Année politique Suisse 2009 : Politique sociale / Assurances sociales
 
Krankenversicherung
Zu den Vorstössen aus der dringlichen Debatte über die angekündigten Prämienerhöhungen siehe oben, Teil I, 7b (Gesundheit, Sozialhilfe, Sport).
Zwei Motionen Leutenegger Oberholzer (sp, BL) resp. der SP-Fraktion im Nationalrat forderten den Bundesrat dazu auf, im Rahmen der Massnahmen zur Stützung der Konjunktur, dem Parlament eine Vorlage zur Entlastung der Familien mit Kindern zu unterbreiten. Dabei sollten in den Jahren 2010 und 2011 die Kinder bis zum 18. Altersjahr und die jungen Erwachsenen in Ausbildung bis zum 25. Altersjahr von den Krankenkassenprämien befreit werden. Der Bundesrat lehnte die Motionen ab, da er ein System der vollständigen Prämienbefreiung vorzieht. Der Nationalrat entschied sich gegen die Motion. Dasselbe Vorhaben verfolgte eine Motion Maury Pasquier (sp, GE) im Ständerat und scheiterte auch hier [32].
Ebenfalls abgelehnt wurde im Nationalrat eine Motion der Grünen, welche den Bundesrat beauftragen wollte, die im Krankenversicherungsgesetz zugesicherten Bundesbeiträge an die Kantone von 7,5 auf 10% zu erhöhen. Dabei sollten die Kantone verpflichtet werden, die Höhe der Prämienverbilligung so anzusetzen, dass die Bundessubventionen voll ausgeschöpft werden. Der Bundesrat beantragte die Ablehnung der Motion, da eine eben erst beschlossene Regelung (7,5%) nicht schon wieder in Frage gestellt werden sollte. Auch eine Motion Steiert (sp, FR) fand keine Mehrheit für einen zusätzlichen Bundesbeitrag an die kantonalen Prämienverbilligungen [33].
Eine Motion der SVP wollte den Bundesrat beauftragen, eine dringliche Gesetzesrevision vorzulegen, welche die Krankenkassenprämien für das Jahr 2010 auf dem Jahresniveau von 2009 einfriert und gleichzeitig die Vertragsfreiheit zwischen Versicherungen und Leistungserbringern unter Aufsicht von Bund und Kantonen herbeiführt. Der Bundesrat beantragte die Ablehnung der Motion, da er das Einfrieren der Prämien, mit welchem das Problem der Prämienerhöhungen nur auf die nächsten Jahre hinausgeschoben würde, nicht als sachgerecht betrachtete. Dem folgte auch der Nationalrat und lehnte die Motion mit 128 zu 57 Stimmen ab [34].
Eine parlamentarische Initiative Fetz (sp, BS) forderte, dass das Parlamentsgesetz mit Ausstandpflichten zu ergänzen sei, um über die Unvereinbarkeitsregeln hinaus Interessen- und Loyalitätskonflikte zwischen der Ausübung des parlamentarischen Mandats und der Funktion in mittelbaren Verwaltungsaufgaben zu verhindern. Dies betreffe beispielsweise die Krankenkassen, die in der sozialen Krankenversicherung tätig sind und damit unbestrittenermassen eine öffentliche Aufgabe im Auftrag des Bundes durchführen. In der Kommission des Ständerates sei die Dichte an Kassenmandatären unterdessen auf ein Mass gestiegen, das in der Öffentlichkeit umso weniger verstanden werde, als andere Funktionen einen Einsitz ins Parlament ganz verhindern. Die Kommission sprach sich knapp mit 6 zu 5 Stimmen gegen die parlamentarische Initiative aus. Etwas eindeutiger fiel die Abstimmung im Ständerat aus. Dieser sprach sich mit 23 zu 12 Stimmen gegen die parlamentarische Initiative aus [35].
