Année politique Suisse 1996 : Sozialpolitik
Gesundheit, Sozialhilfe, Sport
Der Bundesrat gab seinen Entwurf für ein Transplantationsgesetz in die Vernehmlassung und leitete dem Parlament seine Botschaft zu einem Fortpflanzungsmedizingesetz zu. - Beide Kammern lehnten sowohl die Initiative "Jugend ohne Drogen" wie jene "für eine vernünftige Drogenpolitik" ab, konnten sich aber nicht darauf einigen, ob dem ersten Volksbegehren ein Gegenvorschlag gegenüberzustellen sei oder nicht. - Eine vom Bundesrat eingesetzte Expertenkommission sprach sich für die Entkriminalisierung des Drogenkonsums aus. - In den Städten Zürich und Winterthur stimmten rund 60% der Stimmberechtigten der Weiterführung der Versuche mit der kontrollierten Drogenabgabe zu. - 1996 wurde von der UNO zum Jahr der Bekämpfung der Armut proklamiert. - Der Kanton Graubünden und die Stadt Lausanne stellten Armutsstudien vor.
 
Gesundheitspolitik
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Allgemeine Fragen
Das Bundesamt für Gesundheitswesen wurde neu organisiert und in Bundesamt für Gesundheit (BAG) umbenannt. Dem BAG sind in den letzten Jahren zahlreiche neue Aufgaben übertragen worden. Dementsprechend mussten Organisation und Führung angepasst werden. Insbesondere wurden die Aufgaben neu gebündelt, die Amtsleitung erweitert, die einzelnen Fachgebiete verselbständigt und teilweise umbenannt sowie die Abläufe vereinfacht [1].
Die "Schweizerische Gesundheitsbefragung" des Bundesamtes für Statistik erlaubte erstmals, repräsentative Angaben zu Ernährungsgewohnheiten und -bewusstsein der gesamten in der Schweiz wohnhaften Bevölkerung zu machen. Dabei zeigte sich, dass 25% der rund 15 300 befragten Personen übergewichtig sind und 5% gar als fettsüchtig bezeichnet werden müssen. Mit zunehmendem Alter nimmt der Anteil der Personen, die überdurchschnittlich viele Kilos auf die Waage bringen, zu: Bei den Männern im Alter von 50 bis 64 Jahren ist fast jeder zehnte fettsüchtig, bei den Frauen ab 65 Jahren 8%. Nach wie vor wird zuviel (vor allem rotes) Fleisch und zu wenig Gemüse und Früchte gegessen. Zu besonderer Sorge gibt der Alkoholkonsum der Bevölkerung Anlass: 20% der Bevölkerung greifen mindestens einmal pro Tag zur Bier-, Wein- und/oder Schnapsflasche; 20% der Männer und 7% der Frauen gaben an, ein Alkoholproblem zu haben. Regionale Unterschiede im Ernährungsverhalten sind kaum auzumachen, doch essen die Schweizer und Schweizerinnen im Durchschnitt etwas gesünder als die ausländische Wohnbevölkerung [2].
Ein am Institut für Sozial- und Präventivmedizin der Universität Basel entstandener Bericht analysierte den Gesundheitszustand der weiblichen Bevölkerung in der Schweiz. Die Studie führte die bereits bekannte Tatsache, dass Frauen durchschnittlich sieben Jahre länger leben als Männer, darauf zurück, dass Frauen umsichtiger mit ihrer Gesundheit umgehen als Männer: Todesfälle durch Verkehrsunfälle, Selbsttötung, Herz- und Kreislaufkrankheiten, Lungenkrebs sowie durch übermässigen Alkoholkonsum bedingte Krankheiten treten bei Frauen weniger auf. Trotz dieser statistischen Aussagen fühlen sich Frauen offenbar kränker als Männer: Mehr Frauen als Männer schätzten ihren Gesundheitszustand als eher schlecht ein, wobei sich Frauen aus tieferen sozialen Schichten gesundheitlich als besonders belastet betrachten. Aus dieser subjektiven Einschätzung heraus konsumieren sie mehr Schlaftabletten, Beruhigungs- und Schmerzmittel als Männer. 15,3% der Frauen, aber nur 9,5% der Männer gaben an, eine derartige Substanz mindestens einmal täglich einzunehmen. Frauen konsultieren auch die Gesundheitsdienste öfter [3].
Aufgrund einer Motion Ruffy kam Bewegung in die Diskussionen um die aktive Sterbehilfe. Der Waadtländer SP-Nationalrat argumentierte, trotz aller medizinischer Fortschritte gebe es weiterhin unheilbare Krankheiten, welche die Würde des Menschen in schwerer Weise beeinträchtigten. Immer mehr Menschen hätten den Wunsch, selber über ihr Ende mitbestimmen zu können. Bundesrat Koller anerkannte, dass das Problem der aktiven Sterbehilfe tatsächlich weiteste Kreise beschäftige. Es sei ein heikles Problem, das letzte ethische Entscheidungen abverlange. Dem Bundesrat scheine aber beim jetzigen Stand der Diskussionen die aktive Sterbehilfe nicht vereinbar mit der Schutzpflicht des Staates, weshalb er dem Wunsch des Motionärs nach einer Aufhebung des Verbots der aktiven Sterbehilfe im Strafgesetzbuch nicht zustimmen könnte. Sollte der Rat das Begehren jedoch in der Form des Postulates verabschieden, so werde der Bundesrat eine Fachkommission einsetzen, um verlässliche Grundlagen für eine Entscheidfindung in diesem Bereich zu haben. Der Rat folgte dem Bundesrat und überwies das Postulat mit 89 zu 30 Stimmen [4].
110 Jugendliche zwischen 15 und 20 Jahren nehmen sich in der Schweiz im Durchschnitt pro Jahr das Leben. Die Schweiz liegt damit in der europäischen Rangliste der Jugendsuizidrate hinter Finnland auf Rang zwei. Die Zahl der Selbsttötungen von Jugendlichen entspricht in etwa derjenigen der Todesopfer im Strassenverkehr in dieser Altersstufe. Als erster Kanton eröffnete Genf ein Zentrum für selbstmordgefährdete Jugendliche. Hier soll jungen Menschen nach einem Selbsttötungsversuch Hilfe angeboten werden. Damit hoffen die Fachleute zu verhindern, dass die Betroffenen rückfällig werden. Nach Bordeaux in Frankreich ist dies das zweite Zentrum dieser Art in Europa [5].
Eine Interessengemeinschaft "für freie Arzt- und Spitalwahl" lancierte Ende Jahr eine entsprechende Volksinitiative, welche die Chancengleichheit von öffentlichen, subventionierten und privaten Spitälern fordert. Im Vorstand sitzen unter anderem der Direktor des privat geführten Paraplegikerzentrums Nottwil (LU) sowie Nationalrat Suter (fdp, BE). Die Initiative wird unterstützt von der Schweizerischen Vereinigung der Privatkliniken, der Schweizerischen Vereinigung der Belegärzte und der Stiftung Patientenorganisation [6].
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Kostenentwicklung
Wie das Bundesamt für Statistik (BFS) vorrechnete, haben sich zwischen 1985 und 1995 die Kosten im Gesundheitswesen auf 35,1 Mia Fr. erhöht und damit fast verdoppelt. Während die Konsumentenpreise in diesem Zeitraum nur um 32,2% anzogen, schnellten allein die Spitalleistungen um 75,7% in die Höhe. Die ärztlichen Leistungen wurden demgegenüber bloss um 21,8% und die zahnärztlichen Dienste um 33,5% teurer. Gemäss BFS hat die 1992 bis 1995 geltende Kostenbremse zwar keine spektakuläre Wirkung entfaltet. Zusammen mit der verlangsamten allgemeinen Teuerung leitete sie aber eine gewisse Trendwende ein. Zwischen 1992 und 1995 blieb der Index der ärztlichen Leistungen mit einem Plus von 0,4% praktisch stabil, jener der Spitalleistungen wuchs um 14,2%. 1996 setzte sich diese Entwicklung mit einem Zuwachs von 0,5% bei den Ärzten und 3,4% bei den Spitälern fort. Die Auswirkungen des neuen Krankenversicherungsgesetzes (KVG) auf die Gesundheitskosten können frühestens 1998 ermittelt werden [7].
Der neue Preisüberwacher Werner Marti ortete die hauptsächlichsten Transparenzprobleme bezüglich der Kosten im Gesundheitswesen nicht bei den Krankenkassenprämien, wie dies die kantonalen Sanitätsdirektoren gerügt hatten, sondern in erster Linie bei den Leistungserbringern, insbesondere bei den Spitälern. Bei seinen Stellungnahmen zu verschiedenen Tarifanpassungen von Spitälern habe er feststellen können, dass so bedeutende Parameter wie eine einheitliche Kostenrechnung, Leistungsstatistiken, Betriebsvergleiche und häufig auch Spitalplanungen fehlten. Diese Unterlagen wären aber nötig, um die Wirtschaftlichkeit eines Spitals sowie die Betriebskostenanteile aus Überkapazitäten beurteilen zu können. Gemäss Marti müssten nun die Kantone selbst die Anstrengungen für mehr Transparenz in den Spitälern verstärken, da hier zweifelsohne ein grosses Sparpotential vorhanden sei [8].
Zur Erstellung der Spitallisten, welche das neue KVG den Kantonen vorschreibt, siehe unten, Teil I, 7c (Krankenversicherung).
Eine Studie, die ein Forscherteam unter der Leitung des Chefs des Tessiner Gesundheitsdienstes durchführte, wies nach, dass in der Schweiz bezüglich der Operationshäufigkeit grosse Unterschiede unter den Kantonen bestehen, und dass halbprivat oder privat Versicherte sowie Personen mit geringer Schulbildung besonders oft operiert werden, Ärzte und ihre Familienangehörigen eher selten. Je nach Art der Operation variieren die Eingriffe in den verschiedenen Kantonen, ohne dass in einem bestimmten Kanton durchgehend am häufigsten operiert wird. Die Studie kam weiter zum Schluss, dass die fünf häufigsten Eingriffe - Gebärmutter-, Blinddarm-, Mandel-, Gallenstein- und Hüftgelenkoperationen - in der Schweiz zwei- bis dreimal so oft durchgeführt werden wie in Frankreich [9].
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Prävention
Luzern liess als erster Kanton die Gesundheitsförderung und Prävention systematisch auf Stärken, Schwächen, Wirksamkeit und Akzeptanz hin untersuchen. Die Studie zeigte, dass die Gesundheitsförderung einerseits im generellen politischen Diskurs und anderseits in den Gemeinden noch stärker verankert werden sollte. Zudem müssten vermehrt klare Schwerpunkte und Ziele gesetzt sowie an die Eigenverantwortung appelliert werden. Dort, wo das individuelle Verhalten jedoch an Grenzen stosse wie etwa bei den schädlichen Umwelteinflüssen, liege es an der Gesellschaft und der Politik, bessere Rahmenbedingungen zu schaffen [10].
