Année politique Suisse 1994 : Politique sociale / Santé, assistance sociale, sport
 
Gesundheitspolitik
Die erstmals vom Bundesamt für Statistik durchgeführte Schweizerische Gesundheitsbefragung zeichnete das Bild einer sich mehrheitlich gesund fühlenden und gesundheitsbewussten Bevölkerung. Über 80% der Befragten schätzten ihren gesundheitlichen Zustand spontan als gut bis sehr gut ein. Für fast 90% spielen gesundheitliche Überlegungen eine wichtige Rolle bei ihrer Lebensgestaltung. Dennoch rauchen rund 30% der Bevölkerung, und ein gleicher Anteil trinkt häufiger als zweimal pro Woche Alkohol. Nur gerade jede vierte Person betätigt sich körperlich ausreichend. Wie bereits frühere Untersuchungen gezeigt hatten, sind Gesundheit, Konsumverhalten und Ernährungsbewusstsein stark von der sozialen Herkunft und der Bildung abhängig. Je höher das Bildungsniveau ist, desto mehr wird auf eine gesunde Lebensweise geachtet. Die Befragung wies auch sprachregionale Unterschiede im Gesundheitsbewusstsein nach. In der deutschen Schweiz ist es in 90% der Bevölkerung verbreitet, in der Romandie kümmern sich nur 77% im Alltag um ein gesundes Leben. Das Tessin liegt im schweizerischen Mittel. Bei den Frauen ist das Gesundheitsbewusstsein mit 89% stärker ausgeprägt als bei den Männern [1].
Die Schweiz beteiligte sich aktiv an der Konferenz "Umwelt und Gesundheit", welche im Juni des Berichtsjahres in Helsinki stattfand. Die von der WHO Region Europa einberufene Tagung hatte zum Ziel, eine Konkretisierung von Kapitel 6 der Agenda 21 für eine nachhaltige Entwicklung umzusetzen. Kernstück der "Erklärung von Helsinki über Massnahmen für Umwelt und Gesundheit in Europa" ist die Bildung eines europäischen Ausschusses für Umwelt und Gesundheit, in dem die Schweiz durch den Direktor des BUWAL vertreten ist [2].
Der Bundesrat beauftragte das EDI, bis Ende des Berichtsjahres eine Verordnung auszuarbeiten, mit welcher die Eurokompatibilität der Medizinprodukte sichergestellt werden soll. Im Gegensatz zu Arzneimitteln fehlen in der Schweiz Vorschriften für Medizinprodukte weitgehend. Zu dieser Produktegruppe gehören Herzschrittmacher, künstliche Gelenke, Implantate, Spritzen, chirurgische Instrumente, Röntgenapparate, Kontaktlinsen und Kondome. In den EWR-Staaten müssen ab 1. Januar 1995 die EU-Richtlinien über Medizinprodukte angewendet werden, weshalb ohne autonomen Nachvollzug die Gefahr bestünde, dass die Schweiz zum Absatzmarkt für im EWR nicht mehr handelsfähige Produkte würde [3].
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Kostenentwicklung
Die Kostenentwicklung im Gesundheitswesen und neue epidemiologische Probleme erfordern eine Neuordnung der Gesundheitsstatistik. Die Spital- und Heimstatistik soll in die amtliche Statistik integriert und revidiert werden. Ein entsprechendes Konzept wurde vom EDI zuhanden der Konferenz der kantonalen Sanitätsdirektoren verabschiedet. Bereits eingeführt wurde eine Erhebung über die ambulanten Behandlungen im Alkohol- und Drogenbereich [4].