In eine ähnliche Richtung zielte auch eine parlamentarische Initiative Jacqueline Fehr (sp, ZH), welche verlangte, dass Personen, die in einem operativen oder strategischen Leitungsgremium von Krankenkassen sitzen oder in den Leitungsgremien der entsprechenden Verbände, namentlich Santésuisse, tätig sind, der Bundesversammlung nicht angehören dürfen. Die Kommission des Nationalrates beantragte mit 16 zu 8 Stimmen, die parlamentarische Initiative abzulehnen. Dies mit der Begründung, dass Krankenkassen zwar im obligatorischen Bereich Verwaltungsaufgaben wahrnehmen, aber der Bund keine beherrschende Stellung einnehme, da er weder die geschäftsleitenden Gremien bestimme noch die Krankenkassen finanziere. Der Nationalrat folgte der Mehrheit seiner Kommission und lehnte die Initiative mit 104 zu 61 Stimmen ab [36].
Eine Motion der CVP forderte den Bundesrat auf, Massnahmen zur Kosteneindämmung bei den Prämien der obligatorischen Krankenpflegeversicherung in den Bereichen der ambulanten Spitalbehandlungen, der Medikamentenpreise und der Preise von diagnostischen und therapeutischen Mitteln und Gegenständen zu treffen. Überdies sollte der Bundesrat eine Höchstgrenze für die Sicherheitsreserven in der obligatorischen Krankenpflegeversicherung festsetzen. Der Bundesrat empfahl den ersten Teil der Motion (über die Kosteneindämmungen) anzunehmen, da er seit Langem entschlossen sei, in diesen Bereichen weitere Anstrengungen zu unternehmen. Eine Plafonierung der Reserven lehnte er jedoch ab. Der Nationalrat folgte dem Bundesrat und nahm den ersten Teil der Motion an und lehnte den zweiten Teil ab [37].
Eine Motion Fetz (sp, BS) wollte den Bundesrat beauftragten, die kalkulatorischen kantonalen Krankenkassenreserven bis 2012 angleichen zu lassen. Der Bundesrat stellte sich hinter dieses Anliegen und legte dar, dass er mehrfach seinen Willen bekundet habe, die Reserven der Krankenversicherer zwischen den Kantonen bis 2012 ins Gleichgewicht zu bringen. Diese Angleichung über mehrere Jahre hat zum Ziel, ein angemessenes Verhältnis zwischen den verschiedenen kalkulatorischen kantonalen Reservequoten pro Versicherer zu erreichen. Der Ständerat zeigte sich in dieser Frage gespalten. Während Gutzwiller (fdp, ZH) eine Kantonalisierung der Reserven als nicht sinnvoll betrachtete, da das Risiko über grössere Kollektive abgedeckt werden müsse, stimmte eine knappe Mehrheit von 18 gegen 15 für die Annahme der Motion [38].
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Revision des Krankenversicherungsgesetzes
Vor dem Hintergrund von Prämienerhöhungen gegen 15% hielt der Bundesrat rasch wirksame Massnahmen zur Kosteneindämmung für unabdingbar. Er legte dem Parlament daher eine Botschaft zur Revision des Krankenversicherungsgesetzes mit Massnahmen zur Eindämmung der Kostenentwicklung vor. Handlungsbedarf und Handlungsmöglichkeiten sah er vor allem im ambulanten und spitalambulanten Bereich. Die vorgeschlagenen dringlichen Massnahmen beinhalteten, dass erstens die Kantone zusätzlich zur bereits bestehenden Pflicht zur Planung des stationären Spitalbereichs auch zur Steuerung der Versorgung im spitalambulanten Bereich verpflichtet werden. Zweitens sollte die Nachfrage verringert werden durch die Erhebung eines vom Versicherten zu entrichtenden Behandlungsbeitrag und durch die Schaffung der allen Versicherten zugänglichen Möglichkeit, sich vor einem allfälligen Arztbesuch telefonisch beraten zu lassen. Schliesslich wollte der Bundesrat die Kompetenz erhalten, die Preise (Tarife) zu senken, wenn in einem bestimmten Bereich ein überdurchschnittlicher Preisanstieg zu verzeichnen ist. Zudem sollten zur sozialen Entlastung zusätzliche Gelder für die Prämienverbilligung von 200 Mio Fr. für das Jahr 2010 zur Verfügung gestellt werden [39].
