Année politique Suisse 1999 : Economie / Politique économique générale
Strukturpolitik
Die
bilateralen Verträge mit der EU werden in Zukunft den grenzüberschreitenden wirtschaftlichen Wettbewerb fördern. So werden Gewerbebetriebe neunzig statt nur acht Tage pro Jahr
genehmigungsfrei jenseits der Grenze arbeiten dürfen. Namentlich in Regionen, wo im benachbarten Ausland wesentlich tiefere Löhne bezahlt werden (Westschweiz, Tessin), wuchs deshalb die Angst um die Erhaltung der einheimischen Kleinunternehmen und ihrer Arbeitsplätze. Der jurassische Nationalrat Lachat (cvp) verlangte mit einer Motion vom Bundesrat zusätzliche regionalpolitische Interventionen zugunsten dieser Regionen. Insbesondere forderte er vom Bund Mithilfe beim Ausbau der Infrastrukturen und des Bildungsangebots, sowie eine Verlagerung von Bundesstellen in diese Gebiete. Der Bundesrat stellte in seiner Antwort die positiven Auswirkungen der verstärkten Konkurrenz, von welcher auch Firmen in den Grenzregionen profitieren würden, in den Vordergrund. Seiner Ansicht nach drängen sich zusätzlich zu den vom Parlament beschlossenen flankierenden Massnahmen gegen Lohndumping und den bestehenden Regionalförderungsprogrammen wie Investitionshilfegesetz, Regio plus oder INTERREG keine neuen Massnahmen auf. Auf seinen Antrag wurde der Vorstoss als Postulat überwiesen
[7].
Der Bundesbeschluss zur
Förderung von Risikokapitalanlagen kam im Rahmen der Differenzbereinigung zuerst vor den Nationalrat. Dieser konnte sich mit der vom Ständerat vorgenommenen Zusammenstutzung nicht einverstanden erklären. Auf Antrag seiner Kommission hielt er ohne Gegenstimmen am Grundprinzip fest, dass die Geldgeber mit steuerlichen Anreizen zu Investitionen in Risikokapitalanlagen ermuntert werden sollen. Da die kleine Kammer an ihrer Version festhielt, reduzierte der Nationalrat sein Projekt weiter. Er beschloss, dass wenigstens diejenigen Investoren in neue innovative Unternehmen mit international vermarktbaren Produkten von Steuernachlässen sollen profitieren können, welche sich mit nachrangigen Darlehen bereits in der Vorbereitungsphase einer Unternehmensgründung beteiligen (sogenannte „business angels“). Nachdem der Ständerat diesem Antrag zugestimmt hatte, konnte der Bundesbeschluss über Risikokapitalgesellschaften verabschiedet werden
[8]. Der Nationalrat überwies in diesem Zusammenhang auch eine Motion, welche vom Bundesrat verlangt, nach Konsultation mit den Kantonen Massnahmen zu treffen, damit diese neuen Bestimmungen auch ins Steuerrecht der Kantone übernommen werden
[9].
Der Ständerat hatte anlässlich seiner Beratungen dieser Vorlage eine Motion und ein Postulat für die
Erleichterung von Unternehmensgründungen verabschiedet. Die von seiner WAK eingereichte Motion, welche auch vom Nationalrat überwiesen wurde, verlangt Erleichterungen im Steuerrecht (Besteuerung von Optionsrechten erst im Zeitpunkt der Ausübung), eine Reduktion des minimalen Nennwerts von Aktien und die Schaffung einer neuen Gesellschaftsform („limited partnership“). Das Postulat nahm den Beschluss des Nationalrats für die Steuerbegünstigung von „business angels“ auf und regte zudem eine Lockerung der Anlagevorschriften für Pensionskassen und des AHV/IV-Fonds bezüglich Anlagen in Risikokapital an
[10].