Das Bundesamt für Statistik (BFS) veröffentlichte erstmals Schätzungen über die Gesundheitskosten für das laufende sowie das darauffolgende Jahr. Es stützte sich dabei auf die neuesten Indikatoren der Ausgaben für Güter und Dienstleistungen im Gesundheitswesen. Zusammen mit den Statistiken der Jahre 1985 bis 1991 konnten so die Trends für den Zeitraum 1985 bis 1995 ermittelt werden. Das BFS schätzte die Gesundheitskosten für 1994 auf rund 36 Mia Fr. und für das kommende Jahr auf 39 Mia Fr. Die jährliche Kostensteigerung dürfte zwischen 1991 und 1995 durchschnittlich 7,1% ausmachen, während sie von 1989 bis 1991 noch 10,3% betrug. Die Finanzierung nach Kostenträgern ergab, dass gut die Hälfte (50,5%) durch die Sozialversicherungen bezahlt wird. Die andere Hälfte geht im wesentlichen zulasten der Haushalte (27,6%) und der öffentlichen Hand (19,7%). Berücksichtigt man allerdings die tatsächliche wirtschaftliche Belastung, so übernehmen die privaten Haushalte (via Krankenkassenprämien und Direktzahlungen) 61,5% der Ausgaben und der Staat (durch Subventionen und direkte Dienstleistungen) lediglich 28,5% [5].
Der vom Parlament auf Anfang 1992 verfügte Tarif- und Preisstopp im Gesundheitswesen hat Wirkung gezeigt. Besonders in den Spitälern fielen die Kosten bedeutend geringer aus als in den Vorjahren. Die Zuwachsrate bei den Krankenpflegekosten in der Grundversicherung blieb 1993 und 1994 aber immer noch deutlich über der Lohn- und Preisentwicklung. Auch der härter gewordene Konkurrenzkampf unter den Krankenkassen trug zu einer Entspannung im Prämienbereich bei. Erstmals seit Jahren drohten die Kassen nicht mit massiven Prämienerhöhungen für das kommende Jahr, sondern sprachen von einem Einfrieren oder gar einer Senkung der Prämien für 1995 [6].
Als schweizerische Premiere unterstellte der Kanton Waadt die privaten Kliniken und die privaten Abteilungen der öffentlichen Spitäler einem Katalog von Qualitätskriterien. Je nach Ausgestaltung ihrer Leistungen im Operationsbereich, in der Pflege sowie in Unterkunft und Verpflegung erhalten sie seit Beginn des Berichtsjahres abgestufte Entschädigungen [7].
Im Kanton Zürich schlug die Gesundheitsdirektion einen Umbau des gesamten Spitalwesens in zwei Schritten vor. Mit dem Systemwechsel zur leistungsorientierten Krankenhaussteuerung sollen Konzernstrukturen, Lean Management und Wettbewerb auch in den Spitälern Einzug halten, mit dem späteren Wechsel zur integrierten regionalen Leistungssteuerung Gesundheits- und Sozialwesen miteinander verschmolzen werden. Ziel der ersten Etappe ist ein (freiwilliger) Abbau von rund 1500 Akutbetten und Kosteneinsparungen bis zu 25%. Der Kanton St. Gallen führte seinerseits für drei Kantonsspitäler Globalbudgets ein [8].
Zwischen der kantonalen Ärztegesellschaft (KAG) und dem Krankenkassenverband des Kantons Bern (KVBK) hatte sich im Jahr 1993 ein Streit entwickelt, nachdem die Ärzteorganisation jenen Mitgliedern, die den Abschluss von Sonderverträgen mit den Krankenkassen beabsichtigten, mit Sanktionen gedroht hatte. Dies nahm die Eidg. Kartellkommission zum Anlass, den bernischen Markt für ärztliche Dienstleistungen zu durchleuchten. Die Kartellkommission empfahl der KAG, die ausgesprochenen Drohungen (Ausschluss aus der Ärztegesellschaft, Aberkennung des FMH-Titels) zu widerrufen, da diese, weil sie das Entstehen tarifvertraglicher Alternativen verhindern, als Kartell im Sinn von Art. 2 Abs. 1 des Kartellgesetzes zu qualifizieren seien. Mit derselben Begründung wurde der KAG empfohlen, von dem in der Standesordnung festgehaltenen Sondervertrags- und Tarifunterschreitungsverbot Abstand zu nehmen. Da für diese Wettbewerbsbehinderungen keine zwingenden oder überwiegenden Gründe des Gesamtinteresses ersichtlich seien, müssten diese Abreden als schädlich erachtet werden. Im weiteren rief die Kartellkommission der KAG die ärztliche Pflicht zur Aufklärung der Patientinnen und Patienten auch über die Kosten einer Behandlung und von Behandlungsalternativen in Erinnerung.
