Année politique Suisse 1998 : Sozialpolitik
Soziale Gruppen
In der revidierten Bundesverfassung wurde der Katalog der explizit verbotenen Diskriminierungstatbestände ausgeweitet. – Mit 19% der Gesamtbevölkerung blieb der Ausländeranteil weiter stabil. – In das überarbeitete Ausländergesetz wurde ein Integrationsartikel aufgenommen. – Die Anzahl der Asylgesuche nahm um über 72% zu. – Das Parlament verabschiedete das totalrevidierte Asylgesetz. Die Massnahmen gegenüber den illegal eingereisten sowie den papierlosen Flüchtlingen wurden mit einem dringlichen Bundesbeschluss auf den 1. Juli in Kraft gesetzt. Gegen beide Gesetzesänderungen wurde das Referendum eingereicht. – Die Revision des Eheschliessungs- und Scheidungsrechts wurde abgeschlossen. – Der Nationalrat stimmte einer Fristenlösung beim Schwangerschaftsabbruch zu. – Das Parlament nahm einen eigenständigen Artikel über die Rechte der Kinder und Jugendlichen in den Grundrechtskatalog der neuen Verfassung auf.
 
Grundsatzfragen
Im Zweckartikel (Art. 2) der neuen Bundesverfassung nahm der Nationalrat auf Vorschlag seiner Kommission einen zusätzlichen Absatz an, der die Eidgenossenschaft verpflichtet, für eine möglichst grosse Chancengleichheit unter den Bürgerinnen und Bürgern zu sorgen. Der Ständerat, dem in erster Lesung kein entsprechender Vorschlag vorgelegen hatte, lehnte einen Antrag Aeby (sp, FR), hier dem Nationalrat zu folgen vorerst mit dem Argument ab, die Erwähnung der Chancengleichheit an so prominenter Stelle würde unerfüllbare Erwartungen wecken [1]. In der Folge beharrten beide Räte auf ihrer Sicht der Dinge; erst in der Einigungskonferenz setzte sich dann die Version des Nationalrates durch [2].
Der Vorschlag des Bundesrates zum Gleichstellungsartikel (Art.8) sah vor, neben dem Grundsatz, wonach alle Menschen vor dem Gesetz gleich sind (Abs. 1), eine Liste der verbotenen Diskriminierungen anzuführen (Abs. 2). So sollte niemand benachteiligt werden dürfen, namentlich nicht wegen der Herkunft, der Rasse, des Geschlechts, der Sprache, der sozialen Stellung, der religiösen, weltanschaulichen oder politischen Überzeugung oder wegen einer körperlichen oder geistigen Behinderung. Im Ständerat, der die Vorlage als Erstrat behandelte, wollten mehrere Abgeordnete weitere Diskriminierungstatbestände explizit aufnehmen, so etwa Beerli (fdp, BE) den Begriff der Lebensform, um den alternativen Partnerschaften besser gerecht zu werden, Leumann (fdp, LU) das Kriterium des Alters, womit in erster Linie ein besonderer Schutz der Jugend anvisiert wurde, und Brändli (svp, GR) neben der körperlichen und geistigen auch die psychische Behinderung. In zwei Eventualabstimmungen wurden die Anträge Beerli und Brändli angenommen, jener von Leumann ganz knapp abgelehnt. Schliesslich setzte sich aber Spoerry (fdp, ZH) mit dem Argument durch, angesichts der Tatsache, dass wohl keine Aufzählung je abschliessend sein könne, sei es sinnvoller, die Liste gänzlich fallen zu lassen und in Abs. 2 nur zu sagen, dass niemand diskriminiert werden darf [3].
Im Nationalrat wurde der Antrag Spoerry von einer rechtsbürgerlichen Minderheit unter Fischer (svp, AG) eingebracht und zwar in der Form der Zusammenfassung beider Absätze in einen Abs. 1. Da zu diesem Alinea SP-Anträge für eine geschlechtsneutrale Formulierung auch im Französischen und Italienischen eingereicht waren (siehe unten, Frauen), diese Frage aber generell erst vor Abschluss der Gesamtberatung geregelt werden sollte, wurde die Diskussion darüber verschoben – und angesichts der weiteren Beschlüsse der Räte gar nicht mehr aufgenommen. Gegen einen Antrag Leuba (lp, VD), der dem Ständerat beim ganzen Artikel folgen wollte, nahm der Nationalrat mit 101 zu 55 Stimmen den Antrag seiner Kommission zu Abs. 2 an und fügte so die Begriffe der Lebensform und der psychischen Behinderung ein. Zwei Minderheitsanträge vor allem aus den Reihen der SP, welche einerseits die geschlechtliche Orientierung und den Zivilstand, anderseits das Alter ausdrücklich erwähnen wollten, wurden nach ausgiebiger Diskussion mit 85 zu 70 resp. 86 zu 69 Stimmen verworfen [4].
In seiner zweiten Lesung trug der Ständerat dem deutlichen Ergebnis in der grossen Kammer Rechnung und übernahm diskussionslos die Version des Nationalrates. Ebenfalls ohne Opposition passierte der von seiner Kommission aufgenommene Begriff des Alters. Der Berichterstatter gab zu bedenken, je mehr Diskriminierungskriterien aufgeführt würden, desto mehr könnte der Anschein erweckt werden, dass diejenigen benachteiligt werden dürften, die nicht erwähnt sind, weshalb zumindest das Alter auch speziell genannt sein müsse. Der Nationalrat hiess daraufhin stillschweigend diesen Zusatz ebenfalls gut [5].
Zu den Absätzen 3 und 4 von Art. 8 siehe unten (Frauen und Invalide). Die Verfassungsdiskussion zu weiteren gruppenspezifischen Themen wird beim jeweiligen Unterkapitel dargelegt.
Beide Kammern beschlossen diskussionslos, das Rahmenübereinkommen des Europarates zum Schutz nationaler Minderheiten zu ratifizieren [6].
 
Ausländerpolitik
Art. 121 der revidierten Bundesverfassung behandelt Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer. Gemäss Vorschlag des Bundesrates wird in Abs. 1 gesagt, dass die Gesetzgebung über die Ein- und Ausreise, den Aufenthalt und die Niederlassung von Ausländerinnen und Ausländern sowie über die Gewährung von Asyl Sache des Bundes ist. Während dieser Absatz im Ständerat unbestritten war, beantragte eine rechtsbürgerliche Minderheit im Nationalrat eine Aufteilung in zwei Absätze. Bei den Bestimmungen über die Ausländer hielt sich der Vorschlag an den Text des Bundesrates. Die Asylerteilung sollte hingegen verschärft formuliert werden. Insbesondere wollte die Minderheit sagen, dass die Schweiz im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen verfolgten und an Leib und Leben gefährdeten Ausländern und Ausländerinnen Asyl erteilt, soweit es für das Land tragbar ist. Bundesrat Koller bat den Rat, diesen Antrag abzulehnen, da damit der heute international massgebende Flüchtlingsbegriff über die Verfassung eingeschränkt würde. Der Antrag wurde ohne eigentliche materielle Diskussion mit 123 zu 25 Stimmen deutlich verworfen.
In Abs. 2 sollte nach den Vorstellungen des Bundesrates gesagt werden, dass der Bund Ausländer und Ausländerinnen aus der Schweiz ausweisen kann, wenn sie die Sicherheit des Landes gefährden. Auf Antrag ihrer Kommissionen stimmten beide Kammern einer Ausdehnung der Zuständigkeiten zu. Im definitiv angenommenen Absatz steht nun, dass Ausländerinnen und Ausländer ausgewiesen werden können, wenn sie die Sicherheit des Landes gefährden; damit erhalten die Kantone die Möglichkeit, ebenfalls aktiv zu werden. Die bereits bei Abs. 1 aktive Minderheit strebte auch hier eine Verschärfung an, indem die Kann- durch eine Mussformulierung ersetzt werden sollte. Koller bat den Rat erneut um Ablehnung, da eine zwingende Formulierung dem Non-refoulement-Prinzip widersprechen würde. Der Antrag unterlag mit 121 zu 32 Stimmen [7].
Auf den 1. Mai wurde der ohnehin kaum mehr angewendete sogenannte ”Rednerbeschluss” von 1948 aufgehoben, womit nun auch nicht niedergelassene Ausländerinnen und Ausländer ohne Behördengenehmigung öffentliche Ansprachen halten dürfen [8].
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Ausländische Bevölkerung
Die Zahl der ständigen ausländischen Wohnbevölkerung – internationale Funktionäre, Kurzaufenthalter, Saisonniers und Flüchtlinge nicht mitgerechnet – nahm im Berichtsjahr wieder etwas stärker zu, nämlich um 0,5% (Vorjahr 0,2%). Mit 19% der Gesamtbevölkerung blieb der Ausländeranteil weiter stabil. Nach wie vor war die Zunahme dem Einwanderungs- und Geburtenüberschuss zuzuschreiben. Den grössten Bestandeszuwachs verzeichneten Angehörige aus Staaten des ehemaligen Jugoslawiens mit 7620 Personen (+2,4%). Von den 1 347 911 am Jahresende anwesenden Ausländerinnen und Ausländern hatten 74% eine Niederlassungs- und 26% eine Jahresbewilligung. 59,6% stammten aus dem EU- oder EFTA-Raum.
Ende Dezember wurden 691 149 erwerbstätige Niedergelassene und Jahresaufenthalter, 8732 Saisonniers und 142 460 Grenzgänger gezählt. Zusammen umfassten diese vier Kategorien 842 341 Personen, 5106 (-0,6%) weniger als vor Jahresfrist. Die Saisonarbeiter verzeichneten einen Rückgang von 30,1%, gefolgt von den erwerbstätigen Jahresaufenthaltern und Niedergelassenen (-0,2%) sowie den Grenzgängern (-0,2%). Nach Wirtschaftsklassen betrachtet beschäftigten Ende Dezember die Gruppe Handel, Banken Versicherungen (22,1%), die Metall- und Maschinenindustrie (16,5%), das Baugewerbe (10,4%) und das Gesundheitswesen (7,9%) am meisten Ausländerinnen und Ausländer. Ein Vergleich mit dem Vorjahr zeigte, dass in der Gruppe Handel, Banken, Versicherungen (+3,2%) und in Unterricht, Wissenschaft (+4,6%) ein merklicher Zuwachs stattfand. Erhebliche Abnahmen dagegen wiesen das Baugewerbe (-5,3%), die Metall- und Maschinenindustrie (-1,7%) und das Gastgewerbe (-2,4%) auf [9].
Das Bundesamt für Statistik (BFS) relativierte die gängig zitierten Zahlen über den hohen Ausländeranteil der Schweiz in einer Broschüre, die von jetzt an jährlich erscheinen soll. Insbesondere wies das BFS darauf hin, dass der Anteil der instabilen ausländischen Bevölkerung (ausgenommen Niedergelassene und ausländische Funktionäre) 1997 lediglich 6,6% der ständigen Wohnbevölkerung betrug. 23,2% der Ausländerinnen und Ausländer waren in der Schweiz geboren, weitere 27,6% lebten seit mehr als 15 Jahren hier. Die anhaltende Immigration von Arbeitskräften aus Südeuropa gehört insofern der Vergangenheit an, als in diesem Bereich die Rückwanderung dominiert. Einwanderungsüberschüsse gibt es nur noch aus den fünf Nachfolgestaaten Jugoslawiens (4000 Personen), in geringem Mass aus Deutschland und Frankreich sowie aus aussereuropäischen Ländern (rund 8000 Personen.
Von einer kulturellen Durchmischung sprach das BFS mit Blick auf die Anteile von Ehen zwischen Schweizern und Ausländerinnen (18,6%) und zwischen Schweizerinnen und Ausländern (9,2%). Mit 1,4% Einbürgerungen (19 200 Personen 1997) besteht immer noch ein Integrationsrückstand verglichen mit anderen Einwanderungsländern. Schätzungsweise 585 000 Ausländerinnen und Ausländer würden die Voraussetzungen zum Erwerb des Schweizer Bürgerrechts erfüllen, werden aber durch das heimatstaatliche Verbot des Doppelbürgerrechts, das Verfahren in der Schweiz oder andere Faktoren davon abgehalten. Auffallend sind die demographischen und die wirtschaftlich-sozialen Unterschiede zwischen der zunehmend heterogenen ausländischen und der einheimischen Bevölkerung. Die Zugewanderten machen (überproportional) 25% der Erwerbstätigen aus und weisen eine dreimal so hohe Arbeitslosenquote auf wie die Schweizer. Die ”Jugendlichkeit” der Ausländer zeigt sich daran, dass auf 100 Personen im Erwerbsalter sieben im Rentenalter (bei den Schweizern 29) entfallen. Die Geburtenhäufigkeit ist bei Ausländerinnen grösser als bei Schweizerinnen (1,85 statt 1,29 Kinder pro Frau) [10].
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Zulassung
Mit 130 zu 19 Stimmen empfahl der Nationalrat auf Antrag des Bundesrates die Volksinitiative ”für eine Regelung der Zuwanderung” Volk und Ständen zur Ablehnung. Das 1995 von einem rechtsbürgerlichen Komitee eingereichte Begehren will den Anteil der Ausländer an der gesamten Bevölkerung auf 18 Prozent beschränken. Von dieser Stabilisierungsrechnung ausgenommen würden qualifizierte Wissenschafter, Führungskräfte, Künstler, Schüler und Studenten. Mitzählen müsste man aber Asylbewerber, vorläufig Aufgenommene und Kriegsflüchtlinge, die heute nicht in der Ausländerstatistik erscheinen.
Für die FDP warf Fritschi (ZH) der Initiative ihren rein quantitativen Ansatz vor, der die Bedürfnisse eines auf Flexibilität angewiesenen Arbeitsmarktes ignoriere. Im Namen der SP stellte Thanei (ZH) fest, Finanzen liessen sich stabilisieren, Menschen dagegen nicht. Als ethisch nicht akzeptabel bezeichnete Ducrot (cvp, FR) das Ansinnen, gewissermassen zwischen ”guten” und ”schlechten” Ausländern zu unterscheiden, oder – wie es die Luzerner Grüne Bühlmann sah – sozusagen die ”unrentablen” auszuschliessen. Erwähnt wurden aber auch die Bedeutung der Gastarbeiter für die Finanzierung der AHV und die praktischen Schwierigkeiten bei der Umsetzung einer derartigen Quotenpolitik. Bundesrat Koller warnte vor den möglichen Konflikten dieser Initiative mit bereits eingegangenen internationalen Verpflichtungen der Schweiz und mit dem ausgehandelten Personenfreizügigkeitsabkommen mit der EU. Zudem stellte er in Aussicht, 1999 den Entwurf zu einem totalrevidierten Gesetz über Aufenthalt und Niederlassung von Ausländern (Anag) in die Vernehmlassung zu geben, welcher dann als faktischer Gegenvorschlag zur Initiative betrachtet werden könne [11].
In der Ausländerregelung 1998/1999 setzte der Bundesrat die im Vorjahr von der Arbeitsgruppe ”Migration” gemachte Empfehlung um und schaffte die bisherigen Rekrutierungsgrundsätze nach dem Drei-Kreise-Modell zugunsten eines dualen Zulassungssystems ab. Demnach wird nur noch unterschieden zwischen Angehörigen von EU- bzw. EFTA-Staaten, die prioritär zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit einreisen dürfen, wenn keine entsprechenden inländischen arbeitslosen Personen auf dem Arbeitsmarkt verfügbar sind, sowie den Bürgerinnen und Bürgern aller anderen Nationen, die nur noch in ganz speziellen Fällen rekrutiert werden können. Gleichzeitig wurde die Zahl der jährlich zu vergebenden Saisonbewilligungen weiter von 99 000 auf 88 000 reduziert [12].
Für die Verhandlungen der Schweiz mit der EU über den freien Personenverkehr siehe oben, Teil I, 2 (Europe: UE).
