Année politique Suisse 1993 : Politique sociale / Santé, assistance sociale, sport
 
Suchtmittel
In der Wintersession reichte die CVPFraktion eine Motion ein mit der Forderung, möglichst rasch ein Suchtpräventionsgesetz auszuarbeiten. Ziel ist eine gesamtschweizerische Koordination der Massnahmen zur Bekämpfung illegaler Drogen und gegen den Missbrauch von Medikamenten, Alkohol und Tabak. Zur Finanzierung der Präventionsmassnahmen sollen konfiszierte Drogengelder verwendet werden [35].
Mit einem angenommenen Postulat wies Ständerat Frick (cvp, SZ) auf das Problem hin, dass im Rahmen der Invalidenversicherung auch Drogen- und Alkoholkranke rentenberechtigt sind, bei Auszahlung an die Berechtigten die Renten oftmals aber nicht zweckentsprechend für den Lebensunterhalt verwendet werden, sondern direkt wieder in die Beschaffung des Suchtmittels fliessen. Er bat den Bundesrat, einen Bericht über die Anzahl rentenberechtigter Suchtkranker auszuarbeiten und geeignete Massnahmen zu treffen, um sicherzustellen, dass die Renten zum Unterhalt der Berechtigten und ihrer Familien . verwendet und nicht umgehend in legale oder illegale Suchtmittel umgesetzt werden [36].
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Drogen
Im Berichtsjahr starben 355 Menschen an den direkten Folgen ihres Drogenkonsums. Das sind 63 Personen oder 15% weniger als im Vorjahr [37].
Mit parlamentarischen Initiativen versuchten Vertreter des links-grünen Lagers erneut vergebens, eine Aufweichung der Betäubungsmittelgesetzgebung im Sinn eines straffreien Erwerbs und Konsums von harten Drogen zu erreichen. Nationalrat Tschäppät (sp, BE) verlangte bei der Zuteilung des Strafmasses eine Differenzierung zwischen Drogenhändlern, die aus reiner Gewinnsucht handeln, und süchtigen Dealern, die ausschliesslich zur Finanzierung des eigenen Konsums Kleinhandel betreiben. Obgleich die vorberatende Kommission der Initiative zustimmen wollte, wurde sie im Plenum recht deutlich abgelehnt. Noch weniger Erfolg hatte eine bereits von der Kommission abgewiesene parlamentarische Initiative der grünen Fraktion, welche Erwerb und Besitz von Betäubungsmitteln zum Eigenbedarf straffrei gestalten, den Umgang mit Cannabis zulässig erklären sowie die Abgabe sogenannt harter Drogen durch die Kantone gestatten wollte. Mit einem überwiesenen Postulat forderte Rechsteiner (sp, SG) den Bundesrat auf, Szenarien einer Drogenpolitik ohne Prohibition erarbeiten zu lassen. Diese sollen alle Risiken und insbesondere einen Vergleich mit der bisherigen, durch Kriminalisierunggeprägten Drogenpolitik miteinbeziehen [38].
Ende Juni gab das BAG bekannt, welche Projekte beim Versuch einer kontrollierten Drogenabgabe an Süchtige bewilligt werden. In acht Städten sollen 700 Drogensüchtige unter ärztlicher Kontrolle Heroin, Morphin oder injizierbares Methadon erhalten. 250 Drogenkranken in Bern, Thun, Olten, Zürich und Basel wird Heroin zur Verfügung gestellt, 250 Süchtige in Bern, Thun, Olten, Basel, Schaffhausen, Zug und Zürich bekommen Morphin und weitere 200 Drogenabhängige in Bern, Freiburg, Basel und Zürich injizierbares Methadon. Da die politisch Verantwortlichen der Romandie (mit Ausnahme des Kantons Freiburg) jede Liberalisierung in der Drogenpolitik ablehnen, ist die Westschweiz an den Projekten nicht beteiligt. Angesichts der geringen Anzahl von Versuchsteilnehmern – 700 von den auf rund 30 000 geschätzten Drogensüchtigen in der Schweiz – warnte das BAG vor zu hohen Erwartungen bezüglich der Bewälti gung des Drogenproblems. Im Zentrum des therapeutischen Interesses steht die Beobachtung der individuellen biographischen Entwicklung der Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Ziel der Versuche ist es, eine Verbesserung des körperlichen und psychischen Gesundheitszustandes, eine Erleichterung der sozialen Integration und Arbeitsfähigkeit, eine Distanzierung von der Drogenszene und einen Abbau des deliktischen Verhaltens zu erreichen. Die Ergebnisse sollen die nötigen Grundlagen zur Formulierung einer neuen Drogenpolitik liefern. Die Versuche laufen bis Ende 1996 und sind weltweit die ersten dieser Art. Begonnen wurde Ende Jahr mit einem ersten Projekt in Zürich, welches sich ausschliesslich an drogensüchtige Frauen mit ihren spezifischen Problemen richtet.
