Année politique Suisse 2001 : Enseignement, culture et médias / Enseignement et recherche
Grundschulen
Eine komplette Übersicht zu den Revisionen der kantonalen Gesetze im Bildungsbereich befindet sich im Teil II, 6a-d.
Zur Fremdsprachendiskussion vgl. unten, Teil I, 8b (Sprachen).
Das zweite von der OECD lancierte und international durchgeführte Forschungsprojekt
PISA 2000 (Programme for International Student Assessment) förderte Zahlen zutage, die im Berichtsjahr für grossen Wirbel sorgten: Jeder fünfte Jugendliche in der Schweiz zeigt sich gemäss der Studie am Ende der obligatorischen Schulzeit höchstens imstande, einfache Texte zu verstehen; einem Drittel dieser Schülerinnen und Schüler geht sogar die
elementare Lesefähigkeit ab. Dabei sind insbesondere Kinder von zugewanderten oder bildungsfernen Eltern betroffen. Nur durchschnittliche Fähigkeiten zeigen die Schweizer Kinder in den Naturwissenschaften, während sie im Mathematikwissen überdurchschnittliche Leistungen erbringen. Als das Ergebnis der Studie reihum als nationale Katastrophe betitelt und die Frage aufgeworfen wurde, ob es sich bei den Schweizer Kindern um „Trottel-Schüler“ handle, wehrte Beat W. Zemp, Zentralpräsident des Lehrerverbandes LCH, ab. PISA 2000 stehe nicht für das „Grounding des Bildungssystems“, denn die Zahlen spiegelten im internationalen Vergleich den Durchschnitt. Die Schule müsse von Sparmassnahmen verschont bleiben und mehr Handlungsspielraum erhalten; sie sei jedoch nicht fähig, soziale Chancenungleichheit aufzuheben – höchstens etwas zu vermindern
[6].
Beide Räte überwiesen eine Motion der nationalrätlichen SPK, welche die Durchführung eines
Schüleraustauschs zwischen den Sprachregionen anlässlich der expo.02 verlangt. Die für den Austausch anfallenden Kosten wurden vom Bundesrat auf eine Mio Fr. geschätzt
[7].
Die im Vorjahr vom Nationalrat ganz knapp überwiesene Motion Zbinden (sp, AG) für eine
gesamtschweizerische Volksschulreform wurde vom Ständerat abgelehnt. Der Vorstoss verlangte vom Bundesrat, die Kantonsregierungen und die Schweizerische Konferenz der Kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK) zur gemeinsamen Realisierung einer schweizerischen Volksschulmodernisierung anzuhalten
[8].
Der St. Galler Grosse Rat stimmte einer Revision des Volksschulgesetzes und damit einem „
Repressionsartikel“ zur Einrichtung von „
Besonderen Unterrichts- und Betreuungsstätten“ (
BUB) für renitente Schülerinnen und Schüler zu. Demnach können gewalttätige, für den Unterricht nicht mehr tragbare Schülerinnen und Schüler von den Vormundschaftsbehörden für ein Jahr in die BUB eingewiesen werden – auch ohne Zustimmung der Eltern. Laut den Behörden wird ab Beginn des neuen Schuljahres im August 2002 die Einweisung von aus der Schule ausgeschlossener Jugendlichen in ein Strafinternat Realität werden. Dank der Bereitstellung der BUB hätten die Vormundschaftsbehörden nun die Möglichkeit, auch in schwierigen Situationen fördernde Massnahmen für die Schülerinnen und Schüler einzuleiten
[9]. Im Kanton Bern stimmte das Parlament einer Revision des Volksschulgesetzes zu, womit der
Ausschluss von renitenten Schülerinnen und Schülern während maximal zwölf Wochen pro Schuljahr möglich wird. Im weiteren ermöglicht das revidierte Gesetz flexible Lösungen für die Integration von Schulkindern mit unterschiedlichen Lernfähigkeiten
[10]
.