Dieser Entwurf für eine Revision des Krankenversicherungsgesetzes wurde im Nationalrat als erster behandelt. Seine Kommission hatte den Entwurf in vielen Punkten abgeändert und in der Gesamtabstimmung eher knapp, mit 14 zu 10 Stimmen, angenommen. Umstritten waren vor allem die Streichung der vorgesehenen 200 Mio Fr. für die Prämienverbilligung und die vorgesehene Einführung der Vertragsfreiheit. Auf die Vorlage wurde mit 175 zu einer Stimme eingetreten. Die vom Bundesrat vorgeschlagene Praxisgebühr von 30 Fr., welche die Patienten bei den ersten sechs Arztbesuchen im Jahr entrichten sollten, hatte im Nationalrat keine Chance. Hingegen entschied sich der Rat für eine, von seiner Kommission vorgeschlagene, differenzierte Selbstbehaltsregelung. Die von einer Kommissionsmehrheit geforderte Einführung der Vertragsfreiheit zwischen Versicherern und Ärzten wurde im Nationalrat von den Linken und Grünen bekämpft und mit 87 zu 80 Stimmen abgelehnt. Der Vorschlag des Bundesrates zur Aufstockung der Prämienverbilligung um 200 Mio Fr. erhielt keine Mehrheit. Hier konnten sich die Bürgerlichen mit 105 zu 64 Stimmen durchsetzen. Ebenfalls gegen den Willen der links-grünen Minderheit dehnte der Nationalrat den bisher nur von Alleinstehenden erhobenen Beitrag an die Kosten des Spitalaufenthaltes auf alle Versicherte, mit Ausnahme der Kinder, aus. Ein Einzelantrag Ruey (fdp, VD) lehnte es ab, dass Kantone die Kompetenz erhalten, auch für den ambulanten Bereich der Spitäler Leistungsaufträge zu erteilen und diesen zu steuern. Der Antrag wurde mit 82 zu 74 Stimmen angenommen. Gemäss Antrag einer bürgerlichen Kommissionsminderheit beschloss der Nationalrat mit 117 zu 61 Stimmen, dass bei der Wahl einer höheren Franchise mit entsprechendem Prämienrabatt eine Vertragsdauer von drei Jahren zu gelten habe. Nach achtstündiger Debatte verabschiedete der Nationalrat die Vorlage in der Gesamtabstimmung mit 113 zu 58 Stimmen gegen den Widerstand des links-grünen Lagers, welches kritisierte, dass die Massnahmen eine einseitige Lastenverschiebung auf die Patienten und Versicherten darstellen [40].
Im Ständerat war das Eintreten auf die Vorlage unbestritten. Wie zuvor der Nationalrat strich auch der Ständerat ohne Diskussion die vom Bundesrat vorgeschlagene Praxisgebühr von 30 Fr. Mit der vom Nationalrat vorgeschlagenen differenzierten Selbstbehaltsregelung erklärte er sich grundsätzlich einverstanden. Analog zum Nationalrat wurde eine Erhöhung der Prämienverbilligung mit 23 zu 9 Stimmen abgelehnt. Der Ständerat beschloss ferner, dass die Krankenkassen in Zukunft nur noch Medikamente bezahlen müssen, die maximal 10% teurer sind als das jeweils günstigste Medikament. Nicht durchsetzen konnte sich eine Reduktion der Vertriebsmargen auf 8%. Bei der Vertragsdauer für Versicherte, welche eine höhere Franchise wählen, nahm der Ständerat eine Abschwächung vor und kürzte die Dauer auf zwei Jahre anstatt drei. Ausserdem setzte sich mit 20 zu 13 Stimmen ein Antrag durch, wonach Versicherte nach einem Jahr zwar nicht die Franchise, wohl aber die Kasse wechseln können, falls sich die Prämie erhöht. Analog zum Nationalrat lehnte es auch die kleine Kammer ab, den Kantonen Planungskompetenzen für den ambulanten Bereich der Spitäler zu erteilen. Den vom Nationalrat unterstützen bundesrätlichen Vorschlag für eine obligatorische flächendeckende Telefonberatung lehnte der Ständerat mit 23 zu 12 Stimmen ab. In der Gesamtabstimmung nahm die kleine Kammer die Vorlage einstimmig, mit 5 Enthaltungen, an [41].