Das BAG trug zudem der von Drogenfachleuten vielfach geäusserten Kritik an seinen Vorgaben Rechnung und revidierte die Rahmenbedingungen für die Versuche. Der Begriff der Schwerstabhängigkeit wurde durch jenen der Drogensucht mit negativen gesundheitlichen oder sozialen Folgen ersetzt, die untere Altersgrenze von 20 Jahren nur noch als Richtlinie definiert und der Nachweis von zwei gescheiterten Entzugsversuchen nicht mehr als Bedingung vorgeschrieben. Entscheidend für die Teilnahme an den Versuchen ist, dass beim Probanden bisherige Behandlungen versagt haben oder aus nachweisbaren Gründen nicht in Frage kommen. Finanziell kam der Bund den ausführenden Kantonen insofern entgegen, als er – neben der Beschaffung des Heroins bei einer Pharmafirma in Frankreich und der auf 2,2 Mio Fr. veranschlagten Begleitforschung – seinen Beitrag pro Versuchsteilnehmer von 1000 auf 3000 Fr. erhöhte. Das Schweizer Projekt ist insofern einzigartig, als in England, wo seit Jahren mit Erfolg das "Liverpooler Modell" der medizinisch überwachten Drogenabgabe funktioniert, der Staat diese Abgabe zwar toleriert, dabei aber keine aktive Rolle spielt [39].
Dennoch bekundeten einzelne Kantone grosse Schwierigkeiten mit der Finanzierung, insbesondere auch, da sich die Krankenkassen weigerten, einen Beitrag an die Projekte auszurichten, obgleich sie vom BAG dazu aufgefordert worden waren. Vor allem in Kantonen, welche für grössere Ausgaben das Finanzreferendum kennen, stellte sich die Frage, wie die vielfach umstrittenen Versuche einer Volksabstimmung entzogen werden könnten. In Bern entschloss man sich schliesslich dazu, die Projekte in einzelne Vorlagen aufzusplitten, um damit unter der für das Finanzreferendum massgeblichen Grenze zu bleiben. In Basel-Stadt wies der anbegehrte Kredit nur die Nettobelastung des Kantons aus und blieb damit ebenfalls unterhalb der Referendumslimite [40].
Als erster Kanton beteiligte sich der Kanton Tessin an einer vom BAG initiierten gesamtschweizerischen Erfassung der Methadon-Therapien und forderte die auf seinem Territorium praktizierenden Ärztinnen und Ärzte auf, die Daten über ihre Methadon-Patienten den Behörden abzuliefern. Im BAG wurde geschätzt, dass von den rund 30 000 Drogenabhängigen der Schweiz ungefähr 10 000 in einer Methadon-Therapie stehen. Der Bund will die Beobachtungen über die Ersatzdroge Methadon nun aus der ganzen Schweiz zusammentragen, damit sich die Ärztinnen und Ärzte besser mit dem Medikament vertraut machen können. Zudem soll damit statistisches Material gesammelt werden, um künftige politische Entscheide zu unterstützen [41].