Im Kanton Tessin erlitt die heftig und kontrovers debattierte Volksinitiative „für eine effektive Freiheit in der Wahl der Schule“ mit über 74% Nein-Stimmen eine vernichtende Niederlage. Das Volksbegehren mit nationaler Signalwirkung hatte Bildungsgutscheine als Beiträge an Eltern, die ihre Kinder in Privatschulen schicken, in der Höhe von rund 10 Mio Fr. verlangt. Dass es der Stimmbevölkerung mit der Verwerfung der Initiative um das Prinzip der
Bildungsgutscheine für Privatschulen an sich – und nicht um die Frage nach der Beitragshöhe – gegangen war, zeigte sich in der Ablehnung des Gegenvorschlags mit über 72% Nein-Stimmen. Der Gegenvorschlag hatte tiefere Beiträge und eine Beschränkung der Zahlungen auf die obligatorische Schulzeit vorgesehen. Bei beiden Vorlagen hätten auch einkommensstarke Eltern von den Gutscheinen profitiert. Die Initianten bedauerten das Abstimmungsergebnis und beklagten, die Bevölkerung habe das Begehren als Angriff auf die öffentliche Schule und als Geschenk an begüterte Eltern missverstanden
[11].
Keine Folge gab der Nationalrat der Motion Wandfluh (svp, BE) für klare
Zertifizierungsrichtlinien für Diplome. Der Vorstoss hatte eine Bestimmung von Zertifizierungsrichtlinien auf einfachem, unbürokratischem Weg verlangt, damit Privatschulen ihren Marktvorteil der Topaktualität gegenüber den staatlich subventionierten Anbietern nutzen könnten. Ziel war dabei ein fairer Wettbewerb bei standardisierten Diplomstudien gewesen
[12].
Mitte des Berichtsjahres kritisierte und relativierte die EDK die Hochrechnungen des LCH betreffend vakanter Lehrerstellen insbesondere auf der Sekundarstufe I und im Bereich der Sonderschule. Der vor allem für die Kantone Aargau, Bern, Luzern und Zürich prognostizierte
Lehrermangel musste
entdramatisiert werden, fehlten doch statt den vorausgesagten 1000 Lehrkräften bloss einige Dutzend. Trotz dieser positiven Entwicklung warnte der LCH davor, an eine grundsätzliche Trendwende zu glauben. Das Hauptproblem – der
Attraktivitätsverlust des Lehrberufes – sei längst nicht aus der Welt geschafft. Auch die EDK räumte einen gewissen Handlungsbedarf ein, sei doch die Verweildauer im Beruf tatsächlich kürzer geworden, der Trend zu Teilzeitpensen sowie der Personalbedarf angesichts der anstehenden Einführung von neuen Modellen wie der Blockzeiten gestiegen. Aus diesen Gründen stellte die EDK langfristige Massnahmen auf drei Ebenen in Aussicht: Einerseits soll das Berufsbild der Lehrpersonen dank einem Ausbau der Entwicklungs- und Karrieremöglichkeiten gestärkt werden; andererseits soll die systematische Erfassung der Anzahl offener Stellen für mehr Transparenz sorgen und als Grundlage einer Lehrerbedarfsprognose dienen. Schliesslich stellte die EDK eine
nationale Imagekampagne zur Aufwertung des Lehrberufs in Aussicht. Prioritär seien dabei ein besseres Sozialprestige und die Rückbesinnung auf das pädagogische Kerngeschäft – in Abgrenzung zum Trend, die Schule als Sozialberatungsstelle zu missverstehen. Der LCH stand der Idee einer Kampagne eher kritisch gegenüber und fasste seine Forderungen in zwei Resolutionen zusammen: eine
Lohnerhöhung um 15%,
Pensenreduktionen, die Stärkung der Autorität der Lehrpersonen sowie gesetzlich abgesicherte Ordnungs- und Unterstützungshilfen bei „schwierigen Fällen“ zur Sicherstellung eines geordneten und strukturierten Schulbetriebs. Hingegen lehnte der LCH eine Erhöhung der Klassengrössen, eine Erweiterung der Unterrichtsverpflichtungen und tiefere Anforderungen für die Zulassung zur Grundausbildung strikte ab. Auf Seiten der Kantone wurden Internet-Stellenbörsen eingerichtet sowie Wiedereinsteigerkurse und Umschulungen angeboten. Ende des Berichtsjahres schien die Notlage laut einer von der EDK vorgestellten und breit angelegten Umfrage entschärft. Um künftige Engpässe zu vermeiden, seien jedoch weiterhin eine Stärkung des Berufsbildes und innovativere Rekrutierungsstrategien nötig. Die Studie soll zugunsten einer echten Vergleichbarkeit jährlich durchgeführt werden
[13].
