Année politique Suisse 1999 : Enseignement, culture et médias / Enseignement et recherche
 
Grundschulen
Eine komplette Übersicht zu den kantonalen Gesetzen im Bildungsbereich befindet sich im Teil II, 6a-d.
Hinsichtlich ihrer Lesekompetenz schnitt die Deutschschweizer Bevölkerung gemäss einer an der Universität Zürich erstellten Studie erstaunlich schlecht ab. In Tests, die in 13 Ländern nicht nur das Buchstabieren von Wörtern, sondern auch das Verstehen von Textzusammenhängen untersucht hatten, belegte die Deutschschweiz den zweitletzten Rang. Personen im Alter von 26 bis 35 bestanden den Lesetext wesentlich besser als 56- bis 65-Jährige; Unterschiede zwischen den Geschlechtern waren gering [2]. Zudem liess sich aus den im Rahmen des nationalen Forschungsprogramms „Wirksamkeit unserer Bildungssysteme“ erstellten Arbeiten unter anderem folgern, dass Schweizerinnen und Schweizer im internationalen Vergleich insbesondere in Chemie Mühe bekunden. Hingegen erbringen Schweizer Schülerinnen und Schüler in Mathematik international Spitzenleistungen [3].
Gestützt auf eine OECD-Studie verwiesen die Urheber der Petition Verein Lesen und Schreiben für Erwachsene auf den Umstand, dass zwischen 13 und 19 Prozent der Erwachsenen in der Schweiz grosse Schwierigkeiten beim Lesen und Verstehen eines Alltagstextes haben – dies obwohl sie während acht bis neun Jahren zur Schule gegangen sind. Lesen, Schreiben und Rechnen seien die Grundlage zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben; somit sei die Förderung dieser Fertigkeiten als einen Beitrag gegen soziale und kulturelle Ausgrenzung zu verstehen. Mit der Petition werden die Bundesbehörden aufgefordert, die Erwachsenenbildung in der Bundesverfassung festzuschreiben, Organisationen zu unterstützen, die sich in der Grundausbildung von Erwachsenen engagieren, eine nationale Arbeitsgruppe für Forschung, Koordination und Evaluation zu bilden sowie gesamtschweizerische Sensibilisierungskampagnen zu fördern. Ständerat wie Nationalrat überwiesen dem Bundesrat die Petition zur Kenntnisnahme [4].
Im April lancierte die Schweizerische Koordinationsstelle für Verbrechensprävention (SKVP) eine Präventionskampagne gegen die Gewalt im Jugend- und Schulbereich. Unter dem Motto „Gemeinsam gegen Gewalt“ sahen die Polizeikorps der Kantone und Städte zusammen mit Fachleuten aus dem Erziehungssektor eine verstärkte Zusammenarbeit mit Lehrerinnen und Lehrern, Eltern und den Jugendlichen selbst vor, die darauf abzielen soll, möglichst viele der Betroffenen zu sensibilisieren, zu informieren und zu eigenständigem Handeln zu befähigen [5].
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Schulreformen und -modelle
Im Rahmen der kantonalen Reformbewegungen setzte sich der bereits eingeschlagene gemeinsame Trend Richtung „autonomere Schulen“, Informatisierung des Unterrichts und Integration des Englischen fort. Weiterverfolgt wurde auch die Idee der Fächergruppenlehrkräfte sowie das nicht unumstrittene Projekt, den Kindergarten durch eine Basisstufe zu ersetzen. Finanzierungsprobleme und die Suche nach Sparmöglichkeiten betrafen erneut alle Kantone.
Der von der Studiengruppe der Schweizerischen Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK) ausgearbeitete Vorschlag einer „Basisstufe“ führte in den Kantonen und Regionen zu einem Überdenken der Zielsetzungen und Strukturen der Vorschulstufe und der ersten Primarschuljahre. Das Konzept der Studiengruppe sieht eine Grundstufe mit einem Eintritt wie im Kindergarten zwischen 4,3 und 5,3 Jahren, einem Übertritt in die Unterstufe der Primarschule mit frühestens 6,3 bis spätestens 9,3 vor. Die Grundstufe ist damit ein Jahr länger als der Kindergarten, kann aber in zwei, drei oder auch vier Jahren durchlaufen werden; sie sieht Blockzeiten vor, stellt im Gegensatz zum Kindergarten ein Obligatorium für die Kinder dar und untersteht kantonaler Kompetenz. Als Ziel der Grundstufe wurden insbesondere die Förderung der Entwicklungsmöglichkeiten der Kinder in allen Persönlichkeitsbereichen, die Akzeptanz individueller Lernunterschiede und spezieller Bedürfnisse vom Eintritt ins öffentliche Bildungssystem an betont. In altersgemischten Gruppen soll den Kindern sowohl soziale Sicherheit als auch Anregung und Orientierung bezüglich ihrer Interessen, ihrer Motivation und ihren Fähigkeiten geboten werden. Für Provokation sorgte die Vorlage eines Zürcher Konzepts für eine Grundstufe, die zwar in weiten Teilen dem Vorschlag der EDK-Studiengruppe folgte, aber statt der 1. und 2. Klasse nur die 1. Klasse in die Grundstufe einbezog. Befürchtet wurde, dass ohne Zusammenführung der beiden Klassen nicht etwas sinnvolles Neues geschaffen, sondern vielmehr ein Auseinanderbrechen zweier Kulturen bzw. eine Überbetonung der kognitiven Leistung und eine Vernachlässigung der basalen Förderung der Kinder eingeleitet werde [6].
