Année politique Suisse 2011 : Eléments du système politique / Droits, ordre public et juridique
Strafrecht
Im vergangenen Jahr waren aufgrund heftiger Kritik verschiedene Vorschläge zu einer erneuten
Revision des am 1. Januar 2007 in Kraft getretenen, revidierten, allgemeinen Teils des Schweizerischen Strafgesetzbuchs
in die Vernehmlassung gegeben worden. Unter den vorgeschlagenen Änderungen befanden sich die Wiedereinführung von kurzen Freiheitsstrafen, die Erhöhung der Altersgrenze im Jugendstrafgesetz auf 25 Jahre und die Revision der Bestimmungen zur Landesverweisung. Gleichzeitig sollten elektronische Fussfesseln eingeführt werden, die den Vollzug von Straften ausserhalb von Gefängnissen und Anstalten ermöglichen. Eine gesetzliche Grundlage für den Einsatz von
elektronischen Fussfesseln zur Durchsetzung von Fernhaltemassnahmen gegen gewalttätige Partnern war auch durch eine Motion Perrin (svp, NE) gefordert worden, die nach dem Nationalrat auch im Ständeratangenommen wurde. Im Oktober 2011 nahm der Bundesrat die Vernehmlassungsergebnisse zur Kenntnis. Er wird bis Ende März 2012 eine Botschaft ausarbeiten
[46].
Die 2009 eingereicht Motion Luginbühl (bdp, BE), welche den Bundesrat mit der Ausarbeitung einer Änderung des StGB beauftragt, nach der die bedingte
Geldstrafen abgeschafft und Freiheitsstrafen unter sechs Monaten wieder eingeführt werden sollen, wurde nach der Zustimmung durch den Ständerat vom Nationalrat in einen Prüfungsauftrag umgewandelt
[47].
Eine Studie des Instituts für Kriminologie der Universität Zürich hat gezeigt, dass die Schweiz im Bereich Kriminalität den Level Europas erreicht hat. Ein Beispiel dafür waren die schweizweiten
Skimmingfälle. Für die Banken sei es aber sehr schwierig Bankomatenbetrüger, die illegal Kartendaten erlangen, gänzlich das Handwerk zu legen
[48].
Das Parlament überwies eine Motion Leutenegger-Oberholzer (sp, BL). Der Vorstoss fordert die Schaffung einer gesetzlichen Grundlage in der Form eine Bundesgesetzes für bisher auf Artikel 184 Absatz 3 der Bundesverfassung gestützte Blockierungen von
Geldern gestürzter Potentaten [49].
Auf der gesetzlichen Grundlage des 2010 angenommenen Bundesgesetzes über die Rückerstattung unrechtmässig erworbener Vermögenswerte politisch exponierter Personen hat das eidgenössische Finanzdepartement mit einer Klage an das Bundesverwaltungsgericht die Rückerstattung der
Duvalier-Gelder an Haiti in die Wege geleitet
[50].
Die bereits genehmigten
Doppelbesteuerungsabkommen sollen mit einer Auslegungsklausel ergänzt werden, die es erlaubt, dass Amtshilfe auch geleistet werden kann, wenn der Name der verdächtigen Person nicht genannt wird. Das Parlament ermächtigte das EFD, die Klausel mit den betreffenden Staaten in geeigneter Form bilateral zu vereinbaren. Im Regelfall würden aber Steuerpflichtige und Banken auch künftig durch Namen und Adresse identifiziert
[51].
Der Verband Schweizerischer Polizeibeamter hat eine Kampagne „
Stopp der Gewalt gegen Polizisten“ lanciert, welche die Bevölkerung und die Politik für die Problematik sensibilisieren will
[52].
Der Bundesrat setzte die Verordnung über die Sicherheitsorgane der Transportunternehmen im öffentlichen Verkehr (VST) in Kraft, welche der Transportpolizei das Tragen von Waffen erlaubt. Damit konkretisiert die Verordnung das 2010 erlassene Bundesgesetz gleichen Namens. In den Räten war die Frage über die
Bewaffnung der Sicherheitsorgane umstritten gewesen und war deshalb an den Bundesrat delegiert worden. Mit seinem Entscheid trägt der Bundesrat der Meinung der Polizei- und Bahngewerkschaften sowie der kantonalen Justiz- und Polizeidirektoren Rechnung, die in der Anhörung vom Herbst 2010 eine Bewaffnung gefordert hatten. Obwohl zuerst ablehnend eingestellt, entschied sich im September auch die SBB, ihre Transportpolizei (Bahnpolizei) mit Schusswaffen auszurüsten
[53].