Dem KVBK empfahl die Kommission, die Verpflichtung der Mitgliedkassen auf die Verbandsverträge und den Sondervertragsverzicht aufzuheben, da auch diese eine erhebliche Wettbewerbseinschränkung darstelle. Das Bundesamt für Sozialversicherung wurde mit Blick auf die Realisierung kostenbegrenzender Massnahmen in der Krankenversicherung ermuntert, eine aktivere, koordinierende Rolle zu übernehmen, insbesondere durch den Verzicht auf eine zu restriktive Regelung der Prämienreduktion bei besonderen Versicherungsformen (HMO, Bonus, erhöhte Franchise) und durch die Beseitigung wettbewerbsverzerrender Auswirkungen des Risikoausgleichs unter den Krankenkassen [9].
Auf Druck des Preisüberwachers verzichtet die Schweizerische Zahnärztegesellschaft inskünftig darauf, ihren Mitgliedern Mindestpreisvorschriften zu machen. Mit der Auflösung des Preiskartells eröffnen sich den Zahnärztinnen und Zahnärzten gegen unten unbeschränkte Honorarspielräume. Nach Einschätzung des Preisüberwachers wird sich der neue Modus preis- und kostendämpfend auswirken [10].
Für die Diskussionen um die mögliche Einführung eines Numerus clausus an den medizinischen Fakultäten siehe unten, Teil I, 8a (Hautes Ecoles).
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Medizinische Leistungen
Mit zwei Motionen forderten die Ständeräte Huber (cvp, AG) und Onken (sp, TG) den Bundesrat auf, für die Bewältigung der vielfältigen rechtlichen und organisatorischen Probleme der Transplantationsmedizin das notwendige Recht auf Verfassungs- und Gesetzesebene zu erarbeiten und damit dem aufkommenden (Schwarz)Handel mit Transplantaten rechtzeitig einen Riegel zu schieben. Es gibt zwar eine Norm der Schweizerischen Akademie der medizinischen Wissenschaften, die den Verkauf von Organen untersagt, auf der Anonymität der Spender besteht und die Kostenlosigkeit einer Organspende verlangt, doch fehlt ihr die verbindliche Rechtskraft zur Bekämpfung von möglichen Missbräuchen. Transplantationen von Nieren, Herz, Leber und Knochenmark haben in den letzten Jahren massiv zugenommen. Da es aber nicht genügend Spenderinnen und Spender gibt, um die steigende Nachfrage sicherzustellen, ist die Gefahr von ethisch unsauberen Machenschaften beträchtlich. Der Bundesrat anerkannte den dringlichen Handlungsbedarf in diesem Bereich und war bereit, die beiden Motionen entgegenzunehmen, worauf sie diskussionslos angenommen wurden [11].
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Spitex
Im Januar wurde das neue Interdisziplinäre Spitex-Zentrum (ISB) in Zürich eröffnet. Neben einer fundierten Grundausbildung für angehende Gesundheitspflegerinnen und -pfleger bietet die Schule ein erweitertes Fortbildungsangebot für alle Spitex-Interessierten sowie eine grössere Dienstleistungspalette an. An der ISB sind 14 Deutschschweizer Kantone, das Fürstentum Liechtenstein und neun schweizerische Organisationen beteiligt, die alle im Bereich der spitalexternen Beratung, Hilfe und Pflege tätig sind. Das bisher stark föderalistisch betonte Spitex-Wesen hat damit seine erste kantonsübergreifende Dachorganisation erhalten [12].
