63]. Der Nationalrat überwies eine Motion des Ständerates (Lauber, cvp, VS), welche eine Machbarkeitsstudie über Aufwertung und Ausbau des Simplontunnels verlangte
[64]. Das von Westschweizer Verkehrswissenschaftlern und -ingenieuren seit Jahren propagierte Projekt einer Untergrundbahn durch das schweizerische Mittelland ("
Swissmetro") stiess bei den zuständigen Behörden auf wenig Interesse. Zwar hatte das EVED in Erfüllung von zwei 1986 überwiesenen Postulaten eine Machbarkeitsstudie durchführen lassen, doch lehnte das Bundesamt für Verkehr ein Gesuch für die Finanzierung von zusätzlichen Studien ab und verwies die Iriitianten auf die Suche nach einer Lösung im europäischen Rahmen
[65].
Gemessen an den Vorgaben von Bundesrat und Parlament haben die SBB im Berichtsjahr ihren
unternehmerischen Auftrag erfüllt. Die Rechnung 1988 wies bei Einnahmen von 4798 Mio Fr und Ausgaben von 4756 Mio Fr. einen Ertragsüberschuss von 42 Mio Fr. aus. Der von den Bundesbahnen geleistete Beitrag an die Infrastrukturaufwendungen, der im Rahmen des Leistungsauftrags 1987 das wichtigste Kriterium für die Beurteilung ihrer unternehmerischen Leistung darstellt, fiel mit 135 Mio Fr. um 13,5 Mio Fr. höher aus als budgetiert. Die Belastung der Bundeskasse stieg allerdings deutlich stärker als vorgesehen um 214 Mio Fr. auf 1356 Mio Fr. an. Bei diesen Mehrausgaben fielen vor allem zusätzliche Infrastrukturausgaben zur Behebung der Unwetterschäden von 1987 ins Gewicht. Die Nachfrage nach den Dienstleistungen der SBB war weiterhin sehr lebhaft. Im Personenverkehr konnte mit 259,3 Mio Reisenden das Rekordergebnis aus dem Vorjahr leicht übertroffen werden (+0,7%). Im Güterverkehr erzielten die Bundesbahnen mit einer beförderten Tonnage von 48,2 Mio t (+8,4%) ebenfalls einen neuen Höchststand. Von diesem starken Aufschwung im Gütertransport profitierten sämtliche Sparten; besonders ausgeprägt war er jedoch im Transitverkehr und bei den sogenannten kombinierten Transporten (Grosscontainer und Huckepack) mit 10,7% bzw. 21,8%. Die Erträge aus der Personenbeförderung erhöhten sich um 1,9% auf 1286 Mio Fr. und entwickelten sich damit etwa im Rahmen der Verkehrszunahme. Im Güterverkehr blieben sie demgegenüber mit einer Steigerung um 2,3% auf 1179 Mio Fr. deutlich hinter der Zunahme der Transportleistung zurück. Der Grund dafür lag im anhaltenden Konkurrenzdruck durch den Strassentransport, welchem die SBB mit Ermässigungen der Frachtpreise begegnen mussten
[66].
Für die nähere Zukunft rechnen Bundesrat und SBB-Leitung mit einer Verschlechterung der Finanzlage, da sich trotz steigender Nachfrage die Ertrags–Kostenschere weiter öffnen wird. Der Bundesrat erklärte sich in
seiner Botschaft zum Voranschlag der SBB für 1989 und zum "Mittelfrist-plan 1990–94" grundsätzlich mit der These einverstanden, dass die Bahnen versuchen müssen, einen möglichst grossen Anteil des steigenden Transportvolumens zu übernehmen. Seiner Ansicht nach sind aber Massnahmen erforderlich, um die dabei für die öffentliche Hand entstehenden Kosten zu bremsen. Neben vermehrten Tariferhöhungen stehen für den Bundesrat dazu verstärkte Rationalisierungsanstrengungen wie der Abbau der Stationsbedienung und der gezielte Ersatz von Bahn- durch Busbetrieb im Vordergrund. Der Voranschlag für 1989 rechnet für den Personenverkehr — dank den auf das Frühjahr 1989 angekündigten Tariferhöhungen — mit steigenden, beim Güterverkehr aber mit sinkenden Einnahmen. Der Budget sieht deshalb vor, dass sich das Total der Aufwendungen des Bundes auf 1343 Mio Fr. erhöhen wird; dieser Betrag ist allerdings, infolge der oben erwähnten Budgetüberschreitung, bereits in der Rechnung 1988 übertroffen worden. Angesichts der schwindenden Ertragskraft soll der von den Bundesbahnen zu leistende Infrastrukturbeitrag lediglich noch 25 Mio Fr. ausmachen
[67].
