In seinem jährlichen Antisemitismusbericht sammelt und analysiert der Schweizerische Israelitische Gemeindebund (SIG) in Zusammenarbeit mit der Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus (GRA) seit 2008 antisemitische Vorfälle aus der deutschsprachigen, rätoromanischen und italienischsprachigen Schweiz. Die Vorfälle sammelt der SIG zum einen über eine interne Meldestelle, andererseits werden auch Fälle aufgenommen, über welche die Medien berichteten oder die der SIG selbst im Internet recherchierte. Als Grundlage nutzt der SIG dabei die Antisemitismusdefinition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA). Für die Westschweiz erstellt die CICAD einen eigenen Antisemitismusbericht, der jedoch methodisch vom Bericht des SIG abweicht.

Wie der Antisemitismusbericht 2023 aufzeigte, führte der Angriffskrieg der Hamas auf Israel vom 7. Oktober 2023 zu einem deutlichen Anstieg an antisemitischen Vorfällen in der Schweiz im Vergleich zum Vorjahr. In der realen Welt wurden mit 155 Fällen fast drei Mal mehr antisemitische Vorfälle registriert als noch 2022 (57 Fälle), wobei 114 dieser Vorfälle alleine in den letzten drei Monaten des Jahres stattfanden. Mehrheitlich handelte es sich dabei um Beschimpfungen (30%), Schmierereien (27%) und antisemitische Aussagen (25%), weniger verbreitet waren Plakate/Banner (6%) und Auftritte (5%). Auch dies sei gemäss Bericht eine starke Veränderung, da die Vorfälle 2022 noch hauptsächlich antisemitische Aussagen (96%) waren. Gemäss dem Bericht habe der SIG seit dem Start seiner Datenerhebung 2008 noch nie ein solches Ausmass und eine solche Heftigkeit an antisemitischen Vorfällen verzeichnet. Dies widerspiegelte sich insbesondere auch darin, dass 2023 zehn Tätlichkeiten stattfanden, wovon sechs im Oktober 2023 stattfanden (2022: 1 Tätlichkeit). Thematisch handelte es sich mehrheitlich um antisemitische Verschwörungstheorien (39.6%) und allgemeinen Antisemitismus (35.7%), während israelbezogener Antisemitismus stark zunahm (2023: 20%; 2022: 6.4%). Weniger oft war es eine Leugnung oder Banalisierung des Holocausts (4.7%). Auch online verzeichnete der Bericht mit 975 Vorfällen eine Erhöhung der Fallzahlen (2022: 853 Fälle), wobei auch hier knapp die Hälfte aller Vorfälle nach dem 7. Oktober stattfanden. 68% der antisemitischen Posts fanden auf Telegram statt (2022: 75%), wobei die Plattform gemäss Bericht weiterhin ein Ort sei, an dem antisemitische Aussagen möglich seien, ohne dass diese kritisiert oder gelöscht würden. Wie bereits in den Vorjahren zeichnete sich ab, dass Antisemitismus nicht nur von Links- und Rechtsextremen oder Musliminnen und Muslimen geäussert wird, sondern auch aus der «Mitte der Gesellschaft». Ebenfalls thematisiert wurden die teils antisemitischen Geschehnisse an den Schweizer Universitäten im Zuge des Nahostkonflikts. Positiv äusserte sich der SIG über den Entscheid des Bundesrates, ein Memorial für die Opfer des Nationalsozialismus einzurichten.

Auch in den Medien war der zunehmende Antisemitismus zwar das ganze Jahr über Thema, wurde aber ebenfalls besonders stark im Oktober 2023 diskutiert. Viele Jüdinnen und Juden äusserten gegenüber den Medien, dass sie mittlerweile aufgrund der Zunahme an antisemitischen Vorfällen darauf verzichten würden, sich öffentlich als jüdisch zu erkennen zu geben. Wie SIG-Präsident Ralph Lewin dem Tagesanzeiger zu Protokoll gab, sei an der ganzen Situation besonders belastend, dass Israel bis anhin immer der Ort gewesen sei, der für Jüdinnen und Juden als sicher galt, sollten sie sich anderorts nicht mehr wohl fühlen. Dieser Angriff, der gemäss Lewin «das grösste Massaker an Jüdinnen und Juden seit dem Holocaust» gewesen sei, habe diese Sicherheit vernichtet. Die jüdischen Gemeinden in Bern und Basel kritisierten gemäss Medien derweil ihre Kantonsregierungen dafür, dass sie den Angriff zu spät und zu zögerlich verurteilt und sich nicht sofort solidarisch gezeigt hätten.