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Medikamente
Nach dem Nichtbeitritt von zwei Kantonen zum interkantonalen Heilmittelkonkordat von 1988 wurde im Bereich der Heilmittelkontrolle ein allseitiger Handlungsbedarf im Sinn einer Bundeslösung ausgemacht. Auf Initiative der Interkantonalen Vereinigung für die Kontrolle der Heilmittel (IKV) und gestützt auf einen im Berichtsjahr erstellten Expertenbericht (s. unten) beauftragte der Bund das EDI, ihm einen Entwurf zu einem Bundesgesetz über die Heilmittel zu unterbreiten und die Gründung einer eidgenössischen Heilmittelkontrollstelle als eine rechtlich selbständige Anstalt des Bundes in die Wege zu leiten. Die Bundesregelung soll spätestens im Jahr 2000 in Kraft treten können [13]. Im Parlament dürfte sich kein Widerstand gegen die neue Lösung regen. Nachdem der Ständerat noch im Vorjahr eine diesbezügliche Motion Weber (ldu, ZH) deutlich abgelehnt hatte, verabschiedete er nun auf einstimmigen Antrag seiner Kommission eine analoge Motion des Nationalrates diskussionslos [14].
In Zusammenarbeit mit der Preisüberwachung und der Eidg. Arzneimittelkommission erarbeiteten das EDI und das Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) eine neue Arzneimittelverordnung, die eine Korrektur der Preisstruktur sowie Preissenkungen im Bereich der kassenpflichtigen Medikamente bewirken soll mit dem Ziel, die Schweizer Preise für Medikamente vermehrt den ausländischen anzunähern. Von den angestrebten Preissenkungen, welche für die Krankenkassen mittelfristig Einsparungen in Millionenhöhe bringen, werden nur Produkte auf der sogenannten Spezialitätenliste betroffen, das heisst jene Medikamente, die von den Krankenkassen zurückerstattet werden und demzufolge der Preiskontrolle durch das BSV unterstehen. Nach dem neuen Modell sollen ältere Originalpräparate durch eine Verkürzung der Preisschutzfrist billiger werden, neuere durch die Einführung eines Innovationszuschlags etwas teurer [15].
Die Interkantonale Kontrollstelle für Heilmittel (IKS) beschloss, bei der Registrierung eines Medikamentes den Detailverkaufspreis nicht mehr als Kriterium zu berücksichtigen. Die Preiskontrolle soll inskünftig durch den Preisüberwacher oder das BSV erfolgen. Gleichzeitig hob die IKS auch das Verbot der Publikumswerbung für jene Medikamente auf, die nur in Apotheken erhältlich sind. Für rezeptpflichtige Arzneien gilt das Werbeverbot aber weiterhin, ebenfalls für jene, die Suchtstoffe enthalten oder deren Anwendung ärztlicher Anleitung bedarf [16].
Die Berner Ärzte verloren an der Urne ihren Kampf für die uneingeschränkte Selbstdispensation in ihren Praxen. Die Stimmberechtigten verwarfen die Volksinitiative "für einen patientenfreundlichen Medikamentenbezug" deutlich. Den Initianten wurde im Vorfeld der Abstimmung vorgeworfen, mit einem irreführenden Titel agiert zu haben. So wurde das Volksbegehren von einem überparteilichen gegnerischen Komitee in "Nebenerwerbsinitiative" umgetauft. Der Kantonalverband bernischer Krankenkassen rechnete vor, dass in der Region Bern pro Arztpraxis und Jahr durch den Medikamentenverkauf im Durchschnitt 120 000 Fr. eingenommen werden, obgleich das geltende Gesetz die Abgabe von Medikamenten über die Erstversorgung hinaus nur dann erlaubt, wenn der Arzt in einer Ortschaft praktiziert, in der nicht mehr als eine öffentliche Apotheke besteht [17].
