Die staatspolitische Kommission des Nationalrates reagierte 2008 mit einer parlamentarischen Initiative auf die damaligen Geschehnisse hinsichtlich Verletzung der Vertraulichkeit der Kommissionsberatungen und Aufhebung der Immunität einzelner Parlamentsmitglieder. (Zu den Debatten um den Entzug der Immunität siehe hier (2007) und hier (2008).) Wichtigster Vorschlag war, die Entscheidung über den Entzug der Immunität nicht mehr dem Rat zu überlassen, sondern dafür eine eigene Kommission einzusetzen. Die SPK-NR versprach sich damit sachlichere und weniger politische Entscheide sowie eine bessere Durchsetzung des Disziplinarrechts und der Vertraulichkeit der Kommissionsberatungen. Zudem stand die Aufhebung der relativen Immunität zur Debatte. Die relative Immunität betrifft strafbare Handlungen, die im Zusammenhang mit der amtlichen Stellung verübt werden. Nicht betroffen ist die absolute Immunität, also das Verbot, Ratsmitglieder aufgrund von Äusserungen im Rat zur Verantwortung zu ziehen. In der grossen Kammer war Eintreten umstritten. Sowohl die BDP- als auch die SVP-Fraktion stimmten dagegen, hatten aber gegen die Ratsmehrheit von 92 zu 77 Stimmen keine Chance. Der Rat sprach sich zuerst gegen die Schaffung einer Disziplinarkommission aus. Bei der Beratung zur Aufhebung der relativen Immunität bildeten sich drei Gruppen: Die Mehrheit der staatspolitischen Kommission und die Grüne Fraktion setzten sich für eine Abschaffung der relativen Immunität ein. Eine Präzisierung verlangte eine Minderheit der staatspolitischen Kommission um linke Ratsmitglieder, sowie eine Mehrheit der Rechtskommission: Relative Immunität sollte nur gewährt werden, wenn die strafbare Handlung einen ‚unmittelbaren‘ Bezug zum Mandat aufweist. Die SVP setzte sich für den Status Quo, also eine weitgehend unbegrenzte relative Immunität, ein. Letztlich setzte sich die Idee der einschränkenden Präzisierung durch. Hatte eine Disziplinarkommission eingangs der Debatte noch keine Chance, sprach sich die Mehrheit des Rates allerdings dann doch für eine ständige Immunitätskommission aus, die in Zukunft über Gesuche um Aufhebung der Immunität entscheiden soll, ohne dass die Ratsplena sich damit befassen müssen. Immunität würde dann aufgehoben, wenn die Kommissionen beider Räte zu einem übereinstimmenden Beschluss kämen. Im Ständerat war Eintreten nicht umstritten. Die kleine Kammer beschloss, die bereits bestehende Kommission für Rechtsfragen mit der Aufgabe der Immunitätsaufhebungsgesuche zu betreuen. Eine Differenz schuf die kleine Kammer allerdings hinsichtlich der Immunität der Bundesangestellten und des Bundesrates. Der Nationalrat hatte als Erstrat beschlossen, die Verfolgungsprivilegien der Bundesangestellten sowie die Unantastbarkeit von Bundesratsmitgliedern und Bundeskanzler aufzuheben: Bisher wurde Immunität auch bei privaten Verbrechen und Vergehen gewährt. Diese Regel wurde allerdings noch nie angewendet. Die kleine Kammer sprach sich gegen beide Aufhebungen aus. Die Differenzen wurden in der Folge bereinigt, indem der Nationalrat hinsichtlich der Beibehaltung der Verfolgungsprivilegien für Bundesangestellte nachgab und der Ständerat sich mit der Aufhebung der Unantastbarkeit der Regierungsmitglieder und des Bundeskanzlers einverstanden erklärte. In der Schlussabstimmung wurde die Vorlage im Nationalrat mit 129 zu 56 Stimmen und im Ständerat einstimmig (41 zu 0 Stimmen) angenommen.
- Mot-clés
- Date
- 30 septembre 2011
- Type
- Initiative parlementaire
- n° de l'objet
- 08.447
- Sources
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- Pa.Iv. 08.447: AB NR, 2011, S. 65 ff., S. 1063 ff., S. 1286 und S. 1867; AB SR, 2011, S. 359 ff., S. 581 f. und S. 705; Presse vom 3.3.11.
de Marc Bühlmann
Modifié le 20.02.2017
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