Kurz nach Inkrafttreten des neuen KVG wurde bekannt, dass die Leistungsverordnung zum KVG Ultraschalluntersuchungen bei Schwangeren nur mehr in Risikofällen vorsieht. Dies löste sowohl bei Patientinnen- und Frauenorganisationen wie auch bei den Fachärzten einen Sturm der Entrüstung aus und veranlasste das zuständige EDI, noch einmal über die Bücher zu gehen. Die Leistungsverordnung wurde per 15. Mai - und auf fünf Jahre befristet - dahingehend abgeändert, dass zwei Ultraschalluntersuchungen pro Schwangerschaft wieder zur Pflichtleistung der Kassen werden [11].
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Spitex
Eine Motion Hochreutener (cvp, BE) ersuchte den Bundesrat, die Gesetzesbestimmungen über die Pflege und Betreuung zu Hause und in Heimen in der AHV, der IV, den Ergänzungsleistungen sowie der Kranken- und Unfallversicherung zu einem Gesamtkonzept zusammenzufügen und dafür zu sorgen, dass die Leistungen des Bundes und der Sozialversicherungen mit jenen der Kantone koordiniert werden; dabei soll insbesondere darauf geachtet werden, dass Personen, welche bereit sind, die Pflege von Angehörigen oder anderen Personen zu übernehmen, unterstützt und zeitweise entlastet werden. Da der Bundesrat auf bereits laufende oder vorgesehene Arbeiten (3-Säulen- und IDA-FiSo-Bericht, 4. EL-Revision) verweisen konnte, wandelte der Nationalrat die Motion in ein Postulat um [12].
Seit dem Inkrafttreten des neuen KVG gehen die rein pflegerischen Leistungen im Spitex- und Pflegeheimbereich zu Lasten der Krankenkassen. Das verleitete einzelne Kantone dazu, ihr finanzielles Engagement zu reduzieren und dafür Spitextarifen von bis zu 100 Fr. pro Tag zuzustimmen. Bei rund 70 000 pflegebedürftigen Menschen würde dies jährliche Kosten von 2,6 Mia Fr. verursachen, was rund 15% der Kosten in der Grundversicherung entsprechen und zu weiteren massiven Prämienschüben führen würde. Die Krankenversicherungen kritisierten, es gehe nicht an, den Kassen auch die Kosten für Altersgebrechen, die keine eigentlichen Krankheiten seien, aufzuladen. Sie appellierten deshalb an die Patienten und Angehörigen sowie die öffentliche Hand, weiterhin ihren Teil der Pflegekosten zu übernehmen, wenn sie nicht den Zusammenbruch des Krankenversicherungssystems riskieren wollten [13].
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Medizinprodukte
Der Bundesrat setzte die Verordnung für Medizinprodukte auf den 1. April in Kraft. Als Medizinprodukte gelten etwa Herzschrittmacher, künstliche Gelenke, Röntgenapparate und Kontaktlinsen. Die Verordnung legt die Anforderungen bezüglich Sicherheit, Wirksamkeit und Zuverlässigkeit fest. Im Gegensatz zu den Arzneimitteln bestanden für Medizinprodukte bisher in der Schweiz keine umfassenden Qualitätsstandards. Verschiedene Ereignisse, wie etwa die Diskussion um die Sicherheit von Silikon-Implantaten, machten die Notwendigkeit einer umfassenden Regelung der Medizinprodukte deutlich [14].
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Medikamente
Ausgehend von der revidierten Verordnung über die Arzneimittelpreiskontrolle, welche auf den 1. Januar 1996 in Kraft trat, nahm das Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) die Preise von rund 280 Präparaten unter die Lupe. Kernpunkt des neuen Vorgehens ist ein Preisvergleich mit Deutschland, Dänemark und den Niederlanden. In einer ersten Überprfüfung wurden für 70 ältere, patentabgelaufene Medikamente die Preise gesenkt, gleichzeitig aber für 90 neuere Arzneimittel Preiserhöhungen vorgenommen, da diese Produkte im internationalen Vergleich zu billig abgegeben würden. Nach dem gleichen Vorgehen werden bis zum Jahr 2000 alle Medikamente verbilligt, die vor 1985 auf den Markt gekommen sind. Das soll zu Einsparungen von gut 500 Mio Fr. führen; der verbesserte Patentschutz auf den neueren Medikamenten wird demgegenüber mit rund 70 Mio Fr. zu Buche schlagen [15].
Preisüberwacher Marti nahm mit Genugtuung von den Preissenkungen Kenntnis, kündigte aber an, dass er die Preiserhöhungen noch einmal auf ihre Verordnungskonformität anschauen werde. Bundesrätin Dreifuss schloss sich dem an und wies das BSV an, die Preiserhöhungen noch einmal zu überprüfen und dabei auch die übrigen Kriterien der Verordnung (medizinisches Bedürfnis, Zweckmässigkeit, Zuverlässigkeit und Wirtschaftlichkeit) anzuwenden. Inskünftig soll es dem BSV untersagt sein, automatische Preiserhöhungen von Amtes wegen vorzunehmen; zudem muss es Preiserhöhungen der Preisüberwachung unterbreiten, damit diese ihr Empfehlungsrecht wahrnehmen kann. Ein überwiesenes Postulat Hochreutener (cvp, BE) bemängelte überdies die Preisverzerrungen, die wegen der gewählten Methode (Vergleich des Publikumspreises) enstanden seien und regte an, inskünftig auf einen Vergleich der Herstellerpreise abzustellen [16].
Die Absicht der Krankenkassen Helvetia und Visana, zur Senkung der allgemeinen Gesundheitskosten inskünftig einen Teil der Medikamente per Post und unter Ausschluss der Apotheken zu vertreiben, stiess beim Schweizerischen Apothekerverein (SAV) auf harsche Kritik. Der SAV verlangte ein gesamtschweizerisches Verbot derartiger Praktiken, da ein Medikamentenversandhandel fachlich unvertretbar, patientenfeindlich, gesetzeswidrig und unwirtschaftlich sei. Der SAV schlug stattdessen ein neues Abgeltungssystem vor, bei dem die Apotheker wirtschaftliche Anreize erhalten sollen, um Medikamentenkosten einzusparen [17].
Der Nationalrat nahm in seiner Herbstsession mit Zustimmung des Bundesrates eine Motion Heberlein (fdp, ZH) an, wonach das Verbot der Medikamentenwerbung an Radio und Fernsehen weiter gelockert werden soll. Die Liberalisierung war aus Kreisen der Ärzteschaft, der Apotheker und der Konsumenten kritisiert worden, da sie einen Anstieg des Medikamentenkonsums befürchteten. Auch die beiden betroffenen Bundesämter BAG und Bakom hatten sich gegen eine Lockerung ausgesprochen [18].
Mit Besorgnis wurde registriert, dass sich über Internet problemlos - und oftmals zu deutlich tieferen Preisen - Arzneimittel bestellen lassen, die im eigenen Land nicht zugelassen sind oder für die ein entsprechendes Rezept eines Arztes fehlt. Nationale Kontrollstellen und Vorschriften werden so obsolet, da sie ohne weiteres umgangen werden können. Die juristische Lücke soll demnächst geschlossen werden. Europaweit laufen Anstrengungen für ein generelles Teleshopping-Verbot für Medikamente [19].
Seit dem 1. Januar des Berichtsjahres gelten für medizinische Versuche in der ganzen Schweiz strengere Normen, welche die Interkantonale Kontrollstelle für Heilmittel (IKS) gemäss internationalen Richtlinien festgesetzt hat. Danach müssen alle Versuche, bei denen Medikamente eingesetzt werden, genau dokumentiert sein. Im Gesuch muss unter anderem beschrieben werden, welche Risiken die verwendeten Substanzen mit sich bringen, wie die Patienten informiert wurden und welcher Versicherungsschutz für die Probanden besteht [20].
Die IKS wird auf Anfang 1997 das sogenannte Fast-Track-Verfahren einführen für die beschleunigte Registrierung von Arzneimitteln, die bei einer schweren Krankheit (Aids, Krebs, Alzheimer und Multiple Sklerose), für die es bisher keine befriedigende Behandlung gibt, eine erfolgreiche Heilung oder zumindest eine markante Verbesserung des Gesundheitszustandes versprechen. Mit dem Schnellverfahren folgt die IKS entsprechenden Bestrebungen in der EU und in den USA [21].
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Organ- und Blutspenden
In der Differenzbereinigung beim dringlichen Bundesbeschluss über die Kontrolle von Blut, Blutprodukten und Transplantaten schloss sich der Nationalrat diskussionslos der Ansicht des Ständerates an, wonach es im jetzigen Zeitpunkt nicht sinnvoll sei, die Entnahme von Organen zur Transplantation von der schriftlichen Zustimmung des Spenders abhängig zu machen. Diese Frage soll erst in einem eigentlichen Transplantationsgesetz angegangen werden. Damit konnte der auf zehn Jahre befristete Bundesbeschluss mit grossem Mehr verabschiedet werden. Er unterstellt bis zum Vorliegen eines eidgenössischen Heilmittelgesetzes die Kontrolle von Herstellung und Handel mit Blutprodukten und Transplantaten der alleinigen Kompetenz des BAG [22].
Das EDI nahm den während der Beratungen des Bundesbeschlusses mehrfach geäusserten Wunsch nach einer raschen Ausarbeitung eines Transplantationsgesetzes umgehend auf und gab Ende August als ersten Schritt einen entsprechenden Verfassungsartikel (Art. 24decies BV) in die Vernehmlassung. Dieser ermächtigt den Bund, über den Umgang mit menschlichen und tierischen Organen, Geweben und Zellen Vorschriften zu erlassen, wobei er für den Schutz der Menschenwürde, der Persönlichkeit und der Gesundheit sorgen muss. Er gewährleistet insbesondere eine gesamtschweizerische, unentgeltliche und gerechte Zuteilung von menschlichen Organen, Geweben und Zellen. Bis jetzt gelten in diesem sensiblen medizinisch-ethischen Bereich teilweise allgemeine Regeln und Grundsätze, teilweise kantonale Regelungen sowie private Richtlinien, beispielsweise jene der Schweizerischen Akademie der medizinischen Wissenschaften (SAMV) [23].
Über die Notwendigkeit einer einheitlichen Regelung des Umgangs mit Organen, Geweben und Zellen waren sich die Parteien, die Vereinigung der Schweizer Ärzte FMH und die SAMV einig und meinten, das unvollständige Regelwerk in 20 Kantonen sei nicht mehr zeitgemäss. In bezug auf den Umfang der künftigen Bundeskompetenz und in der Frage der Xenotransplantation (Organübertragung vom Tier auf den Menschen) gab es allerdings Differenzen. Die CVP plädierte ohne weitere Einschränkungen dafür, die Xenotransplantation in die Regelungskompetenz einzubeziehen. Die SP hingegen hielt ein Moratorium zumindest für Organe jener Tiere für angebracht, die zum Zweck der Organspende genetisch verändert worden sind. Die FMH betonte, dass die Regelung der Zuteilung keinesfalls auf menschliche Organe beschränkt werden dürfe; falls nämlich Xenotransplantationen einmal erlaubt würden, sei nicht auszuschliessen, dass es auf dem freien Markt zu ethisch unhaltbaren Situationen komme. Die SAMW schlug vor, den Artikel über die Verwendung der Organe, Gewebe und Zellen explizit auf den humanmedizinischen Bereich zu beschränken. Alle Parteien befürworteten die Konzentration der Eingriffe auf einige wenige Zentren, wobei die SP dem Bundesrat eine Koordinationsbefugnis zur Schaffung von Transplantationszentren in den öffentlichen Spitälern erteilen möchte [24].