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Aids
Die Aids-Epidemie hat in der Schweiz in den letzten zehn Jahren die Mortalität bei Personen im Alter von 25 bis 44 Jahren stark beeinflusst. Dies ergab eine vom Bundesamt für Statistik zusammen mit dem BAG durchgeführte Analyse der neun häufigsten Todesursachen. Sowohl bei den Männern wie bei den Frauen im fraglichen Alter hatte Aids 1982 die neunte und damit letzte Position belegt. 1993 war Aids bei den Männern nach den Unfällen die zweithäufigste und bei den Frauen nach den Krebserkrankungen und der Selbsttötung die dritthäufigste Todesursache. Mit einer kumulativen Rate von 508,7 Aidsfällen pro Million Einwohner nahm die Schweiz Ende 1993 in Europa die zweite Position nach Spanien und vor Frankreich ein. Angesichts dieser Tatsachen unterstrich das BAG die Notwendigkeit, wirksame Massnahmen zur Prävention von HIV-Infektionen langfristig weiterzuführen [18].
Die noch von Bundesrat Cotti als Vorsteher des EDI eingesetzte Arbeitsgruppe "Blut und Aids" legte anfangs Jahr ihren Bericht vor. Sie attestierte den involvierten Bundesämtern zwar, bei den nach 1984 erfolgten HIV-Infektionen durch verseuchte Blutpräparate keine groben Pflichtverletzungen, Unterlassungen oder fachlichen Fehler begangen zu haben, stellte aber dennoch gewisse Mängel fest. Das Schweizerische Rote Kreuz (SRK) musste sich hingegen eine scharfe Rüge gefallen lassen. Der Bericht führte aus, dass das Verhalten des Zentrallaboratoriums, welches noch nach 1985 möglicherweise verseuchte Blutpräparate weiter vertrieb, gegen die medizinisch-ethischen Regeln verstossen habe und zudem rechtswidrig gewesen sei. Aufgrund ihrer Feststellungen kam die Arbeitsgruppe zum Schluss, das Bluttranfusionswesen müsse neu organisiert werden. Die extreme Verzettelung der Kompetenzen zwischen BAG, BSV, IKS und SRK führe zu Unsicherheiten, Überschneidungen und vor allem zu Verzögerungen. Das Bluttranfusionswesen sei deshalb einer einzigen Instanz unterzuordnen, die Kontrollbehörde wäre und auch Entscheidungen in Grundsatzfragen zu treffen hätte.
Die festgestellten Mängel betreffen aber nicht nur die Blutprodukte, sondern die Heilmittel im allgemeinen, bei deren Kontrolle die gleiche Aufsplitterung der Verantwortlichkeiten herrscht wie im Blutspendewesen. Die Arbeitsgruppe verlangte deshalb, dass auch die Heilmittel einer einzigen Behörde unterstellt werden, was eine Abschaffung des Interkantonalen Konkordates und der IKS bedeuten würde (s. oben) [19].
In der Frage der Blutpräparate handelte Bundesrätin Dreifuss rasch. Da die Ausarbeitung eines eigentlichen Heilmittelgesetzes kaum vor dem Jahr 2000 erwartet werden kann, gab sie Mitte Dezember ihren Vorschlag für einen befristeten Bundesbeschluss in die Vernehmlassung. Zentraler Punkt ist die Einführung einer Bewilligungspflicht für den Umgang mit Blut, Blutprodukten und Transplantaten sowie für deren Import und Export [20].