Mit seiner 2008 eingereichten Motion verlangte Fehr (svp, ZH) die
Aufstockung des Grenzwachtkorps (GWK) um 200 bis 300 Stellen sowie eine konkurrenzfähige Besoldung, vor allem der jungen Grenzwächter. Nachdem die Motion vom Nationalrat 2009 angenommen wurde, schuf die kleine Kammer eine Differenz, indem sie die Streichung der verbindlichen Zahl von 200 bis 300 Grenzwächter forderte. Gleichzeitig überwies der Ständerat ein Postulat seiner sicherheitspolitischen Kommission, das den Bundesrat beauftragt, den Bestand des Grenzwachtkorps bis Ende 2010 aufgrund der Erfahrungen mit dem Schengen-Dublin-Abkommen zu überprüfen. Damit sollte sichergestellt werden, dass die Motion auch ohne genaue Zahlenangabe effektiv umgesetzt wird. Der Nationalrat stimmte 2011 der Änderung zu, womit die Motion überwiesen wurde
[54].
Das EJPD gab einen Vorentwurf des Bundesgesetzes über die im Ausland erbrachten
privaten Sicherheitsdienstleistungen in die Vernehmlassung. Das Gesetz soll den Schutz gewisser Interessen und Grundsätze der Schweiz sicherstellen. Dazu ist ein Verbot bestimmter Aktivitäten wie das Söldnertum vorgesehen. Damit die Kontrolle ausgeübt werden kann, sollen die Unternehmen ihre Aktivitäten den zuständigen Behörden melden müssen
[55].
Die erst am 1. Januar 2011 in Kraft getretene
Schweizerische Strafprozessordnung (StOP), in welcher erstmals das formale Strafrecht gesamtschweizerisch geregelt wird, war bereits Gegenstand heftiger Kritik. So wollte Staatsrechtsprofessor Martin Killias gegen die Strafprozessordnung vorgehen. Seiner Ansicht nach mache sie Gerechtigkeit zur Geldfrage und gewähre den Opferschutz nur ungenügend
[56].
Das Parlament überwies eine Motion Ingold (evp, ZH), die den Bundesrat beauftragt, zusammen mit der Inkraftsetzung der Jugendstrafprozessordnung Massnahmen zu treffen, die die Zielerreichung der Verkürzung der
Jugendstrafrechtsverfahren und seine Wirksamkeit in einer Evaluation messen
[57].
Ein vom Nationalrat überwiesenes Postulat Pius Segmüller (cvp, LU) beauftragte den Bundesrat zu prüfen, ob die Strafprozessordnung dahingehend zu ändern ist, dass künftig
Raser, die schwere Verkehrsunfälle mit Toten und Verletzten verursachen, konsequent in Untersuchungshaft gesetzt werden könnten. Der Bundesrat beantragte eine Ablehnung des Postulats, da die Untersuchungshaft eine schwere strafprozessuale Zwangsmassnahme darstelle
[58].
Im Zusammenhang mit der Überprüfung der Strafrahmen schlug der Bundesrat vor, Inzest, d.h. den Beischlaf zwischen Blutsverwandten in gerader Linie, künftig für straflos zu erklären. Damit vollzog die Exekutive eine Kehrtwende, da sie bisher einer Streichung dieses Tatbestandes immer negativ gegenüber gestanden hatte. Sie argumentierte vormals, dass ein Verbot zum Schutz der intakten Familie wie auch aus eugenischen Gründen erforderlich sei. Die geplante Aufhebung der Strafnorm erhitzte die Gemüter. Die Gegner der Aufhebung stützten das
Inzest-Verbot weniger mit eugenischen als mit ethisch-moralischen Argumenten
[59].
Die Flucht des in der neuenburgischen Strafanstalt Bellevue verwahrten Sexualstraftäters Jean-Louis B. im Zuge eines begleiteten Ausgangs am 27.6.2011 provozierte eine Motion Rickli (svp, ZH), die eine Änderung des StGB fordert, nach welcher
Hafturlaube und Ausgänge für alle Verwahrte ausgeschlossen sind. Der Bundesrat beantragte die Ablehnung der Motion, da Vollzugsöffnungen für die Erstellung von Prognosen über die Gemeingefährlichkeit von Tätern unerlässlich seien. Rickli hat zusätzlich zusammen mit dem Sekretariat der SVP-Schweiz einen Mustervorstoss verfasst, der an die SVP-Fraktion in sämtlichen Kantonsparlamenten gehen wird. Darin wird die jeweilige Regierung aufgefordert, einen Bericht über die Zuständigkeiten bei der Gewährung von Ausgängen zu erstellen und Ausgänge im geschlossenen Vollzug zu streichen. In Reaktion auf den Fall Jean-Louis B. hatte der Kanton Bern vorläufig sämtliche begleiteten Ausgänge und Urlaube für Gemeingefährliche gestrichen
[60].
