Année politique Suisse 1989 : Grundlagen der Staatsordnung / Institutionen und Volksrechte
Verwaltung
Die 1986 von Nationalrat Müller (ldu, AG) eingereichte parlamentarische Initiative für eine
Straffung des Verilehmlassungsverfahrens brachte keine konkreten Resultate. Die von der vorberatenden Kommission vorgeschlagene Motion für eine gesetzliche Regelung des Verfahrens und der Bereiche, in denen Vernehmlassungen durchgeführt werden sollen, wurde im Rat bekämpft. Die Mehrheit sprach sich für die Beibehaltung der heutigen flexiblen Praxis aus und wandelte die Motion in ein Postulat um. Damit soll der Bundesrat immerhin die Möglichkeit erhalten, das Problem auf Verordnungs- resp. Richtlinienebene zu regeln
[17].
Neunzehn Nationalrätinnen aus verschiedenen Parteien nutzten die Fragestunde vom 12. Juni zu einer konzertierten Aktion gegen die
Untervertretung der Frauen in den Expertenkommissionen des Bundes. Bundespräsident Delamuraz sicherte zu, dass die Landesregierung in Zukunft der Steigerung des zur Zeit 4% betragenden Frauenanteils in den rund 370 ausserparlamentarischen Kommissionen vermehrt Beachtung schenken werde. Mit der Überweisung eines Postulats Hubacher (sp, BS) verlangte der Nationalrat daraufhin die Ausarbeitung von Szenarien, welche Massnahmen beschreiben, mit denen der Frauenanteil auf 25% bis zum Jahr 1991 und auf 50% bis zum Jahr 1995 erhöht werden kann
[18].
Der Nationalrat überwies mit 81:67 Stimmen eine vom Ständerat im Vorjahr gutgeheissene Motion Gadient (svp, GR) für die Schaffung einer eidgenössischen 0mbudsstelle. In den Augen der Kritiker — dazu gehörte insbesondere die liberale Fraktion — ist dieses Amt eine überflüssige Symptombekämpfung; das wirksamste Mittel gegen eine Entfremdung zwischen Bürger und Staat bestehe in einem Abbau der Regelungsdichte. Einige Kritiker stellten sich zudem auf den Standpunkt, dass es die Aufgabe der Parlamentarier sei, bei Konflikten zwischen den Bürgern und der Verwaltung zu vermitteln
[19].
Auf Initiative des Chefs des EDI beantragte der Bundesrat dem Parlament die Zusammenfassung des Bundesamtes für Bildung und Wissenschaft, der beiden Hochschulen und der vier Forschungsanstalten des Schulratsbereichs zu einer
Gruppe "Bildung und Forschung". Von dieser bereits im EMD erprobten Gruppenbildung verspricht sich die Landesregierung eine effizientere Führung und die Vereinfachung von Koordinationsproblemen. Der Ständerat stimmte diesem Vorschlag zu, wobei aber Kritik am vorgesehenen Organigramm laut wurde. Dieses gesteht dem Gruppenvorsteher, der gleichzeitig den neu zu schaffenden ETH-Rat präsidieren soll, eine grosse Machtfülle zu. Der Nationalrat trug dieser auch aus Kreisen der Wissenschaft geäusserten Kritik Rechnung, indem er beschloss, dass der Gruppenleiter in keinem Organ einer eidgenössischen oder kantonalen Hochschule tätig sein dürfe. Im Hinblick auf die Vertretung der Schweiz an internationalen Konferenzen lud die Volkskammer den Bundesrat mit einer Motion ein, dem Gruppenchef den Titel eines Staatssekretärs zu verleihen
[20]. Die auf den 1. Juli vorgenommene Zusammenfassung des Bundesamtes für Kulturpflege, des Landesmuseums und der Landesbibliothek zu einem neuen Bundesamt für Kultur dient ebenfalls dem Ziel der Vereinfachung der Verwaltungsstrukturen im EDI
[21].
Der Bundesrat beschloss am 11. Dezember, unter Vorbehalt der nachträglich einzuholenden Zustimmung des Parlaments, das
Bundesamt für Organisation (BFO) auf den 1. Januar 1990 aufzulösen und ein neues Bundesamt für Informatik im EFD zu bilden. Er entsprach damit den Vorschlägen der Beratungsfirma McKinsey und der Geschäftsprüfungskommission des Nationalrats. Die bisherige betriebswirtschaftliche Beratungsfunktion des BFO übertrug er dem eidgenössischen Personalamt. Zudem beschloss die Regierung die Einrichtung einer Fachstelle für Verwaltungskontrolle bei der Bundeskanzlei. Diese Fachstelle soll ausschliesslich im Auftrag des Bundesrates tätig sein, und nicht, wie ursprünglich erwogen, auch der parlamentarischen Verwaltungskontrolle dienen
[22].
