Année politique Suisse 2006 : Economie / Politique économique générale
 
Strukturpolitik
Trotz der Verstärkung des internationalen Wettbewerbs und dem Rückgang des Anteils des Industriesektors an der Volkswirtschaft lehnt der Bundesrat die Einführung einer interventionistischen Industriepolitik weiterhin ab. Gemäss Bundesrat Deiss zeige unter anderen das Beispiel Frankreich, dass diese Art der Wirtschaftsförderung kontraproduktiv sei. Der Nationalrat teilte diese Haltung und lehnte eine entsprechende Motion Leutenegger (sp, BL) ab. Noch stärkere protektionistische Massnahmen zu Schutz einheimischer Arbeitsplätze schlug Zisyadis (pda, VD) vor. Seine parlamentarische Initiative, Firmen, die Arbeitsplätze ins Ausland verlegen, mit einer Sondersteuer zu bestrafen, lehnte der Nationalrat diskussionslos ab [6].
Die Bezeichnung „Schweiz“ wird oft bei in- und ausländischen Produkten als Mittel zur Verkaufsförderung eingesetzt. Mit dem Argument der besseren Information der Konsumenten, aber auch des Schutzes einheimischer Produzenten vor unfairer ausländischer Konkurrenz reichten Nationalrätin Hutter (svp, SG) und Ständerätin Fetz (sp, BS) Postulate für einen besseren Schutz der „Marke Schweiz“ und des Schweizer Wappens ein. Beide Parlamentskammern überwiesen diese Vorstösse mit dem Einverständnis der Landesregierung. In seiner Antwort auf das Postulat Fetz machte Justizminister Blocher aber darauf aufmerksam, dass bei der Schaffung von gesetzlichen Schutzbestimmungen heikle Definitionsprobleme zu lösen wären, da heute – abgesehen von der Landwirtschaft – kaum mehr ein Produkt zu hundert Prozent in einem einzigen Land entwickelt und hergestellt werde [7].
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Regionalpolitik
Das Parlament befasste sich im Berichtsjahr mit der vom Bundesrat vorgeschlagenen neuen Regionalpolitik. Als Erstrat musste der Ständerat in der Frühjahrssession zur Kenntnis nehmen, dass seine vorberatende Kommission nicht in der Lage gewesen war, das Ende 2005 vom Bundesrat vorgelegte Paket vollständig zu beraten. Er hiess deshalb zuerst einmal, als Übergangslösung bis zur Inkraftsetzung des neuen Gesetzes, die Verlängerung der Geltungsdauer für die bestehenden Instrumente gut. Der Nationalrat folgte ihm in der Sommersession. Im Einzelnen handelte es sich dabei um folgende Programme: Interreg III der EU, Unterstützung des Strukturwandels im ländlichen Raum, Unterstützung von Investitionsvorhaben und überbetriebliche Investitionen in wirtschaftlichen Erneuerungsgebieten sowie Massnahmen zugunsten von wirtschaftlichen Erneuerungsgebieten [8].
Das neue Bundesgesetz über die Regionalpolitik, das die Mitfinanzierung von infrastrukturellen Einzelprojekten durch die Unterstützung von Massnahmen ersetzen will, welche die Konkurrenzfähigkeit einer Region insgesamt stärken, kam dann in der Sommersession vor den Ständerat. Dieser nahm es ohne bedeutende Änderungen an. Im Nationalrat, der die Vorlage ebenfalls noch in der Sommersession verabschiedete, beantragte eine von Gysin (sp, BS) angeführte Kommissionsminderheit die Rückweisung an den Bundesrat mit der Auflage, alle Regionen, das heisst auch die grossen Städte, in die Regionalpolitik einzubeziehen. Gysin fand für seinen Antrag im ganzen Rat nur bei vier anderen Abgeordneten Unterstützung. In der Detailberatung wurden Anträge der Linken abgelehnt, welche die Ziele der nachhaltigen Entwicklung und der Schonung der Ressourcen stärker gewichten wollten. Nicht besser erging es auch einem Antrag aus ihren Reihen, eine bessere Zusammenarbeit unter den Gemeinden, den Kantonen und dem Bund mit der Einrichtung einer Tripartiten Konferenz anzustreben [9].