Ende März wurden die Ergebnisse der "Look-back"-Studie zur HIV-Infektion publiziert. Demnach haben sich zu Beginn der 80er Jahre schätzungsweise zwischen 80 und 90 Personen über Bluttransfusionen mit dem Aids-Virus angesteckt. 52 davon wurden vom "Look-back" erfasst, wobei in 49 Fällen die HIV-Infektion bereits vor der Durchführung der Untersuchung bekannt war. BAG und SRK mussten sich in der Folge den Vorwurf gefallen lassen, die Eruierung erst viel zu spät durchgeführt und so die Weiterverbreitung von Aids nicht genügend konsequent bekämpft zu haben. Die Studie zeigte bedenkliche Lücken in der Dokumentation von Blutkonserven. Bei 59 von insgesamt 396 potentiell kontaminierten Chargen war der Blutspendedienst des SRK ausserstande zu sagen, an welches Spital sie geliefert worden waren. In einem Fünftel der schliesslich gut 300 in die Studie aufgenommenen Fälle konnte wegen unvollständiger, unauffindbarer oder vernichteter Dokumentation nicht mehr ausgemacht werden, ob und wem das fragliche Plasma transfundiert wurde [21].
Ausgehend von einer parlamentarischen Initiative Duvoisin (sp, VD) beschloss der Nationalrat, die Anspruchsberechtigung für die freiwilligen Bundesbeiträge an Transfundierte und Hämophile, die mit Produkten des SRK infiziert worden sind, auch auf die nachfolgend angesteckten Kinder auszuweiten. Im ersten Beschluss von 1990 waren lediglich die infizierten Ehepartner berücksichtigt worden. Auf Anregung ihrer Kommission verlängerte die grosse Kammer die Frist zur Einreichung von Beitragsgesuchen um fünf Jahre bis April 2001 [22].
Der Nationalrat will Aids nicht der Meldepflicht unterstellen und verwarf deshalb eine parlamentarische Initiative Schmied (svp, BE). Er folgte damit seiner vorberatenden Kommission, welche vor dem kontraproduktiven Effekt einer verschärften Meldepflicht warnte. Risikogruppen und Aids-Infizierte würden vermehrt HIV-Tests meiden, womit die Prävention geschwächt würde. In Anlehnung an den - ebenfalls abgelehnten - zweiten Teil der Initiative, welcher eine rasche Änderung der Gesetzgebung im Bereich der Sozialversicherungen verlangte, um die Diskriminierung der Aids-Infizierten zu verhindern, überwies die grosse Kammer ein Postulat ihrer Kommission, welches den Bundesrat ersucht, Möglichkeiten zur Aufhebung der Diskriminierung von HIV-Positiven im Versicherungsvertragsrecht und im überobligatorischen Bereich der beruflichen Vorsorge zu prüfen [23].
Das BAG und der Kanton Bern finanzierten ein Pilotprojekt in der Frauenstrafanstalt Hindelbank (BE), das mit umfassenden Massnahmen der Ansteckung der Gefangenen mit dem Aids-Virus vorzubeugen sucht. Dazu gehört neben Information und Beratung auch die Abgabe steriler Spritzen an Frauen, die intravenös Drogen konsumieren. Der Drogenkonsum in der Anstalt bleibt aber weiterhin verboten und strafbar. Der scheinbare Widerspruch ergibt sich aus der ernüchternden Bilanz der bisherigen Drogenpolitik im Strafvollzug, die nicht verhindern konnte, dass trotz strenger Kontroll- und Strafmassnahmen immer wieder harte Drogen in die Strafanstalten eingeschmuggelt und dort konsumiert werden [24].
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Gentechnologie beim Menschen
Mit rund 120 000 Unterschriften kam die von einem überparteilichen Komitee lancierte Initiative "zum Schutz des Menschen vor Manipulationen in der Fortpflanzungstechnologie (Initiative für menschenwürdige Fortpflanzung FMF)" zustande. Das Volksbegehren will die künstliche Zeugung ausserhalb des weiblichen Körpers verbieten und die Verwendung von Keimzellen Dritter für unzulässig erklären. Die Unterschriften kamen vor allem dank den Anstrengungen der Vereinigungen "Helfen statt töten", "Rede mitenand" und "Ja zum Leben" zustande [25].