Nachdem sich bereits Bundesrätin Ruth Dreifuss bei einem Augenschein in der Zürcher Drogenszene für mehr Menschlichkeit im Umgang mit Drogenabhängigen sowie weniger Emotionen in der Drogenpolitik ausgesprochen und die Möglichkeit einer breiteren staatlichen Drogenabgabe nicht ausgeschlossen hatte, bekam die Diskussion zu Jahresende neue Impulse durch zwei weitere SP- bzw. ex-SP-Exponenten, nämlich den designierten Bundespräsidenten Otto Stich und die abtretende Zürcher Fürsorgedirektorin Emilie Lieberherr. Stich, bisher nicht für sein liberales Drogenengagement bekannt, sprach sich in mehreren Interviews dezidiert für ein pragmatischeres Vorgehen und damit für die staatliche Drogenabgabe aus. Lieberherr betonte ebenfalls, nur eine kontrollierte Abgabe der "auf der Gasse" gehandelten Drogen könne die Drogenszene aus der Kriminalität führen und die Drogensüchtigen einer effizienten Betreuung und Ausstiegshilfe zuführen [42].
In seiner Antwort auf eine von 147 Parlamentarierinnen und Parlamentariern unterzeichnete Motion Sieber (evp, ZH) erklärte sich der Bundesrat bereit, die Unterstützung des Bundes beim Aufbau eines Selbsthilfedorfes für ausstiegswillige Drogenabhängige zu prüfen. Als möglichen bundeseigenen Standort nannte er ein zur Zeit unbenutztes Terrain in Lutry (VD) [43].
Das Institut für Sozial- und Präventivmedizin der Universität Lausanne zog im Auftrag des BAG eine erste Bilanz der Massnahmen des Bundes zur Verminderung der Drogenprobleme und machte dabei vor allem Lücken in den auf ganz junge Menschen ausgerichteten Präventionsmassnahmen aus [44].
Unter dem Motto "Ohne Drogen — mit Sport" will das BAG den Sport gezielt in den Dienst von Suchtprävention und -therapie stellen. Zusammen mit der Eidg. Sportschule Magglingen sollen Sportvereine für die Suchtbekämpfung gewonnen werden. Die Initiative besteht aus zwei Hauptprojekten in den Bereichen Prävention und Therapie, die jeweils auf lokaler Ebene durchgeführt werden. Die Kosten für diese Initiativen, welche vorerst bis 1995 laufen, wurden auf rund zwei Mio Fr. veranschlagt [45].
Ende März beauftragte der Bundesrat das EDI, eine Ratifikationsbotschaft für den Beitritt der Schweiz zu drei UNO-Abkommen über Betäubungsmittel — dem Psychotropen-Abkommen von 1971, dem Zusatzprotokoll von 1972 zum Einheitsübereinkommen von 1961 und der Wiener Konvention von 1981 — auszuarbeiten. Wie dies in der vorangegangenen Vernehmlassung mehrheitlich gefordert wurde, wird die Schweiz dem Wiener Abkommen nur mit einem breitgefassten Vorbehalt beitreten, um sich die nötige Handlungsfreiheit bei der Ausgestaltung ihrer künftigen Drogenpolitik zu erhalten. Insbesondere behält sie sich die zukünftige Revision der strafrechtlichen Normen des Betäubungsmittelgesetzes – bis hin zum straffreien Drogenkonsum – ausdrücklich vor. Gleichzeitig betonte der Bundesrat aber, dass er in nächster Zeit nicht beabsichtige, von der heutigen Praxis der Strafverfolgung Abstand zu nehmen [46].
Die Volksinitiative "Jugend ohne Drogen" wurde mit 140 949 gültigen Unterschriften eingereicht. Die Sammlung der Unterschriften erfolgte mit Unterstützung zahlreicher Sportler und in enger Zusammenarbeit mit dem umstrittenen "Verein zur Förderung der psychologischen Menschenkenntnis" (VPM). Fast die Hälfte der Unterschriften stammte aus der Romandie [47].