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KMU
Beide Parlamentskammern stimmten einer Stärkung des gewerblichen Bürgschaftswesens, wie sie die WAK des Nationalrats mit einer parlamentarischen Initiative vorgeschlagen hatte, zu. Für die Absicherung von eventuellen Bürgschaftsverlusten und nachrangigen Darlehen bewilligte das Parlament einen Rahmenkredit von 40 Mio Fr. für die Periode 2007-2010 [10].
Der Bundesrat veröffentlichte gegen Jahresende eine Botschaft zu einem Bundesgesetz über die Aufhebung und die Vereinfachung von Bewilligungsverfahren. Darin stellt er dar, welche Vereinfachungen und Aufhebungen von Genehmigungsverfahren er in naher Zukunft durchführen will (resp. bereits eingeleitet hat). Die meisten dieser Massnahmen sind auf Verordnungsstufe geregelt oder gelten als Verwaltungspraxis. Die Kompetenz zu ihrer Aufhebung oder Abänderung liegt deshalb beim Bundesrat, den Departementen oder den zuständigen Bundesämtern. Für einige Neuerungen (z.B. die Aufhebung der immer noch verlangten Genehmigung des Handels mit gebrannten Wassern über die Kantonsgrenzen hinweg) braucht es hingegen eine Gesetzesänderung. Mit der Summe dieser an sich unspektakulären Vereinfachungen sollen die Unternehmen Millionen von Arbeitsstunden einsparen können [11].
Die im Vorjahr vom Nationalrat überwiesene Motion für eine Berücksichtigung der Anliegen der KMU bei der rechtlichen Umsetzung der internationalen Empfehlungen an die Banken bezüglich der Eigenmittelvorschriften und des Ratings für Geschäftskredite (Basel I und Basel II) fand auch in der kleinen Kammer Zustimmung [12].
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Tourismus
Der Nationalrat unterstützte eine Motion seiner WAK für eine Zusammenfassung der verschiedenen Organisationen, welche für die Schweiz oder einzelne ihrer Aspekte im Ausland Werbung machen. Gemäss der gegen den Widerstand der Linken verabschiedeten Motion sollen in einem ersten Schritt zwei Gesellschaften gebildet werden: eine aus Organisationen, die im Bereich der Aussenhandelsförderung tätig sind (u.a. Osec) und eine zweite aus den mehr im Tourismusbereich angesiedelten (z.B. Schweiz Tourismus, Präsenz Schweiz). Diese beiden neuen Gesellschaften sollen infolge von Synergieeffekten 20% der bisherigen Kosten einsparen und dann in einer zweiten Phase zu einer einzigen Organisation vereinigt werden. Die Linke kritisierte nicht die Konzentration an sich, sondern die mangelhafte Vorbereitung des Geschäfts und vor allem die vorgeschlagene Zusammenfassung von Organisationen aus dem Bereich der Entwicklungszusammenarbeit mit der Exportförderung. Der Ständerat lehnte diese Motion des Nationalrats auf Antrag seiner Kommission einstimmig ab. Das Anliegen einer Konzentration sei zwar weder im Parlament noch im Bundesrat umstritten. Der Vorstoss sei jedoch zu detailliert und gebe einzelne operative Schritte vor, ohne sich auf eine klare Strategie abzustützen. Im Oktober eröffnete der Bundesrat die Vernehmlassung zu einem Entwurf für ein Gesetz über die schweizerische Landeswerbung. Dieses sieht vor, dass die drei Organisationen Präsenz Schweiz, Schweiz Tourismus und Location Switzerland zu einer neuen öffentlichrechtlichen Anstalt fusioniert werden [13].
Als Zweitrat hiess der Nationalrat die Vereinheitlichung und Vereinfachung des Verfahrens für die Bewilligung von Luftseilbahnen zur Personenbeförderung gut. Ein Antrag, den Bund mit dem Gesetz auch auf die Förderung der Seilbahnen zu verpflichten, scheiterte deutlich. Obwohl die Grünen mit mehreren Anträgen unterlagen, welche umweltschutzpolitische Aspekte stärker betonen wollten, hiessen schliesslich in der Gesamtabstimmung alle Fraktionen das revidierte Gesetz gut. Die wenigen Differenzen zwischen den beiden Kammern waren rasch bereinigt [14].
