Année politique Suisse 2000 : Grundlagen der Staatsordnung / Institutionen und Volksrechte
 
Verwaltung
print
Informationspolitik
Im Frühjahr gab der Bundesrat seine Vorschläge für eine neue Informationspolitik der Verwaltung in die Vernehmlassung. Unter dem Titel Öffentlichkeitsprinzip sollen die Bürger grundsätzlich ein Recht auf den Zugang zu amtlichen Dokumenten erhalten und Informationen dazu verlangen dürfen. Allerdings soll dieses Recht nicht uneingeschränkt gelten. So kann es eingeschränkt werden, wenn durch die Transparenz die freie Willensbildung einer Behörde, die innere oder äussere Sicherheit des Landes oder weitere Interessen auf dem Spiel stehen. So würden etwa Stellungnahmen von Bundesämtern vor Bundesratsentscheiden erst nach dem Entscheid zugänglich, und die Stellungnahmen der Bundesräte zu diesen Geschäften weiterhin geheim bleiben [18].
top
 
print
Personal
Die Differenzbereinigung beim neuen Bundespersonalgesetz konnte in der Frühjahrssession abgeschlossen werden. Der Nationalrat stimmte dem Ständerat in den meisten strittigen Punkten zu, insbesondere auch bei dem von der Linken bekämpften Beschluss, dass bestimmte Personalkategorien gemäss Obligationenrecht angestellt werden können. In der Schlussabstimmung wurde das neue Gesetz vom Nationalrat mit 112:51 und vom Ständerat mit 36:5 Stimmen angenommen. Dagegen votiert hatten die Fraktionen der SP und der Grünen, wobei sich im Nationalrat elf SP-Abgeordnete aus der Deutschschweiz der Stimme enthielten [19].
Noch vor Abschluss der parlamentarischen Beratungen kündigte der VPOD das Referendum an. Zusammen mit der Dachorganisation Föderativverband des Personals öffentlicher Dienste ergriff er dieses dann auch und reichte es mit gut 87 000 Unterschriften ein. Unterstützung hatte er beim SGB und bei der SP gefunden [20].
Die Abstimmungskampagne vermochte keine grossen Wellen zu werfen. Dies war nicht nur in der Deutschschweiz so, wo die meisten Kantone für ihre Angestellten bereits früher ähnliche neue Regeln eingeführt hatten, sondern auch in der Westschweiz, wo analoge Bestrebungen in einigen Kantonen zu heftigen Protesten des Personals geführt hatten. Wie in der Deutschschweiz empfahlen auch in der Romandie sämtliche bürgerlichen Parteien und auch die Redaktionen der massgeblichen Zeitungen ein Ja. Gegen die Reform kämpften neben dem SGB und seinen Verbänden und der SP auch noch die Grünen [21], die Schweizer Demokraten und die PdA. Für die Gewerkschaften war dieses Gesetz ein Signal für den Sozialabbau nicht nur für das Personal des Bundes und seiner Betriebe (namentlich Post und SBB) sondern für alle Beschäftigten. Zudem sei durch die Flexibilisierung der Arbeitsbedingungen die Qualität und sogar die Existenz der öffentlichen Dienste (sog. Service public) gefährdet. Im speziellen kritisiert wurden die mit der Aufhebung des Beamtenstatus gelockerten Kündigungsbestimmungen und die Einführung von Leistungslohnkomponenten. Höhepunkt der Nein-Kampagne war eine am 4. November vom SGB in Bern organisierte Demonstration gegen Lohnabbau und gegen das Bundespersonalgesetz mit rund 20 000 Teilnehmenden [22]. Die Gewerkschaftsfront war aber nicht geschlossen. Der CNG und auch der Bundespersonalverband sprachen sich für eine Annahme des Gesetzes aus, welches ihrer Meinung nach eine modernere Personalpolitik des Bundes und vor allem auch die Einführung einer echten Sozialpartnerschaft mit Gesamtarbeitsverträgen erlaubt [23].
Die Volksabstimmung vom 26. November ergab eine Zweidrittelsmehrheit für das neue Gesetz. Einzig in den Kantonen Jura und Tessin überwogen, allerdings knapp, die Neinstimmen. Die Zustimmung fiel im Kanton Zug mit 78% am klarsten aus, in den meisten anderen Deutschschweizer Kantonen waren es etwas über 70%. Wesentlich knapper erfolgte die Annahme in den französischsprachigen Kantonen (50-60%) [24].
Bundespersonalgesetz
Abstimmung vom 26. November 2000

Beteiligung: 41,5%
Ja: 1 253 997 (33,2%)
Nein: 622 381 (66,8%)

Parolen:
Ja: FDP, CVP, SVP, LP, EVP, EDU, CSP, Lega; Economiesuisse (Vorort), SGV, SBV, CNG, Angestelltenverbände.
Nein: SP, GP (1*), SD, PdA; SGB.