Bundesrätin Dreifuss setzte eine Arbeitsgruppe "Forschung am Menschen" ein. Diese soll wissenschaftliche, ethische und juristische Grundsätze ausarbeiten, die bei der gesetzgeberischen Konkretisierung des 1992 angenommenen Verfassungsartikels über Fortpflanzungs- und Gentechnologie gelten sollen. Die Gruppe umfasst Vertreter von Patienteninteressen, Mediziner, Naturwissenschafter, Ethiker und Juristen aus allen Regionen der Schweiz [26].
Als erster Kanton will Genf klinische Versuche mit Gentherapie am Menschen zulassen. Der Genfer Staatsrat erliess ein entsprechendes Reglement, das sich auf den bestehenden Verfassungsartikel abstützt. Die ersten Gentherapie-Versuche sollen im Frühling 1995 an rund 20 Patienten beginnen [27].
Der Bundesrat war bereit, ein Postulat von Felten (sp, BS) entgegenzunehmen, das ihn einlädt, einen Bericht über die Keimbahntherapie vorzulegen, welcher die ethischen, rechtlichen und geisteswissenschaftlichen Aspekte der Eugenik beleuchten soll [28].
 
[1] Statistisches Jahrbuch der Schweiz, 102/1995, S. 305 ff.; Presse vom 28.6.94. Siehe auch SPJ 1993, S. 199 ff.1
[2] Gesch.ber., 1994, II, S. 53.2
[3] Presse vom 23.6. und 13.12.94.3
[4] Gesch.ber., 1994, II, S. 56. Siehe Lit. Fischer.4
[5] Soziale Sicherheit, 1994, Nr. 4, S. 154.5
[6] Presse vom 19.4. und 5.7.94 sowie 10.4.95. Der NR überwies diskussionslos ein Postulat seiner SGK, welches den BR ersucht, ein externes Forschungsprojekt über die wirtschaftliche Arbeitsweise der Leistungserbringer im Gesundheitswesen in Auftrag zu geben (Amtl. Bull. NR, 1994, S. 1143).6
[7] NQ, 23.12.93.7
[8] Zürich: TA, 19.2. und 2.7.94; Ww, 26.5.94; NZZ, 26.7.94; Bund, 20.10.94. St. Gallen: BaZ, 14.5.94. Im Kanton Bern, wo bereits 1993 erste Versuche mit der Globalbudgetierung unternommen worden waren, konnte eine positive Zwischenbilanz gezogen werden (Bund, 22.6.94). Siehe dazu auch: "Die Spitalplanung - eine Herausforderung für das Gesundheitswesen", in Soziale Sicherheit, 1994, Nr. 6, S. 286 ff.8
[9] Veröffentlichungen der Schweizerischen Kartellkommission und des Preisüberwachers, 1994, Nr. 5, Bern 1994.9
[10] Presse vom 10.9.94.10
[11] Amtl. Bull. StR, 1994, S. 868 ff. Siehe auch die Ausführungen des BR in Amtl. Bull. NR, 1994, S. 690. Die Stiftung Swisstransplant führte im Beisein von BR Dreifuss in Bern einen Aktionstag als Auftakt zu einer grossen nationalen Aufklärungskampagne durch, mit welcher neue Spender gewonnen werden sollen (Bund, 5.9.94; Presse vom 12.9.94) 11
[12] NZZ, 24.2.94; Bund, 10.8.94.12
[13] Presse vom 3.2. und 10.11.94. Vgl. SPJ 1993, S. 203.13
[14] Amtl. Bull. StR, 1994, S. 620 ff.; Ww, 19.5.94. Siehe SPJ 1993, S. 203.14