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Gesellschaftliche Integration
Bereits in der Vernehmlassung zur Aktualisierung der Bundesverfassung hatten SP und SGB beantragt, die Integration der Ausländerinnen und Ausländer als eines der Sozialziele neu zu verankern. Entsprechend beantragte Brunner (sp, GE) im Ständerat in Art. 41, dass sich Bund und Kantone im Rahmen ihrer Mittel und ihrer Zuständigkeiten dafür einsetzen, dass jede ausländische Person sozial und beruflich integriert wird. Sie verwies darauf, dass eines der Hauptanliegen der Verfassungsrevision die Übernahme der heutigen Realität sei, weshalb es nicht angehe, bei den sozialen Zielen, die sich die Gesellschaft setze, eine derart bedeutende Minderheit der Bevölkerung nicht speziell zu erwähnen. Mit dem Argument, dass man nicht die Integrationsbemühungen einer einzelnen Minderheit besonders privilegieren könne, die Kompetenz des Bundes, ausländerpolitisch zu handeln, mit Art. 121 zudem ohnehin gegeben sei, wurde der Antrag mit 31 zu 4 Stimmen abgelehnt [13].
Im Nationalrat folgte Hubmann (sp, ZH) diesem Hinweis und regte einen neuen zusätzlichen Absatz im Ausländerartikel an, in dem gesagt werden sollte, dass der Bund die soziale und berufliche Integration der Ausländerinnen und Ausländer fördert. Bundesrat Koller verwies auf die laufende Teilrevision des Anag (siehe unten), in welchem ein Integrationsartikel materiell zwar angenommen, bis zum Zeitpunkt dieser Beratung aber an der Ausgabenbremse gescheitert war. Er gab seiner Hoffnung Ausdruck, dass dieses wichtige ausländerpolitische Anliegen auf Gesetzesstufe geregelt werden könne. Es auf Verfassungsstufe zu erheben, schien ihm aber übertrieben, da die Ausländerpolitik ja noch andere Ziele verfolge, wie etwa das ausgewogene Verhältnis zwischen einheimischer und ausländischer Bevölkerung, die alle auch nicht explizit in die Verfassung aufgenommen worden seien. Auf seinen Antrag wurde der Antrag mit 88 zu 67 Stimmen abgelehnt [14].
In der Frühjahrssession scheiterte der Integrationsartikel im revidierten Gesetz über Aufenthalt und Niederlassung von Ausländern (Anag) im Nationalrat mit zuerst 98 zu 28 Stimmen und – nach zweimaliger Wiederholung der Abstimmung – mit 96 zu 54 Stimmen erneut an dem für neue Bundesaufgaben mit Finanzfolge notwendigen qualifizierten Mehr von 101 Stimmen. Bundesrat Koller verwies vergebens darauf, dass hier nicht unbesehen neue Ausgaben geschaffen würden, da ja das Parlament im Rahmen seiner Budgethoheit alljährlich darüber bestimmen könnte, welche Beiträge tatsächlich für diesen Bereich gesprochen werden [15].
Im Ständerat beantragte Reimann (svp, AG) daraufhin Zustimmung zum Vorgehen des Nationalrates, wodurch der letztjährige deutliche Entscheid seines Rates im nachhinein desavouiert worden wäre, was zumindest verfahrensmässig Fragen aufwarf. Inhaltlich wurde seine Begründung, die Schweiz sei kein Einwanderungsland und die Integration primär die Sache der Betroffenen, nicht diskutiert. Mit 22 zu 5 Stimmen bekräftigte die kleine Kammer ihr Bekenntnis zu einer auch vom Bund getragenen Integration der auf Dauer hier lebenden Ausländerinnen und Ausländer sowie zu den allenfalls dafür anfallenden Kosten [16].
In der Sommersession des Nationalrates versuchten Vertreter der SVP (Fischer, AG), sowie der SD (Keller, BL), den Integrationsartikel entweder aus finanzpolitischen oder materiellen Gründen erneut zu torpedieren. Sowohl Nationalrat Caccia (cvp, TI), Präsident der Eidgenössischen Ausländerkommission, als auch Bundesrat Koller setzen sich einmal mehr für eine wirksame Integration der Ausländerinnen und Ausländer auch mit Mitteln des Bundes ein, da es sich hier um eine gesamtgesellschaftliche Angelegenheit handle. Im dritten Anlauf wurde ihr Appell endlich auch vom Nationalrat gehört: mit 110 zu 48 Stimmen passierte der Integrationsartikel die Quorumshürde und wurde damit definitiv ins Anag aufgenommen [17].
Eine Motion Simmen (cvp, SO) im Ständerat, mit welcher der Bundesrat beauftrag wird, die Expertenkommission für die Totalrevision des Anag anzuweisen, die rechtlichen Möglichkeiten des Bundes zur Förderung der Sprachschulung für in der Schweiz dauerhaft zugelassene Ausländer zu schaffen, wurde einstimmig überwiesen. Simmen unterstrich die Bedeutung der Sprachbeherrschung als Schlüssel zu jeder Integration. Dem hielt der Bundesrat entgegen, Fragen der Schulung fielen in erster Linie in die Kompetenz der Kantone; zudem prüfe die Expertenkommission Anag bereits, wie die Bereitschaft der betroffenen Personen zum Spracherwerb – beispielsweise durch ein Anreizsystem – erhöht werden könnte, weshalb er Umwandlung in ein Postulat beantragte. Im Nationalrat wurde eine analoge Motion Bircher (cvp, AG) von Steiner (fdp, SO) bekämpft und die Diskussion deshalb verschoben [18].
Erfolg hatte die Zürcher SP-Abgeordnete Goll mit einer parlamentarischen Initiative, welche eine zivilstandsunabhängige Aufenthalts- und Arbeitsbewilligung für Migrantinnen verlangt, die sich von ihrem gewalttätigen, in der Schweiz lebenden Ehemann trennen. Die Initiantin verwies darauf, dass der Nationalrat die Problematik bereits in früheren Jahren anerkannt und deshalb 1995 eine entsprechende Motion (Bühlmann, gp, LU) überwiesen habe; der Ständerat hatte den Vorstoss aber in ein Postulat umgewandelt. Eine analoge Motion der Staatspolitische Kommission hatte der Nationalrat 1997 selber in ein Postulat abgeschwächt. Nach geltendem Gesetz ist der rechtliche Status dieser Frauen bei Trennung oder Scheidung dem Ermessen der Fremdenpolizei überantwortet. Vertreterinnen von Migrantinnenorganisationen und Frauenhäusern zeigten sich zuversichtlich, dass das klar zustimmende Resultat von 89 zu 49 Stimmen bis zur entsprechenden Gesetzesänderung auch für die zuständigen Behörden richtungsweisend sei. Noch vor Ende Jahr sprach sich die rechtspolitische Kommission des Nationalrates für das von Goll beantragte eigenständige Aufenthaltsrecht für ausländische Frauen aus [19].
 
Flüchtlingspolitik
Oppositionslos nahmen die Kammern das aus internationalen Abkommen, insbesondere der Genfer Flüchtlingskonvention resultierende Non-refoulement-Verbot, welches besagt, dass niemand in einen Staat ausgeschafft werden darf, in dem ihm Verfolgung, Folter oder eine andere Art grausamer und unmenschlicher Behandlung oder Bestrafung droht, explizit in die neue Bundesverfassung auf (Art. 25) [20].
Nahezu unbemerkt von der Öffentlichkeit verabschiedete sich der Bundesrat von einer humanitären Tradition. Er beschloss, in Zukunft keine Kontingentsflüchtlinge mehr aufzunehmen. Noch im Vorjahr hatte das UNO-Hochkommissariat für Flüchtlinge (UNHCR) die Landesregierung gebeten, die Aufnahmequote für die in UN-Lagern gestrandeten Flüchtlinge zu erhöhen. Seit den fünfziger Jahren hatte die Schweiz in Zusammenarbeit mit dem UNHCR immer wieder Flüchtlinge aufgenommen, deren Rückkehr ins eigene Land äusserst unwahrscheinlich schien. Im Gegensatz zu anderen Staaten hatte sie sich dadurch ausgezeichnet, dass sie oft gerade jene Flüchtlinge auswählte, die praktisch keine Chance hatten, von einem anderen Drittland aufgenommen zu werden (Behinderte, Betagte, Grossfamilien usw.) [21].
Im Berichtsjahr stellten 41 302 Personen in der Schweiz ein Asylgesuch, nur 327 weniger als im Rekordjahr 1991. Gegenüber dem Vorjahr nahm die Zahl der Gesuche um 17 320 resp. 72,2% zu. Dabei lag das Schwergewicht der Zunahme im zweiten Halbjahr, was einen Betreuungseinsatz der Armee nötig machte (siehe unten). Nahezu die Hälfte der Asylsuchenden stammte aus dem Kosovo (49,4%). Die nächstgrösseren Anteile stellten Staatsangehörige aus Albanien (9,1%), aus Irak (4,9%) und aus Sri Lanka (4,6%). 92,6% kamen über die grüne Grenze. Die Anerkennungsquote ging von 12,5 auf 9,5% zurück. 3456 Personen, doppelt so viele wie 1997, wurden zwangsweise zurückgeschafft, darunter 1211 in der Schweiz kriminell gewordene Albaner bzw. Kosovo-Albaner. Insgesamt verliessen 23 706 asylsuchende Personen die Schweiz [22].
Seit 1988 ist das BFF befugt, den Asylentscheid nur auf Grund der kantonalen Akten (d.h. ohne eine zusätzliche Anhörung durch das Bundesamt) zu fällen. Dieser Umstand verleiht den Kantonen eine beträchtliche Machtfülle. Eine von der Universität Bern erstellte Studie, welche die Entscheide der Jahre 1988 bis 1996 analysierte, zeigte nun, dass der Anteil der Gutheissungen stark variiert, je nachdem, welchem Kanton die Erstbefragung zu den Fluchtgründen obliegt. Während eine Zuweisung an die Kantone Nidwalden, Appenzell Innerrhoden, Obwalden, Glarus, Zug und Luzern im betrachteten Zeitabschnitt zu signifikant überdurchschnittlichen Anerkennungsquoten führte, lag die Chance für einen positiven Entscheid in den Kantonen Aargau, St. Gallen, Appenzell Ausserrhoden, Thurgau, Wallis, Basel-Stadt und Tessin wesentlich unter dem Durchschnitt [23].
Für Arbeitspapiere einzelner Parteien zur Asylpolitik siehe unten, Teil IIIa.
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Totalrevision der Asylgesetzgebung
In der Frühjarssession behandelte der Nationalrat die Differenzen bei der Revision des Asylgesetzes, wobei er gegen den erbitterten rot-grünen Widerstand die vom Ständerat eingefügte härtere Gangart gegenüber Fällen von vermutetem Missbrauch des Asylrechts übernahm. Illegal in die Schweiz eingereiste Asylbewerber sowie jene, welche keine gültigen Ausweispapiere vorlegen, sollen – falls sie dafür nicht entschuldbare Gründe geltend machen können – vom regulären Verfahren ausgeschlossen werden, es sei denn, es bestehen Hinweise auf eine individuelle Verfolgung im Ursprungsland. Anders als der Ständerat wollte die grosse Kammer den illegal Anwesenden aber eine Frist von maximal zehn Tagen gewähren, um sich bei den zuständigen Behörden zu melden. Die Gegner bezeichneten diese Verschärfung des Asylgesetzes nicht nur als Verletzung der humanitären Tradition der Schweiz, sondern auch als faktisch nicht durchführbar, da bei heimlichen Grenzübertritten das effektive Einreisedatum gar nicht mehr nachweisbar sei. Zudem könnten oft gerade ”echte” Flüchtlinge keine Ausweispapiere vorweisen, da sie in einer Notlage ihre Heimat hätten verlassen müssen. Ihre, von zahlreichen Medien übernommene Behauptung, mit diesen Bestimmungen würden zentrale Elemente der 1996 vom Stimmvolk abgelehnten Volksinitiative der SVP ”gegen die illegale Einwanderung” durch die Hintertüre doch noch eingeführt, wurde sowohl von der Ratsmehrheit wie von Bundesrat Koller als nicht zutreffend zurückgewiesen, da bei einem Nichteintreten auf ein Gesuch das rechtliche Gehör dennoch gewährleistet sei; dort könne die Vermutung des Asylmissbrauchs wieder umgestossen werden. Koller bestritt vehement, dass es sich bei der neuen Bestimmung um eine Beweislastumkehr zuungusten der Asylsuchenden handle: es werde weiterhin an den Behörden sein, einer illegal eingereisten Person zu beweisen, dass sie sich seit mehr als zehn Tagen in der Schweiz aufhalte und es ihr zuzumuten gewesen wäre, in dieser Frist ein Gesuch zu stellen. Zudem gelte bereits heute, dass auf Gesuche ”Papierloser” in der Regel nicht eingetreten werde, wenn man ihnen nachweisen könne, dass sie ihre Ausweise bewusst beiseite geschafft haben, um sich damit Vorteile im Asylverfahren zu verschaffen. Auch bedeute der Ausschluss vom ordentlichen, materiellen Verfahren nicht in jedem Fall die sofortige Wegweisung. Das Prinzip des Non-refoulement, wonach keine Person in ein Land zurückgewiesen werden darf, in welchem ihr eine schwere Gefahr für Leben und Freiheit droht, werde von diesen Massnahmen nicht tangiert.
Einverstanden war die grosse Kammer mit der vom Ständerat eingeführten Bestimmung, dass frauenspezifischen Fluchtgründen bei der Behandlung von Asylgesuchen Rechnung zu tragen ist, was allerdings – entgegen den ursprünglichen rot-grünen Forderungen – nicht bedeutet, dass diese Gründe automatisch asylrelevant werden. Die von ihr in der ersten Lesung eingefügten generellen Menschenrechtsverletzungen als Grund für eine vorübergehende Schutzgewährung kippte sie – allerdings sehr knapp mit 63 zu 61 Stimmen – wieder aus der Vorlage, hielt aber daran fest, dass Situationen allgemeiner Gewalt Anlass für eine kollektive Aufnahme sein sollen. Als weiteren Punkt übernahm der Nationalrat die vor allem für die Einreise über die Flughäfen relevante Bestimmung, wonach Wegweisungsentscheide direkt den Betroffenen und nicht deren designiertem Anwalt mitgeteilt werden. Eine Minderheit machte vergebens geltend, dies widerspreche der in der Schweiz geltenden Rechtsordnung sowie der europäischen Menschenrechtskonvention und schwäche die Stellung der Betroffenen erheblich.
Fest hielt der Nationalrat hingegen an seinem ersten Entscheid, dass Asylsuchende, denen in der Zwischenzeit kollektiv Schutz gewährt wurde, erst nach Ablauf dieser Schutzgewährung ein Gesuch um Wiederaufnahme ihres ursprünglichen Asylantrags stellen können und nicht schon nach Ablauf von fünf Jahren, wie dies der Ständerat beschlossen hatte, ebenso an der Bestimmung, dass Asylbewerber inskünftig den Kantonen – neben der allseits unbestrittenen Familienzusammenführung – auch nach dem Kriterium eines weiter gefassten sozialen Netzes oder einer ihnen geläufigen Landessprache zugeteilt werden können.
Im gleichzeitig revidierten Bundesgesetz über Aufenthalt und Niederlassung von Ausländern (Anag) wurde den Behörden – nach der Vorgabe im Ständerat – die Kompetenz erteilt, Ausländer, die trotz Einreisesperre in die Schweiz gelangen, für höchstens drei Monate in Haft zu nehmen, auch wenn ihnen das Verbot nicht vorgängig notifiziert werden konnte [24].