Das Parlament stimmte dem Voranschlag ohne Gegenstimmen zu und nutzte die Debatte zu einer allgemeinen Aussprache über die zukünftige Eisenbahnpolitik. Von der Mehrheit der Votanten wurden die Sorgen des Bundesrates über die Verschlechterung der Finanzlage der SBB geteilt und dessen Uberlegungen in bezug auf Gegenmassnahmen gutgeheissen. Der Ständerat überwies gegen die Stimmen der Sozialdemokraten ein Postulat seiner Verkehrskommission, das den Bundesrat aufforderte, unverzüglich ein Programm für Rationalisierungen bei den Bundesbahnen ausarbeiten zu lassen. Zudem verlangte das Postulat eine Überprüfung der Führungsstrukturen der SBB sowie der Kompetenzausscheidungen zwischen dem Regiebetrieb, dem EVED und dem Parlament. Im Nationalrat war der Tenor ähnlich, wobei allerdings von seiten der Linken und Grünen Widerstand gegen die in Aussicht gestellten Tariferhöhungen und Rationalisierungsmassnahmen angemeldet wurde. Ein Nichteintretensantrag Fetz (poch, BS) fand jedoch keine Mehrheit
[68].
Mit dem
Leistungsauftrag 1987 ist dem Bund namentlich im Bereich der gemeinwirtschaftlichen Leistungen eine Führungsrolle zugewiesen und den SBB mehr unternehmerische Freiheit zugestanden worden. Mit einer auf den 1. August in Kraft gesetzten neuen Verordnung hat der Bundesrat die dadurch notwendig gewordene klarere Kompetenzausscheidung zwischen SBB und EVED — welche auch im erwähnten Postulat des Ständerats verlangt wurde — vorgenommen
[69].
Der Bundesrat genehmigte das
Investitionsprogramm 1988—1992 der konzessionierten Transportunternehmungen (KTU) und gab damit den 1987 vom Parlament verabschiedeten Rahmenkredit von 930 Mio Fr. zur Verteilung frei
[70].
Das 1985 vom Bündner Souverän und 1986 auch von der Bundesversammlung gutgeheissene Projekt der Rhätischen Bahn für einen
Vereinatunnel wurde von Anwohnern, betroffenen Gemeinden und von den Umweltschutzorganisationen WWF, SGU und SBN mit Einsprachen bekämpft. Da der neue Tunnel zu einem guten Teil dem Autoverlad ins Unterengadin dienen soll, befürchten die Gegner ein starkes Anwachsen des Autoverkehrs auf den Zufahrtsstrassen. Das Bundesamt für Verkehr wies diese Einsprachen ab und erteilte im Juli die einer Baubewilligung gleichkommende Plangenehmigung. Gegen diese Verfügung rekurrierten die Umweltschutzorganisationen und einige Anliegergemeinden beim EVED. Dieses fällte im Berichtsjahr noch keinen Entscheid und sprach den Beschwerden nur in bezug auf den Bau von Autoverladeeinrichtungen aufschiebende Wirkung zu. Eine Petition für eine Redimensionierung des Vorhabens blieb im Parlament erfolglos. Mit dem Argument, dass der Entscheid über eine allfällige Projektänderung in die Kompetenz der Behörden des Kantons Graubünden falle, lehnte der Nationalrat einen Antrag Thür (gp, AG) auf Überweisung an den Bundesrat zur Kenntnisnahme mit 70:46 Stimmen ab
[71].
