Année politique Suisse 2001 : Politique sociale / Groupes sociaux
 
Frauen
Die Gleichstellung ist in der Schweiz unterschiedlich weit fortgeschritten. Dieser Schluss liess sich aufgrund des ersten Frauen- und Gleichstellungsatlasses der Schweiz ziehen, der auf Daten der Jahre 1970-1990 und den Merkmalen Erwerbstätigkeit der Frauen, Anteil am höchsten Kader, Partizipation in den Gemeindeexekutiven und Bildungsstand beruht. Eindeutig am besten schnitten die Westschweizer Städte ab, gefolgt von den Deutschschweizer Städten und dem städtischen Umland der Westschweiz. Gemessen an diesen Indizes ist die Situation in den Vorstädten der Deutschschweiz am schlechtesten. Auffallend ist, dass in den agrarischen Gemeinden der Gleichstellungsgrad wesentlich besser ist als in den ländlichen Pendlergemeinden und in den Vororten [30].
Mit einer Motion forderte Nationalrätin Leutenegger (sp, BL), sämtliche Vorlagen des Bundesrates seien bezüglich ihrer Auswirkungen auf die Gleichstellung zu prüfen. Der Bundesrat erinnerte daran, dass bereits mehrfach diesbezügliche Vorstösse in Postulatsform überwiesen worden seien. Im neuen Parlamentsgesetz sei das Anliegen aufgenommen worden, weshalb dieser Punkt der Motion als erfüllt abgeschrieben werden könne. Leutenegger verlangte zudem, es sei ein Gleichstellungscontrollig der ganzen Verwaltungstätigkeit mit periodischer Berichterstattung ans Parlament einzuführen. Hier verwies der Bundesrat auf bereits eingeleitete Arbeiten innerhalb der Verwaltung, weshalb dieser Punkt auf seinen Antrag nur als Postulat angenommen wurde [31].
In den ausserparlamentarischen Kommissionen des Bundes sitzen neu 33,5% Frauen. Erstmals wurde damit die seit Jahren angestrebte Quote von 30% übertroffen. Nach der einschlägigen Verordnung von 1996 ist darauf zu achten, dass die Geschlechter, Sprachen, Regionen und Altersgruppen in diesen Gremien möglichst ausgewogen vertreten sind [32].
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Politische Vertretung
Gemäss einer Studie des BFS beträgt der Frauenanteil in den Exekutiven grösserer Schweizer Gemeinden (mehr als 10 000 Einwohner) gegenwärtig rund 24% (1997: 22%), doch ist nur in jeder neunten auch eine Frau Gemeindepräsidentin. Frauen aus Linksparteien haben die grösseren Wahlchancen als die Vertreterinnen der bürgerlichen Parteien. Den höchsten Frauenanteil weist die SP mit 34,7% aus, gefolgt von den Grünen (27,3%), der CVP (23,5%), der FDP (19,5%) und der SVP (16,2%). Der Vergleich zwischen den Sprachregionen zeigt durchschnittlich höhere Frauenanteile in den Gemeinden der Deutschschweiz als in der Romandie. Die gewählten Frauen stehen überproportional häufig Ressorts vor, die der traditionellen Frauenrolle nahe liegen (Soziales, Schule, Gesundheit, Jugend/Freizeit/Sport und Kultur); Finanzen und Verkehr sind dagegen fast reine Männerdomänen [33].
30 Jahre nach Einführung des Frauenstimmrechts wurde das Abstimmungsverhalten der Frauen erneut unter die Lupe genommen. Die Feststellungen glichen jenen von 1996. In rund 10% der 180 untersuchten Urnengängen konnten geschlechterspezifische Abweichungen festgestellt werden, bei 16 Abstimmungen war die Differenz sogar ausschlaggebend, wobei Frauen und Männer je achtmal obsiegten. Der Geschlechterunterschied manifestierte sich vor allem bei emotionalen und stark polarisierenden Vorlagen (Antirassismus-Gesetz, Alpeninitiative, Genschutzinitiative, 10. AHV-Revision ohne Erhöhung des Rentenalters, Mutterschaftsversicherung), bei denen die Frauen sozialer und umweltfreundlicher stimmten als die Männer [34].