In den Jahren 1995 bis 1997 hatte das Parlament den Bundesrat mit einer Reihe von Vorstössen beauftragt, sich mit dem Problem der
Überbelastung der KMU durch neue Gesetze und administrative Vorschriften auseinanderzusetzen. Die Regierung antwortete im Berichtsjahr mit einer Darstellung der Massnahmen, welche in den letzten Jahren zugunsten einer Beschleunigung resp. einem Abbau der gesetzlich vorgeschriebenen Verfahren für die KMU eingeleitet oder realisiert worden sind. Der Bundesrat publizierte zudem, in Erfüllung eines Postulats David (cvp, SG) die bereits im Vorjahr hier erwähnten Studien zu den von der Bundesgesetzgebung vorgeschriebenen für die Wirtschaft relevanten Verfahren
[11]. Zur parlamentarischen Behandlung der Vereinfachung des Plangenehmigungsverfahrens siehe unten, Teil I, 6d (Législation).
Nicht wenige KMU hatten in den Jahren der Rezession unter ernsthaften Problemen bei der Kreditbeschaffung gelitten. Als Gegenmassnahme schlug die SP-Fraktion mit einer Motion vor, eine
staatliche Bank für KMU zu schaffen. Der Bundesrat teilte zwar die Lageeinschätzung, dass die im Rahmen der Internationalisierung erfolgte Neuorientierung der Geschäftspolitik der Grossbanken die Position der KMU auf dem Kreditmarkt erschwert hat. Die Gründung einer Bundesbank lehnte er aber aus ordnungspolitischen Gründen ab. Es sei nicht Sache des Staates, über die Kreditwürdigkeit von privaten Unternehmen und ihrer Projekte zu urteilen und die daraus entstehenden Risiken zu tragen. Der Nationalrat folgte dieser Argumentation und war auch nicht bereit, den Vorstoss wenigstens in Postulatsform zu überweisen
[12].
Zu regionalpolitischen Forderungen in Bezug auf die Vergabe von Bundesaufträgen siehe oben, Teil I, 1c (Verwaltung); zur Alpenkonvention siehe unten, Teil I, 6d (Protection des sites)
[13].
Im Mai legte der Bundesrat dem Parlament seine Botschaft über die
Finanzhilfe an den Schweizer Tourismus für die Jahre 2000 bis 2004 vor. Der vorgesehene Betrag wurde im Vergleich zur ablaufenden Fünfjahresperiode um 22 Mio Fr. auf 190 Mio Fr. aufgestockt. Damit sollen vermehrte Werbeanstrengung zur Zurückeroberung verlorener Marktanteile finanziert werden. Die Bundeshilfe bewegt sich damit etwa im Rahmen derjenigen von Ländern wie Belgien und Holland, erreicht aber nur etwa die Hälfte der österreichischen Subventionen. Beide Parlamentskammern hiessen den Beschluss gut. Im Ständerat, wo es keine grundsätzliche Kritik gab, beantragte die Kommissionsmehrheit gar, den Beitrag um weitere 30 Mio auf 220 Mio Fr. aufzustocken. Sie unterlag damit aber mit 19:15 Stimmen. Im Nationalrat war Eintreten ebenfalls unbestritten. Die SP übte jedoch heftige Kritik an diesem „klassischen Strukturerhaltungs-Subventionsprogramm“ (Votum Strahm, sp, BE). Sie stellte den Antrag, nur die ersten beiden Jahrestranchen zu bewilligen und die weiteren Zahlungen erst dann vorzunehmen, wenn ein Massnahmeplan zur Aufwertung der Schweiz als Tourismusstandort mit einem Ausbildungskonzept zur Verbesserung der Qualität der Dienstleistungen vorliegt. Dieser auch von den Grünen unterstützte Vorschlag wurde mit 106:60 Stimmen abgelehnt. In der Gesamtabstimmung verabschiedete der Ständerat den Beschluss einstimmig, der Nationalrat mit 142:3 Stimmen
[14]. Der Nationalrat stimmte allerdings im Anschluss an diese Beratungen einer Motion seiner WAK zu, welche die Forderungen der SP in Bezug auf einen Massnahmenplan aufnahm und einen entsprechenden Bericht bis Ende 2001 verlangt
[15].
