Année politique Suisse 1977 : Allgemeine Chronik / Öffentliche Finanzen
Direkte Steuern
Mit dem Nein zum Finanzpaket ist zugleich der Versuch zu einer gewissen materiellen Steuerharmonisierung gescheitert. Eine Ergänzung zu Art. 42ter BV hätte den Bundesrat ermächtigt, seine Beiträge an die Kantone davon abhängig zu machen, dass diese ihre Steuerkraft und ihre Steuerquellen genügend ausschöpfen. Ob es damit allerdings zu einer indirekten Angleichung der Steuerlasten in den einzelnen Kantonen gekommen wäre, wie es der Antragssteller des Verfassungsartikels, Nationalrat Biel (ldu, ZU), intendiert hatte, muss bezweifelt werden. Eine entsprechende Einfache Anfrage von Nationalrat Letsch (fdp, AG) wurde vom Bundesrat mit der Feststellung beantwortet, dass die zur Diskussion stehende Verfassungsbestimmung keinen Auftrag und keine Kompetenz zu einer sog. materiellen Steuerharmonisierung beinhalte
[44].
Dennoch wurde am 12. Juni ein Schritt in Richtung Steuerharmonisierung getan. Mit 1 133 652 zu 715 072 Stimmem hiessen Volk und Stände einen Verfassungsartikel 42quinquies gut, der die Steuergesetzgebung von Bund, Kantonen und Gemeinden formell harmonisiert. Zu diesem Zweck erlässt der Bund Grundsätze über Steuerpflicht, Steuergegenstand und zeitliche Bemessung sowie über das Verfahrens- und Steuerstrafrecht. Die Steuertarife und die Freigrenzen bleiben hingegen weiterhin Sache der Kantone. Der Bundesbeschluss betrifft zudem nur die direkten Steuern. Die ganz im Schatten des Finanzpaketes stehende Vorlage war kaum bekämpft worden. Von den grösseren Parteien hatten lediglich die Liberalen, die PdA und die Republikaner die Nein-Parole beschlossen. Den Stimmbürgern des Kantons Wallis und verschiedener Kantone der Innerschweiz ging aber schon dieser Minieingriff in ihre Kantonssouveränität zu weit
[45].
Eine formelle Steuerharmonisierung war auch in der sozialdemokratischen Reichtumsteuerinitiative vorgesehen. Der Bund wurde beauftragt, verbindliche Vorschriften für die Steuerbemessungsgrundlage und das Veranlagungsverfahren zu erlassen. Das Kernstück der 1974 eingereichten Vorlage lag aber bei der materiellen Angleichung der Steuerbelastung. Bei den Staatssteuern sollten für Einkommen ab 100 000 Fr. und für Vermögen ab 1 Mio Fr. Mindestsätze fixiert und Einkommen auf dem Existenzminimum von der Besteuerung befreit werden. Gleichzeitig wurde für die direkte Bundessteuer eine Progressivskala mit einem Höchstsatz von 14% und einer vollumfänglichen Entlastung für Einkommen unter 40 000 Fr. vorgeschlagen. Mit einer Verschiebung der Kompetenzen von den Kantonen zum Bund bei der Besteuerung der juristischen Personen wollte man zusätzlich die interkommunale und interkantonale Steuerflucht erschweren. Die Zeit zwischen der Annahme der Vorlage und dem Inkrafttreten der Dauerordnung sollte mit einer Übergangsordnung überbrückt werden
[46].
Die meisten bürgerlichen Parteien sowie die Arbeitgeberverbände entschieden sich gegen die Initiative; der Landesring, die EVP und der Christlichnationale Gewerkschaftsbund beschlossen Stimmfreigabe. Die Initianten wurden vom Schweizerischen Gewerkschaftsbund, den Christlichen Metallarbeitern, den Parteien der extremen Linken sowie einzelnen Kantonalsektionen der Jungen CVP, des Landesrings und der NA unterstützt
[47]. Bürgerliche Kreise bekämpften in der Reichtumsteuer eine «Klassensteuer». Die Initiative schaffe auf der einen Seite «Gratisbürger» und mute auf der anderen Seite der Wirtschaft und dem für die Kapitalbildung bzw. die Investitionstätigkeit massgeblichen privaten Eigentum untragbare Fiskalbelastungen zu. Durch die Schwächung der Wettbewerbsfähigkeit der schweizerischen Wirtschaft, den Ruin ertragsschwacher Unternehmungen und die Steuerflucht ins Ausland würden letztlich auch Arbeitsplätze gefährdet. Zudem nehme die Vorlage auf die Verschiedenartigkeit der Finanz- und Steuerkraft der einzelnen Stände keine Rücksicht und benachteilige finanzschwache und mittelstarke Kantone
[48]. Die von verschiedenen Finanzdirektoren veröffentlichten Zahlen über die für den eigenen Kanton zu erwartenden Ertragseinbussen wurden von SP-Seite aber ebenso zurückgewiesen wie die Behauptung des eidgenössischen Finanzministers, die Reichtumsteuer bringe praktisch keine Mehreinnahmen. Ob und allenfalls mit wie vielen Millionen die neue Fiskalordnung zusätzlich zu ihren primären Zielen (stärkere Besteuerung des Reichtums, Entlastung der unteren Einkommen und Steuerharmonisierung) auch zur Sanierung der Bundesfinanzen beitragen würde, blieb bis zuletzt umstritten. In einem öffentlichen Brief an Bundesrat Chevallaz verwies die SP auf eine von der Wirtschaftsförderung herausgegebene Studie, die Mehreinnahmen in der Grössenordnung von über 500 Mio Fr. vorausgesagt hatte. Steuerexperten der Initianten kamen auf ein ähnliches Ergebnis
[49].