Der Basler Appell gegen Gentechnologie verlangte ein sofortiges Moratorium für Xenotransplantationen. Die Übertragung tierischer Organe in den Menschen berge unabsehbare Gefahren für die ganze Menschheit in sich. Bevor gentechnisch veränderte Organe von Tieren - namentlich von Schweinen und Pavianen - in Menschen eingepflanzt werden, müssten erst die Risiken sorgfältig abgeklärt und auch ethische Fragen diskutiert werden [25]. Thematisiert wurde auch der problematische Umgang mit menschlicher Plazenta, welche seit Jahren ein begehrter Rohstoff der Kosmetik- und Heilmittelindustrie ist. Hier wurde insbesondere auf die Gefahr einer Ansteckung mit der dem Rinderwahnsinn (BSE) verwandten Creutzfeldt-Jakob-Krankheit hingewiesen [26].
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Fortpflanzungsmedizin
Im Juni leitete der Bundesrat dem Parlament den Entwurf für ein Fortpflanzungsmedizingesetz zu, das sich als indirekten Gegenvorschlag zur hängigen Volksinitiative "für menschenwürdige Fortpflanzung" versteht, welche die Zeugung ausserhalb des Körpers der Frau und via Keimzellen Dritter verbieten will. Der Bundesrat empfiehlt diese Initiative zur Ablehnung, da sie unverhältnismässig sei und einem Alleingang der Schweiz in Europa gleichkäme.
In der stark umstrittenen Frage der Embryonenforschung schlägt der Bundesrat eine relativ harte Gangart an, indem pro Behandlungszyklus höchstens drei Embryonen entnommen und befruchtet werden dürfen; damit soll verhindert werden, dass überzählige Embryonen entstehen, welche der Forschung zugeführt werden könnten. Zudem wird die Konservierung von Embryonen untersagt. Dennoch will der Bundesrat die Embryonenforschung nicht gänzlich verbieten, da sie auch die Methode der Befruchtung im Reagenzglas weiter könnte verbessern helfen. Diese überaus heikle ethische Frage soll nach Meinung der Landesregierung in der Gesetzgebung zur Forschung geregelt werden; bis dahin gelten die Empfehlungen der Akademie der medizinischen Wissenschaften, die von Forschung an Embryonen abrät [27].
Definitiv nichts wissen will der Bundesrat von der Anwendung von Gentechnik bei Embryonen, weshalb auch die Präimplantationsdiagnostik verboten werden soll, da sonst die Grenzziehung zwischen erlaubter Prävention und unerwünschter Selektion kaum mehr möglich wäre. Wie bereits im Vorentwurf werden Eispende und Leihmutterschaft untersagt und die Fortpflanzungshilfe, welche als Ultima ratio verstanden wird, allein in den Dienst einer "natürlichen" Schwangerschaft gestellt. So kommen nur heterosexuelle Paare, die gemeinsam die Elternverantwortung übernehmen wollen, für diese medizinische Methode in Frage. Das Paar muss verheiratet sein, wenn es einen Samenspender beansprucht; bei künstlicher Befruchtung ohne Samenspende genügt das Konkubinat. Alleinstehende und lesbische Frauen sind von der Fortpflanzungshilfe ausgeschlossen, und das Alter der zu behandelnden Paare wird nach oben (Klimakterium) begrenzt [28].
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Gentechnologie beim Menschen
Angesichts mehrerer anstehender Volksbegehren zu diesem Bereich - so etwa der 1993 eingereichten Volksinitiative "Zum Schutz von Leben und Umwelt vor Genmanipulation" - meldete sich die 1991 gegründete Stiftung "Gen Suisse" vermehrt in den Medien zu Wort. Sie verwies insbesondere darauf, dass die Gentechnologie heute aus dem medizinischen Alltag nicht mehr wegzudenken sei und äusserst vielversprechende Zukunftschancen bei der Herstellung von Impfstoffen und Medikamenten eröffne. Alt Nationalrätin Eva Segmüller (cvp, SG), betonte als Vizepräsidentin der Stiftung, ethisches Handeln heisse nicht nur, die Gentechnik nach ihren sozialen und sicherheitsrelevanten Kriterien zu hinterfragen; man müsse sich vielmehr auch die Frage stellen, ob denn ein bewusster Verzicht auf zukunftsweisende Behandlungsmöglichkeiten schwerer menschlicher Leiden nicht auch ethisch nicht zu vertreten wäre. Aus diesen Gründen lehnt "Gen Suisse" jedes Verbot der Gentechnik ab, widersetzt sich aber nicht gewisser gesetzlicher Leitplanken, die Missbräuche verhindern sollen [29].
Über 40 Persönlichkeiten aus Naturwissenschaft, Medizin, Ethik, Landwirtschaft und Politik - unter ihnen die Ständerätinnen Beerli (fdp, BE) und Simmen (cvp, SO) sowie Ständerat Plattner (sp, BS) - schlossen sich zum "forumGEN" zusammen. Das Forum will sich an der öffentlichen Diskussion über die Bio- und Gentechnologie beteiligen und wendet sich gegen ein entsprechendes Verbot in der Schweiz [30].
Zur Gentechnologie im ausserhumanen Bereich siehe oben, Teil I, 4c (Produits alimentaires).
Nationalrat Günter (sp, BE) versuchte mit einer Motion zu erreichen, dass ein Gesetz ausgearbeitet wird, welches die Gentestung von Personen im Zusammenhang mit Lebens- und Krankenversicherungen verbietet. Da der Bundesrat auf bereits laufende Arbeiten einer Expertenkommission verweisen konnte, wurde der Vorstoss im Einverständnis mit dem Motionär nur als Postulat angenommen [31].
 
Suchtmittel
Der Nationalrat nahm gegen den Willen des Bundesrates eine Motion Bortoluzzi (svp, ZH) an, die verlangt, dass bei der Erteilung eines Lernfahrausweises die Bewerber auf eine allfällige Suchtmittelabhängigkeit untersucht werden. Bundesrat Koller hätte die Diskussion lieber im Rahmen der anstehenden Revision des Strassenverkehrsgesetzes geführt, weshalb er eine Umwandlung in ein Postulat beantragt hatte [32].
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Tabak
Aufgrund der neuen, eurokompatibel ausgestalteten Tabakverordnung müssen bis Mitte 1997 alle Zigarettenpackungen auf Vorder- und Rückseite in allen drei Landessprachen darauf hinweisen, dass Rauchen die Gesundheit gefährdet. Die bisher auf der Schmalseite angebrachte Warnung, dass Nikotingenuss die Gesundheit gefährden könne, wird durch eine Präzisierung ersetzt, wozu Rauchen alles führen kann (Krebs, Gefässkrankheiten etc.) [33].
Ein Postulat Zwygart (evp, BE), welches anregt, die Tabakverordnung durch einen Artikel zu ergänzen, welcher den Verkauf von Tabakerzeugnissen an Jugendliche unter 16 Jahren untersagt, wurde vom Nationalrat angenommen [34].
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Alkohol
In der Frühjahrssession nahm der Nationalrat gegen den Willen des Bundesrates eine Motion Gonseth (gp, BL) an, welche eine verstärkte Alkoholprävention bei Jugendlichen verlangte. Im Ständerat verfing hingegen die Aussage der Landesregierung, momentan kein Geld für ein konsistentes Massnahmenpaket zu haben, weshalb dort der Vorstoss in ein Postulat umgewandelt wurde [35].
Bei der Teilrevision des Alkoholgesetzes erinnerte Ständerätin Beerli (fdp, BE) als Präsidentin der Eidg. Alkoholkommission an Art. 32bis Abs. 2 der Bundesverfassung, welcher vorschreibt, dass die Gesetzgebung so zu gestalten sei, dass sie den Verbrauch von Trinkbranntwein und dementsprechend dessen Einfuhr und Herstellung vermindert. Aus Gründen der WTO-Kompatibilität wandte sie sich nicht gegen die Einführung des Einheitssatzes zur Besteuerung in- und ausländischer Spirituosen, bat aber den Bundesrat, diesen Einheitssatz aus gesundheitspolitischen Gründen nicht zu tief anzusetzen. In der grossen Kammer stellte Zwygart (evp, BE) den Antrag, im Interesse der Suchtprävention sei der Einheitssatz in Absprache mit wirtschaftlichen und gesundheitspolitischen Kreisen festzusetzen; der Antrag wurde mit 72 zu 42 Stimmen abgelehnt [36]. Zur Teilrevision des Alkoholgesetzes siehe auch oben, Teil I, 4c (Production végétale).
Mit 69 zu 38 Stimmen lehnte der Nationalrat ein Postulat Leuba (lp, VD) ab, welches den Bundesrat ersuchte, den in der Verkehrsregelnverordnung festgesetzten Grenzwert der Blutalkoholkonzentration von heute 0,8 Promille nicht zu senken. Der Bundesrat verwies darauf, dass diese Frage europaweit zur Diskussion stehe, weshalb er sich im jetzigen Zeitpunkt nicht binden möchte [37].
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Drogenpolitik
Eine Studie widerlegte die weitverbreitete Meinung, dass der Konsum harter Drogen zwangsläufig zur sozialen Verelendung und zur Kriminalität führt. Den Ausschlag für den Verlauf einer Drogenkarriere und den Umgang mit illegalen Drogen geben vor allem Alter, Geschlecht, Eigenständigkeit, Gesundheitsbewusstsein, die Orientierung an der Arbeit und die soziale Vernetzung der Konsumenten. Etwa die Hälfte der schätzungsweise 30 000 Konsumenten von illegalen Drogen leben sozial integriert und geraten nie mit der Polizei in Konflikt. Rund 80% der Drogenkonsumenten steigen zudem gemäss der Studie früher oder später aus ihrer Sucht aus. Da Drogenkonsum viel mit persönlicher Autonomie zu tun hat, warnte die Studie vor einem Zwangsentzug, weil ein erfolgreicher Entzug nur ein freiwilliger sein könne. Zudem gehe ein Grossteil der Todesfälle durch eine Überdosis auf das Konto dieser Zwangspausen, da nach Wochen der Abstinenz der Körper die üblichen hohen Dosen nicht mehr verkrafte [38].
Bund, Kantone und Städte bildeten einen nationalen Drogenausschuss, um ihre Anstrengungen zur Verminderung der Drogenprobleme besser zu koordinieren. Das neue Gremium hat die Aufgabe, drogenpolitische Strategien zu entwickeln und aufeinander abzustimmen, Massnahmen in den verschiedenen Bereichen und Regionen zu koordinieren und die Federführung bei gemeinsamen Aktionen in besonderen Lagen zu übernehmen. Der Bundesrat delegierte sechs Vertreter, Kantone und Städte je sechs Exekutivmitglieder in diesen Ausschuss, zu dessen Unterstützung ein Fachsekretariat mit einem Jahresbudget von 150 000 Fr. eingesetzt wurde. Erste Präsidentin wurde Verena Diener, grüne Nationalrätin und Gesundheitsdirektorin des Kantons Zürich [39].