In der Aprilsession befasste sich der Ständerat mit den noch bestehenden Differenzen. Er stimmte dem Nationalrat zu, dass auch Situationen allgemeiner Gewalt und nicht nur Kriegshandlungen resp. die Verfolgung ganzer Volksgruppen durch die Regierungsgewalt zur vorübergehenden Schutzgewährung Anlass geben sollen. Zuhanden der Materialien führte der Kommissionsberichterstatter aber aus, dass darunter zu verstehen sei, dass praktisch das ganze Land von Gewalt heimgesucht ist; solange es innerhalb des Landes noch Ausweichsmöglichkeiten gebe (wie etwa in Algerien), bestehe keine Grundlage für den vorübergehenden Schutz. Gut hiess er auch den Grundsatz, dass ein früher eingeleitetes Asylverfahren erst nach Ablauf der Schutzgewährung wieder aufgenommen werden kann.
Bei den illegal im Land weilenden Asylsuchenden hielt die kleine Kammer ohne Gegenstimme an ihrer ursprünglichen Fassung fest, wonach diese ohne Wenn und Aber vom Asylverfahren ausgeschlossen werden, es sei denn, es bestehen Hinweise auf eine echte Verfolgung. Die vom Nationalrat eingefügte zehntägige Frist, um sich bei den zuständigen Behörden zu melden, erachtete sie als eine Art Freibrief, sich vorerst einmal heimlich in der Schweiz aufzuhalten, weshalb sie dieser Erleichterung nicht zustimmen mochte. Materiell wurde dieser Entscheid aber nicht mehr ausführlich diskutiert. Wenige Tage vor den Beratungen war nämlich ein Gutachten publiziert worden, welches das UNHCR bei einem namhaften Schweizer Asylrechtsexperten in Auftrag gegeben hatte. Dieses erachtete die vorgesehenen Massnahmen gegen die illegal eingereisten Asylbewerber als völkerrechtswidrig, da diesen damit der Zugang zu ihren Statusrechten gemäss Flüchtlingskonvention verunmöglicht werde. Die Expertise hielt auch das Vorgehen gegenüber den papierlosen Asylsuchenden für zumindest bedenklich, und zwar aus den Gründen, die im Nationalrat bereits vom rot-grünen Lager dargelegt worden waren (Fehlen von Ausweispapieren gerade bei ”echten” Flüchtlingen). Mit dem praktisch diskussionslosen Festhalten an seiner ursprünglichen Fassung wollte der Ständerat dem Nationalrat die Möglichkeit geben, im weiteren Verlauf der Differenzbereinigung die Expertise eingehender zu würdigen und allenfalls die entsprechenden völkerrechtlich notwendigen Korrekturen anzubringen.
Als wesentliche Differenz zum Nationalrat hielt er daran fest, dass die Zuteilung der Flüchtlinge auf die Kantone – neben den proportionalen Kontingentszahlen – nur auf die Familienzusammenführung und nicht auf soziale Netzwerke und schon gar nicht auf die von den Asylbewerbern beherrschten Landessprachen Rücksicht nehmen soll. Damit nahm er auf die Bedenken des Tessin und der Romandie Rücksicht, welche befürchteten, damit vor allem Albaner, die oft über Italienischkenntnisse verfügen, bzw. frankophone Afrikaner zugewiesen zu erhalten. Mit Unterstützung von Bundesrat Koller, der meinte, dass in Zeiten bedeutender Zureise gewisser Volksgruppen ohnehin nicht auf kulturelle Affinitäten abgestellt werden könne, wurde hier mit 24 zu 5 Stimmen Festhalten beschlossen [25].
Angesichts der stetig steigenden Zahlen der Asylgesuche und – gemäss Ansicht von Beobachtern – unter Druck der SVP und neuerdings auch der FDP beantragte der Bundesrat Mitte Mai dem Parlament, die Bestimmungen gegen den vermuteten Asylmissbrauch (Massnahmen gegenüber den ”Illegalen” und den ”Papierlosen” sowie die ”Lex Zaoui”) bereits auf den 1. Juli mit Dringlichkeitsrecht in Kraft zu setzen. Aus Entgegenkommen an die völkerrechtlichen Bedenken des UNHCR wurde die Formulierung etwas abgeändert. Nicht der illegale Aufenthalt, sondern der Missbrauch wurde ins Zentrum gerückt. Missbrauch wird dann als gegeben erachtet, wenn die sich illegal in der Schweiz aufhaltende Person offensichtlich nur zur Aufenthaltsverlängerung ein Asylgesuch einreicht, oder wenn das Gesuch in engem zeitlichem Zusammenhang mit einer Verhaftung, einem Strafverfahren, dem Vollzug einer Strafe oder dem Erlass einer Wegweisungsverfügung präsentiert wird. Den Beweis des Gegenteils muss der Asylsuchende antreten. Auf nachgereichte Gesuche wird dennoch eingetreten, wenn eine frühere Anmeldung zum Beispiel aus gesundheitlichen Gründen nicht möglich oder wegen traumatischer Erfahrungen vor der Flucht nicht zumutbar war. Den Weg ins reguläre Asylverfahren öffnen – übrigens auch für die ”Papierlosen” – zudem plausible Hinweise auf eine Verfolgung. Vor einem Nichteintretensentscheid werden die Gesuchssteller deshalb im Beisein von Hilfswerkvertretern angehört.
Bundesrat Koller rechtfertigte die dringliche Einführung eines Teils des revidierten Gesetzes mit der Überzeugung der Landesregierung, dass die Fortführung der humanitären Asylpolitik gegenüber den tatsächlich Schutzbedürftigen durch eine entschlossene Bekämpfung der erkannten Missbräuche abgesichert werden müsse. Das schon während der Differenzbereinigung angekündigte Referendum gegen das totalrevidierte Asylgesetz (siehe unten) würde die rasch notwendige konsequente Missbrauchsbekämpfung mindestens bis ins nächste Jahr verzögern. Auch mit Dringlichkeitsrecht würde der Volkswille respektiert. Falls der Souverän in separaten Referendumsabstimmungen das neue Gesetz guthiesse, den Dringlichen Bundesbeschluss aber ablehnte, würden die drei vorweg eingeführten Neuerungen automatisch und ersatzlos aus dem Gesetz gestrichen [26].
Der Nationalrat behandelte die Vorschläge zum Dringlichen Bundesbeschluss zu Beginn der Sommersession im Rahmen der zweiten Runde der Differenzbereinigung bei der Asylgesetzrevision. Ein von SP-Vertretern eingebrachter Nichteintretensantrag, der die bereits früher geltend gemachten Vorbehalte gegen die Verschärfung der Asylpraxis – gerade angesichts der neuesten Entwicklung im Kosovo (siehe unten) – erneut bekräftigte, wurde mit 117 zu 58 Stimmen abgelehnt. Für Eintreten stimmte das geschlossene bürgerliche Lager inklusive LdU/EVP-Fraktion, dagegen die Linke und die Grünen. Der Stimme enthielten sich die Freisinnigen Langenberger (VD), Loeb (BE) und Nabholz (ZH) sowie der Walliser CVP-Vertreter Schmid. Allerdings anerkannten auch die Befürworter einer sofortigen Verschärfung, dass es zumindest ungewöhnlich sei, in der Endphase der Bereinigung einer Vorlage bereits Dringlichkeitsrecht für Massnahmen vorzusehen, welche vom Parlament noch gar nicht definitiv beschlossen worden seien. Inhaltlich übernahm die grosse Kammer mit 93 zu 57 Stimmen in allen drei wesentlichen Punkten (illegal eingereiste sowie papierlose Personen, ”Lex Zaoui”) die Vorschläge des Bundesrates. Dies wirkte sich auch auf das revidierte Asylgesetz aus, wo die völkerrechtskonformere Formulierung bei den Massnahmen gegenüber den illegal Eingereisten übernommen wurde. Dadurch entfiel die vom Nationalrat in der Frühjahrssession eingefügte zehntägige Frist, um sich bei den zuständigen Behörden zu melden. In der einzigen gegenüber dem Ständerat noch bestehenden wesentlichen materiellen Differenz, nämlich der Zuteilung der Asylsuchenden auf die Kantone, schloss sich die grosse Kammer mit 79 zu 61 Stimmen der kleinen an [27].
Der Ständerat befand wenige Tage später zwar, die dringlichen Massnahmen seien kein Wundermittel gegen den Asylmissbrauch, lehnte aber dennoch mit 32 zu 7 Stimmen einen Nichteintretensantrag Brunner (sp, GE) ab. Kritische Stimmen bezüglich der Einführung von Notrecht kamen dabei ausnahmsweise nicht nur von linker, sondern vereinzelt auch von freisinniger Seite. Damit beuge man sich dem Druck gewisser Demagogen und einschlägiger Presseerzeugnisse, monierte etwa der Tessiner Marty. Die neuen Bestimmungen taugten gegen die anvisierten Missbräuche nicht, und sie gäben ein falsches Signal, indem sie die Ausländer zu Schuldigen machten. Unnötig, populistisch und gefährlich seien die Massnahmen, hieb der Neuenburger Béguin in die gleiche Kerbe. Es sei die schlechteste Antwort auf die wirklichen Probleme. Diese ortete Béguin vor allem in den zu langen Verfahren, die dazu führten, dass die Menschen bei Vorliegen eines negativen Asylentscheides bereits integriert seien. In der Detailberatung folgte die kleine Kammer in den wesentlichen Punkten Bundes- und Nationalrat. Bei den ”Papierlosen” weichte er die Massnahme gegen vermuteten Missbrauch insofern auf, als diese eine Frist von 48 Stunden erhalten sollen, um allenfalls versteckte Papiere wieder zu beschaffen; erst dann werden sie (mit den oben erwähnten flüchtlingsrechtlichen Garantien) vom regulären Verfahren ausgeschlossen. Auch diese Bestimmung wurde sinngemäss ins revidierte Asylgesetz aufgenommen [28].
Der Nationalrat verfeinerte den ”Papierlosen-Beschluss” noch einmal. Er übernahm die vom Ständerat beschlossene Frist und präzisiert, dass neben den üblichen Identitätspapieren auch alle Dokumente anerkannt werden sollen, die es erlauben, eine Person zu identifizieren (Führerausweis, Geburtsurkunde usw.). Da auch der Ständerat bereit war, dies sowohl ins Asylgesetz wie in den Dringlichen Bundesbeschluss aufzunehmen, waren in beiden Vorlagen die letzten Differenzen ausgeräumt. Das revidierte Asylgesetz passierte mit 114 zu 59 Stimmen im Nationalrat und mit 36 zu 5 Stimmen im Ständerat. Es blieb nur noch zu entscheiden, ob wirklich Dringlichkeitsrecht zum Zug kommen sollte oder nicht. Der Nationalrat stimmte dem mit 104 zu 58 Stimmen zu, der Ständerat mit 36 zu 6 Stimmen. Damit traten die Bestimmungen des neuen Bundesbeschlusses fünf Tage nach der Schlussabstimmung auf den 1. Juli in Kraft [29].
Bereits vor dem Ende der Beratungen im Parlament hatten die wichtigsten Flüchtlingsorganisationen angekündigt, sie würden diese Verschärfung des Asylrechts mit zwei Referenden bekämpfen. Umgehend schloss sich ihnen der SP-Parteivorstand an, worauf auch der SGB nicht abseits stehen mochte. Allerdings war die Zustimmung bei SP und Gewerkschaft nicht unbestritten: Während die Romands klar für das Referendum waren, zeigten sich die Deutschschweizer zurückhaltender. Sie zweifelten weniger am Zustandekommen des Referendums als vielmehr am Rückhalt der Bevölkerung in der nachfolgenden Volksabstimmung; zudem hegten sie die Befürchtung, ein emotional aufgeheizter Abstimmungskampf könnte die Stimmung in der Flüchtlingspolitik weiter polarisieren und damit den Weg für noch härtere Abwehrmassnahmen frei machen. Die beiden Referenden kamen – mit überproportionaler Unterstützung in der Romandie und im Tessin – zustande, jenes gegen die Asylgesetzrevision mit 60 963, jenes gegen den Dringlichen Bundesbeschluss mit 66 952 Unterschriften [30].
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Vollzug
Ende Februar traf sich Bundesrat Koller mit Vertretern von Kantonen und Gemeinden, um sich über die schwierige Lage im Asylbereich auszusprechen. Der Justizminister räumte ein, dass die stark ansteigenden Asylbewerberzahlen, die Kriminalität einer Minderheit und zunehmende Tätlichkeiten gegenüber Betreuern zu einem Problem geworden seien. Seiner Ansicht nach werden aber die Möglichkeiten des geltenden Rechts – insbesondere die Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht – nach wie vor ungenügend ausgeschöpft. Den Kantonen und Gemeinden sicherte er zu, die Zahl der Betreuerstellen weiter zu erhöhen, bat sie aber im Gegenzug, die Ausschaffungen abgewiesener Asylbewerber und ihrer Familien konsequent zu vollziehen. Zudem verwies er auf eine gemeinsame Arbeitsgruppe von Bund und Kantonen, die ein eigentliches Massnahmenkonzept erstellen soll. Diese schlug dann vor, die interkantonale Zusammenarbeit beim Vollzug von Wegweisungen zu professionalisieren und zu institutionalisieren. Im Gegenzug versprachen die Kantone, die vorhandenen Instrumente zur Durchsetzung von Wegweisungen einheitlicher zu nutzen. Bundesrat Koller zeigte sich beim abschliessenden Treffen der Arbeitsgruppe vor allem besorgt darüber, dass die Schweiz nicht Mitglied der EU-Abkommen von Schengen und Dublin ist, weshalb sie bei einem länger andauernden Abseitsstehen in Europa über kurz oder lang zu einer eigentlichen Fluchtinsel werde [31].
Nachdem das Asylbudget für 1998 (1 Mia Fr.) bereits anfangs August ausgeschöpft war, beantragte der Bundesrat im September einen Nachtragskredit von 180 Mio Fr., den die Finanzdelegation der Räte angesichts des Umstandes genehmigte, dass im Berichtsjahr viel mehr Personen, als bei der Erstellung des Voranschlages angenommen, in der Schweiz um Asyl nachsuchten. Sie verlangte aber gleichzeitig, die Finanzierungsmodalitäten zu ändern und die Vollzugsverantwortung der Kantone stärker mit der finanziellen Zuständigkeit zu koppeln. Dies hatte der Bundesrat bereits einige Wochen früher in die Diskussion gebracht, indem er erwog, als dringende Sparmassnahme die Fürsorgekosten, die über 90% des Asylbudgets ausmachen, zu senken sowie eine Abstufung der Subventionen an die Kantone gemäss ihrer Kooperationswilligkeit bei der Rückschaffung abgewiesener Asylbewerber vorzunehmen [32].
Diese neuen Entwicklungen wurden an einem Folgetreffen zwischen Bundesrat und Kantonen Ende Oktober diskutiert. Der Bund kündigte an, die Fürsorgepauschale für die Asylbewerber von rund 18.50 Fr. pro Tag um vier Franken zu kürzen und auch die anerkannten Flüchtlinge nicht mehr aufgrund der effektiven Kosten, sondern nur noch pauschal zu unterstützen. Bundesrat Koller rechnete dafür mit jährlichen Einsparungen von 80 bis 100 Mio. Franken. Eine gemeinsame Arbeitsgruppe erhielt zudem den Auftrag, Massnahmen für einen Leistungsabbau im Gesundheitsbereich vorzuschlagen, um die Attraktivität der Schweiz als Fluchtland weiter zu senken. Bund und Kantone einigten sich darauf, das Asylverfahren zu beschleunigen und die Zwangsmassnahmen im Ausländerbereich rascher zu vollziehen. Mit der Zentralisierung der Papierbeschaffung für abgewiesene Asylbewerber übernahm der Bund definitiv eine neue Aufgabe [33].