In der Differenzbereinigung gab der Nationalrat bei der obligatorischen medizinischen Telefonberatung nach und strich den Passus. Die Bestimmung des Ständerates, dass Medikamente nur noch bezahlt werden müssen, wenn sie maximal 10% teurer sind als das günstigste Medikament, wurde vom Nationalrat gegen den Widerstand einer links-grünen Minderheit wieder gestrichen. Der Nationalrat folgte zudem einer Kommissionsminderheit, welche der Auffassung war, dass der differenzierte Selbstbehalt ohne Verzug eingeführt und nicht in die Managed-Care Vorlage ausgegliedert werden soll. Zudem forderte der Nationalrat, an der Dringlichkeit der Vorlage festzuhalten [42].
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Leistungen
Eine Motion Schwaller (cvp, FR) wollte den Leistungskatalog der Grundversicherung als Positivkatalog formulieren und eine strenge Überprüfung nach den Kriterien der Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit vornehmen. Der Bundesrat sah einen Teil der Anliegen der Motion bereits als erfüllt an, da ein positiv formulierter Leistungskatalog für die nichtärztlichen Leistungen bereits besteht. Die Problematik des Einsatzes medizinischer Leistungen ausserhalb des Zweckbereiches der obligatorischen Krankenpflegeversicherung lasse sich zudem nicht mit einer Positivliste lösen. Der Bundesrat beantragte daher die Ablehnung der Motion. Der Ständerat teilte die Meinung des Bundesrates aber nicht und nahm die Motion mit 17 zu 13 Stimmen an [43].
Eine Motion Stähelin (cvp, TG) forderte, dass Personen, welche aufgrund ihrer wirtschaftlichen Situation in der Lage sind, ihre Krankenkassenprämien zu bezahlen, dies aber trotzdem nicht tun, auf einer Liste erfasst werden, welche nur den Leistungserbringern, Gemeinden und Kantonen zugänglich ist. Die Erfassung auf dieser Liste hat zur Folge, dass seitens der Leistungserbringer nur noch die Leistungen der Notfallversorgung erbracht werden müssen, bis die Person wieder von der Liste gestrichen wird. Der Bundesrat anerkannte in seiner Antwort zwar die Problematik, er erachtete die Massnahme hingegen als nicht geeignet und beantragte daher die Ablehnung der Motion. Im Ständerat wurde ein Ordnungsantrag Fetz (sp, BS) angenommen, welcher forderte, dass die Motion durch die Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit vorzuberaten sei [44].
Eine parlamentarische Initiative der SGK des Nationalrates sah eine umfassendere Lösung des Problems der Nichtbezahlung von fälligen Prämien und Kostenbeteiligungen vor. Die Vorlage der Kommission verlangte im Wesentlichen, dass die Kantone 85% der Forderungen übernehmen, für welche ein Verlustschein ausgestellt wurde. Um künftig zu verhindern, dass diejenigen Versicherten, denen die Prämienverbilligung direkt ausgerichtet wird, diese Gelder für andere Zwecke einsetzen, sollten alle Kantone verpflichtet werden, die Prämienverbilligungen an die Versicherer auszurichten. Im Nationalrat war das Eintreten auf die Vorlage unbestritten und die Fraktionen waren sich einig, dass das Problem der Nichtzahlung von Krankenkassenprämien und der Sistierung von Leistungen gelöst werden muss. Auch der Bundesrat unterstützte die Fassung der Kommission. Ein Minderheitsantrag Triponez (fdp, BE) forderte, dass die Versicherer die im Nachhinein bei den Versicherten eingetriebenen Schulden vollständig für sich behalten können. Dies sollte einen Anreiz für die Versicherer schaffen, die Schulden überhaupt einzutreiben. Der Nationalrat nahm den Minderheitsantrag mit 101 zu 69 Stimmen an. Ein weiterer Minderheitsantrag Bortoluzzi (svp, ZH) war ebenfalls erfolgreich und wurde mit 109 zu 58 Stimmen angenommen. Dieser Antrag schlug vor, dass Kantone Listen erstellen können von Personen, die trotz Mahnung und Betreibung ihre Prämien nicht bezahlen. Als Modell sollte dabei der Kanton Thurgau dienen, der diese Massnahme bereits mit Erfolg praktiziere. In der Gesamtabstimmung nahm der Nationalrat die Vorlage mit 165 zu 1 Stimme an [45].