Mit der Verwahrung beschäftigte sich auch ein überwiesenes Postulat Recordon (gp, VD), das den Bundesrat beauftragt, einen Bericht über die Anwendung des Artikels des StGB über die Massnahmen der lebenslänglichen Verwahrung bzw. der Verwahrung auf unbestimmte Zeit zu erstellen. Das EJPD führt bereits seit 2008 eine Evaluation des Allgemeinen Teils des StGB durch und ein Bericht soll Ende 2012 verfügbar sein
[61].
Im Anschluss an die Motionen Jositsch (sp, ZH) und Janiak (sp, BL), welche die Verlängerung der
Verjährungsfristen bei Wirtschaftsdelikten forderten, gab der Bundesrat eine Änderung des StGB in die Vernehmlassung. Der Vorentwurf sieht nicht eine spezielle Verjährungsfrist für Wirtschaftsdelikte vor, sondern will die Verjährungsfrist je nach Tatschwere erhöhen
[62].
Der Nationalrat überwies mit 95 zu 37 Stimmen eine Motion Frick (cvp, SZ), die den Bundesrat beauftragt zu prüfen, welche einfachen Verstösse gegen die Rechtsordnung zusätzlich zum heutigen Recht dem
Ordnungsbussensystem unterstellt werden könnten. Damit sollen die Strafbehörden und die Bürger entlastet werden. Der Ständerat hatte die Motion bereits in der Wintersession 2010 gutgeheissen
[63].
Die von Roth-Bernasconi (sp, GE) eingereichte parlamentarische Initiative fordert die Ausarbeitung einer Strafnorm, die
sexuelle Verstümmelung von Frauen oder die Aufforderung dazu in der Schweiz unter Strafe stellt. Für in der Schweiz niedergelassene Personen soll diese Regelung auch gelten, wenn die Tat im Ausland begangen wurde. Obwohl bereits heute eine Bestrafung möglich ist, erhofft sich die Initiantin von einer speziellen Strafnorm erzieherische Wirkung. Nach einer kleinen redaktionellen Änderung durch den Ständerat konnte die Änderung des StGB im Nationalrat mit 195 zu 1 und im Ständerat mit 44 zu 0 Stimmen angenommen werden
[64].
Die linksradikale Zürcher Politikaktivistin
Andrea Stauffacher wurde vom Bundesstrafgericht zu einer 17-monatigen unbedingten Freiheitsstrafe verurteilt. Ihr wurde angelastet, zwischen 2002 und 2007 fünf Sprengstoffanschläge gegen Gebäude verübt zu haben
[65].
Ein in Appenzell-Ausserroden zu einer Busse von 100 Franken verurteilter
Nacktwanderer wurde mit seiner Beschwerde beim Bundesgericht abgewiesen. Dieses besagte in seinem Urteil, dass Freikörperkultur auf Wanderungen in der Schweiz von den Kantonen eigenständig geregelt werden dürfe. In Appenzell Inneroden zieht Nacktwandern künftig eine Busse nach sich
[66].
In Umsetzung einer angenommenen parlamentarischen Initiative der christdemokratischen Fraktion erarbeitete die Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrats eine Revision des Betäubungsmittelgesetzes. Neu soll die Polizei den
Cannabiskonsum mit einer Ordnungsbusse in der Höhe von 100 Franken ahnden können, wenn der Täter nicht mehr als 10 Gramm Cannabis bei sich trägt. Nach der Vernehmlassung beschloss die Kommission das Ordnungsbussensystem nur für erwachsene Cannabiskonsumenten einzuführen. Die Vorlage kommt im kommenden Jahr ins Parlament
[67].
