Année politique Suisse 1998 : Politique sociale / Population et travail
 
Arbeitszeit
Mit durchschnittlich 41,9 Stunden blieb die betriebsübliche wöchentliche Arbeitszeit bereits im sechsten aufeinanderfolgenden Jahr stabil [26].
Nach Meinung von Deutschschweizer Unternehmen können nur zwei Arbeitszeitmodelle mithelfen, die Erwerbslosigkeit zu verringern, nämlich die flexible Teilzeitarbeit sowie die vorzeitige oder gleitende Pensionierung. Negativ beurteilt wurde eine Verkürzung der Wochenarbeitszeit. Dies ging aus einer Umfrage hervor, welche im Auftrag des BWA durchgeführt wurde. Die Studie zeigte, dass 70% der Unternehmen bereits flexible Arbeitszeitmodelle einsetzen, allerdings nahezu ausschliesslich die klassischen (gleitende Arbeitszeit und fix definierte Teilzeitarbeit). Zudem gelten diese neueren Arbeitszeitregelungen nur selten für alle Beschäftigten eines Unternehmens. Rund ein Viertel der befragten Unternehmen gab an, Arbeitszeitmodelle mit einem längeren Bezugszeitraum eingeführt zu haben. Darunter fallen Formen wie die flexible oder gleitende Pensionierung, sowie Jahresarbeitszeitmodelle [27].
Mit Unterstützung der SP lancierte der Schweizerische Gewerkschaftsbund im Sommer eine Volksinitiative “für eine kürzere und flexible Erwerbsarbeitszeit”, welche innert sieben Jahren die sukzessive Senkung der maximalen Jahresarbeitszeit auf 1872 Stunden verlangt. Dies würde der 36-Stunden-Woche entsprechen, doch wurde der Verkürzung der Jahresarbeitszeit der Vorzug vor der Reduktion der Wochenarbeitszeit gegeben. Jährlich könnten bis zu 100 Überstunden geleistet werden. Die wöchentliche Arbeitszeit inklusive Überzeit dürfte 48 Stunden nicht übersteigen. Bei Einkommen bis 7200 Fr. pro Monat soll der Lohn trotz kürzerer Arbeitszeit beibehalten werden. Von seiner Initiative verspricht sich der SGB einen Beitrag zur Lösung des Problems der Arbeitslosigkeit, da mit einer generellen Senkung der Arbeitszeit neue Stellen geschaffen werden könnten [28]. Dieser Auffassung widersprach eine Studie der Kommission für Konjunkturfragen. Sie befand, Absprachen unter den Sozialpartnern zur Reduktion der Arbeitszeit in einzelnen Betrieben oder Branchen seien durchaus sinnvoll; eine vom Staat verordnete generelle Verkürzung hingegen könne die Beschäftigung in konjunkturell schlechten Zeiten hemmen und die Wachstumschancen während des Aufschwungs vermindern [29].
Die sozialpartnerschaftlich ausgehandelte Flexibilisierung der Arbeitszeit nimmt ständig zu. Sie gilt bereits in dem bis ins Jahr 2000 geltenden Gesamtarbeitsvertrag im Bauhauptgewerbe, wo für eine Vollzeitbeschäftigung von jährlich 2125 Arbeitsstunden ausgegangen wird; im Winter gilt eine Minimalarbeitszeit von 37,5 Wochenstunden, in der bauintensiven Sommerzeit eine von 45 Wochenstunden. In der Metall- und Maschinenindustrie sowie im Gastgewerbe wird sie durch die im Berichtsjahr abgeschlossenen neuen Gesamtarbeitsverträge etabliert [30].
Für eine Besserstellung der Teilzeitarbeitenden im Bereich der Sozialversicherungen sprach sich der Nationalrat aus. Mit 92 zu 66 Stimmen nahm er eine parlamentarische Initiative Zapfl (cvp, ZH) an, welche den Koordinationsabzug im Rahmen der beruflichen Vorsorge proportional zum Beschäftigungsgrad senken will. Damit sollen auch jene Teilzeitbeschäftigten, die pro Jahr weniger als 23 880 Fr. (Ansatz 1998) verdienen, ihren Anspruch auf die Aufnahme in die betrieblichen Pensionskassen geltend machen können. Mit 86 zu 72 hiess der Rat zudem eine parlamentarische Initiative Roth (sp, GE) gut, die verlangt, dass Arbeitnehmende, die wöchentlich weniger als 12 Stunden arbeiten, auch bei Nichtbetriebsunfällen obligatorisch für Taggelder und Renten versichert sind [31].
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Revision des Arbeitsgesetzes
Im Eiltempo und ohne Gegenstimme hiess der Ständerat die nachgebesserte Revision des Arbeitsgesetzes gut, welche eine gegenüber der ersten, in der Volksabstimmung gescheiterten, gemässigtere Lockerung des Abend-, Nacht- und Sonntagsarbeitsverbots vornahm. Damit war die ehemals so umstrittene Vorlage ohne viel Aufhebens zumindest im Parlament unter Dach und Fach [32].
Für Gewerkschafter aus der Romandie sowie die Funktionäre der Gewerkschaft Druck und Papier ging der Arbeitnehmerschutz immer noch zu wenig weit, da das revidierte Gesetz den Arbeitstag unzulässig verlängere, eine starke Zunahme der Nachtarbeit bringe und zu viele Überstunden erlaube. Gegen den Willen von SP und SGB, die meinten, mit diesem zweiten Revisionspaket sei das Machbare erreicht, ergriffen sie das Referendum. Wider Erwarten kam dieses mit 54 297 Unterschriften zustande. Besonders starke Unterstützung fand es in den Kantonen Waadt und Genf (mit allein über 28 000 Unterschriften) sowie in den übrigen welschen Kantonen und dem Tessin, also in jenen Landesteilen, welche bereits die erste Revisionsvorlage besonders deutlich abgelehnt hatten [33].
In der Deutschschweiz wurde der Abstimmungskampf wegen der mangelnden Unterstützung von SP und SGB nur sehr lau geführt, ganz im Gegensatz zur Romandie, wo die Gegner der Vorlage in den Medien stärker präsent waren [34]. Alle Parteien – mit Ausnahme von PdA und SD – sowie die Gewerkschaften unterstützten die Vorlage; die Grünen waren uneins und beschlossen Stimmfreigabe. Am 29. November hiess das Volk die Gesetzesrevision mit 63,4% Ja-Stimmen gut. Die Romandie zeigte sich dem neuen Gesetz gegenüber kritischer als die Deutschschweiz, aber längst nicht mehr so negativ wie 1996. Einzig die Kantone Jura (64,8% Nein-Stimmen), Neuenburg (51,6%) und Freiburg (50,1%) lehnten ab, während Genf (54,5% Ja-Stimmen), Waadt und Wallis (je 55,9%) zwar unterdurchschnittlich annahmen, ihr deutliche Ablehnung von 1996 aber doch in eine Zustimmung umwandelten. Der Tessin, der zwei Jahre zuvor noch klar auf der Seite der Nein-Stimmenden war, hiess das Gesetz im zweiten Anlauf mit 60,3% gut. Die Deutschschweizer Kantone sagten alle deutlich ja, allerdings mit recht grossen Unterschieden. Die Ja-Stimmen-Anteile lagen zwischen 58,8% (Thurgau) und 74,1% (Zürich) [35].
Änderung des Bundesgesetzes über die Arbeit in Industrie, Gewerbe und Handel (Arbeitsgesetz)
Abstimmung vom 29. November 1998