Bei einigen der im alpinen Tourismusgebiet konzessionierten Spielbanken entsprachen die Umsätze und Gewinne bei weitem nicht den Erwartungen. Diejenigen von Arosa (GR) und Zermatt (VS) hatten ihren Betrieb mangels ausreichender Rendite bereits 2003 eingestellt; diejenigen in Davos und St. Moritz (beide GR) kämpfen bis heute mit grossen wirtschaftlichen Problemen. Andere wie Crans-Montana (VS) und Interlaken (BE) erwirtschafteten hingegen von Anfang an Gewinne. Zwei Parlamentarier aus Graubünden verlangten jetzt mit parlamentarischen Initiativen eine Lockerung der Konzessionsbestimmungen. Diese sehen heute vor, dass der an den Bund abzuliefernde Abgabesatz während einer Startphase von vier Jahren auf bis zu 20% reduziert werden kann. Ständerat Brändli (svp) forderte in seiner Initiative, dass diese Erleichterung für sich in wirtschaftlichen Schwierigkeiten befindende Spielbanken nicht nur für die Startphase, sondern unbeschränkt gelten soll. Nationalrat Bezzola (fdp) ging etwas weniger weit und verlangte, diese Startphase auf acht Jahre zu verlängern. Nachdem die Rechtskommissionen beider Räte diesen Initiativen Folge gegeben hatten, arbeitete diejenige des Ständerats eine Vorlage aus. Diese sieht eine Verlängerung der Startphase auf sieben Jahre vor. Der Bundesrat sprach sich gegen diesen Antrag aus, da damit die Gleichbehandlung der Casinos verletzt würde. Es sei zudem grundsätzlich nicht Aufgabe des Bundes, die beiden privaten Aktiengesellschaften der Kasinos Davos und St. Moritz mit zusätzlichen Steuerermässigungen zu fördern. Dies gelte umso mehr, als die Existenz dieser Spielbanken entgegen den Erwartungen offenbar keine positiven Auswirkungen auf den Tourismus in den beiden Regionen gehabt hätten [15].
Der Bundesrat eröffnete im Frühjahr eine Vernehmlassung über eine weniger restriktive Verordnung für die Zulassung von Glückspielautomaten [16].
 
[6] AB NR, 2006, S. 962 f. (Leutenegger) und 1195 f. (Zisyadis).
[7] AB NR, 2006, S. 116; AB SR, 2006, S. 399 f.; NZZ, 3.7.06; BZ und TG, 16.11.06.
[8] AB SR, 2006, S. 32 f. und 619; AB NR, 2006, S. 943 ff. und 1147; BBl, 2006, S. 5863 f., 5865 f., 5867 f. und 8863. Vgl. SPJ 2005, S. 89 f.
[9] AB SR, 2006, S. 493 ff., 854 ff. und 923; AB NR, 2006, S. 1370 ff., 1496 f. und 1603; BBl, 2006, S. 8417 ff. Vgl. SPJ 2005, S. 89 f.
[10] AB NR, 2006, S. 677 ff. und 1604; AB SR, 2006, S. 707 ff. und 924; BBl, 2006, S. 8305 ff.; BBl, 2007, S. 1715 (Rahmenkredit). Siehe SPJ 2005, S. 90. Vgl. auch den Protest von SR Fetz (sp, BS) gegen die vom BR geplante Reduktion der 10 regionalen Bürgschaftsorganisationen auf 3 (AB SR, 2006, S. 560; BaZ, 29.7.06).
[11] BBl, 2007, S. 315 ff.; Bund, 19.1.06; NZZ, 9.12.06. Siehe dazu auch die diversen Aufsätze in Die Volkswirtschaft, 2006, Nr. 1/2, S. 3-37.
[12] AB SR, 2006, S. 532 ff.
[13] AB NR, 2006, S. 688 ff.; AB SR, 2006, S. 518 ff. Vernehmlassung: Antwort des BR auf eine Anfrage Müller (fdp, SG) in AB NR, 2006, I, Beilagen, S. 124. Zu den Forderungen nach einer Konzentration siehe auch SPJ 2004, S. 81.
[14] AB NR, 2006, S. 425 ff., 1057 und 1145; AB SR, 2006, S. 459 ff. und 617; BBl, 2006, S. 5869 ff. Siehe SPJ 2005, S. 90 f. Siehe auch unten, Teil I, 6b (Generelle Verkehrspolitik).
[15] BBl, 2007, S. 199 ff. und 215 ff. (BR). Siehe SPJ 2002, S. 90.
[16] AB NR, 2006, S. 292 f. und I, Beilagen, S. 47 ff. Siehe SPJ 2005, S. 91 (Fussnote 18).