Eine Motion Gadient (bdp, GR) forderte den Bundesrat auf, das
Internationale Übereinkommen zum Schutz aller Personen vor dem Verschwindenlassen, welches 2006 von der UNO-Generalversammlung verabschiedet wurde, zu ratifizieren. In seiner Stellungnahme im Jahr 2009 teilte der Bundesrat mit, dass er das Anliegen der Motion teile und die möglichen bundes- und kantonsrechtlichen Auswirkungen des Übereinkommens prüfe. Eine Umsetzung des Übereinkommens hätte sowohl Änderungen des Bundes- wie auch des Kantonsrechts zur Folge und wäre mit Mehrkosten verbunden. Nachdem die Diskussion im Nationalrat zuerst verschoben wurde, nahm die grosse Kammer die Motion 2009 mit 131 zu 42 Stimmen an, wobei die SVP geschlossen dagegen votierte. Im Dezember 2010 beschloss der Bundesrat das Übereinkommen zu unterzeichnen, was am 19. Januar 2011 geschah. Das EDA arbeitete dann an einem Vorentwurf für den Bundesbeschluss für die Genehmigung des Übereinkommens, welcher in die Vernehmlassung gegeben werden sollte. Der Ständerat folgte in der Frühjahrsession dem Antrag seiner Rechtskommission und überwies die Motion
[68].
Durch das von Nationalrätin Wyss (gp, SO) eingereichte Postulat wird der Bundesrat aufgefordert, die
Unterstellung des Immobiliensektors unter das Geldwäschereigesetz (GwG) erneut zu prüfen. Dies war in einem Vorentwurf eines Bundesgesetzes über die Umsetzung der revidierten Empfehlung der internationalen Expertengruppe zur Bekämpfung der Geldwäscherei, Financial Action Task Force (FATF/GAFI), im Jahr 2005 bereits beantragt worden. Aufgrund der ablehnenden Haltung in der Vernehmlassung verzichtete der Bundesrat aber darauf und begnügte sich damit, dass durch die Bestimmung des Strafgesetzbuches zur Bekämpfung der Geldwäscherei (Art. 305bis StGB) nicht nur Finanzintermediäre erfasst sind. Der Nationalrat überwies das Postulat in der Frühjahrssession
[69].
Für die Motion Schweiger, die eine umfassende Revision des eidgenössischen Steuerstrafrechts fordert, vgl. unten Teil I, 5.
Eine Motion Amherd (cvp, VS) fordert die Unterzeichnung des
Übereinkommens des Europarates zum Schutz vor sexueller Ausbeutung und sexuellem Missbrauch sowie die notwendigen gesetzgeberischen Massnahmen zu treffen, damit die Inanspruchnahme der Prostitution von Minderjährigen unter Strafe gestellt wird. Die Motion wurde nach der Zustimmung beider Kammern an den Bundesrat überwiesen. Mit der Annahme der Motion wurde dem Anliegen der Standesinitiativen aus Wallis und Genf entsprochen, weshalb den beiden keine Folge gegeben wurde.Das EJPD gab infolge die Genehmigung und den Vorentwurf der Umsetzung des Übereinkommens bis Ende November in die Vernehmlassung.Der Vorentwurf sieht vor, dass künftig die Indienstnahme von sexuellen Diensten von unter 18-jährigen aber über 16-jährigen unter Strafe gestellt wird. Der Minderjährige bleibt hingegen straflos. Auch am Alter der sexuellen Mündigkeit von 16 Jahren wird nichts geändert
[70].
In Umsetzung einer Motion Sommaruga (sp, GE), schickte der Bundesrat eine Vorlage in die Vernehmlassung, welche eine Ausweitung des
Berufsverbotes für Pädokriminelle vorsieht. Neu sollen auch ausserberufliche Tätigkeiten wie beispielsweise das Leiten von Pfadfindern verboten werden können. Weiter soll ein Pädokrimineller auch dann nicht mehr als Lehrer arbeiten dürfen, wenn er sich in der Freizeit und nicht während der Arbeit an Kindern vergangen hat. Jede Person, die eine Tätigkeit mit unmündigen oder anders schutzbedürftigen Personen ausüben will, soll einen Strafregisterauszug vorlegen. Für den Verein Marche Blanche gingen diese Massnahmen allerdings zu wenig weit. Mit seiner 2009 lancierten Volksinitiative „
Pädophile sollen nicht mehr mit Kindern arbeiten dürfen“, die in diesem Jahr zustande gekommen ist fordert der Verein ein automatisches Berufsverbot
[71].
Das Parlament überwies eine Motion Amherd (cvp, VS), die den Bundesrat beauftragt, an der im Januar 2012 tagenden, intergouvernementalen Expertengruppe der UNO zu Cyber Crime die Bekämpfung des
virtuellen Kindesmissbrauchs zu thematisieren
[72].
Die letztes Jahr eingereichte parlamentarische Initiative Schmid-Federer (cvp, ZH), welche die
Effektivität und Effizienz in den Bereichen Jugendmedienschutz und Internetkriminalität sicherstellen wollte, wurde im Mai von der Initiantin zurückgezogen
[73].