Mitte Mai lancierte die Arbeitsgemeinschaft für Drogenlegalisierung ("Droleg"), die Nachfolgeorganisation des "Vereins gegen gesellschaftliche Gleichgültigkeit" (VGGG) mit Unterstützung der Grünen und der SP die Volksinitiative "Für eine vernünftige Drogenpolitik/Tabula rasa mit der Drogenmafia". Sie verlangt, dass der Drogenkonsum entkriminalisiert wird und der Staat Handel und Herstellung von Betäubungsmitteln regelt. Der Text der Initiative hatte bis zuletzt zu heftigen Diskussionen geführt. Über die generelle Stossrichtung waren sich die in der Trägerschaft zusammengeschlossenen Gassenarbeiter, Drogenfachleute, Ärzte, Juristen und Politiker weitgehend einig. Umstritten war hingegen die sogenannte Medizinalisierung der Drogenabgabe. Schliesslich setzten sich die Gassenarbeiter mit ihrer Variante durch, wonach Betäubungsmittel, die heute illegal konsumiert werden, wie Haschisch, Heroin und Kokain, nach Annahme des Volksbegehrens frei und ohne Rezept bezogen werden könnten. Nicht glücklich über diesen Entscheid war der St. Galler SP-Nationalrat Rechsteiner, der massgeblich an der Ausarbeitung der Initiative beteiligt gewesen war und nun befürchtete, damit werde die politische Grundsatzdiskussion auf einen Nebenschauplatz abgedrängt. Wegen dieser Bedenken und der Skepsis der welschen Genossen beschloss der Vorstand der SP, die Initiative zwar zu unterstützen, dem Trägerverein aber nicht beizutreten [48].
Für die 1992 von den "Schweizer Hanf-Freunden und -Freundinnen" lancierte Volksinitiative "Schweizer Hanf", welche eine Aufhebung der restriktiven Cannabis-Gesetzgebung erreichen wollte, konnten innerhalb eines Jahres nur gerade knapp 70 000 Unterschriften gesammelt werden, weshalb die Initianten Ende September ihr Volksbegehren für gescheitert erklärten. Die Hanffreunde wollen inskünftig vermehrt Vertrauen in die Justiz setzen, welche in den letzten Jahren verschiedentlich Cannabis für relativ unbedenklich im Sinn der Betäubungsmittelgesetzgebung befunden hat [49].
Einigen Wirbel verursachte die Ankündigung, ein dem Verein "Schweizer Hanf-Freunde und -Freundinnen" nahestehender Bauer im Wallis wolle erstmals seit Jahren in der Schweiz wieder Hanf anbauen, um aus dessen Blättern Kräutertee bzw. Schnurwaren herzustellen. Die zur Gewinnung von Haschisch geeigneten Blüten- und Fruchtstände sollten, zumindest offiziell, vorgängig entsorgt werden. Da der Anbau von Hanf in der Schweiz momentan nicht erwünscht sei, verweigerte das Bundesamt für Landwirtschaft ein eingereichtes Subventionsbegehren, und nach einer gewissen Zeit der Ratlosigkeit – der Anbau von Hanf ist nur zur Gewinnung von Haschisch verboten – griffen die Walliser Polizeibehörden ein und zerstörten die Ernte, worauf der Bauer die Behörden mit einer Schadenersatzklage bedrohte, da die Ernte bereits verkauft war [50].
Für die Kontroverse um dealende Ausländer und Asylbewerber siehe oben, Teil I, 1 b (Strafrecht).
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Drogenpolitik in den Kantonen und Städten
Im Spätwinter des Vorjahres hatten die Stadtbehörden von Bern und Zürich die beiden offenen Szenen Kocherpark und Platzspitz geschlossen in der Hoffnung, auswärtige Drogenkonsumentinnen und -konsumenten in ihre Wohnsitzkantone zurückzudrängen und so die offenen Szenen verkleinern zu können. Immer deutlicher.zeigte sich aber, dass dieser Versuch nicht gelungen war. In Bern konnte eine grössere Szenenbildung verhindert werden, doch führte dies in erster Linie dazu, dass die Situation unübersichtlicher wurde, die Polizei fast pausenlos im Einsatz stand und für die Süchtigen der Beschaffungsstress zunahm. In Zürich verteilten sich die Drogenkonsumenten vorerst auf die an den Platzspitz angrenzenden Quartiere, was zu einer unerträglichen Belastung der dortigen Wohnbevölkerung führte. Schliesslich bildete sich am stillgelegten Bahnhof Letten eine neue offene Szene [51].