Im Juni gab das EJPD die
Verordnung zum neuen Spielbankengesetz in die Vernehmlassung. Sowohl die Kantone als auch die Betreiber bestehender Casinos reagierten sehr kritisch. Sie bezeichneten die vorgesehenen Steuersätze für die Grand Casinos als zu hoch um einen wirtschaftlich attraktiven Betrieb zu erlauben. Die Einschränkungen für die Kursäle des Typus B in Bezug auf zugelassene Spielmöglichkeiten erachteten sie als derart streng, dass sie sogar die Weiterführung bestehender Unternehmen gefährden würden. Angesichts dieses Echos verschob der Bundesrat die für Anfang 2000 vorgesehene Inkraftsetzung der neuen Bestimmungen auf voraussichtlich 1. April 2000. Immerhin beschloss er im Dezember Leitlinien zur Konzessionierung der Casinos. Diese gehen davon aus, dass in einem ersten Schritt 4-8 Spielbanken und 15-20 Kursäle bewilligt werden sollen. Dabei möchte die Regierung die Spielbanken vorzugsweise in grossstädtischen Agglomerationen und grenznahen Gebieten ansiedeln und die Kursäle in Tourismusregionen
[16].
[7]
Amtl. Bull. NR, 1999, S. 2671. Zu INTERREG siehe oben, Teil I, 1d (Beziehungen zwischen Bund und Kantonen), zu den flankierenden Massnahmen siehe unten, Teil I, 7a (Kollektive Arbeitsbeziehungen).7
[8]
Amtl. Bull. NR, 1999, S. 1152 ff., 1784 f., 2035 und 2315;
Amtl. Bull. StR, 1999, S. 738 ff., 839 f., 925 und 996;
BBl, 1999, S. 8722 ff. Vgl.
SPJ 1998, S. 114. Vgl. zu den KMU auch
Die Volkswirtschaft, 1999, Nr. 4 sowie
Schweizer Monatshefte, April, 1999.8
[9]
Amtl. Bull. NR, 1999, S. 2671.9
[10]
Amtl. Bull. StR, 1999, S. 743 (Motion) und 744 (Postulat);
Amtl. Bull. NR, 1999, S. 1785 f. (Motion).10
[11]
BBl, 1999, S. 8387 ff. (Studien) und
BBl, 2000, S. 994 ff. (Massnahmen); vgl.
SPJ 1997, S. 112 (David) und
1998, S. 114;
NZZ, 24.2.99. Siehe auch die Antwort des BR auf eine Interpellation Eymann (lp, BS) zur wirtschaftlichen Lage der KMU und zu allfälligen staatlichen Unterstützungsmassnahmen (
Amtl. Bull. NR, 1999, S. 524 ff.).11
[12]
Amtl. Bull. NR, 1999, S. 1155 ff. Zur Lage der KMU auf dem Kreditmarkt siehe
SPJ 1997, S. 122.12
[13] Zur Beschaffungsstatistik des Bundes für 1998 siehe
Die Volkswirtschaft, 1999, Nr. 8, S. 40-44.13
[14]
BBl, 1999, S. 5475 ff.;
Amtl. Bull. StR, 1999, S. 925 ff.;
Amtl. Bull. NR, 1999, S. 2388 ff.;
BBl, 1999, S. 145;
SHZ, 28.4.99;
NZZ, 20.5.99.14
[15]
Amtl. Bull. NR, 1999, S. 2396. Für einen Zwischenbericht über den Bundesbeschluss zur Förderung der Innovation im Tourismus siehe
Amtl. Bull. StR, 1999, S. 931 ff. (vgl.
SPJ 1998, S. 114).15
[16]
NZZ, 22.6.99;
TA, 21.9.99;
AZ und
NZZ, 24.11.99 (Leitlinien); siehe auch
Amtl. Bull. StR, 1999, S. 1138 ff. Vgl.
SPJ 1998, S. 114 f.16
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