Um die bessere Verfolgung von Pädophilen zu ermöglichen, sollen Internetanbieter verpflichtet werden, die Protokolle über die
Zuteilung von IP-Adressen, die Kundinnen und Kunden zur Verfügung gestellt werden, mindestens ein ganzes statt wie bisher ein halbes Jahr aufzubewahren. Dies fordert eine von beiden Kammern überwiesene Motion Barthassat (cvp, GE)
[74].
Eine Motion Aubert (sp, VD) beauftragte den Bundesrat, eine Grundlage zu schaffen, mit der eine allgemeine
Meldepflicht gegenüber Kinderschutzbehörden in allen Kantonen eingeführt werden kann. Nach der Zustimmung der grossen Kammer schuf der Ständerat eine Differenz, welche gewisse Ausnahmen von der Meldepflicht gestatten will. Diese Ausnahmen betreffen beispielsweise Ärzte. Der Nationalrat übernahm diese Modifikation
[75].
Die Migrationspolitik behandeln wir ausführlich unten, Teil I, Kapitel 7d (Ausländerpolitik).
Eine Arbeitsgruppe beschäftigte sich mit der Umsetzung der 2010 angenommenen Volksinitiative für die
Ausschaffung krimineller Ausländer. Eine Mehrheit der Experten empfahl die Initiative modifiziert umzusetzen, da die Vorschläge der SVP weder mit der Bundesverfassung noch mit dem Völkerrecht vereinbar seien. Die Juristen der SVP wollten jedoch am Wortlaut der Initiative festhalten. 2012 soll eine neue Initiative lanciert werden, deren Text die Umsetzung bereits präzisiert
[76].
Zur Bekämpfung der Ausländerkriminalität reichte die CVP/EVP/glp-Fraktion des Nationalrates eine Motion ein, welche eine
Anpassung des Asylgesetzes fordert. Die Motion wurde im Nationalrat mit 97 zu 85 Stimmen nur knapp angenommen
[77].
In einem vom Nationalrat überwiesenen Postulat Glanzmann-Hunkeler (cvp, LU) wird der Bundesrat beauftragt einen
Bericht über die Probleme der Sportgrossveranstaltungen im Zusammenhang mit dem Hooliganismus zu erstellen und mögliche Massnahme dagegen zu prüfen
[78].
Mit Gesetzesänderungen und technischen Anpassungen in den Zügen wollen der Bund und die SBB dem Treiben gewalttätiger Fussballfans in Zügen Einhalt gebieten. Darauf einigten sich die Spitzen der SBB und des Bundesamts für Verkehr (BAV). Konkrete Vorschläge für gesetzliche Anpassungen sollen bis Ende 2011 vorliegen. Im Vordergrund stehen Änderungen des Personenbeförderungsgesetzes (PBefG). So könnten Veranstalter in die Pflicht genommen werden: Denkbar wäre, dass die Veranstalter Fanzüge chartern und eine Kaution hinterlegen müssen, welche bei Schaden einbehalten werden kann. Eine andere Möglichkeit seien Zugfenster, die nur noch einen Spalt weit geöffnet werden könnten, damit keine Flaschen hinausgeworfen werden. Ein weiterer Vorschlag wären Kombitickets für die Fahrt in Extrazügen und den Eintritt ins Stadion für auswärtige Fans.
Am 1. September fand der letzte
Runde Tisch mit Vertretern aus Fussball-Liga, Bund, Kantonen, Städten und Polizei statt. Die Verhandlungen blieben aber ergebnislos. Der vom Bund initiierte Runde Tisch wurde deshalb nach drei Jahren aufgelöst. Im Anschluss konnten sich aber die Swiss Football League (SFL) und die Vereine einigen, dass Rayonverbote gegen Hooligans künftig für die ganze Schweiz gelten, Straftäter konsequenter und rascher verfolgt werden und dass ein einheitliches Konzept für den Umgang mit Gästefans entwickelt werden solle. Eine flächendeckende ID-Kontrolle wurde aber weiterhin abgelehnt
[79].
Auch die Konferenz der kantonalen Justiz- und Polizeidirektoren (KKJPD) befasste sich mit der Gewalt bei Sportanlässen. Der Vorstand beschloss einstimmig eine
Verschärfung des Hooligans-Konkordates. Zu den Massnahmen gehören eine Bewilligungspflicht für Fussball- und Eishockeyspiele, landesweite Rayonverbote und eine Verschärfung der Meldeauflagen. Die Vorschläge gingen in die Vernehmlassung und sollen 2012 in die Kantonsparlamente kommen. Auch begrüsste die KKJPD die vorgesehenen Massnahmen der SBB und des Bundes
[80].