Vor allem in Zürich ergaben sich bedeutende Probleme bei der 1992 beschlossenen Rückführung der auswärtigen Drogensüchtigen in ihre Wohngemeinden bzw. -kantone. Meistens kehrten die weggewiesenen Drogenkonsumenten, vor allem jene aus dem sehr repressiven Kanton Aargau, umgehend in die Zürcher Szene zurück. Um ihnen den Aufenthalt dort zu vergällen, beschloss die Stadtzürcher Regierung im Sommer, ein Notgefängnis (Zentrum Hegibach) für auswärtige Drogenabhängige einzurichten und mittels fürsorgerischem Freiheitsentzug (FFE) die Polizeihaft von der gesetzlich zulässigen ' Höchstdauer von 24 auf bis zu 72 Stunden auszudehnen. Damit sollten die auswärtigen Drogensüchtigen einem kalten Entzug ausgesetzt und der Druck auf die Herkunftsgemeinden verstärkt werden. Die Massnahme war sowohl rechtlich als bezüglich ihrer Effizienz alles andere als unbestritten, wurde durch die kantonale psychiatrische Gerichtskommission aber dennoch grundsätzlich gestützt [52].
Die Weiterführung des Aufenthalts- und Betreuungsraum für Drogenabhängige, der 1992 als Provisorium im Stadthaus von Luzern eingerichtet worden war, wurde trotz positiver Erfahrungen und der Unterstützung der politischen Behörden von den Stimmberechtigten der Stadt und des Kantons an der Urne abgelehnt. 54% der Stimmenden verwarfen den notwendigen Betriebskredit von jährlich 165 000 Fr. für den Fixerraum, weshalb dieser Ende März 1994 seine Tore schliessen wird [53].
Mit Basel-Stadt musste erstmals ein Kanton für die Einwirkungen eines Fixerraumes auf die Umgebung gradstehen und den Geschädigten Schadenersatz zahlen. Die Anwohner eines zwischen 1991 und 1993 betriebenen Gassenzimmers erreichten vor Bundesgericht, dass ihnen ein Teil der von ihnen ergriffenen Abwehr- und Schutzmassnahmen von der öffentlichen Hand rückerstattet werden musste [54].
Die Stadt Bern will der Internationalen Städtekonferenz für Drogenprobleme als Vollmitglied beitreten und ist bereit, die Frankfurter Resolution zu unterschreiben, welche unter anderem anstrebt, den Konsum von heute illegalen Drogen zu entkriminalisieren und die niederschwellige Abgabe von Methadon, die kontrollierte Verschreibung von Suchtmitteln, die Schaffung von Anlaufstellen und Fixerräumen sowie die Abgabe steriler Spritzen zu ermöglichen. Bern ist nach Zürich die zweite Schweizer Stadt, welche der Organisation beitritt. Der Konferenz gehören bis jetzt Amsterdam, Frankfurt/M., Hamburg, Rotterdam, Arnhem (NL), Kallithea (GR) und Teramo (I) an [55].
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Tabak und Alkohol
In der Frühjahrssession wurden die Zwillingsinitiativen für eine Verminderung der Tabakprobleme und für eine Verminderung der Alkoholprobleme, die ein völliges Werbeverbot für Tabak und Alkohol verlangten, vom Ständerat, welcher das Geschäft als Erstrat behandelte, klar verworfen. Die kleine Kammer erachtete den Einfluss der Werbung auf das Konsumverhalten insbesondere der Jugend als nicht erwiesen und betonte die negativen materiellen Auswirkungen der Initiativen auf die Werbebranche und das kulturelle Sponsoring. Vergeblich appellierte Bundesrat Cotti an den Rat, zumindest auf den moderateren Gegenvorschlag des Bundesrates einzutreten, welcher nur die Plakat- und Kinowerbung verbieten, die informierende Werbung in den Printmedien und an den Verkaufsstellen sowie das Sponsoring unter gewissen Auflagen jedoch zulassen wollte. Gegen die engagierten Voten von Meier (cvp, LU), Onken (sp, TG) und Schiesser (fdp, GL), die sich für den Jugendschutz stark machten und an die menschlichen und volkswirtschaftlichen Folgen übermässigen Alkohol- und Tabakkonsums erinnerten, wurde auch dieser Vorschlag deutlich abgelehnt. Ihm warfen die Gegner jeglicher Werbebeschränkung vor, nicht praktikabel zu sein und der Werbebranche jährlich Aufträge in der Höhe von 100 bis 150 Mio Fr. zu entziehen [56].