Die
Finanznot der vom Bund anerkannten
Schweizerschulen im Ausland war auch im Berichtsjahr Schwerpunktthema am traditionellen Treffen derer Schulleiter und Präsidenten. Gemäss einer vom Komitee für Schweizerschulen im Ausland extern in Auftrag gegebenen Finanzanalyse, war eine Aufstockung des 1995 um vier Mio Fr. gekürzten Subventionsrahmens vonnöten, um eine akute Gefährdung der Bildungsinstitutionen zu verhindern. 9 der 17 Schweizerschulen hatten im Jahr 2000 rote Zahlen geschrieben; 1996 waren es noch drei gewesen. Die Analyse zeigte zudem, dass dringend notwendige Investitionen zurückgestellt wurden und einzelne Schulen von der Substanz lebten. Der Auslandschweizerrat sah damit das qualitativ hochstehende Bildungsangebot als ein Eckpfeiler schweizerischer Präsenz im Ausland gefährdet. In einer Resolution forderte er im Frühjahr eine entsprechende Erhöhung des Bundeskredites von gegenwärtig 15 auf 20,8 Mio Fr.
[14]. Im Mai hiess die APK des Nationalrates eine Motion gut, die eine Aufstockung der Bundesbeiträge gemäss Vorschlag des Auslandschweizerrats verlangt
[15]. Im Rahmen der Budgetdebatte einigten sich National- und Ständerat auf eine Krediterhöhung um 2 Mio Fr.
[16].
Ende des Berichtsjahres legte der Bundesrat einen Gesetzesentwurf zum Projekt „Schulen ans Netz“ und einen entsprechenden Fünfjahreskredit von 100 Mio Fr. vor. Mit dem Kredit und dem Bundesgesetz über die
Förderung der Nutzung von Informations- und Kommunikationstechnologien in den Schulen (
ICT-Gesetz) soll der Schwerpunkt auf die Ausbildung der Lehrkräfte und die nationale Koordination gelegt werden. An das Projekt „Schulen ans Netz“ ist eine Kooperation von Bund, Kantonen und Wirtschaft gekoppelt: Unter dem Projekttitel „Public Private Partnership (PPP) – Schulen ans Netz“ sehen namhafte Informatikunternehmen – so unter anderem die Swisscom – eine flächendeckende und kostengünstige Ausrüstung der Volksschulen mit der nötigen ICT-Infrastruktur vor. In der auf fünf Jahre begrenzten Projektdauer wollen die Unternehmen 100 Mio Fr. investieren. Eine Beteiligung von rund 800 Mio Fr. ist auf Seite der Kantone als Hoheitsträger der Volksschule vorgesehen. Der 100-Millionen-Kredit des Bundes soll seinerseits für die Lehrkräfteausbildung zur Integration des Computers in allen Fachbereichen eingesetzt werden. Nachdem die nationalrätliche WBK das Vorhaben knapp abgelehnt hatte, warb Bundesrat Couchepin im November an den Netdays – einer zum fünften Mal stattfindenden Aktionswoche zur Anschubhilfe für Informatikprojekte von Schulen – für den umstrittenen Kredit. Das Nein in der Kommission war aufgrund einer unheiligen Allianz zwischen einem grundsätzlichen SVP-Nein und einer nach mehr Mitteln verlangenden Ablehnung seitens der SP sowie Ängsten vereinzelter Kommissionsmitglieder vor einem Hoheitsverlust der Kantone im Schulbereich zustandegekommen. Couchepin lobte das ICT-Gesetz als
kooperativen Kraftakt von Wirtschaft, Bund und Kantonen. Klar war, dass ein Nein des Parlaments zwar beschämend wäre und für das Projekt verzögernd wirken könnte, die angelaufene Anbindung der Schulen ans Netz jedoch nicht aufzuhalten war. Als Erstrat stimmte der Nationalrat in der Wintersession dem bereinigten Bundesgesetz mit 126 zu 47 Stimmen zu. Nur die SVP hatte sich mit dem finanzpolitischen Argument des wachsenden Schuldenberges gegen den Kredit eingesetzt. Der Ständerat nahm seinerseits das Gesetz im Winter mit 23 zu 14 Stimmen an
[17].