Im Bestreben, in der Drogenpolitik einen möglichst breiten Handlungsspielraum zu bewahren, folgte der Nationalrat nach einer sechsstündigen Debatte mit 125 zu 41 resp. mit 120 zu 40 Stimmen deutlich der Empfehlung des Bundesrates und der Mehrheit seiner Kommission und empfahl sowohl das ganz auf Abstinenz und Repression ausgerichtete Volksbegehren "Jugend ohne Drogen" als auch die permissive Volksinitiative "für eine vernünftige Drogenpolitik (DroLeg)" Volk und Ständen zur Ablehnung. Wie nicht anders zu erwarten war, fand "Jugend ohne Drogen" vor allem Unterstützung im rechtsbürgerlichen Lager, "DroLeg" hingegen vornehmlich in rot-grünen Kreisen. Mit ihrer deutlichen Opposition gegen diese beiden extremen Volksbegehren zeigte die grosse Kammer ihre Bereitschaft, den vom Bundesrat eingeschlagenen Mittelweg zu unterstützen, der auf den vier Säulen Prävention, Überlebenshilfe, Therapie und Repression basiert. Vergeblich plädierten die CVP-Vertreter dafür, doch noch einen direkten Gegenvorschlag zu der zuerst zur Abstimmung gelangenden Initiative "Jugend ohne Drogen" auszuarbeiten, wie dies der Bundesrat ursprünglich beabsichtigt hatte. Sie machten geltend, die heutige Drogenpolitik verlange nach einer klaren Verankerung in der Verfassung; ohne deutliches Bekenntnis der Behörden zum Ziel einer drogenfreien Gesellschaft könnten die Vertreter von "Jugend ohne Drogen" zudem auch jene Kreise um sich scharen, welche zwar nicht einseitig auf Repression setzen wollten, die aber dennoch die Versuche des Bundes mit der kontrollierten Heroinabgabe missbilligten und befürchteten, daraus könne eine generelle Praxis der Legalisierung aller Drogen abgeleitet werden. Der Vorschlag unterlag mit 132 zu 35 Stimmen klar [40].
Diese Argumente stiessen hingegen im Ständerat auf offene Ohren: Er lehnte die Initiativen zwar gleichermassen ab, nahm aber mit 32:5 Stimmen einen von seiner Kommission ausgearbeiteten Gegenvorschlag zu "Jugend ohne Drogen" an. Demnach sollte in der Verfassung das Ziel der drogenfreien Gesellschaft explizit verankert werden. Der Ständerat übernahm dabei grosso modo den Vorschlag der CVP, der auch von der gesamten "Parlamentariergruppe Drogenpolitik" (siehe unten) unterstützt wurde. Die Verschreibung von Drogen sollte unter der Bedingung der medizinischen Anwendung weiter möglich sein. Für den Gegenvorschlag machten sich vor allem die CVP-Ständeräte Cottier (FR), Danioth (UR) und Frick (SZ) stark. Zusammen mit den SP-Abgeordneten Plattner (BS) und Gentil (JU) sowie Dick Marty (fdp, TI) bot Bundesrätin Dreifuss dem Gegenvorschlag vergebens die Stirn. Das Argument, dass juristisch keine Notwendigkeit für einen neuen Verfassungsartikel zur Drogenpolitik bestehe, wog im Rat weniger schwer als die mehrfach vorgebrachte Warnung davor, der Initiative "Jugend ohne Drogen" in der Abstimmung mit leeren Händen gegenüber zu treten [41].
Der Nationalrat hielt jedoch an seinem ersten Entscheid fest und erteilte dem Gegenvorschlag mit 136 zu 42 Stimmen erneut eine deutliche Absage. Ausser im rechtsbürgerlichen Lager fand der Gegenvorschlag nur in den Kreisen der CVP und unter den welschen Parlamentariern Zustimmung. Ihnen standen die SP und die Grünen gegenüber, die sich von Anfang an und stets klar gegen einen Gegenvorschlag ausgesprochen hatten. Entscheidend wurde somit die Haltung der FDP. Deren Vertreter im Ständerat hatten mehrheitlich für den Gegenvorschlag gestimmt. In der Zwischenzeit war die Fraktion aber zur Überzeugung gelangt, dass sich die bundesrätliche Vier-Säulen-Politik ohne Gegenvorschlag besser umsetzen lasse, da der Gegenvorschlag des Ständerates restriktiv, unklar und kontraproduktiv sei [42].
Aufgrund des klaren nationalrätlichen Abstimmungsergebnisses zeigte sich die Kommission des Ständerates bereit, auf den Gegenvorschlag zu verzichten. Im Plenum nahm der liberale Waadtländer Arzt Rochat das Vorhaben jedoch wieder auf und beantragte - unterstützt von seinen Kollegen Béguin (fdp, NE), Brändli (svp, GR) und Danioth (cvp, UR) - einen leicht modifizierten Gegenvorschlag. Danach sollten die Kantone nicht nur dem Missbrauch, sondern generell dem Konsum von Betäubungsmitteln vorbeugen. Danioth fügte noch hinzu, die medizinische Anwendung von Drogen sei auf das Unerlässliche zu beschränken. Gegen diese Verschärfung wehrten sich vor allem jene freisinnigen Abgeordneten, die im September der ausgewogeneren Variante noch zugestimmt hatten. Der Appell von Cottier (cvp, FR) und Schmid (cvp, AI), aus taktischen Gründen die Initiative nicht allein zur Abstimmung zu bringen, verfing zwar noch, doch bereits in wesentlich geringerem Umfang. 22 Abgeordnete stimmten für den Gegenvorschlag, 20 dagegen. Damit ging auf parlamentarischer Ebene das Jahr mit einer Pattsituation zu Ende [43].
Anlässlich seiner ersten grossen Drogendebatte in der Frühjahrssession behandelte der Nationalrat auch mehrere drogenpolitische Vorstösse aus den eigenen Reihen. Vordergründig aus formalen Gründen, vor allem aber weil sie durch eine Annahme von "Jugend ohne Drogen" in der Volksabstimmung ganz oder teilweise obsolet würden, wies der Rat drei parlamentarische Initiativen an die Kommission zurück. Diese Vorstösse verlangten, dass durch ein Umdenken in der Drogenpolitik der Schwarzhandel und die Drogenkriminalität eliminiert werde (Hubacher, sp, BS), dass bei Drogenkonsumenten vermehrt der fürsorgerische Freiheitsentzug eingesetzt werden solle (Heberlein, fdp, ZH) sowie dass der Drogenkonsum straffrei zu gestalten und die medizinisch indizierte Heroinabgabe definitiv in den Katalog der möglichen Therapieformen aufzunehmen sei (Tschäppät, sp, BE) [44]. Aus analogen Überlegungen - allerdings hier auf "DroLeg" gemünzt - schob der Rat auch die Ratifizierung der UNO-Konvention von 1988 gegen den unerlaubten Verkehr mit Betäubungsmitteln und psychotropen Stoffen auf [45]. Eine Motion Maspoli (lega, TI) für eine stationäre Zwangsbehandlung von Drogenkranken wurde klar verworfen, eine Motion Comby (fdp, VS), welche die flächendeckende Einführung von Drogen-Ombudspersonen in den Schulen verlangte, hingegen als Postulat überwiesen [46].
Bei der Behandlung der Drogen-Initiativen diskutierte der Ständerat auch eine Standesinitiative des Kantons Solothurn aus dem Jahr 1992. Diese beantragte insbesondere die Entkriminalisierung des Drogenkonsums, ein Staatsmonopol für Anbau, Herstellung, Einfuhr, Handel und Vertrieb von illegalen Betäubungsmitteln sowie einen Ausbau von Prävention, Betreuung und Behandlung. In ihren Erwägungen stellte die vorberatende Kommission fest, dass seit 1992 ein grundsätzlicher Wandel in der schweizerischen Drogenpolitik stattgefunden habe (Ausbau der 4-Säulen-Strategie, medizinisch kontrollierte Abgabe usw.), der es ermögliche, einen für alle akzeptablen Mittelweg zu gehen. Aus diesem Grund wollte sie der Standesinitiative nicht direkt Folge geben. Sie hielt aber die Grundabsicht, Raum für neue Lösungsmöglichkeiten zu öffnen, für prüfenswert und formulierte deshalb ein Kommissionspostulat, das sich stark an den Solothurner Text anlehnt, dessen imperativen Charakter jedoch abschwächt. Das Postulat wurde mit 23 zu 13 Stimmen angenommen [47].
Da das Geschäftsverkehrsgesetz des Parlaments die Offenlegung der Mitgliederlisten von Bundeshaus-Lobbies verlangt, veröffentlichte das Generalsekretariat der Bundesversammlung die bisher geheimgehaltene Namensliste der 1992 von der damaligen Berner FDP-Nationalrätin Geneviève Aubry ins Leben gerufenen "Parlamentariergruppe Drogenfragen". Dieser Gruppe, die rund 70 Parlamentarier aus beiden Kammern umfasst, und die sich stark für eine repressive Drogenpolitik engagiert, gehören neben den Vertretern von FP und SD sowie weiten Teilen der SVP auch so wichtige Exponenten ansonsten in der Drogenfrage eher gemässigter Parteien wie CVP-Präsident Cottier (FR) und FDP-Fraktionschef Couchepin (VS) an. Mit dem Bekanntwerden dieser Liste geriet die 1994 verabschiedete gemeinsame Drogenplattform von FDP, SP und CVP erneut unter Druck [48].
Um einen abrupten Abbruch der therapeutischen Behandlungen zu vermeiden, und weil sich die an den Versuchen beteiligten Kantone und Gemeinden überwiegend für die Fortsetzung der medizinisch kontrollierten Betäubungsmittelabgabe aussprachen, beschloss der Bundesrat, jenen Personen, die Ende 1996 in ein Abgabeprojekt eingebunden sind, mindestens bis zum Vorliegen des Schlussberichts (voraussichtlich Sommer 1997), spätestens aber bis Ende 1998 die von ihnen benötigten Betäubungsmittel (Heroin, Morphin und intravenös zu verabreichendes Methadon) weiter abzugeben [49]. Da auch der zweite Zwischenbericht eine durchaus positive Bilanz der Versuche mit der Betäubungsmittelverschreibung ziehen konnte, ging Bundesrätin Dreifuss anlässlich der eidgenössischen Jugendsession noch weiter und kündigte an, dass sie dem Bundesrat bald eine Gesetzesrevision vorschlagen werde, um die Versuche mit der kontrollierten Drogenabgabe zu einem festen Instrument der Drogenpolitik zu machen. Dabei sei die Drogenabgabe aber nur für diejenigen Süchtigen gedacht, die auf keine andere Therapie mehr ansprechen würden [50].
