Bei den Nationalratswahlen 2023 im Kanton St. Gallen strebten 311 Kandidierende auf 29 Listen einen von zwölf zu vergebenden Sitzen an; beides Rekordwerte. Vier Jahre zuvor waren es noch 255 Kandidierende auf 25 Listen gewesen. Der Anstieg ging vor allem auf die etablierten Parteien zurück, die mit Ausnahme der SVP jeweils mit mehreren Listen antraten – die Mitte gar mit 7 Unterlisten. Erstmals mit eigenen Listen dabei waren ausserdem Aufrecht St. Gallen sowie Mass-Voll. Der Frauenanteil auf den Listen betrug 39.6 Prozent und war damit 6.7 Prozentpunkte höher als bei den letzten Nationalratswahlen.

Vor vier Jahren – bei der sogenannten Klimawahl 2019 – hatten die CVP (heute die Mitte) und die SVP je einen Sitz verloren. Gewählt wurden stattdessen Franziska Ryser von den Grünen und Thomas Brunner von den Grünliberalen. Somit hatte die SVP 2023 4 Sitze, FDP, Mitte und SP je 2 Sitze und die Grünen und die Grünliberalen je einen Sitz zu verteidigen. Es wurden keine bedeutenden Veränderungen erwartet, zumal 11 der 12 Amtsinhaberinnen und Amtsinhaber erneut antraten und diese üblicherweise wiedergewählt werden. Zwar war Michael Götte von der SVP erst im April 2023 für Esther Friedli (svp, SG), die in den Ständerat gewählt worden war, nachgerückt. Dennoch erachteten die Medien seine Bestätigung für die wählerstärkste Partei im Kanton als reine Formalität.
Die Spekulationen der Medien konzentrierten sich nach dem Rücktritt des 2019 überraschend gewählten Klimatologen Thomas Brunner insbesondere auf den Sitz der Grünliberalen, auf den gemäss Medien insbesondere die Mitte und die SVP ein Auge warfen. Zur Verteidigung ihres Sitzes setzte die GLP mehrere Kantonsrätinnen und Kantonsräte auf ihre Liste, nicht jedoch den national bekannten Infektiologen Pietro Vernazza, wie es vor allem die Medien erwartet hatten.

Eine Premiere in St. Gallen gab es bezüglich den Listenverbindungen: Anstatt sich wie vor vier Jahren wieder mit der Mitte zusammenzuschliessen, beteiligte sich die GLP an der «Klima-Allianz» von SP und Grünen. Anders als etwa in Zürich, Zug oder Basel-Landschaft gingen FDP und SVP in St. Gallen keine Listenverbindung ein. Die SVP tat sich einzig mit der EDU zusammen, während die FDP auf überparteiliche Listenverbindungen verzichtete. Die Mitte verbündete sich mit der EVP.

Aufgrund der Transparenzregeln, die 2021 vom Parlament verabschiedet worden waren, mussten Kandidierende und Parteien erstmals ihre Wahlkampfbudgets über CHF 50'000 sowie Grossspenden über CHF 15’000 offenlegen. Von den St. Galler Kandidierenden für den Nationalrat wies Marcel Dobler (fdp) mit CHF 100’000 das grösste Budget auf und konnte sich damit gar mit den Budgets der Ständeratskandidierenden messen. Dicht dahinter rangierten der ehemalige Olma-Direktor Nicolo Paganini (mitte) mit CHF 90’000 und Michael Götte mit CHF 65’000. Markus Ritter (mitte) begründete sein Budget deutlich unter dem Grenzwert von CHF 50'000 damit, dass sein Bekanntheitsgrad gross genug sei und er deshalb keine zusätzliche Werbung brauche. Insgesamt überschritten nur vier Kandidatinnen und Kandidaten für den Nationalrat die CHF 50'000 Grenze – alle aus dem bürgerlichen Lager. Das höchste Budget aus dem links-grünen Lager für die Nationalratswahlen betrug CHF 12'000.

Wie in vielen Kantonen tat sich die SVP auch in St. Gallen als grosse Siegerin hervor: Sie konnte ihren Wähleranteil ausbauen (+3.2 Prozentpunkte, neu 34.5%) und holte den 2019 verlorenen Sitz zurück. Die grösste Partei im Kanton entsandte somit wieder fünf Vertreter nach Bern: Parteipräsident Walter Gartmann holte den fünften Sitz der SVP. Der Sitzgewinn ging wie von den Medien erwartet auf Kosten der GLP, die in fast allen St. Galler Gemeinden Wähleranteile einbüsste (insgesamt -1.5 Prozentpunkte, neu 5.8%). Die anderen elf bisherigen St. Galler Nationalrätinnen und Nationalräte schafften die Wiederwahl. Um ihren zweiten Sitz zittern musste allerdings auch die FDP, die ebenfalls Wähleranteile einbüsste (-0.6 Prozentpunkte, neu 14.4%) und ihren Sitz beinahe an die Mitte verlor. Die Mitte, die erstmals seit der Fusion aus BDP und CVP bei den Nationalratswahlen antrat, kam auf einen Wähleranteil von 18.8 Prozent. Die Medien berechneten, dass ihr eine Listenverbindung mit der GLP wohl den zusätzlichen Sitz eingebracht hätte. Den grössten Wähleranteil büssten die Grünen ein (-1.8 Prozentpunkte, neu 8.7%), sie konnten ihren Sitz jedoch verteidigen und stellten mit Franziska Ryser die Panaschierkönigin: Mit 47 Prozent parteifremder Stimmen entthronte sie diesbezüglich Markus Ritter (43.9% parteifremde Stimmen), der diese Statistik vor vier Jahren angeführt hatte. Die SP erzielte unverändert 12.7 Prozent der Wählerstimmen.
Obwohl keine Frau nicht wiedergewählt worden war, sank der Frauenanteil bei den Gewählten gegenüber den letzten Nationalratswahlen um 8.4 Prozentpunkte auf 33.3 Prozent. Dies deshalb, da Esther Friedli zwischenzeitlich in den Ständerat gewählt worden war und für sie ein Mann nachgerutscht war. Die Stimmbeteiligung betrug 44.6 Prozent (+2.7 Prozentpunkte im Vergleich zu 2019).