Dass dem Parlament ernst ist mit dem Sparauftrag im Asylbereich und es inskünftig Nachtragskredite nicht mehr akzeptieren wird, machte eine Kommissionsmotion zum Stabilisierungsprogramm im Nationalrat klar, die vom Bundesrat verlangte, bis Mitte 1999 ein Massnahmenpaket vorzulegen mit dem Ziel, die Ausgaben im Asylbereich bis zum Jahr 2001 auf maximal 1 Mia. Fr. zurückzuführen. Die Landesregierung verwies darauf, dass die Kostenentwicklung im Asylbereich nicht in jedem Fall steuerbar sei, sondern stark von Konfliktsituationen (wie etwa im Kosovo) und vom entsprechenden Zustrom von Flüchtlingen abhänge. Um sich einen der jeweiligen Situation angepassten Handlungsspielraum zu bewahren, beantragte sie, die Motion in ein Postulat umzuwandeln. Goll (sp, ZH) und Bühlmann (gp, LU) verlangten, die Motionen gänzlich abzulehnen, da dieser Punkt bei den Gesprächen am ”Runden Tisch” (siehe oben, Teil I, 5a, Sanierungsmassnahmen) nicht beschlossen worden sei. Mit 101 zu 57 Stimmen wurde die Motion angenommen [34].
Eine von der SVP immer wieder vorgebrachte – und von deren Bundesrat Ogi unterstützte – Forderung betraf die Entsendung von Armeee-Einheiten an die Grenze, um Flüchtlinge vor allem aus dem Balkan am Überschreiten der grünen Grenze zu hindern. Der Gesamtbundesrat lehnte es während des Berichtsjahres weiterhin ab, zu dieser von ihm als ”ultima ratio” bezeichneten Massnahme zu greifen. Der Besorgnis der Tessiner Polizeibehörden kam er aber insofern entgegen, als er die Zahl der an die Südgrenze abkommandierten Festungswächter von 20 auf 100 Personen aufstockte und ihren Einsatz bis Ende 2000 ausdehnte. Im Juli detachierte er zusätzlich 50 Unteroffiziersschüler in Instruktionsausbildung in den Tessin. Ab April wurden Berufssoldaten auch an der Grenze zu Deutschland und Frankreich eingesetzt [35].
Unter Anteilnahme selbst internationaler Medien übernahm dagegen anfangs November die Armee die Betreuung eines Teils der neu eingereisten Asylsuchenden in nicht mehr benötigten Militärunterkünften, um so die Engpässe in den Erstaufnahmezentren an der Grenze aufzufangen, welche durch den Ansturm von Flüchtlingen aus dem Krisengebiet Kosovo völlig überlastet waren. Der Einsatz des Militärs wurde angesichts der angespannten Lage allgemein positiv aufgenommen. Kritisiert wurde aber mehrfach, dass die Militärangehörigen den Assistenzdienst uniformiert – wenn auch unbewaffnet und unter ziviler Führung – leisten, was auf die durch Kriegshandlungen in ihrer Heimat traumatisierten Flüchtlinge bedrohlich wirken könnte. Die erste militärisch betreute Unterkunft befand sich im Berner Gantrisch-Gebiet. Bis zum Ende des Berichtsjahres folgten weitere Lager in den Kantonen Wallis und Glarus [36].
Der Nationalrat sanktionierte diesen militärischen Assistenzdienst und beschloss, dass der Bund bis Ende 1999 gleichzeitig maximal 1000 Armeeangehörige zur Flüchtlingsbetreuung abrufen kann. Ein Rückweisungsantrag der Linken, welche diesen Einsatz als reine Image-Aufpolierung des Militärs erachtete, wurde ebenso abgelehnt wie ihre Anträge, die Soldaten müssten die Asylsuchenden in zivilen Strukturen betreuen bzw. die regulären Empfangsstellen seien personell so aufzudotieren, dass ein militärisches Aufgebot überflüssig werde [37].
Auch der Ständerat sprach sich deutlich für die neue Aufgabe der Armee aus. Allerdings wollte er nur den laufenden, vom Bundesrat auf ein halbes Jahr festgesetzten Einsatz gutheissen; sollte eine Verlängerung nötig werden, so sei dem Parlament ein neuer Genehmigungsbeschluss gemäss Militärgesetz zu unterbreiten. Das Parlament könne nämlich nur ein subsidiäres Truppenaufgebot zur Entlastung überforderter ziviler Behörden im nachhinein billigen oder rügen, Bewilligungen ”auf Vorrat” seien vom Gesetz hingegen nicht vorgesehen. In der Sache hielt der Nationalrat eine längerfristige Kompetenzerteilung nach wie vor für gerechtfertigt, stimmte im Interesse eines raschen Abschlusses aber dem Ständerat zu [38].
Zur weiteren Entlastung der Erstaufnahmezentren hatte der Bundesrat bereits im September eine nicht mehr benötigte Truppenunterkunft in Bronschhofen (SG) vorgesehen, wobei hier die Betreuung durch private Organisationen erfolgen sollte. In Bronschhofen regte sich umgehend der Widerstand eines Teiles der Bevölkerung in unvorhersehbarem Ausmass und führte sogar zu einem Sprengstoffanschlag auf die noch nicht bezogene Unterkunft. Der Besuch des Direktors des BFF, der noch einmal zu einer ziemlich emotional geführten Aussprache unter den Einwohnern führte, beruhigte die Gemüter dann aber so weit, dass die Unterkunft Ende Oktober ohne weitere Misstöne bezogen werden konnte [39].
Der Kanton Zürich setzte die bereits früher von einigen Kantonen verlangte spezielle Behandlung von renitenten oder kriminellen Asylbewerbern in die Praxis um. Vorgesehen ist, dass die Asylsuchenden im Kanton beim Eintritt in eine Unterkunft einen Vertrag mit dem Betreuungspersonal abschliessen, der Massnahmen nach dem Bonus-Malus-System vorsieht: Flüchtlinge, die positiv auffallen, sollen belohnt werden, etwa indem sie Zugang zu Bildungs- und Beschäftigungsprogrammen erhalten; wer Verhaltensregeln missachtet, soll dagegen in eine Struktur mit nur noch minimaler Betreuung versetzt werden. Das neue Modell wurde vorerst in zwei Durchgangsheimen erprobt [40].
Auf den 30. April trat die Bestimmung in Kraft, wonach auch Familien mit Kindern aus Bosnien (rund 10 000 Personen), die in der Schweiz eine vorläufige Aufnahme gefunden hatten, in ihre Heimat zurückkehren müssen, selbst wenn die Lebensumstände dort nicht absehbar sind, beispielsweise weil der ehemalige Wohnort in einem inzwischen einer anderen Volksgruppe zugesprochenen Gebiet liegt. Eine Fristverlängerung wollte der Bundesrat allerdings für gemischt-ethnische Ehepaare, schwangere Frauen, Familien mit Neugeborenen, alleinerziehende Mütter, Personen mit Gesundheitsproblemen, Schüler bis Ende Schuljahr und Lehrlinge, welche im laufenden Jahr ihre Ausbildung abschliessen, gewähren. Auch sollten die über 4000 Deserteure und Dienstverweigerer mit ihren Familien noch bis Ende August in der Schweiz bleiben dürfen [41].
Mit einer im März eingereichten Motion verlangte Nationalrätin Bäumlin (sp, BE), es sei unverzüglich ein Spezialverfahren für bosnische Flüchtlinge einzurichten, die aus ”ethnisch-gesäuberten” Gebieten stammen, in die sie nicht zurückkehren können. Da dieser Vorstoss erst in der Wintersession beraten wurde, als die meisten Wegweisungsentscheide bereits vollzogen waren, war Bäumlin bereit, ihre Motion in ein Postulat umzuwandeln. Bundesrat Koller, der betonte, Zwangsrückschaffungen in Minderheitsgebiete würden keine vorgenommen (wohl aber in Mehrheitsgebiete, die nicht zur engeren Heimat der Flüchtlinge gehören) und auf die Wiederaufbauhilfe der Schweiz in Bosnien verwies, war auch nicht bereit, dieses entgegenzunehmen, doch wurde es mit 56 zu 54 Stimmen knapp überwiesen [42].
Besonders hart wurde die Frage diskutiert, ob bosnische Jugendliche, welche in den vergangenen Jahren eine Ausbildung in der Schweiz begonnen haben, diese über das Jahr 1998 hinaus sollen beenden können, oder ob sie ebenfalls der allgemeinen Rückführung unterliegen sollten. Der Bund überliess diese Frage generell den Kantonen [43]. Zürich zeigte sich – zumindest in ersten Stellungnahmen – unerbittlich, die meisten anderen Kantone erklärten sich hingegen (wenn auch hie und da nach anfänglichem Zögern und unter Druck der Öffentlichkeit) bereit, den jungen Bosniern eine Aufenthaltsbewilligung über das Jahr 1998 hinaus zu erteilen, allerdings ohne gleichzeitig das Bleiberecht für deren Familien zu verlängern. Damit entsprachen sie einem Brief, den die Nationalrätinnen Müller-Hemmi (sp, ZH) und Langenberger (fdp, VD) sowie Ständerätin Simmen (cvp, SO), unterstützt von 140 Ratskolleginnen und -kollegen, an die Regierungen der Kantone gerichtet hatten mit der Bitte, ihren gesetzlichen Handlungsspielraum in dieser Angelegenheit zu nutzen, um diesen vom Schicksal ohnehin benachteiligten Jugendlichen zumindest beruflich eine Chance zu eröffnen [44].
Im März appellierte das UNHCR an die europäischen Regierungen, ihre Politik der Rückschaffung von Asylbewerbern ins Kosovo zu überdenken. Das BFF erklärte aber, die Lage sei keineswegs mit jener während des Bürgerkriegs in Bosnien zu vergleichen. Die generelle Sicherheit sei trotz einzelner Unruhen im Kosovo nicht gefährdet, weshalb weiterhin Rückschaffungen vollzogen sowie Fristen für die Ausreise angesetzt würden. Trotz heftigster Proteste von SP, Grünen und der Hilfswerke hielt der Bundesrat das ganze Frühjahr über an seiner harten Position fest; als einzige Konzession entschied er, dass die Deportationen nicht mehr mit Sonderflügen, sondern mit Linienflügen durchzuführen seien. Erst als Österreich, Frankreich und mehrere deutsche Bundesländer die Rückschaffungen der Kosovaren nach Pristina und Belgrad generell suspendierten, änderte der Bundesrat Mitte Juni seine Haltung. Er verfügte, dass zumindest bis Ende Juli keine Ausschaffungen mehr ins Kosovo vorgenommen werden, es sei denn, einzelne Personen hätten die öffentliche Sicherheit und Ordnung in schwerwiegender Weise gefährdet. Darüber, ob jemand ins Kosovo zurückgeschickt wird, entschieden ab diesem Zeitpunkt auch nicht mehr die Kantone, sondern allein das BFF in Zusammenarbeit mit dem Bundesamt für Ausländer; damit sollte eine einheitliche Praxis sichergestellt werden. Dieser Entscheid fand die Zustimmung sämtlicher Parteien bis hin zur SVP. Später verlängerte der Bundesrat die Frist für die abgewiesenen Asylsuchenden bis Ende September und dann noch einmal bis Ende April 1999, wobei Straffällige von dieser Regelung weiterhin ausgenommen blieben [45].
Im Rahmen der von-Wattenwyl-Gespräche forderten die vier Bundesratsparteien Mitte November die Landesregierung auf, die Flüchtlinge aus dem Kosovo nicht mehr ins normale Asylverfahren einzubinden, sondern kollektiv vorläufig aufzunehmen. Als Voraussetzung stipulierten sie allerdings, dass zumindest Deutschland und Österreich gleichziehen, um die Flüchtlingsströme nicht einseitig in die Schweiz zu leiten. Die internationale Kosovo-Konferenz unter Leitung des UNHCR, welche kurz darauf auf Vorschlag mehrerer Länder, darunter die Schweiz, in Genf tagte, lehnte aber eine Globallösung für die Kosovo-Flüchtlinge ab, worauf auch in der Schweiz diese Forderung nicht weiter verfolgt wurde [46].
Gerade beim massiven Zustrom der Kosovaren, der am meisten zum Schreckenszenario von mehr als 2 Milliarden Franken Asylkosten pro Jahr beitrug, zeigte sich, dass die Schweiz eine allenfalls ausgabendämpfende Form des Aufenthalts gar nie geprüft hat, nämlich die Unterbringung bei bereits in der Schweiz wohnhaften Verwandten oder Bekannten, die aufgrund einer Jahresbewilligung oder eines vorläufig verlängerten Saisonnierstatus hier leben. Genf beschritt als erster Kanton den Weg, für neueingereiste Flüchtlinge wo immer möglich eine Bleibe bei Verwandten oder Bekannten zu finden, anstatt sie in Zivilschutzanlagen unterzubringen. Das BFF zeigte sich hingegen in dieser Frage sehr zurückhaltend, da befürchtet wurde, allzu enge familiäre Bindungen könnten zur Integration jener Gewaltflüchtlinge in der Schweiz führen, die man nach Ende der Kampfhandlungen wieder in ihre Heimat zurückschicken will [47].
Trotz andauernder Massaker in Algerien zeigte sich der Bundesrat nicht bereit, seine Haltung gegenüber Asylsuchenden aus diesem Maghrebstaat neu zu überdenken und auch Übergriffe islamistischer Gruppierungen als Fluchtgrund zu anerkennen. Er bekräftigte aber, dass er Rückführungen nur sehr zurückhaltend vornehmen wolle und jeden Fall einzeln prüfen werde. Zudem sicherte er zu, die 1994 aus Sicherheitsgründen geschlossene Schweizer Botschaft in Algier nach Möglichkeiten wieder zu reaktivieren (siehe dazu oben, Teil I, 2, Relations bilatérales). Auf eine generelle Suspendierung der Wegweisungen, wie sie die SP und die Flüchtlingsorganisationen bereits mehrfach gefordert hatten, verzichtete er, um nicht durch einen Alleingang die Schweiz zu einem Magneten für algerische Asylbewerber in ganz Europa zu machen [48].
 
Jenische
In Anwesenheit von Bundesrätin Dreifuss wurde Anfang Juni eine erste offizielle Studie über das Pro-Juventute-Werk ”Kinder der Landstrasse” vorgestellt, für welche die Akten, die im Bundesarchiv lagern, wissenschaftlich ausgewertet wurden. Die Untersuchung kam zum Schluss, dass zwischen 1926 und 1973 unter dem Deckmantel der Fürsorge und Nächstenliebe das Leben einzelner Menschen auf schwerste Weise beeinträchtigt, viele Familien auseinandergerissen und die Kultur einer Minderheit diskriminiert worden sind. Der Pro Juventute sei es nicht darum gegangen, sozial geschädigten Kindern ein besseres Dasein zu verschaffen. Die Absicht sei klar eine ordnungs- und sozialpolitische gewesen, nämlich die Gesellschaft vom ”Übel” der als minderwertig betrachteten umherziehenden Familien und Sippen zu befreien. Aber auch Bund, Kantone und Gemeinden wurden vom Vorwurf der Mittäterschaft nicht entlastet. Diese hätten das Wirken der Organisation unterstützt – der Bund etwa entrichtete seit 1929 jährliche Subventionen – und viel zu wenig kontrolliert.
Besonders hart ins Gericht ging der Bericht mit dem ersten Leiter und eigentlichen Schöpfer der Werks. Dieser sei – im fast schon besessenen Willen, die ”Vagantität” zu bekämpfen – auch vor massiver Einschüchterung und sogar Entmündigung von Eltern nicht zurückgeschreckt, wenn diese sich weigerten, ihre Kinder herzugeben. Er habe der Öffentlichkeit – speziell auch den gutmeinenden Spendern – die Tatsache unterschlagen, dass er bewusst alles unternommen habe, um die Spuren der Kinder zu verwischen und jeglichen Kontakt zu Verwandten zu unterbinden.
Die Stiftung Pro Juventute akzeptiere die Beurteilung durch die Historiker voll und ganz und entschuldige sich in aller Form bei den Jenischen, sagte Ständerätin Beerli (fdp, BE) als Präsidentin des Stiftungsrates. Sie gab damit den schon lange erwarteten Ausdruck des Bedauerns von höchster Seite der Stiftung ab [49].
