Année politique Suisse 2006 : Infrastruktur und Lebensraum / Erhaltung der Umwelt
Natur- und Heimatschutz
Bei der
Glarner Hauptverschiebung im Grenzgebiet der Kantone St. Gallen, Glarus und Graubünden waren alte über jüngere Gesteine geschoben worden; das Phänomen ist als helle, scharfe Linie im Gestein über Kilometer sichtbar. Um die Chancen der Glarner Hauptverschiebung zu verbessern, Aufnahme ins UNESCO-Welterbe zu finden, präsentierte die Interessengemeinschaft eine neue, geologische Studie, welche alle wichtigen Überschiebungen der Erde nach verschiedenen Kriterien (landschaftlicher Wert, geomorphologischer Ausdruck, Bedeutung für die Wissenschaft) bewertet und den einzigartigen Wert der Gesteinsformation belegt. Eine Aufnahme ins UNESCO-Welterbe würde die 19 beteiligten Gemeinden, die drei Kantone und den Bund verpflichten, das Gebiet langfristig zu schützen
[36].
Die Rhätischen Bahnen und der Kanton Graubünden deponierten in Bern die Kandidatur der
Eisenbahnlinie Albula-Bernina als UNESCO-Weltkulturerbe. Die spektakuläre Schmalspurstrecke verbindet Thusis (GR) mit dem italienischen Tirano
[37].
Der Regierungsrat von Uri gab bekannt, er beabsichtige, die
alte Gotthard-Eisenbahnlinie ins Weltkulturerbe der UNESCO eintragen zu lassen. Eine Kandidatur sei allerdings frühestens 2010 möglich
[38].
Im Mai reichte die FDP Zürich ihre eidgenössische
Volksinitiative „Verbandsbeschwerderecht: Schluss mit der Verhinderungspolitik – Mehr Wachstum für die Schweiz!“ ein. Das Begehren verlangt, dass Umweltverbände keine Beschwerde mehr erheben können gegen Projekte, die bei Volks- oder Parlamentsabstimmungen auf Gemeinde-, Kantons- oder Bundesebene gutgeheissen worden waren. 16 Umweltverbände wehrten sich gegen den Vorwurf des Missbrauchs des Beschwerderechts. So hätten 2005 in 78% von 244 Verfahren Korrekturen zugunsten der Natur vorgenommen werden müssen. Im September gab der Bundesrat bekannt, er lehne die Volksinitiative ab und setze auf die Revision des Verbandsbeschwerderechts im Parlament
[39].
Im Herbst behandelte der
Nationalrat die das
Verbandsbeschwerderecht betreffenden
Änderungen des Umweltschutz- und des Heimatschutzgesetzes. Er folgte fast durchgehend den Beschlüssen der kleinen Kammer. Bei der Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) strich er mit 86:84 Stimmen jedoch die Bestimmung, wonach die Behörden parlamentarischen und Volksentscheiden explizit Rechnung zu tragen haben; mit diesem Passus hatte der Ständerat ein wichtiges Element der Initiative der FDP Zürich aufnehmen wollen. Bundesrat Leuenberger und die Kommissionsmehrheit bezeichneten es als selbstverständlich, dass das öffentliche Interesse und die Verhältnismässigkeit in die Beurteilung von Bauprojekten einfliessen. Ferner beschloss der Rat, ebenfalls abweichend von der Fassung der kleinen Kammer, dass die Behörden eine Vereinbarung zwischen Gesuchsteller und beschwerdeführender Organisation zu berücksichtigen haben, falls sie dem Verwaltungsverfahren entspricht. Eine Minderheit wollte solche Verfahren für ganz unzulässig, resp. unzulässig erklären, falls sie öffentliches Recht betreffen. Bei den Verfahrenskosten folgte der Nationalrat dem Ständerat, dass unterlegene Umweltorganisationen die Kosten für die Beschwerdeführung vor Bundesbehörden in jedem Fall zu tragen haben. Das Geschäft passierte die Gesamtabstimmung mit 146:7 Stimmen bei 24 Enthaltungen
[40].