Da aber in der Debatte praktisch alle Votanten die gesundheitsschädigende Wirkung des Rauchens unterstrichen hatten, überwies der Rat eine Motion seiner vorberatenden Kommission, welche den Bundesrat auffordert, eine Vorlage auszuarbeiten, damit aus der Tabaksteuer ein angemessener Anteil für Gesundheitserziehung und Prävention zur Verfügung gestellt werden könne, wobei die Leistung nicht zu Lasten der Ablieferung an die AHV/IV gehen dürfe. Gegen den Willen des Bundesrates, der darauf hinwies, dass dafür eine Verfassungsänderung notwendig wäre, da Art. 34quater BV alle Mittel aus der Tabaksteuer zweckgebunden der AHV und IV zuweist, wurde die Motion, wenn auch nur knapp, angenommen [57].
Der Nationalrat übernahm praktisch die Argumentation des Ständerates und lehnte ebenfalls sowohl die Initiativen als auch den bundesrätlichen Gegenvorschlag deutlich ab. Bei der ständerätlichen Präventions-Motion setzte sich hingegen der Bundesrat durch und erreichte eine Überweisung in der unverbindlichen Form des Postulates [58].
Bei dieser Ausgangslage hatten die beiden Initiativen in der Volksabstimmung keine Chance, umso mehr als die Gegner der Initiativen — in erster Linie die Tabakindustrie und die Werbung — weder Mittel noch Wege scheuten, um die Initiativen, die sie in erster Linie als werbe- und arbeitsplatzfeindlich darstellten, zu Fall zu bringen. Dabei fanden sie die nahezu uneingeschränkte Unterstützung der Printmedien, welche sich in Zeiten ohnehin rückläufigen Inseratevolumens unmissverständlich auf die Seite ihrer potenten Auftraggeber stellten. Gegen die Initiativen sprach sich aber auch ein " Schweizerisches Aktionskomitee gegen unbrauchbare Werbeverbote" aus, in welchem sich 150 Bundesparlamentarier und -parlamentarierinnen aus allen grösseren Parteien zusammenschlossen. Dem Präsidium gehörten neben Nationalrätin Heberlein (fdp, ZH), Ständerat Delalay (cvp, VS) und Nationalrätin Zölch (svp, BE) auch der Basler SP-Nationalrat Hubacher an, der sich in dieser Frane gegen die Meinung seiner Partei stellte [59].
Die einzige Überraschung des Abstimmungsresultates lag denn auch in seiner Deutlichkeit. 1979 hatten sich noch 41% der Stimmenden für ein analoges Volksbegehren ("Guttempler-Initiative") ausgesprochen, Basel-Stadt sogar mit mehr als 50%. Besonders massiv wurden die beiden Initiativen in der Westschweiz (mit Ausnahme von Genf) und im Kanton Schwyz abgelehnt, wo sich über vier Fünftel der Urnengängerinnen und Urnengänger gegen sie aussprachen. Am "verbotsfreundlichsten" zeigten sich die Kantone Basel-Stadt und Zürich mit rund 33% bzw. 31% Ja-Stimmen [60].