Der Bundesrat machte einen wichtigen Schritt zur Realisierung der 1986 von ihm beschlossenen räumlichen
Dezentralisierung der Bundesverwaltung. Er gab einen entsprechenden Projektkredit frei und beauftragte das EFD mit der Ausarbeitung einer Baubotschaft zuhanden des Parlaments. Konkret ist vorgesehen, das Bundesamt für Statistik nach Neuenburg, das BA für Wohnungswesen nach Grenchen (SO) und das BA für Wasserwirtschaft nach Biel auszulagern
[23].
Im Zusammenhang mit dem Rücktritt von Bundesrätin Kopp wurden im Parlament und in einigen Medien auch
gegen Bundesanwalt Rudolf Gerber massive Anschuldigungen erhoben. Er habe es nicht bloss versäumt, dem Verdacht auf Amtsgeheimnisverletzung durch E. Kopp nachzugehen, sondern sei auch mitverantwortlich für Ermittlungspannen bei der Bekämpfung des internationalen Drogenhandels. Die GP, die SP sowie die SVP, aber auch der freisinnige Nationalrat Cincera (ZH) forderten den Rücktritt von Gerber
[24]. Der vom Bundesrat mit der Untersuchung des Verhaltens des Bundesanwaltes betraute Alt-Bundesrichter Häfliger stellte in einem am 6. März veröffentlichten Zwischenbericht zwar Unterlassungen fest, die ein Disziplinarverfahren rechtfertigen würden, fand aber keine Anhaltspunkte für die behauptete Protektion von Drogenhändlern. Bundesanwalt Gerber wurde vom Bundesrat mit sofortiger Wirkung beurlaubt, und er erklärte seine Demission auf den 1. September
[25].
Der vom Bundesrat mit der Durchführung der Disziplinaruntersuchung beauftragte Hans Dressier kam zum Schluss, dass Bundesanwalt Gerber zwar Fehler begangen habe und in einem Fall (unkorrektes Communiqué zur Widerlegung der Vorwürfe gegen den ehemaligen Chef der Zentralstelle der Betäubungsmittelbekämpfung) der Tatbestand der Dienstpflichtverletzung erfüllt sei. Diese sei aber nicht derart gravierender Art gewesen, dass eine Disziplinarstrafe angebracht sei. Der Bundesrat schloss sich dieser Empfehlung an, rügte aber noch speziell die späte Eröffnung eines Ermittlungsverfahrens gegen E. Kopp
[26].
[17] Amtl. Bull. NR, 1989, S. 398 ff. Vgl. SPJ 1987, S. 25.
[18] Amtl. Bull. NR, 1989, S. 803 ff. (Fragestunde) und 1740 (Postulat). Vgl. auch TA, 12.6. und 13.6.89.
[19] Amtl. Bull. NR, 1989, S. 551 ff. und 1694 ff. Vgl. auch NZZ, 10.1. und 24.1.89; SPJ 1988, S. 32.
[20] BBl, 1989, I, S. 1073 ff.; Amtl. Bull. NR, 1989, S. 2099 ff.; Amtl. Bull. StR, 1989, S. 391 ff.; NZZ, 20.6.89; BZ, 23.6.89; Bund, 14.12.89. Zur Kritik am Organigramm vgl. auch G. Wagnière, "Zentralisierung der Wissenschaftspolitik", in NZZ, 10.10.89. Siehe auch unten, Teil I, 8a (Hautes écoles).
[21] AS, 1989, S. 2116 f., 2118 und 2119 ff.; Bund, 6.4.89; BZ, 1.7.89; NZZ, 5.7.89. Siehe auch SPJ 1988, S. 32 f. (Zusammenfassung der BA für Umweltschutz resp. für Forstwesen und Landschaftsschutz zum BUWAL).
[22] BBl, 1990, I, S. 1092 ff. (Botschaft vom 14.2.90); Bund, 12.12.89. Siehe SPJ 1988, S. 32 f.
[23] Bund, 6.4.89. Vgl. SPJ 1986, S. 21 f. und /988, S. 30.
[24] Presse vom 19.1.89. Zu den Anschuldigungen siehe v.a. L'Hebdo, 19.1.89. Rücktrittsforderungen: NZZ, 26.1.89 (GP); SZ, 25.1.89 und BaZ, 4.2.89 (SP und SVP); Blick, 16.1.89 (Cincera).
[25] Presse vom 7.3.89; TA, 15.3. und 16.3.89; vgl. auch Ww, 16.3.89.
[26] NZZ, 22.3.89; Presse vom 24.8.89.
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