Einen andern Weg beschritt der
BSC YB. Der Berner Fussballclub übernimmt die Verantwortung für die SBB-Extrazüge seiner Fans. Dabei sollen YB-Angestellte auch die Funktion des Schaffners übernehmen. Die SBB begrüsste diesen Entscheid und hofft, dass weitere Vereine folgen werden, damit die Millionenschäden an den Zügen künftig ausbleiben
[81].
Der Zuger Kantonsrat beschloss, dass der Eishockey Verein Zug (EVZ) künftig 60% der
Sicherheitskosten übernehmen muss. Dieses Modell könnte anderen Kantonen als Vorbild dienen
[82].
Das Bundesamt für Polizei testete in Zusammenarbeit mit dem Schlittschuh Club Bern ein neues
Kontrollsystem für Sportanlässe. Nebst dem Eintrittsticket sollen die Fans auch einen Personenausweis vorweisen, der dann mit mobilen oder fixen Geräten eingelesen wird. Die Daten werden mit der Datenbank Hoogan abgeglichen, aber nicht gespeichert
[83].
Eine Motion Savary (sp, VD) fordert, dass Telefonanbieter Internetabonnemente anbieten sollen, die es den Eltern ermöglichen, die Kontrolle über den Zugang ihrer Kinder zu pornografischen Bildern auszuüben. Weiter sollen
Familienabonnemente angeboten werden, bei welchen Gewalt und Pornografie vom Anbieter vorbeugend herausgefiltert werden. Obwohl der Bundesrat mehr auf die Sensibilisierung der Problematik setzen wolle, beantragte er die Annahme der Motion, welche dann auch von beiden Kammern überwiesen wurde
[84].
In die vom Bundesrat geforderte Richtung der
Sensibilisierung von Jugendlichen im Umgang mit den neuen Medien ging eine Motion Schweiger (fdp, ZG), die im Lehrplan 21 einen Medienführerschein einbauen wollte. Nachdem sie letztes Jahr vom Ständerat angenommen wurde, lehnte sie der Nationalrat aber ab
[85].
Nach dem Ständerat überwies auch der Nationalrat eine Motion Bischofberger (cvp, AI), die den Bundesrat beauftragt, eine gesetzliche Grundlage zu schaffen, um eine effizientere und kostengünstigere Zusammenarbeit der im Bereich
Jugendmedienschutz und Bekämpfung von Internetkriminalität tätigen Organe des Bundes sicherzustellen und Doppelspurigkeiten zu vermeiden
[86].
In der Frühjahrssession nahm der Nationalrat eine Motion Büchel (svp, SG) an, welche den Bundesrat beauftragt, dem Parlament Massnahmen für die
Bekämpfung der Korruption und Wettbewerbsmanipulation im organisierten Sportbetrieb zu präsentieren. Die Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur des Ständerates reichte darauf ein Postulat ein, nach welchem der Bundesrat zuerst die bereits vorhandenen Instrumente auf ihre Effektivität hin prüfen soll. Die kleine Kammer lehnte infolge die Motion ab und überwies das Postulat
[87].
Im Februar kam die 2007 von verschiedenen linken Organisationen lancierte Volksinitiative ‚Für den Schutz vor Waffengewalt‘ zur Abstimmung. Die Initiative forderte ein Verbot der privaten Aufbewahrung von besonders gefährlichen Waffen, einen Bedarf- und Fähigkeitsnachweis sowie die Einführung eines nationalen Waffenregisters. Das Initiativkomitee, das das Sturmgewehr im Kleiderschrank als Relikt des Kalten Krieges ansah, erhoffte sich mit der Neuregelung eine verbesserte Suizid- und Gewaltprävention. Nachdem 2010 bereits beide Räte und der Bundesrat die Ablehnung der Initiative empfohlen hatten, bekämpfte eine breite bürgerliche Allianz aus SVP, FDP, CVP, BDP, EDU, Schweizer Demokraten, Gewerbeverband, Bauernverband und Schiessverband die Waffen-Initiative. Die Gegner der Initiative befürchteten vor allem die Opferung traditioneller Werte zugunsten einer Scheinsicherheit. Die Initiative würde Zeichen eines Misstrauens in die Verantwortlichkeit der Bürger darstellen. Getroffen würden zudem jene, die verantwortungsvoll mit Waffen umgingen – Verbrecher würden sich hingegen nicht an die Regelung halten. Der BDP-Präsident Hans Grunder sah in der Initiative sogar das versteckte Ziel der Abschaffung der Armee. Auch rechneten die Gegner mit erheblichen administrativen Mehrkosten.