Wie bereits vier und acht Jahre zuvor, wurde im Auftrag der Eidgenössischen Kommission für Frauenfragen (EFK) die Medienpräsenz der Kandidatinnen im Vorfeld der Nationalratswahlen 1999 untersucht. Erneut waren die Frauen (35% der Kandidierenden) klar unterdurchschnittlich vertreten (18% Redezeit im Fernsehen landesweit). In den Sendungen der öffentlich-rechtlichen TV-Anstalten hatten die Frauen mit 29% in der Westschweiz die höchste Fernsehpräsenz, gefolgt von der Deutschschweiz (23%) und dem Tessin (11%). Beim weniger prestigeträchtigen Radio waren die Frauen eindeutig besser repräsentiert (31%). Innerhalb der Bundesratsparteien durften sich die SP-Frauen am meisten äussern, gefolgt von jenen der CVP. Die FDP war vor der Kamera vor allem durch Männer vertreten, die SVP-Frauen waren medial praktisch inexistent. Diese Feststellungen wurden als ein deutliches Anzeichen dafür gewertet, dass die Benachteiligung der Frauen weniger von den Fernsehmachern als vielmehr von den Parteizentralen abhängt [35].
Die EFK konnte ihr 25jähriges Bestehen feiern. Zum Jubiläum stellte sie ihr neuestes Projekt vor, ein Mentoring-Programm für junge Politikerinnen, das sie zusammen mit der Dachorganisation der Jugendverbände (SAJV) durchführt. Ein Jahr lang werden junge Frauen, die sich bereits partei- oder verbandspolitisch betätigt haben, von einer Spitzenpolitikerin in ihrer Arbeit gefördert [36].
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Arbeitswelt
Fünf Jahre nach Inkrafttreten des Gleichstellungsgesetzes (GIG) zogen Gewerkschafterinnen, Juristinnen und Gleichstellungsexpertinnen eine recht positive Bilanz. Das Gesetz entfalte in erster Linie eine präventive Wirkung. Um nicht in die Schlagzeilen zu geraten, seien viele privaten Firmen bereit, Hand zu einem aussergerichtlichen Vergleich zu bieten, bevor es zu einem Verfahren wegen Diskriminierung von Mitarbeiterinnen kommt. Entsprechend sei die Zahl der durch das GIG vorgesehenen Schlichtungsbegehren laufend gestiegen. Die sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz sei ebenfalls zu einem Thema geworden, auch wenn viele Firmen es noch versäumten, Präventionsmassnahmen einzuleiten. Die deutlichsten Erfolge seien aber durch kollektive Lohnklagen von Frauen erreicht worden; diese betreffen fast ausschliesslich den öffentlichen Sektor. Die von den Arbeitgebern befürchtete Prozesslawine fand allerdings nicht statt: seit 1996 wurden rund 50 Entscheide und Urteile zum GIG gefällt, 10 Fälle betrafen den Tatbestand der sexuellen Belästigung. Als Schwachpunkt des GIG erachteten die Expertinnen den schlecht ausgebauten Kündigungsschutz (lediglich sechs Monate nach Ende des Verfahrens) sowie das fehlende Behördenklagerecht [37].
Der Bundesrat will den Anteil der Frauen in Kaderpositionen in der Bundesverwaltung bis Ende 2003 von rund 12% auf 17% erhöhen. Dies ging aus der Antwort auf eine Interpellation Hollenstein (gp, SG) hervor. Die Departemente und die Bundeskanzlei wurden angewiesen, bei Stellenbesetzungen durch die Regierung mindestens eine Frau in die engste Wahl zu nehmen bzw. vorzuschlagen [38].
 
[30] Lit. Bühler. 30
[31] AB NR, 2001, S. 934. Siehe SPJ 2000, S. 249. 31
[32] NZZ, 20.1.01. Siehe SPJ 1996, S. 277 f. 32
[33] Lit. BFS; NZZ, 14.6.01. Eine im Vorjahr publizierte Studie kam zu niedrigeren Zahlen, was sich daraus erklärt, dass dabei sämtliche Gemeinden berücksichtigt wurden (SPJ 2000, S. 250). Zu den Verhältnissen im Kt. BE vgl. Bund, 14.6.01, für die Legislativen der Ostschweiz SGT, 30.7.01. 33
[34] Presse vom 7.2.01. Vgl. SPJ 1996, S. 278 f. Siehe auch: Seitz, Werner, „Dreissig Jahre Frauen in der Politik“, in NZZ, 7.2.01. 34
[35] Presse vom 7.2.01. Siehe SPJ 1996, S. 279 f. Zur Revision des Gesetzes über die politischen Rechte, die Frauenförderungsmassnahmen des Bundes vorsieht, siehe oben, Teil I, 1c (Volksrechte). 35
[36] Presse vom 30.6.01. 36
[37] Presse vom 12.6. und 14.6.01; TA, 29.10.01. Zu einer erfolgreichen Lohnklage im Zürcher Gesundheitswesen siehe Presse vom 30.1.01; TA, 5.4.01. 37
[38] AB NR, 2001, I, Beilagen, S. 379 ff. 38