Mit
637 994 Ja zu 800 138 Nein erzielte die Reichtumsteuerinitiative einen Achtungserfolg. Die Westschweiz (mit Ausnahme des Wallis), das Tessin und die Nordwestschweiz wiesen bedeutende Ja-Kontingente auf; in drei Kantonen (BE, BS und NE) wurde die Vorlage sogar angenommen. Die Gegnerschaft war am stärksten in der Innerschweiz und der Ostschweiz
[50]. Das Volksbegehren hatte nicht zuletzt von einzelnen «Steuerskandalen» profitiert, die im Laufe des Jahres an die Öffentlichkeit gedrungen waren. Berichte über steuerfreie Millionäre im Kanton Zürich, über angebliche Steuerdelikte bekannter Politiker in den Kantonen Freiburg und Tessin sowie über entgangene Fiskaleinnahmen beim Handwechsel der Bally und im Fall des Chiasso-Skandals der Schweizerischen Kreditanstalt verstärkten den Ruf nach grösserer Steuergerechtigkeit
[51]. In verschiedenen Vorstössen erkundigten sich Parlamentarier denn auch nach Lücken in der Steuergesetzgebung von Bund und Kantonen
[52].
Mehr Möglichkeiten, gegen Steuersünder vorzugehen, erhielt der Bund mit dem im Juni vom Parlament verabschiedeten
Bundesgesetz über Massnahmen gegen die Steuerhinterziehung. Der ursprüngliche, vom Nationalrat mit kleinen Änderungen gutgeheissene Entwurf des Bundesrates ist von der Kleinen Kammer allerdings stark verwässert worden. Geblieben ist die verschärfte Auskunftspflicht und die Kriminalisierung des Steuerbetrugs. Die einfache Steuerhinterziehung wird hingegen weiterhin nur mit Busse und nicht mit Gefängnis bestraft werden. Entgegen dem Antrag des Bundesrates können die für schwere Fälle des Steuerbetrugs und der Steuerhinterziehung vorgesehenen Untersuchungsorgane zudem nur auf Verlangen der betroffenen Kantone eingesetzt werden; die Wirksamkeit des Gesetzes steht und fällt also mit der Bereitschaft der Stände, die neuen Bestimmungen tatsächlich auszuschöpfen
[53].
Verschiedene Steuerinitiativen auf kantonaler Ebene vermochten sich nicht durchzusetzen. Im Kanton Basel-Stadt hatten die Stimmbürger am gleichen Wochenende über nicht weniger als drei Vorlagen zu befinden, die alle eine Mehrbelastung der höheren Einkommen sowie Vergünstigungen für untere Einkommenskategorien vorsahen. Die Volksbegehren der SP, der PdA und der POCH wurden deutlich abgelehnt. Ausgesprochen Pech hatte eine ähnliche Vorlage im Kanton Genf Der von den Sozialdemokraten lancierten Initiative «für eine soziale Besteuerung» fehlten nur 500 Stimmen für den Abstimmungssieg. Im Kanton Bern schliesslich scheiterte eine Steuervorlage schon bei deren Verfassern. Der Regierungsrat empfahl sein Ausführungsgesetz, das er auf der Basis einer vom Berner Volk 1975 überraschend angenommenen Initiative des Landesrings entworfen hatte, dem Kantonsparlament zu Ablehnungs
[54].
[44] Vorlage: BBI, 1976, III, S. 1531 f.; SPJ, 1976, S. 80; Tat, 77, 31.3.77; BaZ, 119, 3.6.77. Einfache Anfrage: Amtl. Bull. NR, 1977, S. 1549; Presse vom 31.3.77.