Viel Aufmerksamkeit wurde im Berichtsjahr dem Vorschulangebot nach dem Tessiner Modell geschenkt. Im Kanton Tessin verbringen nach 150-jähriger Tradition mehr als die Hälfte aller Dreijährigen ihren Tag in der „scuola dell’infanzia“. So früh gehen die Kinder in keinem anderen Schweizer Kanton in den Kindergarten. Für eine Gebühr von 60 Fr. pro Monat werden sie auch über Mittag – einschliesslich Mittagessen und Mittagsruhe – betreut, was den Müttern ein unkompliziertes Ausüben eines Berufes ohne hohe Kinderbetreuungskosten erlaubt. Die „Arbeitsgemeinschaft Frauen 2001“ (Argef) und Deutschschweizer Medienschaffende informierten über das Modell, für welches der Kanton 1997 84,5 Mio Fr. ausgegeben hatte, und priesen es als einen wichtigen Schritt auf dem Weg zur Geschlechterparität [7].
Unter dem Namen „Regos“ verabschiedete das Aargauer Parlament in erster Lesung eine Vorlage zur Regionalisierung der Oberstufen [8]. In einer Volksabstimmung befürwortete die Luzerner Stimmbevölkerung das neue Volksschulgesetz als Bestandteil der Totalrevision des Erziehungsgesetzes und hiess damit einen Systemwechsel im Finanzierungsmodell der Volksschule hin zu einer Ausrichtung von Pro-Kopf-Beiträgen gut [9]. Auch das Urner Parlament beriet ein neues Schulgesetz. Die von der Regierung präsentierte Vorlage sah insbesondere die Einführung des freiwilligen 10. Schuljahres vor [10]. Im Kanton Zürich genehmigte die Stimmbevölkerung in Volksabstimmungen das Gesetz über die Wahl der Lehrpersonen und das neue Lehrerpersonalgesetz mit über 80% Ja-Stimmen [11].
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Sparmassnahmen, Lehrerlöhne und Lehrerbildung
Mit der Gutheissung des Reglements über die Anerkennung von Hochschuldiplomen für Lehrkräfte der Vorschulstufe und der Primarstufe fällte die EDK einen zentralen Entscheid zur Lehrerinnen- und Lehrerbildung. Das auf das Jahr 2004 wirksam werdende Reglement hält einheitliche Mindestanforderungen in der Ausbildung von Lehrpersonen für beide Stufen fest, womit die Mobilität der Lehrkräfte gefördert und ein Zeichen im Sinne des Konzentrationsprozesses in der Lehrerbildung gegeben werden soll. Gesamtschweizerisch anerkannte Lehrdiplome werden nur noch an einer Universität oder einer pädagogischen Fachhochschule zu erwerben sein [12].
Mit verbindlichen Standesregeln schufen die über 48 000 Mitglieder des Dachverbandes Schweizer Lehrerinnen und Lehrer (LCH) berufsethische Leitplanken. Darin wurde festgelegt, welche Bemühungen um Qualität Lehrpersonen voneinander erwarten. Das Regelwerk soll das Vertrauen der Gesellschaft in die Institution Schule stärken, aber auch den Lehrenden in Zeiten hoher, teils heterogener beruflicher Ansprüche Orientierungshilfe leisten [13].
Die Arbeitszeit der Lehrkräfte betrug gemäss einer vom LCH angeforderten Untersuchung bei rund 2600 Deutschschweizer Lehrpersonen in regulären Schulwochen durchschnittlich 46, in den Ferien 11 Stunden – was einer Jahresarbeitszeit von 1900 bis 2080 Stunden entspricht. Angesichts dieser Belastung sah der LCH die Schulqualität gefährdet und forderte eine Plafonierung der Pflichtpensen. Wichtige Aufgaben wie Weiterbildung, Schulentwicklung oder Schüler- und Elternberatung könnten nur dank einer Verminderung des Pensen- und Reformdrucks wahrgenommen werden [14].