Beteiligung: 38,1%
Ja: 1 072 978 (63,4%)
Nein: 620 011 (36,6%)

Parolen:
Ja: FDP, CVP, SVP, SP (5*), LP, LdU, EVP, FP, CSP; SGV, Vorort, SBV; SGB, CNG.
Nein: SD, PdA; GDP.
Stimmfreigabe: GP (1*)

* In Klammer Anzahl abweichender Kantonalsektionen
Die Vox-Analyse dieses Urnengangs bestätigte die bereits am Abend des Abstimmungssonntags getroffene Feststellung, wonach das neue Gesetz von allen sozialen Gruppen gutgeheissen wurde. Die Sympathisanten der bürgerlichen Parteien stimmten der Vorlage deutlicher zu als jene der SP, doch wurde das Gesetz auch von diesen mit rund 60% gutgeheissen [36].
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Feiertage
Die in den letzten Jahren entbrannte Diskussion um die arbeitsrechtliche Stellung des 1. August wollte der Bundesrat in seinem Vorschlag zur revidierten Bundesverfassung insofern umschiffen, als er in Art. 110 Abs. 3 lediglich sagen wollte, der Bundesfeiertag sei arbeitsrechtlich den Sonntagen gleichgestellt. Damit wäre die heikle Frage der Lohnzahlungspflicht auf ein künftiges Bundesgesetz verschoben worden. Eine Übergangsbestimmung sollte den Bundesrat ermächtigen, die Einzelheiten bis zur Inkraftsetzung der entsprechenden Bundesgesetzgebung zu regeln [37].
Dies sah auch der Ständerat so, der als Erstrat dem bundesrätlichen Vorschlag oppositionslos folgte. Ganz anders verhielt sich der Nationalrat. Einem Minderheitsantrag quer durch die bürgerlichen Parteien, welcher dem Bundesrat zustimmen wollte, stand ein Mehrheitsantrag der Kommission gegenüber, der den Bundesfeiertag eindeutig als den Sonntagen gleichgestellt und arbeitsrechtlich bezahlt bezeichnen wollte. Nachdem ein noch weitergehender persönlicher Antrag Rennwald (sp, JU), der auch den 1. Mai zum bezahlten Feiertag erheben wollte, mit 86 zu 71 Stimmen gescheitert war, obsiegte der Antrag der Mehrheit mit 97 zu 62 Stimmen. Tenor der Argumentation war, das Volk habe 1993 mit seiner Zustimmung zur 1. August-Initiative der Schweizer Demokraten klar zum Ausdruck gebracht, dass es sich darunter einen den Sonntagen gleichgestellten und damit bezahlten Feiertag vorstelle [38].
Diese Haltung vertraten auch Büttiker (fdp, SO) und Bundesrat Koller bei der 2. Lesung im Ständerat. Sie meinten, dass es eleganter gewesen wäre, die Frage der Entlöhnung des 1. August in einem formellen Gesetz zu regeln, doch müssten nun angesichts der nicht enden wollenden diesbezüglichen Diskussionen die Missverständnisse definitiv ausgeräumt werden. Die beiden fanden aber kein Gehör in der kleinen Kammer, die mit 23 zu 15 Stimmen Festhalten beschloss. Diese Hartnäckigkeit rief daraufhin im Nationalrat den Widerstand selbst vieler bürgerlicher Politiker auf den Plan. Mit dem deutlichen Mehr von 107 zu 37 Stimmen wurde die arbeitsrechtliche Bezahlung des 1. August erneut auf Verfassungsbene bekräftigt [39].
Trotz dieses klaren Votums der grossen Kammer beharrte der Ständerat in dritter Lesung mit 22 zu 15 Stimmen noch immer auf seinem Standpunkt. Nun fand es der Nationalrat gar nicht mehr nötig, die leidige Angelegenheit noch einmal zu diskutieren. Ohne Wortmeldung und Abstimmung hielt er an seinem Entschluss fest. In der Einigungskonferenz setzte sich die Version des Nationalrates durch. Damit fand eine jahrelange Streitigkeit ein Ende und der Bundesfeiertag wurde definitiv den Sonntagen gleichgestellt und als arbeitsrechtlich bezahlter Feiertag anerkannt [40].
 