In der
Differenzbereinigung verzichtete der Ständerat auf die Bestimmung, wonach die Behörden Parlaments- und Volksentscheide zu einem Bauvorhaben bei der UVP besonders berücksichtigen müssen. Somit bleiben Verfassung und Umweltrecht allein massgebend. Beim Artikel über die Vereinbarungen zwischen Baugesuchstellern und Organisationen setzte sich die kleine Kammer hingegen durch, wonach solche Absprachen als gemeinsame Anträge an die Behörde anzusehen sind. In der Schlussabstimmung billigte der Ständerat die Vorlage mit 33:1 Stimmen bei einer Enthaltung, der Nationalrat mit 176:13 Stimmen bei 2 Enthaltungen
[41].
Die Vereinigung „Helvetia nostra“ des Umweltschützers Franz Weber lancierte eine
Volksinitiative „gegen masslosen Bau umwelt- und landschaftsbelastender Anlagen“. Sie verlangt, dass umwelt- und landschaftsbelastende Anlagen wie Industrie- und Gewerbekomplexe, Steinbrüche, Flugplätze, Einkaufszentren, Anlagen zur Abfallverwertung und -beseitigung, Verbrennungs- und Kläranlagen, Sportstadien, Anlagen für Sport und Freizeit, Vergnügungsparks, Parkhäuser und Parkplätze nur erstellt und erweitert werden dürfen, wenn dafür aus bildungs- oder gesundheitspolitischer, natur- oder landschaftsschützerischer Sicht gesamtschweizerisch ein dringendes Bedürfnis besteht und die Nachhaltigkeit sichergestellt ist
[42].
Im Berichtsjahr räumten die Räte die letzten
Differenzen bei der Revision des Natur- und Heimatschutzgesetzes aus, welche die Rechtsgrundlage für die Errichtung von
Naturpärken schafft. So steht es dem Bund nicht frei, sondern er ist dazu verpflichtet, den Kantonen Finanzhilfen für die Schaffung neuer Natur- und Landschaftspärke mit nationalem Gütesiegel zu leisten. Die Kantone haben gemäss einer von der kleinen Kammer präzisierten Bestimmung das Mitwirkungsrecht der Bevölkerung in den betroffenen Gemeinden sicherzustellen. Die Vorlage passierte die Schlussabstimmung im Ständerat mit 44:0 Stimmen und im Nationalrat mit 149:32 Stimmen bei vier Enthaltungen; die ablehnenden Voten stammten von der SVP
[43].
Die im „
Netzwerk der Schweizer Parks“ zusammengeschlossenen Organisationen stellten anhand des Nationalparkprojekts Adula, des regionalen Naturparks Chasseral und des Naturerlebnisparks Sihlwald die drei auf Bundesebene vorgesehenen Parktypen vor. Im Juni eröffnete Bundesrat Deiss in Graubünden den Park Ela. Dieser ist mit 600 km2 dreimal so gross wie der Nationalpark – was der Fläche des Kantons Glarus entspricht –, erstreckt sich von Bergün im Albulatal bis nach Bivio im Savognin und umfasst 21 Gemeinden. 150 km2 sind für Waldasyle, Waldreservate oder Moorlandschaften vorgesehen. Insgesamt sind 30 Projekte für Naturparks in Planung
[44].
Diskussionslos genehmigte das Parlament ein Abkommen mit dem Fürstentum
Liechtenstein zur gegenseitigen Hilfeleistung bei Katastrophen oder schweren Unglücksfällen
[45].
Der Nationalrat lehnte eine parlamentarische Initiative Rey (sp, VS) im Vorprüfungsverfahren ab, welche gesetzliche Bestimmungen auf Bundesebene zum Schutz vor Naturgefahren und insbesondere vor Erdbeben verlangte. Obschon die
Erdbebengefahr in der Schweiz im weltweiten Vergleich als mässig bis mittel eingestuft werde, sei das Schadenspotenzial hoch; unter den Naturgefahren müssten Erdbeben als grösstes Risiko angesehen werden. Die Mehrheit des Rates war der Meinung, die Kantone seien durchaus fähig, derartige Katastrophen zu bewältigen, so dass kein weiterer Handlungsbedarf auf Bundesebene bestehe. Bundespräsident Leuenberger vertrat in der Presse die Ansicht, der Erdbebenschutz in der Schweiz müsse verbessert werden und wies auf die Bemühungen der Versicherungswirtschaft hin, eine obligatorische Erdbebenversicherung einzuführen
[46].