Auch der Ständerat trat ohne Gegenantrag auf das Geschäft ein. Er folgte dem Antrag seiner Kommission und hielt an der ursprünglichen Fassung der parlamentarischen Initiative fest, wonach von den nachträglich beim Versicherten eingetriebenen Geldern die Kassen 50% an die Kantone zurückzahlen müssen. In der Gesamtabstimmung hiess der Ständerat die Vorlage einstimmig gut [46].
Eine Motion Humbel Näf (cvp, AG) forderte den Bundesrat auf, die Voraussetzungen zu schaffen, damit die Pflegeleistungen nach dem Krankenversicherungsgesetz und die Hilflosenentschädigung zur AHV/IV mit dem gleichen Bedarfsabklärungsinstrument bestimmt werden. Ziel sei die Vereinfachung der Administration, insbesondere für Pflegeinstitutionen wie Spitex und Pflegeheime. Der Bundesrat beantragte zuerst die Ablehnung der Motion mit der Begründung, dass sich die Hilflosenentschädigungen der AHV/IV und die Pflegeleistungen gemäss Krankenversicherungsgesetz in grundsätzlicher Hinsicht von einander unterscheiden. Seit seiner ersten Stellungnahme hatten sich einige Voraussetzungen verändert und er war deshalb bereit, die Motion in Form eines Postulates anzunehmen. Dem folgte der Nationalrat aber nicht, indem er die Motion als solche mit 109 zu 71 Stimmen annahm [47].
Anlässlich der angekündigten Prämienerhöhungen der Krankenkassen, welche, verglichen mit dem Anstieg der Gesundheitskosten, überproportional zunehmen, fand im Nationalrat eine dringliche Debatte statt. Es wurden fünf dringliche Interpellationen zum Thema Krankenversicherung und Gesundheitskosten behandelt und diskutiert. Einerseits eine dringliche Interpellation der CVP-Fraktion, welche Massnahmen forderte in den Bereichen Medikamentenpreise, festgelegte Preise der Migel, Spitallandschaft, Abgeltung von Überkapazitäten bei den Spitälern, korrekte Kodierung von Fällen in der stationären Behandlung, Planung und Entwicklung der Spitzenmedizin sowie bei den Tarifvereinbarungen zwischen den Leistungserbringern und den Krankenversicherern. Etwas allgemeiner formuliert war eine dringliche Interpellation der BDP, welche vom Bundesrat wissen wollte, welche Massnahmen dieser zur Abschwächung der Kosten- und Prämienentwicklung plant und wie das Kostenwachstum beschränkt werden könne. Die dringliche Interpellation der SP unterteilte ihre Forderungen in zwei verschiedene Bereiche. Zum einen in dringliche Massnahmen im Bereich der Krankenversicherung, wo es ebenfalls um Medikamentenpreise und eine Rationalisierung des Spitalsystems ging, aber auch um Prämienverbilligungen, einen Paradigmenwechsel im Bereich Managed Care und eine Revision des Risikoausgleichs. Zum anderen forderte sie dringende Reformen bei der Gouvernanz, wie beispielsweise die Verbesserung der Wirksamkeit der Gouvernanz im Gesundheitswesen. Die FDP verlangte in ihrer dringlichen Interpellation vor allem eine Problemlösung im Bereich der mangelnden Selbstverantwortung der Leistungsbezüger, einen transparenteren Wettbewerb bezüglich Preis und Leistungen der Versicherungsprodukte der Krankenversicherer, eine bessere Transparenz über Qualität und Nutzen der erbrachten Leistungen und eine Wiederaufnahme der Anreize bezüglich der Verschreibung von Generika. Schliesslich appellierte die grüne Fraktion mit ihrer dringlichen Interpellation an die soziale Verträglichkeit des Prämienanstieges und interessierte sich daher besonders für Fragen betreffend die Prämienverbilligung. Aber auch Verwaltungskosten der Krankenkassen wurden angesprochen, ebenso wie die Finanzflüsse und Quersubventionierungen innerhalb der Krankenkassen-Holdings und die Rahmenbedingungen für die Reservebildung der Krankenkassen [48].