In diesem Vorhaben erhielt die Landesregierung deutlichen Sukkurs von der 1994 eingesetzten, breit abgestützten Expertenkommission für eine Revision des Betäubungsmittelgesetzes, welche vom ehemaligen obersten Drogenfahnder des Bundes und heutigen Basler FDP-Polizeidirektor Jörg Schild geleitet wurde. Das Gremium sprach sich dafür aus, dass der Konsum, der Kauf und der Besitz von geringen Mengen illegaler Drogen zum Eigengebrauch nicht mehr strafbar sein soll. Die Experten empfahlen auch, die ärztliche Verschreibung von Betäubungsmitteln an schwer Süchtige bei positivem Ausgang der laufenden Versuche im Gesetz zu verankern. Ihrer Ansicht nach soll der Fürsorgerische Freiheitsentzug (FFE) zur Zwangsbehandlung von Süchtigen nicht ausgeweitet werden. Das Therapieangebot müsse aber vielfältiger ausgestaltet werden, wobei dem Bund eine wichtige Koordinationsaufgabe zukomme. Grundsätzlich hielt die Expertenkommission fest, dass das Ziel einer drogenfreien Gesellschaft wohl nie erreicht werden könne, schon gar nicht mit gesetzlichen Massnahmen. Das wichtigste sei, eine bessere Gesprächskultur zu finden, Populismus und Polemik seien in diesem Bereich fehl am Platz [51].
Auch die Subkommission Drogenfragen der Eidgenössischen Betäubungsmittelkommission unterstützte einstimmig das bundesrätliche Vier-Säulen-Modell. Empfohlen wurde eine Revision des Betäubungsmittelgesetzes im Sinn der "Kommission Schild" inklusive Straflosigkeit des Konsums. Über die längerfristig einzuschlagende Marschrichtung konnte sich das beratende Organ des Bundesrates allerdings nicht einigen. Eine knappe Mehrheit plädierte aber für das Szenario einer Legalisierung mit differenzierter und reglementierter Zugänglichkeit [52].
Der Bundesrat gab die Frage, ob der Drogenkonsum straffrei werden solle, in eine breite Vernehmlassung. Die FDP sprach sich grundsätzlich für eine Strafbefreiung des Konsums aus, wollte diesen aber auf den privaten Bereich beschränken. Die SP forderte eine möglichst rasche Entkriminalisierung nicht nur beim Konsum, sondern auch beim Erwerb und Besitz kleiner Drogenmengen für den Eigenverbrauch. Beide Parteien stimmten der Kommission Schild bezüglich der ärztlichen Verschreibung von Betäubungsmitteln zu. Ihr Nein zur Strafbefreiung bekräftigte die SVP. In der Frage der Drogenabgabe wollte sich die SVP nicht definitiv festlegen, sondern vorerst den Abschluss der Versuche abwarten. Die CVP, die 1994 noch zusammen mit FDP und SP das Programm "für eine kohärente Drogenpolitik" unterstützt hatte, welches die Entkriminalisierung des Konsums vorsah, sprach sich nun ebenfalls für den Beibehalt der Strafverfolgung aus, wobei ihrer Meinung nach die Richter aber vom Grundsatz der Opportunität sollen Gebrauch machen können. Der Weiterführung der Heroinabgabe stimmte sie zu. Die Kantone zeigten sich gespalten. Graubünden und Baselland befürworteten die Entkriminalisierung grundsätzlich, der Tessin zeigte sich nicht abgeneigt. Als falschen Weg stuften hingegen Thurgau, St. Gallen und Wallis die Strafbefreiung ein, wobei St. Gallen aber, wie Schaffhausen und Zürich eine Strafbefreiung für den Konsum von Cannabis unterstützte. Von den Organisationen verlangte der Verband Sucht- und Drogenfachleute (VSD) nicht nur eine Strafbefreiung für Konsum, sondern ein Staatsmonopol für die Abgabe verschiedener Suchtmittel. Für eine Strafbefreiung sprachen sich auch die Eidg. Kommission für Jugendfragen (EKJ), die Dachorganisation der Jugendverbände (SAJV), der Dachverband schweizerischer Lehrerinnen und Lehrer (LCH) sowie die Stiftung Pro Juventute aus. Der Bundesrat fühlte sich durch die Ergebnisse der Vernehmlassung in seiner Vier-Säulen-Politik bestätigt, kündigte aber an, dass er mit weiteren Beschlüssen zuwarten wolle, bis das Ergebnis der Volksabstimmung über die verbotsorientierte Initiative "Jugend ohne Drogen" vorliegt [53].
Bereits vor der Vernehmlassung hatte sich die FMH, die Vereinigung der Schweizer Ärzte, für eine Entkriminalisierung des Drogenkonsums, eine Verstärkung der Prävention und die Ausdehnung der Behandlung mit Ersatzdrogen ausgesprochen. Bei Schwerstsüchtigen müsse unter Umständen anfänglich die konsumierte Substanz wie etwa Heroin eingesetzt werden, allerdings im Rahmen eines klar definierten Therapieansatzes [54].
Die fünfte eidgenössische Jugendsession stand ganz im Zeichen der Drogenfrage. Die Jugendlichen berieten 21 Petitionen und Resolutionen zum Thema Drogen und allgemein zur Lebenssituation junger Menschen in der Schweiz. Mit 120 gegen 48 Stimmen sprachen sich die Jugendlichen gegen eine Petition aus, die eine vollständige Liberalisierung aller Drogen und einen staatlich kontrollierten Drogenmarkt forderte. Dagegen wurden die kontrollierte Drogenabgabe an Schwerstsüchtige und die Legalisierung des Konsums, des Anbaus und Besitzes der weichen Drogen wie Haschisch gutgeheissen. Die Jugendsession forderte aber auch einen verstärkten Kampf gegen die Dealer und die organisierte Kriminalität. Ein Petitionsentwurf, der explizit eine schärfere Bestrafung der Dealer und den Aufbau einer "schlagkräftigen Drogenfahndungsbehörde" verlangt hatte, wurde jedoch relativ deutlich abgelehnt [55].
In einer repräsentativen Studie untersuchte die Schweizerische Fachstelle für Alkohol- und andere Drogenprobleme (SFA) die Verbreitung der Modedroge Ecstasy bei den Schweizer Jugendlichen und speziell bei den Ravern und Raverinnen in der Techno-Szene. Sie konnte dabei bisher weit verbreitete Vorurteile widerlegen. 80% der Techno-Party-Gänger konsumieren kein Ecstasy, obgleich die Droge fast ausschliesslich dort und zudem sehr billig angeboten wird. Von allen befragten 15- bis 34jährigen Schweizerinnen und Schweizern gaben nur drei Prozent an, sie würden Ecstasy konsumieren, wenn sie dazu die Gelegenheit hätten; 57% aller Befragter lehnten Drogen generell ab. Gemäss der SFA weist dieses Ergebnis auf eine hohe Resistenz Jugendlicher und junger Erwachsener gegenüber dieser Modedroge hin. Mit der Präventionskampagne "Ecstasy ist hirnrissig" will die SFA nun die Jugendlichen in dieser Haltung bestärken [56].
Zu einem von der Freiheitspartei verabschiedeten, extrem restriktiven Drogenkonzept siehe unten, Teil IIIa (FP).
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Drogenpolitik in den Kantonen und Gemeinden
Die SVP der Stadt Zürich brachte mit ihrem Argument, wonach die kontrollierte Drogenabgabe zu teuer sei und ein falsches Signal an die Jugendlichen darstelle, ein Referendum gegen die kontrollierte Drogenabgabe zustande. In Winterthur genügte gar die Referendumsdrohung, um das Stadtparlament dazu zu bewegen, die entsprechende Kreditvorlage freiwillig dem Volk zu unterbreiten. Mit dieser Haltung stellte sich die Zürcher SVP nicht nur gegen alle anderen Parteien im Kanton (mit Ausnahme von SD und FP), sondern sie grenzte sich auch deutlich gegenüber der Mutterpartei ab, welche in ihrer Vernehmlassungsantwort zur Revision des Betäubungsmittelgesetzes festhielt, dass sie sich zwar auch für eine Beendigung der Heroinabgabeversuche einsetze, dass sie deren begrenzte Weiterführung bis 1998 aber aus humanitären Gründen befürworte. In der recht gehässig geführten Abstimmungskampagne engagierten sich auch die frühere Zürcher Sozialvorsteherin Emilie Lieberherr sowie die gesamte Spitze der Stadtpolizei Zürich für die Weiterführung der Heroinabgabe. Die breite Koalition der Befürworter schlug sich anfangs Dezember in den Resultaten der beiden Abstimmungen nieder: in Winterthur stimmten 59% der Stimmberechtigten, in Zürich gar 63% der Fortschreibung der Betäubungsmittelabgabe zu [57].
Der Regierungsrat des Kantons Zürich sprach sich dagegen aus, in Bern eine Standesinitiative einzureichen, welche eine Freigabe von Haschisch auf Verfassungsstufe verlangt. Der Kantonsrat hatte 1995 eine entsprechende Einzelinitiative vorläufig unterstützt. Die Regierung führte aus, wie beim Absinth-Paragraphen sei es fragwürdig, Bestimmungen zu einem einzigen Suchtmittel in die Verfassung aufzunehmen. Hingegen wurde mit Zustimmung der Regierung vom Kantonsrat eine FDP-Motion angenommen, welche die Legalisierung von Haschisch über eine Standesinitiative zur entsprechenden Änderung des Betäubungsmittelgesetzes erreichen will. Der Vorstoss wurde von FDP, SP, GP und LdU unterstützt, SVP, SD, FPS und EVP sprachen sich dagegen aus; die CVP war - gleich wie auf der nationalen Ebene - gespalten [58].
 
Sozialhilfe
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Neue Armut
In der Schweiz nimmt die Armut seit Beginn der neunziger Jahre zu. Gemäss einer Studie des Bundesamtes für Statistik stieg der Anteil der Haushalte, die nach eigenen Angaben Sozialhilfe beziehen, zwischen 1991 und 1995 von 4,7% auf 5,2%. Die Haushalte in der französischen Schweiz und im Tessin befinden sich laut Studie öfter in einer bedürftigen Situation, die ihnen Anspruch auf Unterstützungsleistungen gibt. Grosse Haushalte mit sechs und mehr Mitgliedern sind am häufigsten auf Unterstützung angewiesen. Der Anteil der "working poors" (Leute, die arbeiten, aber damit nicht genug für ihren Lebensunterhalt verdienen) bezogen auf die gesamte Bevölkerung schwankt zwischen 3,5% und 13,6%. Das Risiko, unter einer bestimmten Einkommensschwelle zu liegen, ist für Frauen und für Personen ohne nachobligatorische Ausbildung deutlich höher als für andere Bevölkerungsgruppen. Ende Jahr schätzte die Schweizerische Konferenz für Sozialhilfe (Skos) die Zahl der Sozialhilfeempfänger auf 300 000. Erstmals wurde netto mehr als eine Milliarde Franken ausgeschüttet [59].