[15] Soziale Sicherheit, 1994, Nr. 2, S. 91 ff.; Presse vom 1.3. und 16.7.94. Siehe auch W. Hill, Arzneimittelpreise in der Schweiz, Zürich 1994 sowie SPJ 1993, S. 203 f.15
[16] Presse vom 20.5.94; NZZ, 26.5.94. Siehe dazu auch die Ausführungen des BR in Amtl. Bull. NR, 1994, S. 159.16
[17] BZ, 23.4. und 26.4.94; Presse vom 13.6.94. Für die Regelung der Selbstdispensation im totalrevidierten Krankenversicherungsgesetz siehe unten, Teil I, 7c (Krankenversicherung).17
[18] BAG-Bulletin, 1994, Nr. 46, S. 785 ff.; Presse vom 29.12.94. Die im Vorjahr lancierte Pilotstudie zu anonymen Aids-Massentests wurde aus Spargründen vorläufig auf Eis gelegt, da sich Aufwand und Ertrag nicht die Waage hielten (NZZ, 19.9.94). Vgl. SPJ 1993, S. 204 f.18
[19] Presse vom 24.2.94. Siehe auch SPJ 1993, S. 203 und 205. Als Folge der schweren Vorwürfe reorganisierte das SRK seinen Blutspendedienst. Ab 1996 sollen die Blutspenden nur noch in wenigen Zentren getestet und weiterverarbeitet werden (Presse vom 12.2.94). Auch die Schweizerische Sanitätsdirektorenkonferenz sprach sich dafür aus, dass der Bund im Bereich der Kontrolle von Blut und Blutprodukten sowie Organtransplantaten legiferiere (Gesch.ber., 1994, II, S. 52). Siehe SPJ 1993, S. 205.19
[20] Presse vom 13.12.94. Siehe dazu auch die Ausführungen des BR in Amtl. Bull. NR, 1994, S. 1190 f. und 2513 ff.20
[21] Presse vom 30.3.94. Gestützt auf mehrere Anzeigen von Personen, die sich durch Blutprodukten des SRK mit dem HI-Virus angesteckt haben, eröffnete ein Genfer Untersuchungsrichter das Strafverfahren gegen den ehemaligen Leiter des SRK-Zentrallabors (Presse vom 10.5.94; NQ, 7.10.94). Siehe SPJ 1993, S. 205.21
[22] BBl, 1994, III, S. 1165 ff. und 1171 ff. Amtl. Bull. NR, 1994, S. 1118 f. Die SRK wird allen Aids-Kranken, die erwiesenermassen durch ihre Blutprodukte mit dem HI-Virus angesteckt wurden, und deren angesteckten Lebenspartnern eine monatliche Rente von 1500 Fr. ausrichten (Presse vom 16.5.94; NZZ, 4.6.94).22
[23] Amtl. Bull. NR, 1994, S. 2449 ff.; Bund, 15.11.94.23
[24] Bund, 29.1. und 12.11.94; Presse vom 17.5.94; LNN, 27.12.94. Siehe auch die Stellungnahme des BR in Amtl. Bull. StR, 1994, S. 779 und Amtl. Bull. NR, 1994, S. 1227 f. und 2237. Vgl. SPJ 1993, S. 205 f.24
[25] BBl, 1994, V, S. 896 f.; Presse vom 19.1.94. Siehe auch SPJ 1992, S. 215.25
[26] NZZ, 19.1.94. Siehe auch SPJ 1992, S. 213 f.26
[27] NQ, 19.4.94. Die interdisziplinäre Kommission für die biologische Sicherheit in Forschung und Technik (SKBS) erteilte ihrerseits erstmals ihre Zustimmung zu zwei Pilotprojekten der Gentherapie (TG, 10.5.94).27
[28] Amtl. Bull. NR, 1994, S. 596 f. Siehe auch die Stellungnahme des BR in Amtl. Bull. NR, 1994, S. 2559.28