[57] Presse vom 16.9.88; vgl. SPJ 1987, S. 149. Für weitere Stellungnahmen von BR Ogi siehe auch Amtl. Bull. NR, 1988, S. 1989; Amtl. Bull. StR, 1988, S. 605 ff. Grundsätzlich zu den einzelnen Varianten siehe Presse vom 16.2.88; NZZ, 16.9., 9.12., 10.12., 17.12. und 29.12.88. Studie: vgl. Lit. INFRAS.
[58] Zusammenfassend zur Vernehmlassung: Bund, 24.12.88; Vat., 29.12.88. Uri: LNN, 30.11. und 15.12.88. SBB: BZ, 2.12.88. BLS: Bund, 16.12.88. TCS: NZZ, 17.12.88. Zum Ostalpenbahnversprechen siehe SGT, 13.2.88.
[59] VCS: BZ, 5.3.88; TA, 21.11.88; VCS-Zeitung, 1988, Nr. 7, S. 4 f.; siehe auch unten, Teil IIIb (Andere Interessenorganisationen). LITRA: NZZ, 16.9. und 28.11.88; LITRA, Jahresbericht 1987/88, Bern 1988, S. 44 ff. SP: TW, 17.11.88. SBN: NZZ, 12.12.88. GPS: NZZ, 7.11. und 23.11.88.
[60] Bund, 21.3., 11.5., 29.6., 14.11. und 19.11.88; SZ, 26.3., 10.6.88; BZ, 1.11., 17.11. und 19.11.88; Amtl. Bull. NR, 1988, S. 1980. Siehe auch SPJ 1987, S. 147 ff.
[61] BaZ, 17.6., 24.6., 8.7., 16.7., 22.7., 9.8., 30.9., 11.11., 25.11. und 28.11.88.
[62] Postulate: Amtl. Bull. NR, 1988, S. 443, 445, 1478 f. und 1939. Siehe auch die Antworten von BR Ogi zum Ablauf und Stand der Planung in Amtl. Bull. NR, 1988, S. 460 f., 748, 1321 und 1755 f.
[63] BBl, 1988, I, S. 101 ff.; Presse vom 31.8.88; vgl. SPJ 1987, S. 141.
[64] Amtl. Bull. NR, 1988, S. 783 ff.; vgl. SPJ 1987, S. 127, Anm. 33 und Presse vom 22.6.88.
[65] 24 Heures, 26.3. und 12.11.88; BaZ, 29.6.88; BZ, 17.8.88; SGT, 26.11.88. Siehe auch Amtl. Bull. NR, 1988, S. 747; Gesch.ber. 1988, S. 394; SPJ 1986, S. 126, Anm. 29.
[66] SBB, Geschäftsbericht 1988, Bern 1989; BBl, 1989, II, S. 237 ff. Siehe auch Presse vom 24.2.89; wf, Dok., 22, 29.5.89; Gesch.ber. 1988, S. 395 f. (Tarife im Güterverkehr). Zur Genehmigung der Rechnung 1987 durch das Parlament siehe Amtl. Bull. StR, 1988, S. 272 f.; Amtl. Bull. NR, 1988, S. 768 ff.; BBl, 1988, lI, S. 1163; vgl. auch SPJ 1987, S. 149 f.
[67] BBl, 1988, III, S. 1209 ff.; Presse vom 27.10.88; SHZ, 10.11.88; wf, Dok., 47, 21.11.88. Zu den für 1989 angekündigten Tariferhöhungen siehe TA, 30.8.88. Siehe auch BaZ, 7.12.88 (Interview mit BR Ogi).
[68] Amtl. Bull. StR, 1988, S. 791 ff. und 800 (Postulat); Amtl. Bull. NR, 1988, S. 1674 ff.; BBl, 1988, III, S. 1505 f. Siehe auch Presse vom 2.12. und 7.12.88.
[69] AS, 1988, S. 1223 ff.; vgl. Gesch.ber. 1988, S. 392.
[70] Presse vom 30.6.88. Siehe auch SPJ 1987, S. 151.
[71] BüZ, 9.2., 14.7., 10.8., 12.8., 25.8., 23.9., 5.10.88; Amtl. Bull. NR, 1988, S. 880; Amtl. Bull. StR, 1988, S. 743. Siehe auch SPJ 1986, S. 127.
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