Die Initiative wurde am 13. Februar 2011 an der Urne mit 56,3%-Nein-Stimmen bei einer Stimmbeteiligung von 49,2% verworfen. Dabei wurden die bereits im Abstimmungskampf sichtbaren Gräben bestätigt. Die grösste Zustimmung fand die Initiative in der Westschweiz: Genf (61%), Basel-Stadt (58,9%), Waadt (53,7%), Neuenburg (53,2%) und Jura (52%), aber auch Zürich (50,4%) nahmen die Initiative an. Die Gegner der Initiative konzentrierten sich in der Zentral- und Ostschweiz: Appenzell Innerroden (72,3%), Obwalden (71,9%), Schwyz (70,9%) und Uri (70,6%). Die Vox-Analyse zeigte, dass den Stimmbürgern die Entscheidung leicht fiel und viele sich früh positionierten. Dabei hing der Stimmentscheid stark von der politischen Ausrichtung und den politischen Wertevorstellungen ab: Personen, die für eine offene und moderne Schweiz sind, stimmten ebenso massiv Ja, wie jene, die eine verschlossene und traditionelle Schweiz vertreten, Nein sagten. Es gewann damit dieselbe Schweiz die Abstimmung, die sich bereits bei der Minarett- und der Ausschaffungsinitiative durchsetzte. Die drei Hauptargumente der Befürworter polarisierten laut der VOX-Analyse stark: Dass die Waffe zuhause gefährlich und unzeitgemäss sei und die Selbstmordrate erhöhe, wurde von den Gegnern strikt abgelehnt. Sie argumentierten ihrerseits mit einer bereits genügenden Gesetzeslage und der Wahrung der persönlichen Freiheit und der Eigenverantwortung. Die Diskreditierung des Milizsystems der Armee war das Hauptargument des überparteilichen Komitees der Gegner, dessen vom Werber Alexander Segert illustrierten Kampagne mit kaputten 1.August-Lampions an die Emotion der Stimmbürger appellierte
[88].
Volksinitiative „Für den Schutz vor Waffengewalt“
Abstimmung vom 13. Februar 2011
Beteiligung: 49,2%
Ja: 1 083 312 (43,7%) / 5 1/2 Stände
Nein: 1 395 812 (56,3%) / 15 5/2 Stände
Parolen:
– Ja: CVP-Frauen, CSP, EVP, Grüne, GLP, PdA, SP, Sp-Frauen, GSoA, SEK, SGB, TravS, FMH.
– Nein: FDP-Liberale, FDP-Frauen, CVP (5)*, BDP, EDU, SVP, SVP-Frauen, AVF, JCH, SBV.
* In Klammer Anzahl abweichender Kantonalsektionen
Für Aufsehen sorgte dann im Nachfeld der Abstimmung die Botschaft des Bundesrates betreffend der Genehmigung und Umsetzung des
UNO-Feuerwaffenprotokolls. In der Presse wurde dies als eine Verschärfung des Waffenrechts dargestellt, die somit im Widerspruch zum frisch gefällten Volksentscheid stünde. Die Ankündigung war jedoch bei genauerer Betrachtung nicht neu. Das 2001 von der UNO-Generalversammlung verabschiedete Zusatzprotokoll gegen die unerlaubte Herstellung und Handel von Feuerwaffen sowie sein ergänzendes UNO-Rückverfolgungsinstrument sollten eigentlich schon vor der Initiative in Kraft gesetzt werden. Sie fordern nur geringfügige Anpassungen des Waffengesetzes und des Bundesgesetzes über das militärische Informationssystem (MIG), da das Schweizer Waffenrecht bereits im Rahmen von Schengen verschärft worden war. Neu würden unteranderem das Fälschen oder Abändern von Markierungen auf Feuerwaffen unter Strafe gestellt werden und die Aufbewahrungsdauer von Daten zur Abgabe und Rücknahme der persönlichen Armeewaffe von 5 auf 20 Jahre verlängert werden. Der Ständerat hat der Genehmigung und Umsetzung in der Herbstsession oppositionslos zugestimmt
[89].
Die Ablehnung der Waffen-Initiative hatte zahlreiche parlamentarische Vorstösse zum Thema Waffenmissbrauch und Überlassen der Armeewaffe zur Folge. Diese Vorstösse sind aber noch nicht im Plenum behandelt worden.