Obschon die Kantone seit 1991 den Auftrag haben,
Gefahrenkarten zu erstellen, sind erst 30% dieser Karten erstellt und nur 15% umgesetzt. Appenzell Innerrhoden, Glarus, Nid- und Obwalden haben bereits rund zwei Drittel der Gefahrenkarten angefertigt; dagegen sind die Kantone Jura, Waadt, Schwyz, Basel-Land, Aargau, St. Gallen und Thurgau mit ihrer Dokumentation stark im Verzug. Am weitesten fortgeschritten sind jene Kantone, die bisher am schwersten von Naturereignissen betroffen waren
[47].
Nach dem Nationalrat im Vorjahr stimmte auch der Ständerat einer Motion Wyss (sp, BE) zu, welche den Bundesrat auffordert, ein
meteorologisches Zwei-Stufen-Warnsystem zu etablieren, das eine präzise Unwetterwarnung der Bevölkerung, insbesondere bei Hochwassern und Stürmen, gewährleistet. Gemäss dem Bericht der UREK-SR verfüge MeteoSchweiz bereits über ein zweistufiges Warnsystem und warne die Behörden der Kantone und des Bundes vor Unwettern; die kantonalen Einsatzorgane des Bevölkerungsschutzes ergriffen die erforderlichen Massnahmen. Die Information der Bevölkerung sei ebenfalls Sache der Kantone, erfolge aber normalerweise über MeteoSchweiz. Handlungsbedarf bestehe bei der Schnittstelle zwischen MeteoSchweiz und den privaten Wetterstationen. Diese seien zwar interessiert, gefährliche und medienträchtige Wetterereignisse vorherzusagen, für die Bevölkerung sei es aber oft schwierig, zwischen der offiziellen Warnung und inoffiziellen Mitteilungen der privaten Stationen zu unterscheiden
[48].
Gegen den Antrag des Bundesrates überwies der Ständerat einstimmig eine Motion seiner UREK. Diese verlangt eine Sonderbotschaft, welche die Grundlage bildet für eine stärkere
finanzielle Unterstützung der vom Hochwasser 2005 betroffenen Kantone durch den Bund. Die Vorlage sei so auszugestalten, dass den am stärksten betroffenen Kantonen eine zumutbare Pro-Kopf-Belastung verbleibt. Bisher bezahlte der Bund 251 Mio Fr. an die Schäden an öffentlichen Gebäuden in der Höhe von 511 Mio Fr. Der Nationalrat lehnte eine ähnliche Motion hingegen ab
[49].
Mit der Revision der
Freisetzungsverordnung erliess der Bund erstmals ein nationales Verbreitungsverbot für einige Problempflanzen. Von den 20 Arten der „Schwarzen Liste“, die als gebietsfremde Pflanzen (invasive Neophyten) in der Schweiz eingedämmt werden sollten, fallen aber nur sechs unter das vorgesehene Verbot. Es handelt sich um jene Arten, welche auch wirtschaftliche Schäden verursachen und eine Gefahr für die Gesundheit darstellen: die Aufrechte Ambrosie, welche Allergien auslöst, den Riesenbärenklau, der bei Berührung Hautentzündungen bewirkt, das Schmalblättrige Greiskraut, das in der Landwirtschaft Probleme verursacht, sowie den Essigbaum, den Japanischen und den Sachalin-Knöterich
[50].
[36]
BüZ und
SGT, 1.9.06; vgl.
SPJ 2005, S. 172. Siehe auch die Antworten des BR auf die Interpellationen Cathomas (cvp, GR) und Teuscher (gp, BE) in
AB NR, 2006, S. 370 ff. sowie Beilagen III, S. 344 f.