Das Jahr 1996 wurde von der UNO zum Jahr der Bekämpfung der Armut proklamiert. Zum Auftakt dieses Themenjahres trafen die Bundesräte Dreifuss und Cotti in Bern Vertreter von Hilfswerken und Entwicklungsorganisationen. Zur Sprache kamen die ständige Verschlechterung der Rahmenbedingungen für die Länder des Südens, die zunehmende Armut im Norden sowie die sich verknappenden finanziellen Mittel zur Bewältigung der Not. Bundesrätin Dreifuss bezifferte die Zahl der Menschen, die in der wohlhabenden Schweiz in schwierigen finanziellen Verhältnissen leben, auf über 500 000, wobei in erster Linie Frauen davon betroffen seien, weshalb man von einer eigentlichen Feminisierung der Armut reden könne. Das EDI setzte einen mit 300 000 Fr. dotierten Fonds zur Unterstützung von konkreten Projekten privater Organisationen zur Bekämpfung der Armut in der Schweiz ein [60].
Aus Anlass des UNO-Jahres lud Bundesrätin Dreifuss anfangs Oktober rund ein Dutzend Kantons- und Städtevertreter zu einem Treffen mit einer Delegation der Bewegung ATD Vierte Welt ein, welche sich bereits seit vielen Jahren mit dem Problem der Armut in den hochindustrialisierten Ländern befasst. Sie betonte, eine Plattform des Dialogs sei umso notwendiger, als gewisse Kreise ein Klima der Angst um die Zukunft des Sozialsystems schürten [61].
Langzeitarbeitslosigkeit bedeutet immer häufiger den Ausschluss grösserer Bevölkerungskreise aus der Gesellschaft. Von diesen Veränderungen am stärksten betroffen sind die Schweizer Städte mit Zentrumsfunktion, da sie einen grossen Teil der sozialen Aufgaben tragen. Aus diesem Grund schlossen sich die grössten Städte 1995 zu einer losen Arbeitsgemeinschaft zusammen, der Städteinitiative "Ja zur sozialen Sicherung", welche sich mehr Mitsprache der Städte auf Bundesebene, eine verbesserte Koordination sowie eine gerechtere Lastenverteilung einsetzt. Die Arbeitsgemeinschaft führte im Januar des Berichtsjahres eine Aussprache mit Vertretern der kantonalen Fürsorgedirektorenkonferenz durch und traf sich im Juni mit den Präsidenten der parlamentarischen Kommissionen für soziale Sicherheit und Gesundheit. Sie hiessen bei dieser Gelegenheit ein Grundlagenpapier zur Arbeitslosigkeit gut, welches die folgenden Hauptpunkte umfasst: Schaffung eines ergänzenden zweiten Arbeitsmarktes für langzeitarbeitslose Sozialhilfeabhängige; Schliessung der Finanzierungslücke zwischen AVIG und IV im Bereich der aktiven Eingliederungsmassnahmen; Förderung neuer Arbeitszeitmodelle in Richtung neuer Ansätze zur Umverteilung der Arbeit; engere Vernetzung zwischen Sozialversicherung (ALV, IV) und Sozialhilfe sowie institutionalisierte Zusammenarbeit zwischen regionalen Arbeitsvermittlungszentren (RAV) und Sozialhilfeämtern. Kerngedanke dieser Anliegen ist die Erkenntnis, dass die öffentliche Sozialhilfe ihren Integrationsauftrag nicht wahrnehmen kann, wenn ihren Klienten und Klientinnen der Zugang zum Arbeitsmarkt verschlossen bleibt [62].
Das Bundesgericht umschrieb in einem Grundsatzentscheid, was sich die Gemeinden im Bereich der Sozialhilfe vorschreiben lassen müssen. Da der Bereich der Fürsorge traditionell eine Aufgabe der Gemeinde ist, leitete die Gemeinde Brig daraus ab, dass sie auch die generellen Ansätze für die Berechnung des fürsorgerischen Existenzminimums selbst festlegen könne. Mit dem Argument, dass das Oberwallis eine wirtschaftlich schwache Randregion sei, verweigerte sie einer alleinstehenden Frau mit drei Kindern die sonst im Kanton Wallis übliche Berechnung nach den Richtlinien der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe. Auf Klage der Frau hob der Kanton die entsprechende Verfügung der Gemeinde Brig auf, worauf diese ans Bundesgericht gelangte. Die Lausanner Richter befanden, es bestehe ein Interesse daran, dass im ganzen Kantonsgebiet einheitliche Ansätze für die Berechnung des Existenzminimums gälten. Sonst könnte eine Gemeinde versucht sein, durch tiefe Ansätze die Bedürftigen zur Abwanderung zu bewegen. Ausserdem gebe es gute Gründe, die höheren Ansätze der Skos zur Anwendung zu bringen, das diese den Betroffenen ermöglichen, den Anschluss an die Gesellschaft wieder zu finden [63].
Im Berichtsjahr legte der Kanton Graubünden eine Armutsstudie vor. Der Bericht kam zum Schluss, dass rund 16 000 Bündner (ca. 10% der Bevölkerung) als "relativ arm" bezeichnet werden müssen. Ihnen stehen pro Monat weniger als 2000 Fr. zum Leben zur Verfügung. Auch die Exekutive der Stadt Lausanne liess in zwei Studien die finanzielle Situation der in wirtschaftlich prekären Verhältnissen lebenden Menschen sowie die konkreten Auswirkungen der Armut untersuchen. In 5000 Haushaltungen (9% der Gesamtheit) wurden in wenigstens zwei Kernbereichen (Einkommen, Ausbildung, Einbettung in die Gesellschaft) Defizite festgestellt, womit diese Haushaltungen auch in bezug auf die Zukunftsaussichten auf sehr schwachen Beinen stehen. Weitere 4500 Haushaltungen (8%), insbesondere Familien, befanden sich in einer prekären Lage, weil sie ihren finanziellen Verpflichtungen nur zeitweise nachkommen können und rund ein Drittel von ihnen verschuldet ist [65].
Für parlamentarische Vorstösse zur Eindämmung der Konsumkredite siehe oben, Teil I, 4a (Wettbewerb).
Nach Genf und Tessin wird auch der Kanton Waadt für ausgesteuerte Arbeitslose ein garantiertes Minimaleinkommen einführen. Dieses wird 150 Fr. pro Monat über den üblichen Sozialhilfeleistungen liegen und an eine Gegenleistung (Weiterbildung, Arbeiten für die Gemeinschaft) gekoppelt sein. Während die Linke dieses "revenu minimum de réinsertion" zeitlich unbefristet ausrichten wollte, setzte die bürgerliche Mehrheit im Grossen Rat eine Beschränkung auf zwei Jahre durch. Der Kanton Wallis unterstellte nicht nur die Unterstützung der Ausgesteuerten, sondern generell seine Sozialhilfe unter den Gedanken eines Vertrages zwischen dem Individuum und der Gesellschaft ("contrat d'insertion sociale"). Die Erbringung gemeinnütziger Leistungen wird mehr als moralische denn als rechtliche Verpflichtung verstanden und hat auch die Aufgabe, die Sozialhilfeempfänger aus ihrer Isolation zu führen. Im teilrevidierten Fürsorgegesetz des Kantons Bern soll ebenfalls die Möglichkeit geschaffen werden, die Unterstützung in besonderen Fällen an vertraglich vereinbarte Gegenleistungen zu knüpfen. Die Sozialhilfe bekäme in einem solchen Fall den Charakter eines Soziallohnes und wäre damit nicht mehr rückerstattungspflichtig [66].
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Opferhilfe
Mehr Menschen als erwartet haben in den beiden ersten Jahren seit Einführung des Opferhilfegesetzes (OHG) Beratungen und Entschädigungen in Anspruch genommen. Dies ging aus dem ersten Zwischenbericht des Bundesamtes für Justiz hervor, der auch feststellte, dass die Kantone den Vollzug des OHG im grossen und ganzen gut erfüllt haben. So sei der Auftrag, für Beratungsstellen zu sorgen, in allen Kantonen ausgeführt worden; auch dem Persönlichkeitsschutz sowie der Besserstellung der Opfer im Strafverfahren werde in der Praxis nachgelebt. Die vom Gesetz vorgesehenen Entschädigungs- und Genugtuungsleistungen seien vor allem bei Körperverletzungen, Tötungs- und Sexualdelikten ausgerichtet worden [67].
Der Nationalrat überwies ein Postulat einer Minderheit der Rechtskommission, welches den Bundesrat ersucht, eine Kampagne gegen die Alltagsgewalt im sozialen Nahraum zu lancieren. Ziel der Kampagne müsste sein, in diesem tabuisierten Bereich Öffentlichkeit als Voraussetzung für eine wirksame Prävention zu schaffen [68].
Der Schutz der Kinder vor Misshandlung und sexueller Ausbeutung wird unten, Teil I, 7d (Kinder) resp. oben, Teil I, 1b (Strafrecht) behandelt.
 
Sport
Im Rahmen der Revision des Finanzausgleichs zwischen Bund und Kantonen schlug der Bundesrat vor, den Bereich Jugend und Sport ganz in die Kompetenz der Kantone zu geben [69].
Auf Antrag des Bundesrates überwies der Ständerat diskussionslos eine Motion Büttiker (fdp, SO) für die Schaffung eines Bundesamtes für Sport in der Postulatsform, da Bundesrätin Dreifuss darauf hinwies, dass Reformschritte bereits eingeleitet seien [70].
Mit einer Motion wollte Nationalrat Comby (fdp, VS) den Bundesrat verpflichten, die Kandidatur Sions für die olympischen Winterspiele 2006 finanziell und technisch zu unterstützen. Bundesrätin Dreifuss erklärte, dass diese Unterstützung zweifellos erfolgen werde, dass man sich jetzt aber noch nicht binden wolle, in welcher Form dies zu geschehen habe. Auf ihren Antrag wurde die Motion in ein Postulat umgewandelt [71].
Die Anwesenheit der Bundesräte Ogi und Dreifuss bei den olympischen Sommerspielen von Atlanta (USA) konnte als Zeichen dafür gewertet werden, welche Bedeutung die Landesregierung einer Kandidatur der Schweiz beimisst. Bei dieser Gelegenheit nahmen die beiden Magistraten auch Stellung zu den Gerüchten, wonach der Bereich Sport und insbesondere die Sportschule Magglingen vom EDI ins EMD wechseln solle. Bundesrat Ogi bestätigte seine diesbezüglichen Aspirationen. Bundesrätin Dreifuss vertrat hingegen die Ansicht, dass der Sport keine militärische Aufgabe, sondern vielmehr Teil der Sozial-, Gesundheits- und Umweltpolitik sei. Aus diesem Grund sei das Ressort vor zwölf Jahren vom EMD losgelöst worden. Allerdings könnte sie sich vorstellen, dass der Sport gewissermassen "ad personam" zu Adolf Ogi übergehen könnte [72].