[45] Vorlage: BBI, 1976, III, S. 1538 ff.; NZZ, 68, 22.3.77; SPJ, 1976, S. 78; H.O. Masshardt, Die Steuerharmonisierung, Bern 1977. Parolen: TA, 133, 10.6.77. Abstimmung: Presse vom 13.6.77; BBI, 1977, II, S. 1504.
[46] SPS, Erläuterungen zur Reichtumsteuer-Initiative, Bern 1977; Gewerkschaftliche Rundschau, 69/1977, S. 305 ff.; R. Rohr, Zur Reichtumsteuer-Initiative der SPS, Zürich 1977 (Stimmen zur Staats- und Wirtschaftspolitik, 63); A. Margairaz, L'impôt sur la richesse: une erreur, Bern 1977. Vgl. SPJ, 1977, II, S. 1504.
[47] NZZ, 268, 15.11.77; 282, 1.12.77.
[48] Vat., 258, 4.11.77; NZZ, 266, 12.11.77; 278, 28.11.77; 284, 3.12.77. Inserate der «Vereinigung zum Schutze der Steuerzahler», der «Aktion Freiheit und Recht» und der «Aktion für gesunde Staatsfinanzen» (Presse vom 28.11.-3.12.77).
[49] Finanzdirektoren von Bern (Bund, 278, 26.11.77), Graubünden (BüZ, 272, 17.11.77), Luzern (Vat., 275, 24.11.77), Solothurn (SZ, 273, 24.11.77) und St. Gallen (Ostschw., 266, 14.11.77). BR Chevallaz: TA (ddp), 259, 5.11.77; BaZ, 276, 8.11.77; SP-Information, 19, 3.11.77; Bund, 281, 30.11.77. Vgl. auch TA, 265, 12.11.77; BaZ, 280, 12.11.77; Tat, 280, 29.11.77; 281, 30.11.77.
[50] Presse vom 5.12.77; TW, 287, 7.12.77; NZZ, 292, 12.12.77; BBI, 1978, I, S. 320 ff.
[51] Zürich: Blick, 197, 24.8.77; TA, 249, 25.10.77; 250, 26.10.77; 274, 23.11.77; 277, 26.11.77; NZZ. 281, 30.11.77; Vr, 237, 11.10.77; 249, 25.10.77; 273-281, 22.11.-1.12.77 («Galerie der Steuerkünstler»). Freiburg: Tat, 151-153, 30.6.-2.7.77; 159, 9.7.77; 286, 6.12.77; 298, 20.12.77; La Gruyère, 80, 14.7.77; NZZ, 155, 5.7.77; 159, 9.9.77; 298, 20.12.77. Tessin: CdT,18, 24.1.77; 41, 19.2.77; NZZ, 42, 19.2.77; 234, 6.10.77. Bally (Rey): Vr, 219, 20.9.77; 267, 15.11.77; Vorwärts, 38, 22.9.77; TA, 219, 20.9.77; 267, 15.11.77; Vgl. auch oben, Teil I, 4a (Konjunkturlage). Kreditanstalt: TA, 108, 10.5.77; Vorwärts, 19, 12.5.77; vgl. auch oben, Teil I, 4b (Banken).
[52] Einfache Anfragen der Nationalräte Hubacher (sp, BS) (Amtl. Bull. NR, 1977, S. 1737 ff.; BaZ, 294, 26.11.77), Grobet (sp, GE) (Amtl. Bull. NR, 1977, S. 952), Meier (cvp, LU) (Amtl. Bull NR, 1977, S. 949 f.) und Ziegler (sp, GE) (Amtl. Bull. NR, 1977, S. 439 f., 960 f.). Interpellation der SP-Fraktion (Amtl. Bull. NR, 1977, S. 795 6.).
[53] Amtl. Bull. NR, 1977, S. 11 ff.; Amtl. Bull StR, 1977, S. 152 ff; Tat, 130, 6.6.77; TA, 160, 12.7.77; BaZ, 194, 17.8.77; 294, 26.11.77. Vgl. SPJ, 1976, S. 83 f.
[54] Basel: BaZ, 221, 13.9.77; 224, 16.9.77; 226-230, 19.9.-23.9.77; 233, 26.9.77; Vorwärts, 38, 22.9.77; 39, 23.9.77. Genf: TG, 19, 24.1.77; 54, 5.3.77; 61, 14.3.77; VO, 18, 24.1.77; 46, 25.2.77; 55, 9.3.77; 59, 14.3.77; NZZ, 53, 4.3.77. Bern: TW, 191, 17.8.77; 199, 26.8.77; 283, 2.12.77; Bund, 191, 17.8.77; 199, 26.8.77; 275, 23.11.77; TA, 198, 26.8.77. Vgl. dazu unten, Teil II, 2b.
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