Volksinitiative "zur Verhinderung der Alkoholprobleme". Abstimmung vom 28. November 1993
Beteiligung: 44,7%
Nein: 1 527 165 (74,7%) / 20 6/2 Stände
Ja: 516 054 (25,3%) / 0 Stände

Parolen:
– Nein: FDP, CVP (4*), SVP, LP, AP, Lega; Vorort, SGV
– Ja: SP (3*), GP, PdA (1*), LdU (3*), EVP, EDU, SD (3*)
* In Klammer Anzahl abweichender Kantonalsektionen
Volksinitiative "zur Verminderung der Tabakprobleme". Abstimmung vom 28. November 1993
Beteiligung: 44,7%
Nein: 1 521 885 (74,5%) / 20 6/2 Stände
Ja: 521 433 (25,5%) / 0 Stände

Parolen:
Nein: FDP, CVP (3*), SVP, LP, AP, Lega; Vorort, SGV
Ja: SP (3*), GP, PdA (1*), LdU (3*), EVP, EDU, SD (3*)
* In Klammer Anzahl abweichender Kantonalsektionen
Wie die Vox-Analyse dieser Abstimmung zeigte, fanden die beiden Initiativen bei den Frauen erheblich mehr Zustimmung als bei den Männern. Seit dem Beginn der Vox-Analysen 1977 wurde nie eine so grosse Differenz zwischen dem Stimmverhalten der Frauen und der Männer – 18% beim Tabakverbot – beobachtet. Tiefe Ja-Anteile ergaben sich in der jüngsten Alterskategorie, in der Romandie und in den ländlichen Gebieten. Besonders im rot-grünen Lager beeinflusste der politische Standort das Stimmverhalten nur teilweise. Einzig die Gefolgschaft von LdU/EVP stimmte beiden Initiativen zu, die Grünen nahmen nur die Tabakinitiative an, während die Anhänger der SP mehrheitlich nicht der Parteiparole folgten. Die meistgenannten Motive zur Verwerfung der Initiativen waren die Angst vor zusätzlicher Arbeitslosigkeit und die Überzeugung, dass ein Verbot wirkungslos wäre bzw. durch ausländische Medien umgangen würde [61].
Wie vor ihm bereits der Nationalrat, überwies auch der Ständerat nach kurzer Diskussion den unbestrittenen Teil einer Motion Gonseth (gp, BL), welcher verlangt, dass zur Verminderung der alkoholbedingten Opfer des Strassenverkehrs so rasch als möglich die gesetzlichen Grundlagen zur Durchführung systematischer Atemluftkontrollen geschaffen werden [62].
Das Eidg. Versicherungsgericht (EVG) entschied in einem neuen Grundsatzurteil, dass sich eine Person, die durch Alkohol- oder Tabakmissbrauch zum Invaliden wird, inskünftig keine IV-Rentenkürzung mehr gefallen lassen muss. Das EVG berief sich dabei auf zwei internationale Abkommen, welche die Kürzung einer Invalidenrente nur zulassen, wenn jemand seine Gesundheit absichtlich geschädigt hat. Nach Auffassung des EVG ist äusserst fraglich, ob bei chronischem Missbrauch von Alkohol und Tabak überhaupt je von absichtlichem Selbstverschulden die Rede sein kann [63].
 
[35] Verhandl. B.vers., 1993, V, S. 53. Für ein Grundlagenpapier der CVP zur Drogenproblematik siehe Presse vom 15.10.93.
[36] Amtl. Bull. StR, 1993, S. 35 f.
[37] LNN, 23.4.94. Diese Zahlen sind nicht sehr aussagekräftig, da die indirekten Todesursachen, beispielsweise durch eine HIV-Infektion, dabei nicht erfasst werden.
[38] Amtl. Bull. NR, 1993, S. 1180 ff. (Initiativen) und 1394 (Postulat).
[39] Presse vom 25.6., 11.11. und 1.12.93; WoZ, 17.12.93.
[40] Allgemein: Presse vom 15.7., 19.8. und 20.8.93; NZZ, 30.7.93; SoZ, 29.8. und 31.10.93; TA, 12.11.93. Bern: BZ, 25.6.93; Bund, 10.11. und 26.11.93. Basel: Bund, 24.11.93; BaZ, 17.12. und 20.12.93.
[41] Presse vom 12.8.93.
[42] Presse vom 29.11. (Dreifuss), 27.12. (Stich) und 29.12.93 (Lieberherr).
[43] Presse vom 21.12.93. Siehe dazu auch die Ausführungen Siebers in Amtl. Bull. NR, 1993, S. 1190 f.
[44] NZZ, 8.12.93.
[45] Presse vom 23.1.93; NZZ, 11.9.93.