 
Frauen
Die Gleichstellungsbeauftragten der Westschweiz verlangten mit Unterstützung des eidgenössischen Büros für die Gleichstellung von Frau und Mann die sprachliche Gleichbehandlung der Geschlechter in der französischen und der italienischen Version der nachgeführten Bundesverfassung. Gemäss Vorschlag von Bundesrat und Kommissionen wurden diese beiden Texte weiterhin männlich formuliert. Lediglich eine Fussnote zum Gleichsartikel (Art. 8) sollte darauf hinweisen, dass unter der männlichen Form jeweils beide Geschlechter gemeint sind [50].
Im Ständerat machte Cavadini (lp, NE) in der Eintretensdebatte zur Revision geltend, die Feminisierung des Textes sei im Französischen nur auf Kosten der sprachlichen Qualität zu erreichen und im Italienischen völlig undenkbar. Dem hielt Aeby (sp, FR) entgegen, es gebe in der französischen Sprache durchaus Möglichkeiten, dem legitimen Anliegen der Frauen Rechnung zu tragen. Brunner (sp, GE) stellte den Antrag auf eine geschlechtsneutrale Formulierung in der Detailberatung von Art. 8. Sie meinte, der Geist der neuen Verfassung, der sich auch in den verwendeten Begriffen ausdrücke, dürfe nicht vom Diktat ehemals reiner Männergremien (Académie Française) diktiert werden. Mit ihrem Einverständnis wurde die Frage auf später verschoben und die Redaktionskommission gebeten, entsprechende Textvorschläge zu unterbreiten [51]. Im Nationalrat stellten Parlamentarierinnen aus der SP die gleiche Forderung für die französische und die italienische Ausgabe der Verfassung. Auch hier wurden die beiden romanischen Texte der Redaktionskommission zugewiesen [52]. Zu einer parlamentarischen Debatte über die schliesslich gefundene Lösung kam es nicht. In der definitiven Fassung der neuen Verfassung sind die französischen und italienischen Formulierungen aber soweit als möglich geschlechtsneutral  [53].
Zu einer schwergewichtigen Differenz zwischen den beiden Kammern führte der Abs. 3 von Art. 8, der die Beziehungen zwischen den Geschlechtern regelt. Der Bundesrat hatte neben der Feststellung, dass Mann und Frau gleichberechtigt sind, die Formulierung vorgeschlagen, wonach das Gesetz für die Gleichstellung namentlich in Familie, Ausbildung und Arbeit sorgt. Dem stimmte der Ständerat diskussionslos zu [54]. Die Kommission des Nationalrates ging hier weiter und stipulierte, der Gesetzgeber habe für die rechtliche und tatsächliche Gleichstellung zu sorgen. Diese Fassung hiess das Plenum mit 110 zu 55 Stimmen gut. Ein von links-grüner Seite in die Diskussion gebrachter weiterer Absatz, wonach Bund und Kantone die materielle Gleichstellung zwischen Männern und Frauen in allen Lebensbereichen verwirklichen, indem sie bestehende Diskriminierungen beseitigen und positive Massnahmen fördern, wurde hingegen mit 93 zu 61 Stimmen abgelehnt [55]. Beide Kammern beharrten in der Folge auf ihren Standpunkten. Der Ständerat vertrat die Ansicht, die tatsächliche Gleichstellung könne nicht per Gesetz dekretiert werden, sondern sei ein vom Verfassungsgeber unabhängiger gesellschaftlicher Prozess; der Nationalrat war der Meinung, in diesem Bereich sei lange genug getrödelt worden, weshalb es jetzt an der Zeit sei, zügig voranzumachen. Erst die Einigungskonferenz brachte die Entscheidung zugunsten des Nationalrates [56].
Das UN-Komitee für Menschenrechte kritisierte die Schweiz wegen ihrer fortdauernden Diskriminierung von Frauen. Obwohl nach dem Gesetz Männer und Frauen gleichgestellt seien, würden Frauen im täglichen Leben nach wie vor benachteiligt. Trotz des äusserst hohen Entwicklungsstandes und der ökonomischen Stärke gebe es in der Schweiz weiterhin ein untolerierbares Ausmass von Armut in gewissen Teilen der Bevölkerung; davon seien insbesondere Frauen betroffen. Frauen litten zudem unter der in der Schweiz weit verbreiteten Gewalt innerhalb der Familie. Gemäss den von der Schweizer Delegation dem UN-Komitee vorgelegten Unterlagen würden nach wie vor etwa 110 000 Gewalttaten pro Jahr gegen Frauen in den Familien registriert. Das Komitee gab seinem Bedauern darüber Ausdruck, dass die vorliegenden statistischen Daten nicht genauer analysiert und für die Einleitung von Massnahmen zur Eindämmung dieser Gewalttaten eingesetzt würden. Eine anhaltende Diskriminierung der Frauen stellte das UN-Komitee insbesondere in den Bereichen Arbeit und Ausbildung fest. Obwohl theoretisch eine Gleichstellung der Geschlechter bestehe, müssten Frauen immer noch überproportional häufig schlechtbezahlte Arbeiten verrichten und sich oft mit Teilzeitstellen begnügen, bei denen sie zudem noch auf Abruf zur Verfügung zu stehen hätten. Der gleiche Lohn für die gleiche Arbeit sei in vielen Bereichen noch nicht realisiert [57].
Eine Motion Bühlmann (gp, LU), die verlangte, es sei die gesetzliche Grundlage zu schaffen, damit die nationalen Frauendachverbände eine finanzielle Unterstützung durch den Staat erhalten, nahm der Nationalrat auf Antrag der Landesregierung, welche die bereits bestehenden Möglichkeiten der Subventionierung zuerst einmal prüfen wollte, lediglich als Postulat an [58].
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Politische Vertretung
Zur Volksinitiative ”Für eine gerechte Vertretung der Frauen in den Bundesbehörden” siehe oben, Teil I, 1c.
Die Frauen von SP, FDP, CVP, SVP, Grünen und EVP unterstützen ein Manifest der Eidg. Frauenkommission zu den Wahlen 1999. Das Manifest fordert die Parteien auf, sich konsequent für eine paritätische Vertretung von Frauen und Männern im eidgenössischen Parlament einzusetzen und spezifische Frauenstrukturen zu schaffen. In allen Parteigremien sollen Quoten beiden Geschlechtern eine Mindestvertretung sichern. Bei Parteiveranstaltungen und in den Medien müssten Frauen mindestens so oft zum Zug kommen wie Männer. Frauen seien frühzeitig aufzubauen und an die Spitze der Liste zu setzen. Auch Amtszeitbeschränkungen und frühzeitige Rücktritte von Männern sollten den Weg für Frauen freimachen [59].
Am 9. Dezember – am Ende des Jubeljahres zum 150. Geburtstag des modernen Bundesstaates und 27 Jahre nach Einführung des Frauenstimmrechts – wurde Ruth Dreifuss turnusgemäss zur ersten Bundespräsidentin der Schweiz gewählt. Sie wird dem Bundesrat im Jahr 1999 vorstehen [60].
Zur erfolglosen Kandidatur einer Frau anlässlich der Nachfolge von Bundesrat Delamuraz siehe oben, Teil I, 1c (Regierung). Zu den Wahlen von Frauen in kantonale Parlamente und Regierungen vgl.oben, Teil I, 1e.
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Arbeitswelt
Für eine vergleichende Lohnstrukturanalyse zwischen dem öffentlichen und dem privaten Sektor, der auch die Frauen betrifft, siehe oben, Teil I, 7a (Löhne).
Eine Motion Hubmann (sp, ZH) verlangte, bei Lohngleichheitsklagen sei das öffentlich-rechtliche Arbeitsverhältnis dem privatrechtlichen gleichzustellen. Heute kann öffentliches Personal erst dann eine Schlichtungsstelle anrufen, wenn es bereits Beschwerde eingereicht hat. Nach Ansicht der Motionärin verstösst dies gegen den Sinn des Gesetzes, wonach die Streitigkeiten möglichst ausserhalb formeller Beschwerdeverfahren geregelt werden sollen, um das künftige Arbeitsverhältnis nicht unnötig zu belasten. Auf Antrag des Bundesrates, der sich einen gewissen Handlungsspielraum erhalten möchte, um diese Frage im Rahmen des neuen Bundespersonalgesetzes und der mit dem Schlichtungsverfahren gesammelten Erfahrungen zu überprüfen, wurde die Motion als Postulat überwiesen [61].
Anfangs Oktober hiess erstmals ein Schweizer Arbeitsgericht eine Klage wegen sexueller Belästigung nach dem 1996 in Kraft getretenen Gleichstellungsgesetz gut. Die Besitzerin eines Hotels in Zürich musste zwei Praktikantinnen eine Entschädigung bezahlen, weil sie es unterlassen hatte, für ein belästigungsfreies Arbeitsklima zu sorgen [62].
Im Basler Kindergärtnerinnen-Lohnstreit entschied das Bundesgricht, dass der Kanton sämtlichen Kindergärtnerinnen, Textil- und Hauswirtschaftslehrerinnen den von einer kleinen Gruppe von Klägerinnen erstrittenen höheren Lohn rückwirkend auf fünf Jahre ausbezahlen muss. Damit fand eine der ersten in der Schweiz aufgrund des Gleichstellungsartikels in der Bundesverfassung eingereichten Lohnklagen ein definitives Ende [63].
Der Ständerat lehnte eine Motion des Nationalrates, wonach ausländischen Cabaret-Tänzerinnen, die sich bereits in der Schweiz aufhalten, die Möglichkeit zu geben sei, auch in anderen Berufen Arbeit zu finden, als zu weitgehend ab. Insbesondere würde dies zu einer Bevorzugung dieser Frauen führen, da andere Ausländerinnen mit begrenzter Aufenthaltsbewilligung keinen Anspruch auf Berufswechsel haben. Hingegen nahm er eine Empfehlung seiner staatspolitischen Kommission an, die den Bundesrat einlädt, die Aufnahme einer anderen Tätigkeit zumindest in Härtefällen zuzulassen [64].
 
Familienpolitik
Bei der Beratung der Sozialziele in Art. 41 der neuen Bundesverfassung fügte der Nationalrat auf Antrag seiner Kommission bei Abs. 1 eine Litera c ein, welche besagt, dass Familien als Gemeinschaften von Erwachsenen und Kindern geschützt und gefördert werden. Ein Antrag Keller (sp, BS), der noch weiter gehen wollte und für Familien eine angemessene Unterstützung bezüglich der Kinderkosten verlangte, wurde mit 118 zu 61 Stimmen abgelehnt. Der expliziten Erwähnung der Familien stimmte der Ständerat diskussionslos zu [65].
Eine vom Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) in Auftrag gegebene Studie berechnete erstmals die indirekten Kinderkosten einer Familie (Lohnausfall des betreuenden Elternteils resp. hypothetische finanzielle Entschädigung für Haus- und Familienarbeit). Bei einem mittleren Erwerbseinkommen ergaben die Berechnungen einen Lohnausfall von rund 480 000 Fr. oder 25% des Familieneinkommens. Zusammen mit den direkten Ausgaben von rund 340 000 Fr. belaufen sich die geschätzten Kosten auf über 800 000 Fr. Bei zwei Kindern kam die Studie auf indirekte Kosten von 35% des Familieneinkommens und Gesamtkosten von knapp 1,2 Mio Fr. Rund ein Sechstel der Kosten werden den Eltern laut BSV über Familienzulagen und Steuerabzüge zurückerstattet [66].
Die Schweizerische Arbeitskräfteerhebung (SAKE) 1997 des Bundesamtes für Statistik (BFS) versuchte herauszufinden, wer wo welche unbezahlte Arbeit leistet. Dabei bestätigte sich die Annahme, dass die Paare in der Schweiz die Haushaltsarbeit nach wie vor sehr einseitig verteilen, und zwar zu Lasten der Frauen. Gemäss der Befragung liegt in 90% der Haushalte mit Kindern die Verantwortung für die Hausarbeit bei der Frau, in 1% beim Mann; in 7% der Haushalte teilen sich Mann und Frau die Aufgabe, und in 2% liegt sie bei anderen Personen. In Paarhaushalten ohne Kinder bestreiten Mann und Frau immerhin in 18% die Haushaltsarbeiten gemeinsam. In 76% dieser Haushalte liegt die Zuständigkeit dafür aber nach wie vor bei der Frau und bloss in 3% beim Mann. Laut BFS hängt das auch damit zusammen, dass bei den Paarhaushalten ohne Kinder die ältere Generation relativ stark vertreten ist [67].
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Revision des Eheschliessungs- und Scheidungsrechts
In der Märzsession behandelte der Ständerat die rund 40 Differenzen, die der Nationalrat geschaffen hatte. In zwei wesentlichen Punkten bestätigte er dabei seinen ursprünglichen Entscheid. Mit ausdrücklicher Zustimmung von Bundesrat Koller hielt er daran fest, dass ein Ehegatte erst dann auf Scheidung klagen kann, wenn das Paar mindestens fünf Jahre getrennt gelebt hat. Der Nationalrat hatte diese Wartefrist auf drei Jahre verkürzt. Kommissionssprecher Küchler (cvp, OW) erinnerte daran, dass fünf Jahre schon einen grossen Fortschritt gegenüber der bisherigen bundesgerichtlichen Praxis von 15 Jahren darstellen. Koller fügte hinzu, dass die Schweiz bei einer Verkürzung der Wartefrist auf drei Jahre das scheidungsfreundlichste Recht in ganz Europa hätte und im Gegenzug automatisch eine Härteklausel notwendig würde.
Die kleine Kammer beharrte gegen den Willen von Bundesrat und Nationalrat bei den Bestimmungen über die Eheschliessung darauf, das bis anhin geltende Verbot der kirchlichen Trauung vor der zivilrechtlichen aus dem geltenden Recht zu kippen. Mit 20 zu 16 Stimmen setzte sich das von Rhinow (fdp, BL) und Schmid (cvp, AI) ins Feld geführte Argument durch, dass diese Bestimmung ein Relikt aus dem Kulturkampf sei und zudem Anwendungsprobleme in der Praxis stelle. Danioth (cvp, UR) und Koller plädierten vergeblich dafür, aus Gründen des Sozial- und Rechtsschutzes und angesichts der starken Unterstützung in der Vernehmlassung am Primat der Ziviltrauung festzuhalten [68].
In zweiter Lesung hielt der Nationalrat in diesen beiden zentralen Punkten ebenso hartnäckig fest wie vor ihm der Ständerat. Dem Verbot der kirchlichen vor der zivilen Trauung wurde diskussionslos zugestimmt. Bei der Dauer der Trennung, wenn eine einvernehmliche Scheidung nicht möglich ist, standen sich ein Mehrheitsantrag auf Festhalten und ein Minderheitsantrag Thanei (sp, ZH) auf Zustimmung zum Ständerat entgegen. Die Sprecherin der Kommission wies darauf hin, dass ein Drittel aller Ehescheidungsklagen nach einer sehr kurzen Ehedauer (zwischen null und fünf Jahren) eingereicht werde, weshalb bei einer strittigen Scheidung eine fünfjährige Trennungszeit als Voraussetzung unverhältnismässig lang erscheine; zudem sei anzunehmen, dass dort, wo kein Ehewille mehr bestehe, dieser sich auch nach längerer Trennungszeit nicht mehr einstelle. Dem hielt Thanei entgegen, dass sich in der Vernehmlassung sämtliche Frauenorganisationen für die fünfjährige Trennung ausgesprochen hätten. Als mögliche Gründe für die Verweigerung einer Scheidung und den nötigen Schutz dieser Haltung zumindest während einer gewissen Zeit erwähnte sie wirtschaftliche oder persönlich bedingte Zukunftsängste, religiöse oder fremdenpolizeiliche Bedenken. Die grosse Kammer beschloss mit 69 zu 62 Stimmen Festhalten an ihrem ersten Entscheid [69].