Bei einem Gesundheitsgipfel im Frühjahr forderte Bundesrat Couchepin die Einführung einer Praxisgebühr von 30 Fr., um unnötige Arztbesuche zu verhindern. Diese finanzielle Hürde sollte die Patienten davon abhalten, wegen Bagatellen die Krankenkasse zu beanspruchen. Die Belastung chronisch Kranker wurde dabei allerdings begrenzt. Der Vorschlag stiess auf sehr viel Kritik: einzig der Krankenkassenverband Santésuisse stand der vorgeschlagenen Praxisgebühr positiv gegenüber. Neben der Praxisgebühr stellte Couchepin wenig später noch weitere Massnahmen vor, um die angekündigten massiven Prämienerhöhungen zu stoppen. Einerseits sollte eine Telefonberatung eingeführt werden, welche alle Versicherer kostenlos erbringen müssen. Andererseits wollte der Bundesrat die Kompetenz erhalten, die Senkung der Arzttarife bei einer überdurchschnittlichen Kostensteigerung beschliessen zu können. Mit Leistungsaufträgen sollten die Kantone zudem dazu gebracht werden, die Kosten bei den Spitalambulatorien zu senken. Für die Verbilligung von Krankenkassenprämien forderte Couchepin zudem den Einsatz von mehr Bundesmitteln [49].
Trotz heftiger Proteste der Ärzte senkte der Bundesrat auf Mitte Jahr die Labortarife. Damit sollen jährlich 200 Mio Fr. eingespart werden. Die Ärzteverbindung FMH wehrte sich gegen die Senkung und warnte vor einschneidenden Folgen für die Patienten. Das geltende Tarifmodell war seit 1994 nicht mehr angepasst worden, obwohl heute dank technischem Fortschritt Analysen automatisiert und damit kostengünstiger durchgeführt werden können. Die Schweizer Labortarife waren zudem massiv höher als im umliegenden Ausland. Diese Sparmassnahme sorgte nicht nur bei den Ärzten für sehr viel Widerstand, sondern auch bei Gesundheitspolitikern aus verschiedenen Lagern. Neben den Hausärzten forderten auch die Patienten den Bund auf, die Labortarife nicht zu senken. Ein Ärztestreik in den Kantonen Waadt und Genf gegen die höheren Labortarife war ausserdem gut befolgt worden. Wenig später folgte ein landesweiter Ärzteprotest, bei dem viele Hausärzte ihre Praxen für einige Stunden schlossen und zu Manifestationen in die Kantonshauptstädte zogen [50].
Weitere Sparvorschläge kamen von den Gesundheitsdirektoren der Kantone. Diese wollten die Einrichtung von effizienten Ärztenetzwerken forcieren. Der Anreiz, ein Managed Care Modell zu wählen, könnte beispielsweise für gesundheitlich angeschlagene Patienten dadurch erhöht werden, dass sie keinen Selbstbehalt mehr bezahlen müssten [51].
 
[32] AB NR, 2009, S. 233 und 1547; AB SR, 2009, S. 523 f.
[33] AB NR, 2009, S. 230 (Motion der Grünen); AB NR, 2009, S. 1551 (Motion Steiert).
[34] AB NR, 2009, S. 1553.
[35] AB SR, 2009, S. 390 ff.
[36] AB NR, 2009, S. 939 ff.
[37] AB NR, 2009, S. 1280.
[38] AB SR, 2009, S. 250 ff.
[39] BBl 2009, S. 5793 ff.
[40] AB NR, 2009, S. 1376 ff. und 1409 ff.
[41] AB SR, 2009, S. 1069 ff. und 1078 ff.
[42] AB NR, 2009, S. 2077 ff. und 2147 ff.
[43] AB SR, 2009, S. 948 ff.
[44] AB SR, 2009, S. 521 f.
[45] AB NR, 2009, S. 1782 ff.
[46] AB SR, 2009, S. 1237 ff.
[47] AB NR, 2009, S. 526 f.
[48] AB NR, 2009, S. 1155 ff.
[49] Presse vom 22.4. und 7.5.09.
[50] Bund, 30.1.09; NZZ, 20.2. und 31.3.09; Presse vom 25.3.09.
[51] Presse vom 7.4.09.