[26] Die Volkswirtschaft, 1999, Nr. 3, S. 27*.26
[27] Lit. Blum/Zaugg; Presse vom 5.12.98.27
[28] BBl, 1998, S. 2393 f.; Presse vom 13.1. und 2.2. (Unterstützung SP); SHZ, 22.4.98. An einer Tagung des SGB sprach sich BR Couchepin für eine Flexibilisierung, aber gegen eine generelle Verkürzung der Arbeitszeit aus, da diese nicht den Bedürfnissen der Gesellschaft entspreche (24 Heures, 19.9.98).28
[29] Presse vom 15.5.98. NR Epiney (cvp, VS) reichte eine Motion ein, welche den BR beauftragen wollte, den Trend zur Überstundenarbeit zu begrenzen, doch wurde diese von Bangerter (fdp, BE) bekämpft und deshalb vorderhand der Diskussion entzogen (Amtl. Bull. NR, 1998, S. 1519 f.).29
[30] 24 Heures, 30.6.98. Siehe auch unten (Gesamtarbeitsverträge).30
[31] Amtl. Bull. NR, 1998, S. 591 ff.; TA, 13.3.98. Vgl. SPJ 1997, S. 235. Der NR überwies mehrere Punkte eines Postulates Rechsteiner (sp, BS) für eine Expertise zum Koordinationsabzug (Amtl. Bull. NR, 1998, S. 1529 f.). Siehe dazu auch die Vorschläge des BR zur 1. BVG-Revision (unten, Teil I, 7c, Berufliche Vorsorge). Die Bedeutung der Teilzeitarbeit unterstrich eine Studie des BWA. Zum Zeitpunkt der Erhebung gehörten rund 60% aller neu geschaffenen Stellen in diese Kategorie (Lit. Blum/Zaugg).31
[32] Amtl. Bull. StR, 1998, S. 185 ff. und 462; Amtl. Bull. NR, 1998, S. 477 und 807. Siehe SPJ 1997, S. 237 f.32
[33] BBl, 1998, S. 4131 f.; TA, 17.3.98; WoZ, 2.4.98; TA, 28.4.98 (Entscheid SGB); NZZ, 7.7.98; Presse vom 10.7.98; Bund, 11.8.98. Siehe SPJ 1996, S. 229 ff.33
[34] Presse vom 16.10.-28.11.98.34
[35] BBl, 1999, S. 1092 ff.; Presse vom 30.11.98.35
[36] L. Marquis / R. Lachat / D. Wisler, Vox. Analyse der eidgenössischen Abstimmungen vom 29. November 1998, Genf 1999.36
[37] BBl, 1997, I, S. 322. Siehe SPJ 1996, S. 231.37
[38] Amtl. Bull. StR, 1998, S. 244 f.; Amtl. Bull. NR, 1998, S. 1000 ff. Siehe SPJ 1993, S. 196, 1995, S. 222 und 1996, S. 231.38
[39] Amtl. Bull. StR, 1998, S. 858 ff.; Amtl. Bull. NR, 1998, S. 2032 ff.39
[40] Amtl. Bull. StR, 1998, S. 1162 f. und 1339 ff.; Amtl. Bull. NR, 1998, S. 2546 f. und 2598 ff.40