Angesichts der Entschlossenheit des Nationalrates beantragte die Kommission des Ständerates dem Plenum in beiden Punkten Zustimmung zur Volkskammer. Im Fall des Verbots der kirchlichen vor der zivilrechtlichen Trauung erfolgte dies diskussionslos. Bei der Trennungszeit setzte eine Minderheit mit 18 zu14 Stimmen durch, dass im Sinn eines Kompromisses eine vierjährige Frist festgeschrieben wurde. Unter Hinweis auf den knappen Entscheid in der grossen Kammer plädierte auch Bundesrat Koller für diesen, wie er meinte, vernünftigen Mittelweg. Der Nationalrat schloss sich mit 101 zu 32 Stimmen der vierjährigen Trennungszeit an [70].
Zum beinahen Stolperstein der Vorlage wurde schliesslich eine letzte Differenz bei einer Bestimmung, die in den Debatten an und für sich wenig zu reden gegeben hatte, die aber dennoch unbereinigt von einem Rat zum anderen geschoben worden war. Es ging um die Frage, ob die Konventionalscheidung ausgesprochen werden kann, wenn die Nebenfolgen noch nicht abschliessend geklärt sind. Der Ständerat wollte mit der möglichen zeitlichen Staffelung unsäglich langen Scheidungsverhandlungen den Wind aus den Segeln nehmen. Der Nationalrat beharrte darauf, dass zwischen Scheidung und Regelung der Nebenfolgen ein Junktim besteht. In dieser Frage kam die Einigungskonferenz zum Zuge, welche Zustimmung zum Nationalrat beantragte. Beide Kammern akzeptierten diesen Entscheid, worauf die Vorlage definitiv verabschiedet werden konnte [71].
Gegen das revidierte Scheidungsrecht wurde das Referendum ergriffen. Das Komitee ”Pro Ehe und Familie”, dem vor allem Mitglieder der Katholischen Volkspartei Schweiz angehören, begründete seinen Schritt damit, dass das neue Gesetz einen Angriff auf den Kern von Familie und Ehe darstelle. Ihm schloss sich, wenn auch aus ganz anderen Gründen, eine ”Trägerschaft Scheidungsrecht nein” an, die sich vornehmlich aus der ”Interessengemeinschaft geschiedener und getrennter Männer” rekrutierte: diese Gruppierung hatte sich vehement dafür eingesetzt, dass das gemeinsame Sorgerecht für die Kinder zur Regel werde und sah sich nun in ihren Erwartungen entäuscht. Trotz ihrer recht unterschiedlichen Standpunkte schlossen sich die beiden Trägerschaften Ende August zusammen; Rückhalt fanden sie bei der EDU und dem Neuen Rütlibund. Anfangs Oktober gab das Komitee die Unterschriftensammlung mangels Unterstützung auf [72]. Da die Situation nun geklärt war, beschloss der Bundesrat, das neue Gesetz auf den 1.1.2000 in Kraft zu setzen [73].
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Schwangerschaftsabbruch
Ausgehend von einer parlamentarische Initiative Haering Binder (sp, ZH) unterbreitete die Rechtskommission des Nationalrates eine Revision der Strafgesetzbestimmungen über den Schwangerschaftsabbruch. Gemäss der Mehrheit der Kommission sollte der Abbruch während der ersten 14 Wochen der Schwangerschaft auf Verlangen der Frau und unter Mitwirkung eines Arztes oder einer Ärztin möglich sein, nach dieser Frist nur noch nach den strengeren Massstäben der heutigen Regelung. Nach dem geltenden Recht braucht es zwei Ärzte oder Ärztinnen, die einen Abbruch für angezeigt halten, weil die Frau einen schweren körperlichen oder psychischen Schaden erlitte, wenn sie das Kind austrüge. Diese Liberalisierung ging dem Bundesrat zu weit. Er meinte, der Staat müsse darauf hinwirken, dass eine sorgfältige Güterabwägung zwischen den Rechten der Frau und dem Schutz des ungeborenen Lebens stattfindet. In seiner Stellungnahme votierte er für das im Vorjahr von den CVP-Frauen in die Diskussion gebrachte ”Schutzmodell mit Beratungspflicht” [74].
Nach einer Kaskade von Variantenabstimmungen befürwortete der Nationalrat den Vorschlag seiner Kommission für eine Fristenlösung in den ersten 14 Wochen der Schwangerschaft. Die Zürcher SP-Abgeordnete Haering Binder stellte in der vorgängigen Diskussion fest, dass nach den Erfahrungen im In- und Ausland Verbote keine Abbrüche verhindern, eine Liberalisierung sie aber auch nicht fördert. Nach ihrem Verständnis von Rechtssicherheit gehe es auch darum, die in der Schweiz entstandene Kluft zwischen dem landesweit geltenden restriktiven Recht und der in vielen Kantonen gelebten liberalen Rechtswirklichkeit zu schliessen. Der Staat habe nicht die Moral vorzuschreiben; er solle optimale Rahmenbedingungen schaffen, damit die schwangere Frau ohne Zwang in Eigenverantwortung entscheiden kann. Dazu gehöre selbstverständlich auch ein breites Beratungsangebot. Die Beratung müsse aber freiwillig sein, weil eine Verpflichtung nur wieder neue Abhängigkeiten schaffe. Unterstützt wurde sie von Vallender (AI) als Sprecherin der FDP-Fraktion.
Ganz anderer Ansicht waren viele ihrer männlichen Kollegen aus dem rechtsbürgerlichen Lager, welche bei der heutigen Regelung bleiben wollten. Die extreme Gegenposition vertrat die von der SP zu den Grünen übergetretene Baslerin von Felten. Sie beantragte die ersatzlose Streichung aller Artikel zum Schwangerschaftsabbruch aus dem Strafrecht. Mit dem Votum ihres Parteipräsidenten Durrer (OW) plädierte die CVP für ihr Modell mit obligatorischer Beratungspflicht, doch wurde dieses schliesslich mit 106 zu 56 Stimmen abgelehnt. Der Kommissionsvorschlag passierte schliesslich mit 98 zu 73 Stimmen [75].
Im Anschluss an diese Beratung hiess der Nationalrat eine Motion Engler (cvp, AR), welche einen Ausbau des Beratungsangebots zur Verringerung der Zahl der Abtreibungen verlangte, auf Antrag des Bundesrates, der auf die grundsätzliche Kantonskompetenz in diesem Bereich verwies, in der Postulatsform gut [76].
Eine von einer stark religiös geprägten Gruppierung (”Schweizerische Hilfe für Mutter und Kind”) lancierte Volksinitiative ”Für Mutter und Kind – für den Schutz des ungeborenen Lebens und für die Hilfe an seine Mutter” möchte das Rad der Zeit um Jahrzehnte zurückdrehen. In der Verfassung soll festgeschrieben werden, dass eine Abtreibung nur noch dann erlaubt ist, wenn die Mutter sonst in akute Lebensgefahr gerät. Psychische Probleme – also auch etwa die Gefahr eines Suizids – dürften keine Rolle spielen, nur körperliche Erkrankungen. Selbst der Organisation ”Ja zum Leben”, die sich seit mehr als 20 Jahren gegen eine Fristenlösung einsetzt, gingen die Absichten und vor allem die Methoden des Initiativekomitees zu weit, weshalb sie sich davon distanzierte [77].
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Alternative Lebensformen
Zu den Diskussionen anlässlich der Nachführung der Bundesverfassung, ob und wie man alternative Partnerschaften vor Diskriminierung schützen soll und kann, siehe oben (Grundsatzfragen).
In der Sommersession überwies der Nationalrat ein Postulat der liberalen Fraktion, das den Bundesrat ersucht, die rechtliche Situation gleichgeschlechtlicher Paare umfassend zu überprüfen [78].
 
Kinder und Jugendliche
Zur Stellung der Kinder und Jugendlichen im Gleichstellungsartikel der nachgeführten Bundesverfassung (Art. 8 Abs. 2) siehe oben, Grundsatzfragen.
Eine Minderheit aus den Reihen der SP erreichte, dass der Nationalrat einen eigenständigen Artikel über die Rechte der Kinder und Jugendlichen in den Grundrechtskatalog der revidierten Verfassung aufnahm (Art. 11). Vergeblich warnte Bundesrat Koller, die vorerst gewählte Formulierung, wonach Kinder und Jugendliche Anspruch auf eine harmonische Entwicklung und auf den Schutz haben, den ihre Situation als Minderjährige erfordert, sei juristisch nicht umsetzbar, da kein Gericht einen so vagen Begriff wie die harmonische Entwicklung in einen Leistungsanspruch ummünzen könne; die physische und psychische Integrität der Kinder und Jugendlichen sei durch die Bestimmungen von Art. 10 (Recht auf Leben und persönliche Freiheit) zudem ohnehin garantiert. Den Vertretern des rechtsbürgerlichen Lagers stiess vor allem der zur Diskussion stehende zweite Absatz dieses neuen Verfassungsartikels auf, wonach die Kinder und Jugendlichen ihre Rechte im Rahmen ihrer Fähigkeiten selber ausüben. Keller (sd, BL) malte gar das Schreckgespenst eines Keils zwischen den Generationen und von Kindern an die Wand, die beim Richter gegen Vater und Mutter klagen. Die Zustimmung erfolgte nur knapp mit 73 zu 67 Stimmen [79].
Der Ständerat war bereit, dem Anliegen einer besonderen Erwähnung der Kinder und Jugendlichen entgegen zu kommen, allerdings nur in abgeschwächter Form, die den im Nationalrat vorgebrachten Bedenken Rechnung trug. Trotz allmählicher Annäherung der Standpunkte brachten die weiteren Runden der Differenzbereinigung keinen für beide Kammern akzeptablen Text hervor, weshalb schliesslich die Eingungskonferenz eine Kompromisslösung erarbeitete. Sie schlug vor, in einem ersten Absatz festzuhalten, dass Kinder und Jugendliche Anspruch auf besonderen Schutz ihrer Unversehrtheit und auf Förderung ihrer Entwicklung haben; Abs. 2 besagt, dass sie ihre Rechte im Rahmen ihrer Urteilsfähigkeit ausüben. Die beiden Reizworte ”Rechte” und ”harmonische Entwicklung” waren damit beseitigt, der Grundsatz aber doch beibehalten. In dieser Form wurde der Artikel von beiden Kammern verabschiedet [80].
Auf Antrag seiner Kommission fügte der Ständerat beim Kapitel über die Bügerrechte die Bestimmung ein, wonach der Bund die Einbürgerung staatenloser Kinder erleichtert (Art. 38 Abs. 3). Der Bundesrat verwies darauf, dass hier über die eigentliche Nachführung hinausgegangen werde, anerkannte aber, dass der Antrag internationalen Bestrebungen entspricht, weshalb er ihm nicht opponierte. Die neue Bestimmung entfaltet ihre Wirkung vor allem bei jenen internationalen Adoptionen, welche – aus welchen Gründen auch immer – schliesslich scheitern, bei denen das ausländische Kind aber bereits in der Schweiz ist und ohne Einbürgerung riskieren würde, wieder in sein Heimatland ausgeschafft zu werden, wo es meistens über keine familiären Strukturen mehr verfügt. Dieser Beschluss entsprach einer 1993 vom Nationalrat angenommenen parlamentarischen Initiative Zisyadis (pda, VD), die deshalb als erfüllt abgeschrieben werden konnte [81].
Der Bundesrat beantragte dem Parlament, das Übereinkommen Nr. 138 sowie die ergänzende Empfehlung (Nr. 146) der Internationalen Arbeitsorganisation zu ratifizieren, welches zu den sieben sogenannten fundamentalen Texten der ILO zählt. Diese Konvention legt für alle Arten von Arbeit das Mindestalter für die Zulassung zur Beschäftigung auf 15 Jahre fest. Das Übereinkommen sieht jedoch gewisse Ausnahmen vor, indem es für leichte Arbeiten ein tieferes (13 Jahre) und für gefährliche Arbeiten ein höheres Mindestalter (18 Jahre) stipuliert. Entgegen der Praxis der Schweiz, wonach ILO-Abkommen nur dann ratifiziert werden, wenn sie der bereits bestehenden Gesetzgebung entsprechen, beantragte der Bundesrat hier eine punktuelle Änderung des Arbeitsgesetzes, indem auch die bisher vom Jugendarbeitsschutz nicht beschlagenen Bereiche Fischerei, Gärtnereien und private Haushaltungen den Mindestaltersvorschriften unterstellt werden, nicht aber die Familienbetriebe. Diese Ausnahme zur Ratifizierungspraxis rechtfertigt sich nach Ansicht des Bundesrates, da es sich bei dem Abkommen um ein fundamentales Instrument handelt, welches alle Staaten unterzeichnen sollten. Der Ständerat ermächtigte den Bundesrat zur Ratifikation und nahm gleich auch die entsprechende Änderung im Arbeitsgesetz vor [82].
Mit einer Motion wollte Nationalrätin Vermot (sp, BE) erreichen, dass der Bundesrat die für die Prävention der Kindsmisshandlungen eingesetzten 150 000 Fr. auf 1 Mio. Fr. pro Jahr erhöht. Die Landesregierung räumte ein, dass das genannte Budget tatsächlich sehr bescheiden sei. Angesichts der prekären Finanzlage des Bundes sei eine Aufstockung im jetzigen Zeitpunkt jedoch nicht denkbar. Er zeigte sich aber bereit, Möglichkeiten zur Verlagerung von Prioritäten zu prüfen. Auf seinen Antrag wurde die Motion als Postulat überwiesen [83].
Der Nationalrat nahm ein von 55 Abgeordneten aus den vier Bundesratsparteien mitunterzeichnetes Postulat Simon (cvp, VD) an, das den Bundesrat ersuchte, so rasch als möglich die nötigen Massnahmen zu treffen, damit sich in Genf ein internationales Zentrum für verschwundene und ausgebeutete Kinder einrichten und seine Tätigkeit aufnehmen kann. Eine entsprechende Organisation existiert bereits in den Vereinigten Staaten und möchte nach Europa expandieren. Das Genfer Zentrum soll vor allem eine Datenbank führen und als Bindeglied zwischen der Öffentlichkeit sowie privaten und staatlichen Institutionen fungieren [84].
 
Invalide
Im Rahmen der Verfassungsrevision lehnte der Ständerat im Gleichstellungsartikel (Art. 8, siehe auch oben, Grundsatzfragen) mit 20 zu 11 Stimmen einen Antrag von Pro-Infirmis-Präsident Brändli (svp, GR) für einen neuen Abs. 4 ab, der den Gesetzgeber verpflichten wollte, für die Gleichstellung der Behinderten zu sorgen und Massnahmen zum Ausgleich oder zur Beseitigung bestehender Benachteiligungen vorzusehen. Mit gleichem Wortlaut wurde dieser Absatz im Nationalrat bereits von der Kommission vorgeschlagen und gegen einen rechtsbürgerlichen Streichungsantrag mit 97 zu 58 Stimmen auch angenommen. Die SP wollte dem noch hinzufügen, der Zugang zu Bauten und Anlagen oder die Inanspruchnahme von Einrichtungen und Leistungen, die für die Öffentlichkeit bestimmt sind, sei soweit zumutbar zu gewährleisten, unterlag aber mit 78 zu 77 Stimmen ganz knapp [85]. Angesichts der klaren Stellungnahme der grossen Kammer kam der Ständerat auf seinen Beschluss zurück und stimmte einem – allerdings abgeschwächten – Text zu. Danach ist der Gesetzgeber nur gehalten, Massnahmen zur Beseitigung von Benachteiligungen der Behinderten vorzusehen. Die kleine Kammer befand, ihre Formulierung sei verhältnismässiger als jene des Nationalrates, da gar nicht definiert werden könne, was unter der Gleichstellung von Behinderten zu verstehen sei. Dieser Auffassung schloss sich auch eine Mehrheit des Nationalrates an, obgleich Pro Mente Sana-Präsident Gross (sp, TG) monierte, damit könnte der Eindruck entstehen, dass es sich bei den Behinderten um einen Gesetzgebungsauftrag minderer Qualität handle als etwa bei der Gleichstellung der Geschlechter. Mit 96 zu 68 Stimmen übernahm der Nationalrat die Version des Ständerates [86].