Mit der Forderung, seinen Mitgliedern die Möglichkeit zu geben, auf privater Basis Ergänzungsunterricht zu erteilen, stiess der LCH in Teilen der Lehrerschaft und bei den Erziehungsdirektoren auf Ablehnung. Unter der Bezeichnung „Schule Plus Schweiz“ plante der LCH, in den privaten Bildungsmarkt einzusteigen, und wollte damit den Eltern gegen Bezahlung die Gelegenheit geben, ihr Kind durch anerkannte Lehrkräfte in Bereichen zu fördern, die das öffentliche Bildungswesen nicht oder noch nicht anbietet – so insbesondere in Englisch und Informatik sowie im Bereich des Stützunterrichts. Zahlreiche Lehrkräfte und die EDK befürchteten jedoch, die geplante Trennung führe zu einem Zweiklassensystem, in welchem die Schule jene Defizite produziere, die dann der „Schule plus Schweiz“ zugute kämen [15].
Ende des Berichtsjahres kam es im Kanton Solothurn zu Demonstrationen von rund 1000 Personen – Eltern, Lehrkräfte, Schülerinnen und Schüler – gegen die im Rahmen der Budgetberatungen geplante Subventionskürzung im Musikschulbereich [16]. Im Kanton Schaffhausen legte die Regierung eine Vorlage zur Kürzung der Lehrerlöhne um zwei Prozent vor [17]. Aufgrund der heftigen Kritik an der geplanten Einführung von Gebühren für Schülerinnen und Schüler an Gymnasien, Diplommittel- und Berufsmaturitätsschulen verzichtete die Erziehungsdirektion des Kantons Bern im Rahmen der Erarbeitung eines Gesetzes über die Schulgelder auf diese Massnahme, hielt indessen an den Gebühren für das 10. Schuljahr fest [18].
Die unsichere Zukunft der Schweizerschulen im Ausland stand im Vordergrund einer Konferenz des „Komitees Schweizerschulen im Ausland“ (KSA). Auf die rückläufigen Bundessubventionen hatten die 16 anerkannten Schweizerschulen im Ausland meist mit Lohnreduktionen für Schweizer Lehrpersonen sowie mit der Streichung von Angeboten reagiert. Waren den Schulen 1998 noch 16,5 Mio Fr. zugeflossen, standen bis ins Jahr 2001 Kürzungen um über eine Million an. An der Konferenz wurde die herausragende Bedeutung der Schweizerschulen für die „fünfte Schweiz“ wie auch für das Ausland betont sowie vor einem Qualitäts- und Imageverlust gewarnt [19].
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Informatik
An einer viertägigen Konferenz über „Erziehung und Bildung für das 21. Jahrhundert“ unterstrich die Genfer Erziehungsdirektorin Martine Brunschwig-Graf (lp) die Notwendigkeit einer Neudefinition von Aufgaben und Mitteln der Schule angesichts der neuen Informationstechnologien [20].
Im Zentrum der Netdays 99 standen hauptsächlich sinnvolle Anwendungen neuer Kommunikationstechnologien im Schulalltag. Die dritte von der schweizerischen Fachstelle für Informationstechnologien im Bildungswesen organisierte Aktionswoche zum Thema Internet in der Schule war aber auch Anlass, den dringenden Handlungsbedarf in Richtung einer nationalen Informatik-Strategie in der Grundausbildung zu thematisieren. Der LCH präsentierte auch in diesem Jahr provokative Zahlen: Nur rund ein Prozent der jährlichen Bildungsausgaben von 22 Milliarden Fr. bedürfte es laut Hochrechnung des LCH, um eine Integration der neuen Kommunikationstechnologien an allen öffentlichen Schulen der Schweiz zu vollziehen, einen Bildungs-Server zu installieren und die Ausbildung der Lehrkräfte voranzutreiben. Bundesrat Couchepin betonte mit Verweis auf die Arbeit der hundertköpfigen interdepartementalen „Koordinationsgruppe Informationsgesellschaft“ die herausragende Bedeutung der neuen Medien. Die Gewährleistung des technischen Zugangs könne jedoch nicht ausreichen, gelte es doch eine Zweiklassengesellschaft in der Informationstechnologie zu verhindern und auch in der Lehrerbildung entsprechende Ausbildungsanstrengungen zu machen [21].