[46] Presse vom 1.4.93. Siehe auch SPJ 1992, S. 219.
[47] BBl, 1993, III, S. 568 ff.; Presse vom 23.4., 28.4., 23.7. und 28.9.93; Ww, 29.7.93. Siehe dazu auch SPJ 1992, S. 218.
[48] BBl, 1993, II, S. 103 f.; WoZ, 19.2.93; NZZ, 22.3., 17.4. und 3.7.93; TA, 24.4.93; Presse vom 17.5. und 19.5.93. Siehe dazu auch SPJ 1992, S. 218. Die Initiative wird auch von vielen kantonalen und lokalen Jungparteien bürgerlicher Richtung unterstützt: LZ, 22.6.93; BüZ, 22.7.93.
[49] Bund, 29.9.93. Zur Cannabis-Einschätzung des Bundesgerichtes siehe SPJ 1991, S. 219. Im Berichtsjahr änderte das BG auch seine langjährige Praxis bezüglich Heroin: inskünftig wird erst der Verkauf von mehr als 12 Gramm reinen Heroins als schwere Widerhandlung gegen das BetMG gewertet; bisher hatte schon die gleiche Menge gestreckten Stoffes für eine Verhängung der Mindeststrafe von einem Jahr Gefängnis oder Zuchthaus genügt (TA, 1.10.93; NZZ, 12.10.93).
[50] Bund, 15.7. und 24.7.93; NF, 7.8.93; Presse vom 12.8.93. Auch die drogenpolitisch völlig unbelastete Zeitung "Schweizer Bauer" setzte sich für den Anbau von Schweizer Hanf ein: Presse vom 30.12.93.
[51] TW, 5.2.93; NQ, 10.3., 23.5. und 7.9.93; Bund, 24.3. und 19.7.93; TA, 12.6.93; CdT, 23.6.93. Für die Situation in den Städten Basel und Solothurn siehe TA, 13.12.93.
[52] TA, 10.6., 1.7., 5.7., 23.7., 7.8., 26.8., 28.8., 2.9., 7.9., 10.9., 23.9., 30.9., 9.11. und 15.12.93. Die Konferenz Nordwestschweizer Regierungen beschloss, zentrale Meldestellen für auswärtige Drogenabhängige einzuführen. Ziel des Unterfangens, an dem sich die Kantone AG, BL, BS, BE und SO beteiligen, ist die Rückführung auswärtiger Drogensüchtiger in ihre Wohngemeinden (TA, 24.8.93).
[53] LNN, 27.8., 24.9. und 29.11.93; NZZ, 24.12.93. Eine aus SVP-Kreisen lancierte Initiative gegen die Errichtung eines Fixerraumes in Thun (BE) wurde vom Bundesgericht für ungültig erklärt, da sie nicht die dafür notwendigen Kredite, sondern das Vorhaben an sich im Visier hatte. Das BG erklärte, Vollzug und Anwendung des BetMG seien Angelegenheit der zuständigen Verwaltungs- und Justizbehörden und nicht der Stimmbürger (Bund, 23.6., 19.7. und 11.12.93).
[54] Presse vom 23.12.93; BZ, 24.12.93.
[55] Bund, 18.6.93.
[56] Amtl. Bull. StR, 1993, S. 19 ff., 451 und 580.
[57] Amtl. Bull. StR, 1993, S. 33 ff.
[58] Amtl. Bull. NR, S. 890 ff., 908 (Motion) und 1451.
[59] NQ, 30.6.93; CdT, 1.7.93; Presse vom 8.9., 15.10., 27.10., 11.11. und 22.-26.11.93; NZZ, 20.10., 5.11., 12.11. und 19.11.93; WoZ, 29.10.93; TA, 1.11. und 20.11.93; LZ, 6.11.93; JdG, 20.11.93.
[60] BBl, 1994, I, S. 469 ff.; Presse vom 29.11.93.
[61] Vox, Analyse der eidgenössischen Abstimmungen vom 28. November 1993, Adliswil 1994.
[62] Amtl. Bull. StR, 1993, S. 543 f. Siehe auch SPJ 1992, S. 220 f.
[63] BZ, 16.9.93.