Mit dem von der Sportschule Magglingen ausgearbeiteten Nationalen Sportanlagenkonzept (Nasak) verfügt der Bund erstmals über ein Planungs- und Koordinationsinstrument zum Bau neuer Stadien und anderer Sportstätten von nationaler Bedeutung. Damit die Schweiz als Sportstandort nicht ins Abseits gerät, sind laut Nasak unter anderem nötig: ein nationales Stadion für Fussball und andere Sportarten mit mindestens 35 000 Sitzplätzen, zwei polysportive Stadien mit je 25 000 Sitzplätzen, eine polysportive nationale Wettkampfhalle mit 10 000 bis 20 000 Sitzplätzen, drei Trainingszentren mit Hallen- und Freiluftanlagen für alle Sportarten und drei polysportive Trainingshallen mit 200-m-Rundbahn für Leichtathletik. Der Bundesrat hiess das Nasak gut, doch ist noch ungewiss, ob damit auch finanzielle Verpflichtungen für den Bund verbunden sind [73].
 
Weiterführende Literatur
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Gesundheitspolitik
Bundesamt für Gesundheitswesen, Ernährung in der Schweiz, Bern 1996.
Gross, J. / Kocher, G. (Hg.), Wohin treibt unser Gesundheitswesen?, Muri b. Bern, 1996 (Jubiläumsband 20 Jahre Schweizerische Gesellschaft für Gesundheitspolitik).
Hofmann, D. et al., "Den innovativen Kräften eine Chance", Beilage NZZ, 23.9.96 (Artikelserie über den Gesundheitsmarkt Schweiz).
Kosten des Gesundheitswesens. Entwicklung in der Periode 1960-1995 und aktuelle detaillierte Ergebnisse, Bern (BFS) 1996.
Pharmamarkt 2000. Die Entwicklung des Medikamentenmarktes bis ins Jahr 2000 - Experten nehmen Stellung, Basel 1996.
Schweizer, R., Gentechnikrecht: Zwischenbilanz des Gesetzgebungsprozesses im Gentechnik- und Genschutzbereich, Zürich 1996.
Women's Health Profile Switzerland, Basel 1996.
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Suchtmittel
Bertenghi, P. (Hg.), DroLeg - Die realistische Alternative, Solothurn 1996.
Cattacin, S. / Lucas, B. / Vetter, S., Drogenpolitische Modelle. Eine vergleichende Analyse sechs europäischer Realitäten, Zürich 1996.
Fechlin, J. / Müller, E. (Hg.), Drogenpolitische Szenarien, Bern (EDMZ) 1996.
Estermann, J., Sozialepidemiologie des Drogenkonsums - Zu Prävalenz und Inzidenz des Heroin- und Kokaingebrauchs und dessen polizeilicher Verfolgung, Bern 1996.
Kraushaar, B. / Lieberherr, E., Drogenland in Mafiahand, Zürich 1996.
Maurer, Th., et al., Alkoholverbrauch 1880-1995, Bern (Eidg. Alkoholverwaltung) 1996.
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Sozialhilfe
Borer, M., Von der Armenfürsorge zur modernen Sozialhilfe, Köniz 1996.
Farago, P., Verhütung und Bekämpfung der Armut: Möglichkeiten und Grenzen staatlicher Massnahmen, Bern (EDMZ) 1995.
Gloor, D. / Meier, H. / Verwey, M., Frauenalltag und soziale Sicherheit - Schweizer Frauenhäuser und die Situation der Frauen nach einem Aufenthalt, Chur 1996.
Höpflinger, F. / Hafner, D., Armut und soziale Probleme im Kanton Graubünden, Chur 1996.
Leitner, S. / Obinger, H., "Feminisierung der Armut im Wohlfahrtsstaat. Eine strukturelle Analyse weiblicher Armut am Beispiel der Alterssicherung in Österreich und in der Schweiz, in Schweizerische Zeitschrift für Politische Wissenschaft, 2/1996, Nr. 4, S. 189 ff.
Meyer, P. et al., Soziale Unterstützung und Gesundheit in der Stadt, Zürich 1996.
Rossi, M., "Un modèle d'inspiration scandinave pour intégrer la garantie du minimum vital dans une réforme globale du système suisse de sécurité sociale", in Schweizerische Zeitschrift für Politische Wissenschaft, 2/1996, Nr. 2, S. 73 ff.
Rossi, M. / Sartoris, E., Solidarität neu denken, Zürich 1996.
Rüst, H., Voranalyse für eine schweizerische Sozialhilfe: Bericht über mögliche Inhalte, Ziele und Methoden einer gesamtschweizerischen Statistik der Einzelfallhilfe, Bern (BFS) 1996.
Tecklenburg, U., "Die neuen kantonalen Sozialhilfe-Modelle: Leistungen und Gegenleistungen", in CHSS, 1997, Nr. 1, S. 15 ff.
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M.B.
 
[1] NZZ, 14.8.96.1
[2] Lit. BAG. Eine Motion Vollmer (sp, BE), die einen stärkeren Einbezug der Ernährungsinformation in die allgemeine Prävention verlangte, wurde auf Antrag des BR in ein Postulat umgewandelt (Amtl. Bull. NR, 1996, S. 1184 f.). Für eine Untersuchung des Gesundheitszustandes der Waadtländer Bevölkerung siehe JdG, 5.11.96.2
[3] Kurzbericht Daten für Taten, Bern (Nationalfonds) 1996. Für den ausführlichen Bericht siehe Lit. Women's. Vgl. auch C. Meier, "Annäherungen an die Definition eines frauengerechten Gesundheitsbegriffs" und E. Zemp Stutz, "Eine Frauengesundheitspolitik für die Schweiz", in F-Frauenfragen, 1996, Nr. 3, S. 3 ff. und 13 ff.3
[4] Amtl. Bull. NR, 1996, S. 362 ff. Die Umwandlung in ein Postulat erfolgte mit Zustimmung Ruffys. TA, 22.4. und 11.11.96; AT, 26.4.96.4
[5] SZ, 13.3.965
[6] BBl, 1996, V, S. 132 ff.; WoZ, 29.11.96.6
[7] Presse vom 23.4.97. Siehe auch M. Moser, "Managed Care im Vormarsch", in CHSS, 1996, Nr. 3, S. 140 ff.7
[8] NZZ, 19.3.96; Bund, 22.11. und 23.11.96. Siehe dazu auch K. Müller, "Kostensenkendes Qualitätsmanagement im Gesundheitswesen", in NZZ, 16.3.96. 8
[9] NZZ, 18.12.96.9
[10] Presse vom 25.10.96.10
[11] Presse vom 15.2., 16.2., 12.3. und 27.4.96. Siehe dazu auch die Ausführungen des BR in Amtl. Bull. NR, 1996, S. 186 f. und in Amtl. Bull. StR, 1996, S. 389 f. Ein Postulat Keller (sd, BL) zur weiteren Übernahme der Vorsorgeuntersuchung von schulpflichtigen Kindern wurde angenommen (Amtl. Bull. NR, 1996, S. 1200 f.).11
[12] Amtl. Bull. NR, 1996, S. 2394 f.12
[13] TA, 25.3. und 16.12.96; SGT, 20.4.96; SoZ, 2.6.96; NZZ, 30.8.96; BZ, 6.12.96. Der NR überwies ein Postulat Schmid (cvp, VS), welches den BR bittet zu prüfen, ob nicht auf die Unterstellung der Spitex-Dienste unter die MWSt verzichtet werden könnte (Amt. Bull. NR, 1996, S. 585).13
[14] Presse vom 25.1.96; BAG-Bulletin, Nr. 24, S. 8 f. Siehe SPJ 1994, S. 203 f.14
[15] Lit. Pharmamarkt; CHSS, 1996, Nr. 5, S. 227; Presse vom 10.4. und 19.-21.9.96. Vgl. SPJ 1995, S. 228. Die Hersteller oder Pharmaimporteure legten gegen die Senkung von 37 Medikamentenpreisen Rekurs beim EDI ein (Presse vom 27.8.96). Erstmals verweigerte das BSV die Sanktionierung eines vom Verband für geordnete und sichere Versorgung mit Arzneimitteln ("Reglementation") vorgesehenen Medikamentenpreises (SoZ, 9.6.96). 15
[16] Amtl. Bull. NR, 1996, S. 2408 (Postulat) und S. 2455 (Antwort auf eine Interpellation Simon, cvp, VD); Presse vom 3.10., 29.10. und 30.10.96. Die Schweizerische Patienten-Organisation und das Konsumentinnenforum verlangten ebenfalls mehr Transparenz bei den Medikamentenpreisen (NZZ, 26.9.96). Vgl. dazu auch die Ausführungen des BR in Amtl. Bull. NR, 1996, S. 1903 f.16
[17] Presse vom 23.5., 28.10. und 1.11.96; BZ, 25.9. und 29.10.96; SHZ, 7.11.96. In Beantwortung einer Interpellation Simmen (cvp, SO) wies der BR auf die geringen Kompetenzen des Bundes in diesem Bereich hin (Amtl. Bull. StR, 1996, S. 728 ff.).17
[18] Amtl. Bull. NR, 1996, S. 1491 ff.; NZZ, 20.8.96; Presse vom 24.9.96. Siehe SPJ 1995, S. 228.18
[19] Bund, 7.10.96.19
[20] TA, 15.5.96.20
[21] NZZ, 26.11.96. Ein beschleunigtes Verfahren ist bereits im Berichtsjahr auf Druck einzelner Kantonsregierungen bei zwei vielversprechenden Aidsmedikamenten zum Zug gekommen. Mehrere Kantone gaben überdies weitere Aidsmedikamente, die zwar zugelassen, aber noch nicht in die Spezialitätenliste aufgenommen waren, den Patienten in ihrem Kanton gratis ab, worauf ein Sonderausschuss der Eidg. Arzneimittelkommission auch diese in einem Schnellverfahren in die Liste der kassenpflichtigen Medikamente integrierte (SoZ, 17.3.96; NQ, 20.5.96; NZZ, 28.5.96; CHSS, 1996, Nr. 4, S. 162). Vgl. dazu auch ein überwiesenes Postulat Suter (fdp, BE), welches kostspielige und langwierige Doppelspurigkeiten bei der Zulassung eines neuen Medikaments beheben möchte (Amtl. Bull. NR, 1996, S. 2406).21