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Qualitätskontrolle
Der Verband Lehrerinnen und Lehrer Solothurn (LSO) reichte beim Verwaltungsgericht des Kantons eine Rechtsgleichheitsklage ein, die sich gegen die Tatsache richtete, dass den Volksschul-Lehrkräften – im Gegensatz zum übrigen Staatspersonal sowie den Lehrkräften der kantonalen Schulen – der Leistungsbonus vorenthalten ist. Der LSO wollte mit der Klage einen Musterprozess anstrengen, denn er zweifelte an der Ernsthaftigkeit der bisherigen Lösungssuche des Kantons hinsichtlich der Lehrkräftebeurteilung. Im Sinne einer Erprobungsphase zwischen 1998 bis 2002 hatte dieser vorerst die Verantwortung an die Gemeinden abgegeben und jene mit der Entwicklung eigener Modelle für ein Beurteilungssystem beauftragt [22].
Gegen die Einführung von Leistungslöhnen demonstrierten Ende des Berichtsjahres rund 1000 Beamte und Lehrkräfte in den Strassen Neuenburgs. Davon waren etwa 200 Personen aus anderen Kantonen der Romandie angereist, um dem Neuenburger Modell – das Schule machen könnte – die Stirn zu bieten. Eine Antwort auf die in der ganzen Schweiz erhobenen Forderungen nach staatlicher Qualitätskontrolle sahen die welschen Lehrkräfte in der Autoevaluation im Sinne einer Verpflichtung zur Rückmeldung an Eltern, Schülerschaft und Öffentlichkeit. In der Deutschschweiz war das Prinzip des Leistungslohns nicht derart umstritten. Unter anderem kündigte der Kanton St. Gallen auf Beginn des Jahres 2000 die Einführung einer „Leistungswirksamen Qualifikation“ in Form einer dreijährigen Versuchsphase an. Ein ähnliches Modell lancierte der Kanton Zürich im Berichtsjahr [23].
 
[2] BZ, 28.9.99; TA, 5.10.99.2
[3] Presse vom 30.9.99. Vgl. hierzu auch die Resultate der Third International Mathematics and Science Study (TIMSS) von 1994 bis 1995 – der bisher grösste internationale Vergleich von Schülerleistungen auf verschiedenen Altersstufen (Ww, 10.6.99). Zur nationalen Sprachendiskussion Englisch-Französisch siehe unten, Teil I, 8b (Sprachen).3
[4] Amtl. Bull. NR, 1999, S. 2670; Amtl. Bull. StR, 1999, S. 988.4
[5] Presse vom 29.4.99.5
[6] EDK Jahresbericht 1999, März 2000, S. 8; NZZ, 23.9.99.6
[7] Presse vom 18.11.99; BaZ, 19.11.99; NZZ, 27.11.99.7
[8] AZ, 15.6. und 18.8.99.8
[9] NLZ, 13.9.99. Vgl. SPJ 1998, S. 375 f.9
[10] NLZ, 21.1. und 4.2.99. 10
[11] NZZ, 14.6. und 29.11.99. 11
[12] EDK Jahresbericht 1999, März 2000, S. 7 und S. 17; Presse vom 15.6.99. Aufgrund der Gutheissung dieses Reglements beschloss die Innerschweizer Erziehungsdirektorenkonferenz, eine neue dreijährige Ausbildung anzubieten, die Absolventinnen und Absolventen befähigt, sowohl im Kindergarten als auch in der ersten und zweiten Primarklasse zu unterrichten (vgl. NLZ, 6.10.99). Siehe auch die Stellungnahme des BR zum Vorstoss Heim (cvp, SO) betreffend die Ausbildung zur Kindergärtnerin und zum Primarlehrer (Amtl. Bull. NR, 1999, S. 511 f.). 12
[13] NZZ, 21.6.99. 13
[14] NZZ, 26.1.99. 14
[15] BaZ, 3.9.99; Bund, 1.11.99. 15
[16] SZ, 25.11.99. 16
[17] SN, 23.6.99. 17
[18] Bund, 5.2.99; vgl. SPJ 1998, S. 375. 18
[19] BaZ, 20.7.99. Vgl. auch den Vorstoss Comby (fdp, VS) betreffend Unterstützung der Schweizer Schulen im Ausland (Amtl. Bull. NR, 1999, S. 544). 19
[20] Presse vom 4.10.99. 20
[21] Presse vom 17.11.99; vgl. SPJ 1998, S. 304. Zu einer Umfrage betreffend die pädagogischen, organisatorischen und technischen Aspekte der Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) in den Schweizer Schulen vgl. NZZ, 28.1.99. Zum Mangel an Informatiklehrstellen vgl. unten, Berufsbildung. Zur Informationsgesellschaft vgl. unten, Teil I, 8c (Neue Kommunikationstechnologien). 21
[22] SZ, 6.5.99. 22
[23] LT, 9.8. und 7.12.99; SGT, 9.8.99. Vgl. SPJ 1998, S. 304 f. Zur Diskussion über die Schulqualität vgl. Bund, 1.2.99. 23