[38]
LT, 1.2.06;
NZZ, 16.3.06.
[39]
BBl, 2006, S. 5887 f.; Presse vom 12.5., 31.5. und 14.9.06. Siehe auch oben, Teil I, 6c (Raumplanung). Zur Revision siehe unten.
[40]
AB NR, 2006, S. 1497 ff.; Presse vom 5.10.06; vgl.
SPJ 2005, S. 172 f.
[41]
AB SR, 2006, S. 970 ff., 1133 und 1264;
AB NR, 2006, S. 1821 ff. und 2044 f.;
BBl, 2007, S. 9 ff.; Presse vom 15.12.06. Abgeschrieben wurden die Motionen der SVP-Fraktion, Offenlegungspflicht für Beiträge an Nichtregierungsorganisationen, Scherer (svp, ZG), Abschaffung der UVP-Pflicht in der Landwirtschaft, Rutschmann (svp, ZH), Vereinfachung der UVP, der SP-Fraktion, Genehmigungsbedürftigkeit von Vereinbarungen in Verwaltungsverfahren, und Giezendanner (svp, AG), Ausschluss des VCS vom Verbandsbeschwerderecht (
AB NR, 2006, S. 1130, 1139, 1589 und 1593 sowie Beilagen IV, S. 114 f. und 128 f.).
[42]
BBl, 2006, S. 5233 ff.; Presse vom 10.5.06. Zur zweiten Volksinitiative von Helvetia nostra, „Schluss mit dem uferlosen Bau von Zweitwohnungen“, siehe oben, Teil I, 6c (Bodenrecht).
[43]
AB SR, 2006, S. 166 ff., 804 und 922;
AB NR, 2006, S. 1018 ff., 1496 und 1601;
BBl, 2006, S. 8429 ff.; Presse vom 5.10.06; vgl.
SPJ 2005, S. 173. Nach dem SR im Vorjahr überwies auch der NR eine Motion der UREK-SR betreffend Finanzhilfen für Pärke von nationaler Bedeutung (
AB SR, 2005, S. 1199;
AB NR, 2006, S. 1020); im Vorprüfungsverfahren abgelehnt wurden die vier parlamentarischen Initiativen der Fraktionen der CVP, der Grünen, der SP sowie von Hassler (svp, GR) betreffend die Errichtung von Natur- und Erlebnispärken (
AB NR, 2006, S. 2022 f. und Beilagen V, S. 36 ff.).
[44]
NZZ, 24.5.06;
CdT und
QJ, 6.6.06; vgl.
SPJ 2005, S. 173.
[45]
AB NR, 2006, S. 184;
AB SR, 2006, S. 769; vgl.
SPJ 2005, S. 68; siehe auch oben, Teil I, 2 (Relations bilaterales).
[46]
AB NR, 2006, S. 977 ff.; vgl.
SPJ 2005, S. 173 f.; Presse vom 5.9.06;
NZZ, 26.10. und 7.11.06;
AZ, 15.11.06.
[47]
SGT, 19.1.06;
TA, 20.1.06;
BaZ, 21.1.06.
[48]
AB NR, 2005, S. 1972;
AB SR, 2006, S. 729 und Beilagen IV, S. 67 f.
[49]
AB SR, 2006, S. 907 ff.;
AB NR, 2006, S. 1893 ff.; vgl.
SPJ 2005, S. 174. Zu den Massnahmen betreffend den Schutz vor Umwettern und die Leistungen des Bundes siehe die Antworten des BR auf die Interpellationen der grünen Fraktion, der SP-Fraktion, von Schenk (svp, BE), Leutenegger Oberholzer (sp, BL), Marty Kälin (sp, ZH), Büchler (cvp, SG), der UREK-NR sowie auf zwei Fragen Imfeld (cvp, OW) in
AB NR, 2006, Beilagen I, S. 346 ff., 349 ff., 379 f., 406 ff., 417 f. und 544 f. sowie Beilagen III, S. 336 ff. und 756 f.
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