An den Netdays konnte Bundesrat Couchepin zudem erstmals den
nationalen Bildungsserver www.educa.ch anklicken. Der Server dient den Lehrkräften als Plattform zum Herunterladen von Unterrichtshilfen sowie der Schülerschaft als Drehscheibe für die Wissensvermittlung. Er soll als Katalysator im Bildungswesen wirken und insbesondere beim Einsatz von ICT eine treibende Funktion einnehmen. Geplant war überdies die Vernetzung nationaler und ausländischer Institutionen und Projekte
[18].
[6] Presse vom 5.12. und 8.12.01;
Ww, 6.12.01;
SGT, 14.12.01;
SoZ, 16.12.01.6
[7]
AB NR, 2001, S. 266 ff.;
AB SR, 2001, S. 209 f.;
NZZ, 7.6.01.7
[8]
AB SR, 2001, S. 536 ff.;
NZZ, 21.9.01. Vgl.
SPJ 2000, S. 262.8
[9]
SGT, 9.5., 25.9. und 28.9.01;
NZZ, 14.12.01; vgl.
SPJ 2000, S. 343 f.9
[10]
Bund, 5.4., 6.4. und 6.9.01.10
[11]
Bund, 10.2.01; Presse vom 12.2.01;
LT, 17.2.01;
TA, 19.2.01; vgl.
SPJ 2000, S. 263.11
[12]
AB NR, 2001, S. 1989.12
[13]
SGT, 4.4.01 (Ostschweiz);
TA, 10.4.01;
BaZ, 18.4.01;
QJ, 24.4.01;
NZZ, 29.5.01 (ZH); Presse vom 14.6., 19.6., 25.6., 13.8. und 29.11.01;
NLZ, 15.6.01; vgl.
SPJ 2000, S. 263 f. Zu einer Umfrage betreffend die Gründe für den Abgang von über 200 Lehrerinnen und Lehrern aus den Basler Schulstuben siehe
NZZ, 5.4.01 und
AZ, 11.5.01.13
[14]
SGT, 2.4. und 20.6.01;
NZZ, 3.4. und 5.7.01; vgl.
SPJ 1999, S. 311.14
[15] Presse vom 2.5.01;
LT, 19.5.01. Vgl. hierzu auch die Antwort des BR auf die Interpellation Randegger (fdp, BS) betreffend die Subventionskürzungen bei den Schweizer Schulen im Ausland (
AB NR, 2001, S. 944).15
[16]
BBl, 2001, S. 6546 ff.;
AB SR, 2001, S. 761 ff., 932 ff. und 970 f.;
AB NR, 2001, S. 1662 ff., 1847 ff. und 1876 ff.16
[17]
BBl, 2001, S. 5957 ff. und 6534 ff.;
AB NR, 2001, S. 1566 ff.; 1641 ff. und 2012;
AB SR, 2001, S. 881 ff. und 1046;
BBl, 2001, 6579;
NZZ 10.3., 30.5. und 6.12.01;
Presse vom 23.8., 14.11., 21.11. und 29.11.01;
BaZ, 4.12.01;
Bund, 6.12.01. Vgl. hierzu auch die Antwort des BR auf die Frage Leutenegger (fdp, ZG) nach eventuellen Einschränkungen des freien Zugangs zum Markt für ICT im Bildungswesen durch die Einbindung der Swisscom in das Projekt „Schulen ans Netz“ (
AB NR, 2001, S. 119 f.;
NLZ, 13.3.01;
SHZ, 8.8.01).17
[18] Presse vom 14.11. und 21.11.01; vgl.
SPJ 2000, S. 271.18
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