[22] Amtl. Bull. NR, 1996, S. 174 f. und 634; Amtl. Bull. StR, 1996, S. 280; BBl, 1996, S. 1338 ff.; BZ, 27.2.96; SGT, 6.3.96. Vgl. SPJ 1995, S. 228 f. Mitte Jahr setzte der BR die entsprechende Verordnung in Kraft. Dabei gelten strenge Regeln für die Sorgfaltspflicht: Blutspenden wie auch Transplantate müssen auf Krankheiten überprüft und die Spenderdaten registriert werden. Aus verfassungsrechtlichen Gründen wird den Homosexuellen die Blutspende nicht mehr ausdrücklich verwehrt; mit dem Hinweis auf eine noch in der Diskussion befindliche Empfehlung des Europarates, welche Personen mit "Risikoverhalten" zur Blutspende möglicherweise nicht mehr zulassen will, bleiben homosexuelle Männer beim SRK de facto aber weiter davon ausgeschlossen (Presse vom 9.4., 10.4., 17.6., 27.6. und 29.6.96). 22
[23] BBl, 1996, III, S. 920; Presse vom 23.8.96. Zur Praxis in den Kantonen siehe NQ, 1.3.96. Auch Genf gab sich - gegen den Widerstand der LP - ein neues Gesetz, welches auf die Widerspruchslösung setzt (24 Heures, 29.3.96). Vgl. SPJ 1994, S. 205.23
[24] NZZ, 9.12.96.24
[25] Presse vom 17.4.96; TW, 30.11.96. Eine Motion Goll (frap, ZH) übernahm die Forderung nach einem zehnjährigen Moratorium. Auf Antrag des BR wurde sie mit 109:58 Stimmen abgelehnt (Amtl. Bull. NR, 1996, S. 1563 ff., 1591 ff. und 1605 ff.). Siehe auch die Ausführungen des BR zu einer Interpellation von Felten (sp, BS), a.a.O., S. 1894 f.25
[26] Bund, 9.4.96; NQ, 29.4.96. Auch das Zentrallabor des Schweizerischen Roten Kreuzes traf Massnahmen, um CJ-Ansteckungen über Blutprodukte möglichst auszuschliessen; Personen, in deren familiärem Umfeld eine CJ-Erkrankung vorgekommen ist, werden von der Blutspende ausgeschlossen (Bund, 8.5.96). Zum Rinderwahnsinn siehe oben, Teil I, 4c (Production animale).26
[27] BA für Justiz, "Gutachten des Bundesamtes für Justiz zum verfassungsrechtlichen Schutz von Embryonen", in Verwaltungspraxis der Bundesbehörden, 1996, S. 575 ff.27
[28] BBl, 1996, III, S. 205 ff.; Presse vom 27.6.96; R. Gerber, "Bundesgesetzentwurf über die medizinisch unterstützte Fortpflanzung", in Familienfragen, 1996, Nr. 2, S. 52 ff. Siehe SPJ 1995, S. 230. Vgl. auch die Stellungnahme des BR zur kürzlich verabschiedeten Konvention des Europarates über Menschenrechte und Biomedizin in Amt. Bull. NR, 1996, S. 1792 ff. sowie seine Ausführungen im Rahmen der Legislaturplanung 1995-1999 (BBl, 1996, II, S. 319).28
[29] Presse vom 27.3.96; WoZ, 12.4.96.29
[30] Presse vom 29.7.96.30
[31] Amtl. Bull. NR, 1996, S. 1789 f. Siehe dazu auch die Ausführungen des BR a.a.O., S. 1791. Die Privatversicherer willigten in ein Moratorium bis ins Jahr 2000 ein (Bund, 26.4.96; NZZ, 30.4. und 18.6.96).31
[32] Amtl. Bull. NR, 1996, S. 755 f.32
[33] BZ, 19.10.96.33
[34] Amtl. Bull. NR, 1996, S. 2406 f.34
[35] Amtl. Bull. NR, 1996, S. 177 ff.; Amtl. Bull. StR, 1996, S. 629 f. Zu den Lücken im Jugendschutz siehe SPJ 1995, S. 231 (FN 23).35
[36] Amtl. Bull. StR, 1996, S. 30 ff.; Amtl. Bull. NR, 1996, S. 1147 ff.36
[37] Amtl. Bull. NR, S. 753. Das Postulat wurde vor allem von Vertretern der FP sowie der lateinischen Schweiz unterstützt.37
[38] Lit. Estermann; Presse vom 28.8.96.38
[39] Presse vom 25.4. und 4.12.96.39
[40] Amtl. Bull. NR, 1996, S. 509 ff. und 535 ff.; Presse vom 22.3.96. Siehe SPJ 1995, S. 232.40
[41] Amtl, Bull, StR, 1996, S. 603 ff.; Presse vom 24.4., 14.8. und 18.9.96; NZZ, 1.7.96. Siehe dazu auch StR Cottier in NZZ, 7.11.96.41
[42] Amtl. Bull. NR, 1996, S. 2127 ff.; Presse vom 4.12.96. Vgl auch NR Egerszegi-Obrist (fdp, AG) in NZZ, 19.11.96.42
[43] Amtl. Bull. StR, 1996, S. 1155 ff.; Presse vom 13.12.96.43
[44] Amtl. Bull. NR, 1996, S. 544 ff.44
[45] BBl, 1996, I, S. 609 ff.; Amtl. Bull. NR, 1996, S. 543 f. Der StR schloss sich bezüglich der UNO-Konvention dem NR an (Amtl. Bull. StR, 1996, S. 623). Eine Motion Bortoluzzi (svp, ZH) auf umgehende Unterbreitung des Wiener Abkommens wurde als erfüllt abgeschrieben (Amtl. Bull. NR, 1996, S. 554 f.). Zur strafrechtlichen Relevanz dieser Konvention siehe M. Pieth, "Selbstbeschränkung über die Uno-Drogenkonvention?", in NZZ, 18.1.96. Vgl. SPJ 1995, S. 235 f.45
[46] Amtl. Bull. NR, 1996, S. 551 ff. Siehe auch SPJ 1995, S. 235 f. Eine vom StR im Vorjahr teilweise gutgeheissene Motion Morniroli (lega, TI), welche die Erstellung eines ausformulierten Drogenkonzeptes verlangte, passierte im NR nur als Postulat (a.a.O., S. 946 f.).46
[47] Amtl. Bull. StR, 1996, S. 624 ff.47
[48] SoZ, 14.1.96; NLZ, 17.1.96.48
[49] AS, 1996, S. 985 ff.; NZZ, 12.1.96: Presse vom 26.1. und 22.2.96; Bund, 10.2.96.49
[50] Presse vom 12.10. und 11.11.96. Zu den vorläufigen Ergebnissen der kontrollierten Drogenabgabe und zu deren Würdigung durch ausländische Experten siehe NZZ, 1.4.96; TA, 12.9.96; Bund, 12.10.96; JdG, 11.11.96. Zur Wissenschaftlichkeit der Versuche siehe NZZ, 22.7. (NR Bortoluzzi, svp, ZH) und 9.8.96 (Replik der Versuchsleiter Gutzwiller und Uchtenhagen). Siehe dazu auch die Ausführungen des BR in Amtl. Bull. NR, 1996, S. 1240 f. Der in der Solothurner Strafanstalt Oberschöngrün seit einem Jahr durchgeführte, weltweit erste Versuch mit der Abgabe von Heroin an schwerstabhängige Inhaftierte ergab ebenfalls sehr gute Resultate (BaZ, 4.1.96; Bund, 29.2.96; TA, 15.4.96; NLZ, 3.7.96; JdG, 28.12.96).50
[51] Presse vom 23.2.96. Das Projekt einer geschlossenen Anstalt für den fürsorgerischen Freiheitsentzug bei verwahrlosten Drogenabhängigen scheiterte. Der Betrieb der ersten FFE-Station der Schweiz, die "Ober Halden" in Egg (ZH), wurde nach nur vier Monaten eingestellt, da das Heim stets stark unterbelegt war (TA, 27.2.96).51
[52] Presse vom 4.7.96. Vgl. SPJ 1989, S. 197.52
[53] Presse vom 6.8., 6.9. und 19.12.96. Zu den insgesamt positiven Ergebnissen der schweizerischen Drogenpolitik (Stabilisierung der Anzahl Süchtiger, Rückgang der HIV-Infektion) siehe Presse vom 20.12.96.53
[54] Presse vom 28.2.96.54
[55] Presse vom 9.11. und 11.11.96. 55
[56] Presse vom 4.10.96. Siehe dazu auch die Stellungnahmen des BR in Amtl. Bull. NR, 1996, S. 555 f. und 1874 ff. 1996 wurden zwei Todesfälle nach der Einnahme von Ecstasy registriert (Presse vom 25.3.97).56
[57] SoZ, 4.8. und 10.11.96; DAZ, 10.9.96; Bund, 2.10.96; NLZ, 8.10. und 22.11.96; TA, 30.10. und 7.11.96; Presse vom 2.12.96.57
[58] TA, 8.8. und 20.8.96.58
[59] Presse vom 26.10.96; SoZ, 27.10.96; JdG, 13.11.96. Bei der Skos handelt es sich um die ehemalige Schweizerische Konferenz für öffentliche Fürsorge (SKöF). Siehe SPJ 1995, S. 236.59
[60] CHSS, 1996, Nr. 2, S. 90 ff. (u.a. Reden der BR Dreifuss und Cotti); Presse vom 27.2.96; Bund, 13.8.96; WoZ, 11.10.96; NZZ und JdG, 13.11.96. Vgl. auch Lit. Leitner.60
[61] NZZ, 2.10.96.61
[62] CHSS, 1996, Nr. 4, S. 162 f. Weitere Unterlagen zur Städteinitiative sind beim Fürsorgeamt der Stadt Zürich erhältlich.62
[63] BaZ, 1.6.96.63
[65] JdG und NQ, 18.4.96.65
[66] Generell: Cash, 19.1.96. VD: Presse vom 9.7. und 10.7.96; NQ, 6.9. und 19.9.96. VS: NF, 1.2.96; NQ, 1.4.96. BE: Bund und BZ, 3.2. und 18.12.96. Der Grosse Rat des Kantons LU lehnte es hingegen ab, ein Recht auf Existenzminimum für Ausgesteuerte einzuführen (24 Heures, 31.1.96). Siehe auch SPJ 1994, S. 218 und 1995, S. 241. Vgl. auch F. Brutsch, "L'allocation universelle, un bouleversement radical", in DP, Nr. 1240, 11.1.96, S. 4 f. sowie Lit. Tecklenburg.66
[67] NZZ, 11.1.96; SGT, 4.4.96; SHN, 4.10.96. Siehe SPJ 1994, S. 213. Im Kanton BE stieg die Summe der Entschädigungs- und Genugtuungszahlungen innerhalb von zwei Jahren (1994-1996) von rund 210 000 Fr. auf knapp 670 000 Fr. (Bund, 25.3.97).67
[68] Amtl. Bull. NR, 1996, S. 919 ff. Für den Schutz der Gesellschaft vor besonders gefährlichen (Trieb-)Tätern siehe oben, Teil I, 1b (Strafrecht).68
[69] BüZ, 16.2.96. Vgl. dazu oben, Teil I, 5 (Finanzausgleich).69
[70] Amtl. Bull. StR, 1996, S. 584 ff.70
[71] Amtl. Bull. NR, 1996, S. 1424 ff.71
[72] JdG, 22.6.96; NQ, 27.2. und 24.7.96; BZ, 24.7. und 3.8.96. Nach Meinung des Leiters der Sportschule Magglingen gehört der Sport nicht ins EMD (TA, 25.4.96). Der Schweizerische Landesverband für Sport und das Schweizerische Olympische Komitee schlossen sich im Herbst zum Schweizerischen Olympischen Verband zusammen (BaZ, 21.11.96).72
[73] BBl, 1996, II, S. 706; BaZ, 25.10.96. Siehe dazu auch die Ausführungen des BR in Amtl. Bull. NR, 1996, S. 2494. Zur schwierigen Finanzlage, in der sich das Sportmuseum in Basel befindet, siehe unten, Teil I, 8b (Museen).73
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