Gleichentags behandelte die grosse Kammer auch die Umsetzung einer 1996 angenommenen parlamentarischen Initiative Suter (fdp, BE) zur Gleichstellung der Behinderten. Eine rechtsbürgerliche Kommissionsminderheit versuchte noch einmal vergeblich, das Gleichheitsgebot dahingehend abzuschwächen, dass nur von der Gleichwertigkeit der Lebensbedingungen gesprochen werden sollte bzw. das Gesetz nur im Rahmen der verfügbaren Mittel für die Gleichstellung zu sorgen hätte, unterlag aber mit 81 zu 64 resp. 83 zu 56 Stimmen. Andererseits scheiterte auch ein Antrag aus dem linken Lager, der den Passus, wonach der Gesetzgeber nur in Ergänzung zu privater Initiative und Verantwortung tätig wird, wieder streichen wollte. Am meisten entzündeten sich aber die Diskussionen am Antrag der Kommissionsmehrheit, entgegen den Beschlüssen bei der Verfassungsrevision noch einen dritten Satz in den vorgeschlagenen neuen Verfassungsartikel aufzunehmen, wonach den Behinderten der Zugang zu Bauten und Anlagen oder die Inanspruchnahme von Einrichtungen und Leistungen, die für die Öffentlichkeit bestimmt sind, soweit zumutbar zu gewährleisten sei. Die FDP, unterstützt von Bundesrat Koller, beantragte hier Streichung, weil diese Forderung nur schwer einklagbar wäre und zu nicht abzuschätzenden finanziellen Folgen für Öffentlichkeit und Private führen würde. Koller verwies auch darauf, dass mit dieser Doppelspurigkeit des Vorgehens (laufende Verfassungsrevision und gleichzeitiger Antrag auf Abänderung der geltenden Verfassung) eine, wie er sagte, ”verfahrene Verfahrenssituation” entstehen würde. Mit 78 zu 66 Stimmen setzte sich der Antrag der Kommissionsmehrheit dennoch durch. Die Gesamtvorlage wurde mit 82 zu 64 Stimmen angenommen. Dafür votierte das geschlossene rot-grüne Lager mit Unterstützung von einzelnen Abgeordneten aus der CVP und der FDP [87].
Da die Behinderten mit dem Resultat der Verfassungsrevision klar nicht zufrieden waren und die Zukunft der parlamentarische Initiative Suter (die ja noch vom Ständerat angenommen werden muss) zumindest ungewiss ist, lancierten deren Organisationen unter dem Präsidium von Nationalrat Suter (fdp, BE) Anfang August unter dem Titel ”Gleiche Rechte für Behinderte” eine entsprechende Volksinitiative. Diese verlangt eine Revision von Art. 4 der bisherigen Bundesverfassung gemäss dem ersten Beschluss des Nationalrates zur revidierten Verfassung (Diskriminierungsverbot für körperliche, geistige und psychische Behinderung sowie Gleichstellungsgebot), ergänzt mit den Bestimmungen aus der parlamentarische Initiative Suter betreffend den Zugang zu Bauten und Einrichtungen. Das Initiativkomitee, in dem Parlamentarier aus allen vier Bundesratsparteien Einsitz nahmen, begründete sein Vorgehen damit, dass nur durch Verfassung und Gesetz geschützte Rechte den Invaliden die Möglichkeit geben würden, diese notfalls vor Gericht einzuklagen [88].
 
Weiterführende Literatur
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Grundsatzfragen
Bühler, Elisabeth / Maurer, Elisabeth / Wyler, Silvia, Deregulierung und Chancengleichheit: neue Herausforderungen an Staat und Gesellschaft, Zürich 1998.
Sgier, Lea, Entre normes et structures. Égalité, citoyenneté, genre, Genève (Université) 1998.
Wicker, Hans-Rudolf (Hg.), Nationalismus, Multikulturalismus und Ethnizität: Beiträge zur Deutung von sozialer und politischer Einbindung und Ausgrenzung, Bern (Haupt) 1998.
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Ausländer
Bundesamt für Statistik, Migration und ausländische Bevölkerung in der Schweiz 1997, Bern 1998.
Prodolliet, Simone, Blickwechsel. Die multikulturelle Schweiz an der Schwelle zum 21. Jahrhundert, Luzern 1998.
Richter, Alexandra, ”Migrationspolitik”, in Die Volkswirtschaft, 1998, Nr. 1, S. 54-57.
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Flüchtlinge
Efionayi-Mäder, Denise, Vergleich von Sozialleistungen an Asylsuchende in fünf europäischen Ländern, Neuenburg (Schweiz. Forum für Migrationsfragen) 1998.
Parini, Lorena, La politique d’asile en Suisse: une perspective systémique, Paris 1997.
Schneider, Gerald, ”Der Asylföderalismus wirkt diskriminierend”, in Asyl, 1998, Nr. 3, S. 62-67.
Spörndli, Markus / Holzer, Thomas / Schneider, Gerald, ”Diener dreier Herren? Kantonalbehörden und die Vollzugsvielfalt der arbeitsmarktlichen Bestimmungen im schweizerischen Asylrecht”, in Schweizerische Zeitschrift für Politische Wissenschaft, 4/1998, Nr. 3, S. 53-77.
Wimmer, Andreas, Asyl und Arbeit: eine Studie zur Erwerbsintegration von Asylsuchenden und Flüchtlingen in der Schweiz, Neuenburg (Schweiz. Forum für Migrationsfragen) 1998.
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Frauen
Albrecht Andreas C., Der Begriff der gleichwertigen Arbeit im Sinne des Lohngleichheitssatzes ”Mann und Frau haben Anspruch auf gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit”, Basel 1998.
Béguin, Jean-Claude, ”La constitutionalisation du principe d’égalité hommes/femmes en Suisse et le processus de concrétisation”, in Revue internationale de Droit comparé, 50/1998, Nr. 1, S. 67-92.
Büchler, Andrea, ”Gewalt in Ehe und Partnerschaft: Staatliche Interventionen”, in Familienfragen, 1998, Nr. 3, S. 28-32.
Zur Literatur über Frauenquoten in der Politik siehe oben, Teil I, 1c.
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Jenische
Leimgruber, Walter / Meier, Thomas / Sablonier, Roger, Das Hilfswerk für die Kinder der Landstrasse, Bern (EDMZ) 1998.
Meier, Thomas / Wolfensberger, Rolf, Eine Heimat und doch keine. Heimatlose und Nicht-Sesshafte in der Schweiz (16.-19. Jahrhundert), Zürich, 1998.
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Familienpolitik
Bauer, Tobias, Kinder, Zeit und Geld, Bern (EDMZ) 1998. Kurzfassung in: Familie und Geselllschaft, (Sonderreihe des Bulletins Familienfragen, 1998, Nr. 1).
Freiburghaus, Dieter, ”Das neue Scheidungsrecht im Überblick”, in Plädoyer, 1998, Nr. 6, S. 35-44.
Gerber, Beat, Lila ist die Farbe des Regenbogens, Schwestern, die Farbe der Befreiung ist rot: die Homosexuellen-Arbeitsgruppen in der Schweiz (HACH), Köniz 1998.
Kieser, Ueli, ”Aspekte einzelner Sozialversicherungen bei der Ehescheidung”, in Aktuelle Juristische Praxis, 1998, S. 482-498.
Koller, Thomas, ”Ehescheidung und AHV” in Aktuelle Juristische Praxis, 1998, S. 291-310.
Mahon, Pascal, ”Les allocations familiales”, in Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht. Soziale Sicherheit, Basel 1998.
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Kinder und Jugendliche
Hänni, Peter / Belser, Eva Maria, ”Die Rechte der Kinder”, in Aktuelle juristische Praxis, 1998, S. 139-157.
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Altersfragen
Leu, Robert. E., Armut und Lebensbedingungen im Alter, Bern (EDMZ; Beiträge zur Sozialen Sicherheit, Nr. 17) 1998.
Lalive d’Epiney, Christian, Atlas suisse de la population âgée, Lausanne 1998.
CHSS, 1998, Nr. 6 (Schwerpunktthema ”Wohnen im Alter”).
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M.B.
 
[1] Amtl. Bull. NR, 1998, S. 629 ff.; Amtl. Bull. StR, 1998, S. 682 f.1
[2] Amtl. Bull. NR, 1998, S. 1754 ff., 2361 f. und 2598 ff.; Amtl. Bull. StR, 1998, S. 1099 f. und 1339 ff.2
[3] Amtl. Bull. StR, 1998, S. 32 ff. In den Materialien zu seinem Entwurf hatte der BR festgestellt, dass in der Vernehmlassung eine Aufzählung mehrheitlich begrüsst worden sei. Das Wort ”namentlich” garantiere, dass damit eine spätere Berücksichtigung weiterer gesellschaftlicher Entwicklungen durchaus möglich sei (BBl, 1997, I, S. 142 f.).3
[4] Amtl. Bull. NR, 1998, S. 655 ff. und 660 ff. In der Herbstsession versuchte Grendelmeier (ldu, ZH) erneut, auch die geschlechtliche Orientierung einzubringen, scheiterte aber mit 99:62 Stimmen, wobei der BR erklärte, dies sei im Begriff der Lebensform bereits enthalten (Amtl. Bull. NR, 1998, S. 1756 ff.).4
[5] Amtl. Bull. StR, 1998, S. 691; Amtl. Bull. NR, 1998, S. 1756 ff.5
[6] Amtl. Bull. NR, 1998, S. 1684 f.; Amtl. Bull. StR, 1998, S. 636 f. Siehe SPJ 1995, S. 257.6
[7] Amtl. Bull. StR, 1998, S. 246; Amtl. Bull. NR, 1998, S. 1011 ff.7
[8] Presse vom 10.3.98. Siehe dazu auch die Ausführungen des BR in Amtl. Bull. NR, 1998, S. 816. Vgl. dazu auch oben, Teil I, 1b (Öffentliche Ordnung).8
[9] Die Volkswirtschaft, 1999, Nr. 3, S. 68-69 und S. 23*.9
[10] Presse vom 25.11.98. 1998 nahmen die Einbürgerungen um 11% auf rund 21 000 zu (siehe oben, Teil I, 1b, Bürgerrecht).10
[11] Amtl. Bull. NR, 1998, S. 2663 ff. Siehe SPJ 1995, S. 258 f. und 1997, S. 280.11
[12] Presse vom 9.6. und 22.10.98. Die 3-Kreise-Politik wurde im Berichtsjahr auch vom UNO-Komitee zur Beseitigung der Rassendiskriminierung kritisiert (Lib., 22.3.98). Siehe SPJ 1997, S. 278.12
[13] Amtl. Bull. StR, 1998, S. 58 ff.13
[14] Amtl. Bull. NR, 1998, S. 1011 ff.14
[15] Amtl. Bull. NR, 1998, S. 538 ff. und 549 f. Siehe SPJ 1997, S. 281 f.15
[16] Amtl. Bull. StR, 1998, S. 537 f.16
[17] Amtl. Bull. NR, 1998, S. 1089 ff.17
[18] Amtl. Bull. StR, 1998, S. 1345 ff.; Amtl. Bull. NR, 1998, S. 2826 f.18
[19] Amtl. Bull. NR, 1998, S. 463 ff.; BaZ, 10.3.98; WoZ, 12.3.98. Siehe SPJ 1995, S. 260 und 1997, S. 282. Die von der Kommission erarbeitete Gesetzesänderung geht etwas weniger weit als die pa.Iv.; demnach soll das Aufenthaltsrecht nur in Härtefällen gewährt werden (Presse vom 24.10.98).19
[20] Amtl. Bull. StR, 1998, S. 42 f.; Amtl. Bull. NR, 1998, S. 864.20
[21] Presse vom 4.9.98. Siehe SPJ 1997, S. 283.21
[22] Presse vom 9.1.99. Bei der Asylrekurskommission gingen 14,5% mehr Fälle ein als 1997. Obgleich die Zahl der Erledigungen gesteigert werden konnte, wuchs der Pendenzenberg um 18% (Presse vom 9.4.99).22
[23] Lit. Schneider. Zur zurückhaltenden Stellungnahme des BFF zu dieser Studie siehe NZZ, 6.7.98. Eine Untersuchung des Schweiz. Forums für Migrationsstudien in Neuenburg zeigte, dass die Kantone auch sehr unterschiedliche Unterstützungsbeiträge an die Asylbewerber bezahlen (BZ, 4.11.98).23
[24] Amtl. Bull. NR, 1998, S. 508 ff., 514 ff. und 521 ff. Für die ersten Beschlüsse des StR siehe SPJ 1997, S. 283 ff. Das Bundesgericht hatte 1995 die bereits damals vom BFF geübte Praxis, Asylbewerber ohne gültige Papiere vom Verfahren auszuschliessen, mangels gesetzlicher Grundlagen als juristisch nicht haltbar gewertet (SPJ 1995, S. 262). Für die Volksinitiative der SVP vgl. SPJ 1996, S. 273 ff. Die Änderung im Anag wurde als eigentliche ”Lex Zaoui” bezeichnet. Zaoui, ein mutmasslicher algerischer Terrorist, war 1997 von Belgien her kommend in die Schweiz gelangt, obgleich gegen ihn eine Einreisesperre verhängt worden war. Er wurde daraufhin vorübergehend in Gewahrsam genommen und Ende Oktober des Berichtsjahres in einen nicht näher bezeichneten Drittstaat – dem Vernehmen nach Burkina Faso, ein Schwerpunktland der Schweizer Entwicklungszusammenarbeit – ausgeschafft (LT, 17.4. und 21.4.98; Presse vom 31.10.98). Siehe dazu auch die Ausführungen des BR in Amtl. Bull. NR, 1998, S. 2221 f. und 2473.24
[25] Amtl. Bull. StR,1998, S. 525 ff.; NZZ, 24.3.98; LT, 30.4.98; Presse vom 1.5.98 (Gutachten). Zur sehr reservierten Haltung des UNHCR gegenüber den beschlossenen Verschärfungen siehe LT, 20.5.98.25
[26] BBl, 1998, S. 3225 ff.; Presse vom 28.3., 2.5. (FDP), 4.5. (SVP) und 14.5.98 (Kommentare zum Antrag des BR); BZ, 11.5.98 (Interview Koller); WoZ, 21.5.98.26
[27] Amtl. Bull. NR, 1998, S. 1059 ff.27
[28] Amtl. Bull. StR, 1998, S. 652 ff., 663 ff. und 670 ff.28
[29] Amtl. Bull. NR, 1998, S. 1289 ff., 1365 f., 1432 f. und 1636 ff.; Amtl. Bull. StR, 1998, S. 760 ff., 820 f. und 840. Bei der Orientierung über die Entwicklungen im Asylwesen während des Berichtsjahres musste der Sprecher des BFF eingestehen, dass der dringliche Bundsbeschluss in den ersten sechs Monaten kaum Wirkung entfaltet hat (Presse vom 9.1.99).29
