Volksinitiative „gegen Asylrechtsmissbrauch“

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Rund zweieinhalb Jahre nach ihrer gescheiterten Asylinitiative „gegen die illegale Einwanderung“, die vom Volk im Dezember 1996 mit rund 54% der Stimmen abgelehnt worden war, nahm die SVP einen zweiten Anlauf. An ihrer Delegiertenversammlung im Februar beschloss sie, noch vor den eidgenössischen Wahlen eine Volksinitiative „gegen den Asylmissbrauch“ zu lancieren. Die besondere Attraktivität der Schweiz als Fluchtdestination, die es mit allen Mitteln zu bekämpfen gelte, ortete die Partei im hohen Niveau der Sozial- und Fürsorgeleistungen. In diesem Sinn verlangte sie eine einheitliche gesamtschweizerische Gesetzesgrundlage für Fürsorgeleistungen; bei Missbräuchen des Asylrechts sollten diese Gelder drastisch gekürzt werden. Zudem wollte die SVP eine Drittstaatenregelung einführen, die es der Schweiz erlauben würde, Asylsuchende, die aus einem sogenannt „sicheren“ Drittland einreisen, ohne weitere Formalitäten zurückzuweisen. Die Partei sah dann aber ein, dass dieses Vorhaben wohl kaum praktizierbar wäre, weil damit kein einziger Flüchtling mehr an der Grenze ein Asylbegehren stellen könnte, da alle die Schweiz umgebenden Länder im Sinn der Menschenrechte sichere Staaten sind. Weil die SVP auch Einreisen auf dem Luftweg praktisch verunmöglichen möchte, kämen nur noch Asylgesuche auf einer Schweizer Botschaft in Frage. Bei der Lancierung ihrer Initiative im Mai krebste sie in diesem Punkt zurück und verlangte nur noch, dass jemand, der über ein sicheres Land eingereist ist, bis zur Ausschaffung einen „reduzierten Status“ erhält, der mit zusätzlichen Abstrichen bei den Fürsorgeleistungen „bestraft“ wird.

Die SVP reichte Ende Jahr ihre Volksinitiative „gegen Asylrechtsmissbrauch“ mit 107 438 gültigen Unterschriften ein. Das Begehren verlangt einheitliche Fürsorgeleistungen auf tiefem Niveau für alle Asylsuchenden, die Ausarbeitung einer konsequenten Drittstaatenregelung (Nichteintreten auf ein Asylgesuch, wenn eine Person über ein „sicheres“, d.h. menschenrechtlich unbedenkliches Land eingereist ist) sowie Massnahmen gegenüber Fluggesellschaften, welche ihre Kontrollaufgabe bei der Einreise ungenügend wahrnehmen. Wie Repräsentanten der SVP einräumten, würde namentlich durch die konsequente Drittstaatenregelung praktisch jedes Asylgesuch in der Schweiz verunmöglicht werden, da Einreisen auf dem Landweg nur über die als „sicher“ geltenden Nachbarländer erfolgen können.

Der Bundesrat empfahl dem Parlament, die Volksinitiative der SVP „gegen Asylrechtsmissbrauch“ ohne Gegenvorschlag zur Ablehnung, da sie nicht praktikabel sei und der Bundesrat verschiedene Forderungen bereits erfüllt habe oder daran sei, ihnen Rechnung zu tragen. Nach kurzer Debatte folgte ihm der Ständerat mit den geschlossenen Voten von CVP, FDP und SP mit 36 gegen 6 Stimmen. Als einziger SVP-Vertreter sprach sich der Berner Lauri gegen die Initiative aus.

Am 24. November kam die 2000 von der SVP eingereichte Volksinitiative „gegen Asylrechtsmissbrauch“ zur Abstimmung. Sie verlangte insbesondere, dass auf Asylgesuche von aus sogenannt sicheren Drittstaaten (zu denen alle die Schweiz umschliessenden Länder gehören) eingereisten Asylbewerbern nicht mehr eingetreten wird, und dass die Fürsorgeleistungen vom Bund einheitlich auf einem tiefen Niveau festgelegt und in der Regel nur als Sachleistung erbracht werden. Damit sollte nach Auffassung der SVP dem Umstand begegnet werden, dass immer mehr Arbeitssuchende und Kriminelle aus Südosteuropa oder der Dritten Welt das Asylrecht für eine illegale Einreise benutzen. Der Bundesrat und die Mehrheit des Parlaments empfahlen die Initiative zur Ablehnung, da die Initiative überholt sei und die strikte Drittstaatenregelung nicht umsetzbar oder sogar kontraproduktiv wäre, weil bei mangelnder Kooperation der Nachbarstaaten die nicht ins Asylverfahren aufgenommenen Personen auf unbestimmte Zeit in der Schweiz verbleiben würden. Bei einer Annahme bestünde zudem das Risiko, dass auch wirklich Verfolgte kein Asyl mehr erhalten würden, weshalb sie völkerrechtsmässig bedenklich sei.

Volksinitiative „gegen Asylrechtsmissbrauch“
Abstimmung vom 24. November 2002
Beteiligung: 48,1%
Ja: 1 119 342 (49,9%) / 10 5/2 Stände
Nein: 1 123 550 (50,1%) / 10 1/2 Stände
Parolen:– Ja: SVP, SD, EDU– Nein: FDP (3*), CVP, SP, GP, LP, EVP, PdA, CSP; Economiesuisse, SAGV; SGB, CNG; SBK, SEK; Caritas, SFH, Amnesty international, HEKS; Eidg. Ausländerkommission
*In Klammer Anzahl abweichender Kantonalsektionen

Die Vox-Analyse des Urnengangs zeigte, dass sich in der Frage der Annahme oder Ablehnung der Volksinitiative die Parteisympathien besonders stark auswirkten. Während die Anhängerschaft der SVP nahezu geschlossen (91%) hinter der Initiative ihrer Partei stand, wurde sie von den Sympathisanten der SP mit fast ebenso grosser Mehrheit abgelehnt (81%). Die Anhänger der beiden anderen Regierungsparteien folgten ebenfalls mehr (FDP, 66%) oder weniger deutlich (CVP, 54%) der Nein-Parole ihrer Partei. Die für Abstimmungen fast schon üblich gewordene Differenz zwischen Deutschschweiz und Romandie sowie die gesellschaftlichen Merkmale wirkten sich weniger aus als auch schon, obgleich die gesamte Romandie und das Tessin die Initiative verwarfen, während die Deutschschweiz (mit Ausnahme von Basel-Stadt, Bern, Luzern und Zug) ihr zustimmten. Einmal mehr zeigte sich aber in der Deutschschweiz ein Graben zwischen ländlichen Gebieten (59% Ja) und Grossagglomerationen (41%). Als Hauptmotiv für ihre Zustimmung zur Initiative nannten über 90% der Befragten die Unzufriedenheit mit der aktuellen Asylpolitik und den zuständigen politischen Behörden. 80% der Nein-Stimmenden hielten die Initiative für undurchführbar oder unmenschlich.