* In Klammer Anzahl abweichender Kantonalsektionen
Die Vox-Analyse ergab, dass auch eine Mehrheit der Sympathisanten der SP und des SGB dem neuen Gesetz zugestimmt hatte, wobei in diesem Lager der bereits im Parlament festgestellte Graben zwischen Französisch- und Deutschsprachigen von der Basis bestätigt wurde [25].
top
 
print
Pensionskasse
Der Ständerat befasste sich als Zweitrat mit dem neuen Bundesgesetz über die Pensionskasse des Bundespersonals. In Abweichung vom Beschluss der grossen Kammer und gegen den Widerstand der Ratslinken beschloss er, die Gültigkeit des Leistungsprimats auf das Jahr 2006 zu begrenzen, danach soll das Beitragsprimat gelten. In der Differenzbereinigung kritisierte die Nationalratskommission dieses Vorgehen als taktisch ungeschickt. Da die Personalverbände und die Linke gegen diesen Wechsel opponieren, würde damit ein Referendum provoziert und die gesamte neue Rechtsordnung für die Pensionskasse gefährdet oder zumindest verzögert. Das Plenum übernahm ihren Vorschlag, im vorliegenden Gesetz das Leistungsprimat unbefristet beizubehalten, den Bundesrat aber mit einer Motion zu verpflichten, bis Ende 2006 mit einer Gesetzesrevision den Wechsel zum Beitragsprimat zu beantragen. Die Motion wurde gegen den Widerstand der SP, der Grünen und einer Minderheit der CVP überwiesen. Nachdem sich auch der Ständerat mit diesem Vorgehen einverstanden erklärt hatte (er überwies die Motion mit 29:6 Stimmen), wurde das neue Gesetz in der Sommersession einstimmig verabschiedet [26].
top
 
print
Organisation
Unter dem Namen NOVE-IT beantragte der Bundesrat dem Parlament einen Investitionskredit von 230 Mio Fr. für eine Reorganisierung der Informatik in der Bundesverwaltung. Vorgesehen sind insbesondere auch eine Zentralisierung der heute sehr heterogen strukturierten Informatikdienstleistungen und eine transparentere Kostenstruktur. Die angestrebten Effizienzsteigerungen sollen ab 2003 zu Kosteneinsparungen im Umfang von 130 Mio Fr. pro Jahr führen. Das Parlament stimmte dem Projekt ohne Widerspruch zu [27].
Unter dem Titel E-Schweiz resp. E-Switzerland verlangten eine vorberatende Nationalratskommission in Richtlinienmotionen und die FDP-Fraktion in einer Motion besondere Anstrengungen des Bundes zur Förderung der Anwendung der modernen Informationstechnologien und der entsprechenden Schulung. Speziell für den politischen Bereich wurde die Anbietung von Dienstleistungen der Verwaltung auf elektronischem Weg (sog. guichet virtuel) und die rasche Nutzung der neuen Technologien für die Ausübung der politischen Rechte (Abstimmen, Unterschriftensammeln) verlangt. Die einzelnen Vorschläge wurden zumeist in Postulate umgewandelt. In Motionsform gutgeheissen wurde die Forderung, Chancen und Risiken der elektronischen Form der politischen Beteiligung abzuklären [28]. Die Bundesverwaltung selbst war in diesem Bereich nicht untätig gewesen. So war das Informationsangebot auf Internet kontinuierlich ausgebaut worden, und als europäische Novität konnten die Bürgerinnen und Bürger die Fragebogen für die Volkszählung 2000 auf elektronischem Weg ausfüllen. Für die Entwicklung der beiden Bereiche „guichet virtuel“ und „e-voting“ setzte die Bundeskanzlei Arbeitsgruppen und mit den erforderlichen Ressourcen (29 Mio Fr. für 2001 und jeweils über 20 Mio Fr. für die beiden anschliessenden Jahre) ausgestattete Projektgruppen ein. Um eine Zweiteilung der Gesellschaft in Personen, welche diese neuen Informations- und Partizipationsmöglichkeiten nutzen können und solche ohne entsprechende Fähigkeiten, zu verhindern, möchte der Bundesrat auch die Ausbildungsmöglichkeiten verbessern. Zur Finanzierung derartiger Bildungsprojekte könnte seiner Ansicht nach ein Teil des Ertrags der überschüssigen Goldreserven der Nationalbank eingesetzt werden [29].
Der Bundesrat beantragte dem Parlament die Anpassung des Bundesgesetzes über die Rüstungsbetriebe an die neuen Rechnungsvorschriften für Konzerne. Das Geschäft war im Parlament an sich unbestritten. Nachdem im Nationalrat ein Antrag Fässler (sp, SG) abgelehnt worden war, die entstehenden Kosten dem VBS zu belasten, sprachen sich aber die SP und die Grünen in der Gesamtabstimmung dagegen aus [30].
 