[30] BBl, 1998, S. 5649 ff.; NZZ, 24.3., 14.8. und 1.10.98; Presse vom 29.6. und 16.10.98; TA, 7.7.98; WoZ, 9.7.98; LT, 10.7.98; Bund, 19.9.98. Unterstützung fanden die Referenden auch beim Vorstand des Evangelischen Kirchenbundes der Schweiz, der damit erstmals in seiner Geschichte ein Referendum aktiv mittrug (TA, 29.8.98).30
[31] Presse vom 27.2., 27.3. und 25.4.98. Zu Schengen und Dublin siehe die Ausführunges des BR in Amtl. Bull. NR, 1998, S. 759 ff., 1549 ff. und 1593 f.; Die Volkswirtschaft, 1998, Nr. 10, S. 70 ff.; NZZ, 16.12. und 19.12.98. Als wichtigen aussenpolitischen Erfolg wertete das Departement Koller das Zustandekommen eines Rückübernahmeabkommens mit Italien, welches sicherstellt, dass durch Italien transitierende Flüchtlinge (vornehmlich aus Kosovo und Albanien), die illegal in die Schweiz einreisen, von Italien wieder übernommen werden müssen (CdT, 11.3., 9.7. und 13.7.98; NZZ, 12.3.98; TA, 27.3.98; Presse vom 13.7. und 11.9.98). Im April wurde auch ein Rückübernahmeabkommen mit Mazedonien unterzeichnet, welches beide Länder verpflichtet, jederzeit eigene Staatsangehörige zurückzunehmen (NZZ, 17.4.98). Eine seit 1965 mit Frankreich bestehende analoge Übereinkunft wurde neu paraphiert und dabei weiter gefasst (LT, 6.10.98).31
[32] TA, 8.8.98; BZ, 21.8.98; LT, 28.8. und 29.8.98; BaZ, 3.9.98; Presse vom 5.9.98; NZZ, 16.9.98. Eine vom BFF in Auftrag gegebene Studie wies nach, dass die Fürsorgeleistungen der Schweiz für die Asylsuchenden im internationalen Vergleich als eher niedrig einzustufen sind (BZ, 10.6.98). Siehe dazu auch die Ausführungen des BR in Amtl. Bull. NR, 1998, S. 1657. Der Direktor des BFF wies den Vorwurf von bürgerlicher Seite zurück, die Schweiz sei wegen ihrer Aufwendungen für Asylbewerber zu attraktiv. Gerade bezüglich des Kosovo wies er darauf hin, dass in den siebziger und achtziger Jahren rund 150 000 Personen als – damals willkommene – Fremdarbeiter in die Schweiz gekommen seien; das habe zum Aufbau eines sozialen Netzes geführt, weshalb es ganz normal sei, dass Kosovo-Albaner tendenziell die Schweiz als Fluchtland bevorzugten (NZZ, 19.9.98).32
[33] LT, 17.10.98; Presse vom 30.10.98; Bund, 12.11.98. Die zentrale Papierbeschaffung war auch eine der Forderungen einer Motion Loretan (fdp, AG), die der StR in diesem Punkt als Postulat überwies. Die Motion verlangte zudem besondere Zentren für renitente und gewalttätige Asylbewerber. Der BR verwies erneut darauf, dass dies allein in der Kompetenz der Kantone liege. Nach anfänglicher Ablehnung erklärte sich der BR damit einverstanden, dass dieser Punkt ebenfalls als Postulat überwiesen wurde (Amtl. Bull. StR, 1998, S. 674 ff.). Siehe auch unten.33
[34] Amtl. Bull. NR, 1998, S. 2413 ff.34
[35] Presse vom 6.1., 10.3., 17.3., 30.3., 6.5., 3.9. und 12.11.98; LT, 4.7.98. BR: Presse vom 4.5. (Ogi) und 7.5.98; TA, 11.5.98 (Koller). Siehe dazu auch die Ausführungen des BR in Amtl. Bull. NR, 1998, S. 422 ff. Eine Motion Freund (svp, AR) für einen entsprechenden dringlichen Bundesbeschluss wurde im NR von links-grüner Seite bekämpft und damit vorderhand der Diskussion entzogen (Amtl. Bull. NR, 1998, S. 1513 f.). Dass diese Idee nicht bloss bei der SVP auf offene Ohren stösst, zeigte eine von Leu (cvp, LU) eingereichte diesbezügliche Motion, die von den Präsidenten der drei bürgerlichen BR-Parteien mitunterzeichnet wurde (Verhandl. B.vers., 1998, III/IV, Teil II, S. 157); TA, 9.5.98; SoZ, 11.10.98). Im StR wurde dieser Punkt der erwähnten erwähnten Motion Loretan ebenfalls als Postulat angenommen (Amtl. Bull. StR, 1998, S. 674 ff.).35
[36] Presse vom 14.9., 21.9.,10.10., 20.-24.10., 30.10., 5.11., 10.11. und 9.12.98. Zur Überlastung der Empfangszentren an der Grenze, die dem BR den Vorwurf eintrugen, nicht rechtzeitig die nötigen Vorbereitungen für den Ansturm der Flüchtlinge getroffen zu haben, siehe Presse vom 29.8., 1.10. und 16.-20.10.98; TG, 7.9.98; SGT, 8.9.98; BaZ, 9.9. und 17.10.98; LT, 22.9.98; Blick, 27.9. und 16.10.98.36
[37] BBl, 1998, S. 5606 ff.; Amtl. Bull. NR, 1998, S. 2445 ff.37
[38] Amtl. Bull. StR, 1998, S. 1245 ff.; Amtl. Bull. NR, 1998, S. 2662 f.38
[39] SGT, 26.9. und 30.9.98; Presse vom 1.10., 13.10., 15.10., 16.10. und 29.10.98.39
[40] NZZ, 2.7.98.40
[41] Presse vom 26.2., 25.3., 30.4. und 1.5.98. Siehe dazu auch die Ausführungen von BR Koller in Amtl. Bull. NR, 1998, S. 1588 ff. und 1680 sowie in TA, 7.4.98.41
[42] Amtl. Bull. NR, 1998, S. 2467 ff.42
[43] Amtl. Bull. NR, 1998, S. 217 f.43
[44] NLZ, 26.3., 24.4. und 30.6.98; Presse vom 8.5., 9.5., 12.5. und 16.5.98; Bund, 15.5., 25.6. und 10.7.98; SZ, 14.5.98; SGT, 20.5.98; WoZ, 30.7.98; BZ, 10.9.98. Im Kanton Zürich forderte das bürgerlich dominierte Parlament die Regierung ohne Wenn und Aber auf, allen jungen Bosnierinnen und Bosniern bis zum Ende ihrer Ausbildung Aufenthalt zu gewähren (Presse vom 25.8.98). Zur Frage der unfreiwilligen Rückkehren generell und zur uneinheitlichen Praxis in den Kantonen siehe die Ausführungen des BR in Amtl. Bull. NR, 1998, S. 1154 und 2259 ff.44
[45] Presse vom 4.3., 6.3., 10.3., 11.3., 20.3., 9.6., 10.6., 13.6., 20.6., 15.7. und 17.9.98. Siehe dazu die Stellungnahme des BR zu zahlreichen parlamentarischen Interventionen (Amtl. Bull. NR, 1998, S. 418 f., 422 f., 569 f., 784 f., 1039 f., 1050 ff., 1149 ff., 1281 f., 1670, 1672 ff., 1677 ff. und 2259 ff. Als sich die Lage im Balkan im Laufe des Sommers immer weiter zuspitzte, erfolgten allerdings auch viele freiwillige Ausreisen von Kosovaren, die sich der Widerstandsarmee ihres Landes anschliessen wollten (LT, 15.6.98).45
[46] TG, 3.11. und 20.11.98; Presse vom 11.11., 12.11., 14.11. und 21.11.98; NZZ, 23.11.98. Diese Vorschläge waren ein erstes Resultat der parteiübergreifenden Gespräche von CVP, FDP, SP – und mit etwas zögerlichem Einstieg – SVP, welche SP-Präsidentin Koch Mitte Oktober unter dem Arbeitstitel ”Koalition der Vernunft” angeregt hatte (SoZ, 11.10.98; LT, 12.10.98; Presse vom 14.10. und 29.10.98; Bund, 17.10.98; BaZ, 20.10.98). Gegen seinen Willen war der BR, der Umwandlung in ein Postulat beantragt hatte, durch eine Motion Ruffy (sp, VD) bereits in der Frühjarssession vom NR aufgefordert worden, eine internationale Kosovo-Konferenz in der Schweiz zu organisieren (Amtl. Bull. NR, 1998, S. 378 ff.). Einen Tag nach Annahme der Motion schlug die Schweiz dem Ständigen Rat der OSZE vor, diese Konferenz auf ihrem Territorium durchzuführen (NZZ, 6.3.98). Die OSZE erachtete das Angebot der Schweiz als interessant, aber im damaligen Zeitpunkt noch als verfrüht (Amtl. Bull. NR, 1998, S. 2261). Der StR überwies die Motion als Postulat (Amtl. Bull. StR, 1998, S. 637 ff.).46
[47] TA, 17.10. und 1.12.98; LT, 19.10. und 20.10.98; NZZ, 26.10.98; Bund, 3.11. und 3.12.98. Auch die grosse Mehrheit der kant. Justiz- und Polizeidirektoren sprach sich gegen eine Unterbringung bei Verwandten und Bekannten aus (SGT, 7.11.98).47
[48] Presse vom 6.1. und 8.1.98; NQ, 9.1., 13.1. und 21.1.98; BaZ, 19.2.98; LT, 25.5.98. Siehe dazu auch die Ausführungen des BR in Amtl. Bull. NR, 1998, S. 418, 1539 ff., 1587 f., 1645 f. und 2259 ff. sowie in Amtl. Bull. StR, 1998, S. 335 ff. und 1039 ff.48
[49] Lit. Leimgruber; WoZ, 4.6., 11.6. und 1.10.98; Presse vom 6.6.98. Als Vertreter der Landesregierung hatte sich BR Egli bereits 1986 für die Tätigkeit des ”Hilfswerks” entschuldigt. Für die Zahlungen des Holocaust-Fonds an ausländische Fahrende, welche in der Zeit des III. Reiches Opfer des Nazi-Regimes geworden waren, siehe oben, Teil I, 1a (Grundsatzfragen).49
[50] Presse vom 10.1.98.50
[51] Amtl. Bull. StR, 1998, S. 5 f., 12 und 28 ff.51
[52] Amtl. Bull. NR, 1998, S. 655 ff. und 660 ff.52
[53] Zu einem Zwischenbericht im StR vgl. Amtl. Bull. StR, 1998, S. 690. Die vorgenommenen Änderungen fielen zur Zufriedenheit der welschen Frauen aus, provozierten aber Proteste beim Leiter des französischsprachigen Übersetzungsdienstes der Bundesverwaltung (TG, 12.6.98).53
[54] Amtl. Bull. StR, 1998, S. 32 ff.54
[55] Amtl. Bull. NR, 1998, S. 656 ff.55
[56] Amtl. Bull. StR, 1998, S. 691, 1101 f. und 1339 ff.; Amtl. Bull. NR, 1998, S. 1756 ff., 2364 ff. und 2599 ff.56
[57] Presse vom 5.12.98.57
[58] Amtl. Bull. NR, 1998, S. 725 f.58
[59] Presse vom 26.5.98.59
[60] Presse vom 9.12. und 10.12.98.60
[61] Amtl. Bull. NR, 1998, S. 2827 f. Siehe dazu C. Boss, ”Schlichtungsstellen wenig genutzt”, in Plädoyer, 1998, Nr. 4, S. 9 f.61
[62] TA, 10.10. und 26.10.98.62
[63] Presse vom 16.12.98. Siehe SPJ 1997, S. 294 (FN 57).63
[64] Amtl. Bull. StR, 1998, S. 331 ff. In SPJ 1997, S. 295 wurde irrtümlicherweise geschrieben, die Motion sei vom NR mit 59:55 Stimmen abgelehnt worden; in Wirklichkeit wurde sie mit diesem Stimmenverhältnis angenommen.64
[65] Amtl. Bull. NR, 1998, S. 890 ff.; Amtl. Bull. StR, 1998, S. 701 f. Der BR hatte lediglich sagen wollen, Familien und Kinder seien besonders zu schützen (BBl, 1997, I, S. 595).65
[66] Lit. Bauer; Presse vom 25.2.98. Siehe dazu auch die Ausführungen des BR in Amtl. Bull. NR, 1998, S. 2251 f. Zu einer Untersuchung über die Auswirkung von Armut und Erwerbslosigkeit auf die Familien siehe oben, Teil I, 7b (Sozialhilfe).66
[67] TA, 29.7.98.67
[68] Amtl. Bull. StR, 1998, S. 319 ff. Siehe SPJ 1997, S. 297.68
[69] Amtl. Bull. NR, 1998, S. 1184 ff.69
[70] Amtl. Bull. StR, 1998, S. 708 ff.; Amtl. Bull. NR, 1998, S. 1316 f.70
[71] Amtl. Bull. NR, 1998, S. 1433 und 1635 f.; Amtl. Bull. StR, 1998, S. 760 und 839. Die Gesamtvorlage wurde im NR mit 149:1 Stimme angenommen, im StR einstimmig. Für eine Zusammenfassung der Änderungen, die das neue Scheidungsrecht bringt, siehe Lit. Freiburghaus.71
[72] Presse vom 15.7., 27.7., 28.7. und 17.10.98; NZZ, 28.8.98; TA, 10.10. 98.72
[73] Presse vom 15.12.98.73
[74] BBl,1998, S.3005 ff. und 5376 ff. (Stellungnahme BR). Vgl. SPJ 1997, S. 298.74
[75] Amtl. Bull. NR, 1998, S. 1989 ff.75
[76] Amtl. Bull. NR, 1998, S. 2019 f.76
[77] BBl, 1998, S. 2959 ff.; Presse vom 3.6.98; NZZ, 2.7. und 9.7.98; WoZ, 2.7.98. Die gleiche Gruppierung kündigte auch an, dass sie gegen den Beschluss des NR für eine Fristenlösung das Referendum ergreifen werde, falls der StR hier auch zustimmen sollte (Presse vom 6.10.98).77
[78] Amtl. Bull. NR, 1998, S. 1530 f. Diesen Auftrag hatte der BR bereits 1996 vom Parlament bekommen (SPJ 1996, S. 284). Nun drängte auch die FDP darauf, hier endlich vorwärts zu machen; Handlungsbedarf sah sie vor allem beim Familen-, Erb-, Steuer- und dem Ausländerrecht sowie bei den Sozialversicherungen (BZ, 30.11.98).78
[79] Amtl. Bull. NR, 19980, S. 697 ff.79
[80] Amtl. Bull. NR, 1998, S. 1765 ff., 2366 ff. und 2598 ff.; Amtl. Bull. StR, 1998, S. 692, 1102 und 1339 ff.80
[81] Amtl. Bull. StR, 1998, S. 54; Amtl. Bull. NR, 1998, S. 917 ff. und 1480 f. Siehe SPJ 1993, S. 239.81
[82] BBl, 1999, S. 513 ff.; Amtl. Bull. StR, 1998, S. 1258 ff.; N. Kocherhans, ”Kinderarbeit. Ein weiterer Schritt im Kampf gegen die schlimmsten Formen der Kinderarbeit”, in Die Volkswirtschaft, 1998, Nr. 9, S. 50-53.82
[83] Amtl. Bull. NR, 1998, S. 730 f. Für die strafrechtlichen Aspekte des Kindsmissbrauchs siehe oben, Teil I, 1b (Strafrecht).83
[84] Amtl. Bull. NR, 1998, S. 742 f. Vgl. auch ein ähnlich gelagerte Interpellation Langenberger (fdp, VD): ibid. S. 2870 f.84
[85] Amtl. Bull. StR, 1998, S. 32ff.; Amtl. Bull. NR, 1998, S. 655 ff.85
[86] Amtl. Bull. StR, 1998, S. 691 f.; Amtl. Bull. NR, 1998, S. 1756 ff.86
[87] Amtl. Bull. NR, 1998, S. 1794 ff.87
[88] BBl, 1998. S. 3964 ff.; SGT, 13.3.98 (Interview Suter); Presse vom 14.3. und 16.3. (nationale Kundgebung in Bern), 22.7., 4.8. und 19.8.98. Für das von Behindertenverbänden gegen die Revision der IV erfolgreich ergriffene Referendum siehe oben, Teil I, 7c (Invalidenversicherung).88
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