Gestützt auf das Waffengesetz (WG) konnte die neue Waffeninformationsplattform
Armada in Betrieb genommen werden. Sie erlaubt den kantonalen Polizeibehörden den Zugriff auf die Waffendaten des Bundesamtes für Polizei (Fedpol). So kann überprüft werden, ob einer Person eine Waffe verweigert oder entzogen wurde
[90].
[46] Mo. 09.4017: AB SR, 2011, S. 358; vgl. SPJ 2010, S. 26 und S. 30
[47] Mo. 09.3158: AB SR, 2011, S. 198; AB NR, 2011, S. 2100 ff.
[48] 24h, 31.8.11; BZ, 10.3.11.
[49] Mo. 11.3151: AB NR, 2011, S. 1263; AB SR, 2011, S. 1293 f.
[50] BZ, 3.5.11; vgl. SPJ 2010, S. 28.
[53] SR 745.21; TA, 18.8.11; NZZ online, 17.8.11; vgl. auch Teil I, Kapitel 6b (Eisenbahnverkehr).
[54] Mo. 08.3510; Po. 09.3737: AB NR, 2009, S. 1256f .; AB SR, 2009, S. 1264 ff.; AB NR, 2011, S. 53 ff.
[57] Mo. 11.3223, AB NR, 2011, S. 1265; AB SR, 2011, S. 1261.
[58] Po. 09.3518: AB NR, 2011, S. 126.
[60] Mo. 11.3767:TA, 2.7.11; NLZ, 8.7.11.
[61] Po .10.4035: AB SR, 2011, S. 200.
[62] Mo. 08.3806 (Jositsch); Mo 08.3930 (Janiak): BBl 2011, S. 7993.
[63]
Mo. 10.3747: AB NR, 2011, S. 701 f.
[64] Parl. Iv. 05.404: AB NR, 2010, S. 2133 ff.; AB NR, 2011, S. 1424 und 1867; AB SR, 2011, S. 484 f. und 1036; vgl. auch Teil I, Kapitel 7d (Frauen- und Gleichstellungspolitik.
[65] NZZ, 9.11.11; SoS, 11.10.11.
[66] Urteil 6B-345; NZZ, 18.11.11.
[67] Parl. Iv. 04.439; BBl 2011, S. 8195 ff..
[68] Mo. 08.3915: AB NR, 2009, S. 180 und 1890; AB SR, 2011, S. 72 f.
[69] Po. 10.4061: AB NR, 2011, S. 533.
[70] Mo. 10.3143; Kt.Iv. 10.320 (VS); Kt.Iv. 10.311 (GE); AB SR, 2011, S. 486; BBl 2011, S. 6553; NZZ, 19.8.11; vgl. SPJ 2010, S. 32.
[71] Mo. 08.3373; BaZ, 24.2.11; Initiative: BBl 2011, S. 4435 f.
[73] Parl. Iv. 10.473, vgl. SPJ 2010, S. 305.
[74] Mo. 10.4148: AB NR, 2011, S. 529; AB SR, 2011, S. 855.
[75] Mo. 08.3790: AB NR, 2011, S. 106; vgl. SPJ 2010, S. 32.
[76] QJ, 9.7.11; vgl. SPJ 2010, S. 32.
[77] Mo. 10.3066: AB NR, 2011, S. 1725.
[78] Po.11.3875: AB NR, 2011, S. 2266.
[79] TA, 27.6.11, BaZ, 2.9.11, AZ, 3.9.11; SN, 30.6.11; NZZ, 30.6. und 19.7.11.
[84] Mo.11.3314: AB SR, 2011, S. 890 f.; AB NR, 2011, S. 1913.
[85] Mo. 10.3256: AB NR, 2011, S. 151 ff., vgl. SPJ 2010, S. 305.
[86] Mo. 10.3466: AB NR, 2011, S. 151 ff., vgl. SPJ 2010, S. 305.
[87] Mo. 10.3919: AB NR, 2011, S. 529; AB SR, 2011, S. 924; Po. 11.3754: AB SR, 2011, S. 924.
[88] LN, 5.1.11; QJ, 5.1.11; 24H, 3.2.11; BZ, 14.2.11; Nai, Alessandro / Sciarini, Pascal, Vox – Analyse der eidgenössischen Abstimmungen vom 13. Februar 2011, Genf 2011, vgl. SPJ 2010, S. 33.
[89] BBl 2011, S. 4555 ff.; NZZ, 21.9., 5.1., 14.2. und 22.1.11; SN, 3.2.11.
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