[18] BaZ, NZZ und TA, 20.4.00. Vgl. SPJ 1998, S. 45. Siehe auch Lit. Farine-Hitz.18
[19] AB NR, 2000, S. 1 ff., 302 f. und 461 ff.; AB SR, 2000, S. 75 ff., 170 und 227; BBl, 2000, S. 2208 ff. Vgl. SPJ 1999, S. 40 f. Der BR gab zudem eine Stellungnahme zu den im Vorjahr von der GPK-NR gemachten Empfehlungen für die Nebenerwerbstätigkeit von Bundesangestellten ab (BBl, 2000, S. 4944 ff.; vgl. SPJ 1999, S. 41).19
[20] NZZ, 27.1., 15.2., 27.2., 6.4. und 17.4.00 (SP); AZ, 12.4.00 (SGB); BBl, 2000, S. 4638 f.20
[21] Die GP des Kantons Zürich gab allerdings die Ja-Parole aus (NZZ, 16.11.00).21
[22] Presse vom 30.9.-19.11.00. Für einen Überblick über die kantonalen Regelungen siehe TG, 8.11.00.22
[23] CNG: AZ, 12.4.00. Bundespersonalverband: NZZ, 7.9.00. In diesem Verband, der auch zum Föderativverband gehört, sind v.a. Angestellte der allgemeinen Bundesverwaltung organisiert. Zum ersten GAV des SBB-Personals siehe unten, Teil I, 6b (Chemins de fer).23
[24] BBl, 2001, S. 1141 ff.; Presse vom 27.11.00. Das Wallis verdankte seine knappe Mehrheit den zustimmenden deutschsprachigen Bezirken.24
[25] Sidler, Andreas e.a., Vox. Analyse der eidgenössischen Abstimmungen vom 26. November 2000, Zürich 2001.25
[26] AB SR, 2000, S. 78 ff., 336 f., 337 f. (Motion) und 479; AB NR, 2000, S. 507 ff., 514 f. (Motion) und 854; BBl, 2000, S. 3615 ff. Vgl. SPJ 1999, S. 41 f.26
[27] BBl, 2000, S. 1641 ff.; AB SR, 2000, S. 487 ff. und 721; AB NR, 2000, S. 1110 ff.; BaZ, 20.9.00.27
[28] AB NR, 2000, S. 769 (Richtlinienmotionen) und 1196 (FDP); AB SR, 2000, S. 655 (Richtlinienmotion).28
[29] Vgl. zur Strategie des BR die ausführliche Antwort auf eine Interpellation Briner (fdp, SH) in AB SR, 2000, S. 485 f. und Beilage III, S. 113 ff. Zur Volkszählung siehe oben, Teil I, 1b (Datenschutz und Statistik). Zu den Goldreserven siehe oben, Teil I, 1a. Zum Projekt e-Government siehe auch LT, 7.9.00 und TA, 11.9.00 sowie Lit. Gisler.29
[30] BBl, 2000, S. 2259 ff.; AB NR, 2000, S. 720 ff. und 1208; AB SR, 2000, S. 645 ff. und 721; BBl, 2000, S. 5146 f. Vgl. SPJ 1997, S. 43 f.30