Wie stark die FDP mit der SVP kooperieren oder aber sich von dieser abgrenzen solle, sorgt sowohl parteiintern als auch in den Medien immer wieder für Diskussionen. Rund um die eidgenössischen Wahlen 2023 gewannen diese Diskussionen an Intensität – zum einen im Zusammenhang mit den Listenverbindungen für die Nationalratswahlen, zum anderen aber auch im Kontext der Ständeratswahlen: In einer ganzen Reihe von Kantonen, in denen die SVP-Ständeratskandidaturen im ersten Wahlgang mehr Stimmen geholt hatten als jene der FDP, zog diese daraufhin ihre eigenen Kandidaturen zurück und empfahl für den zweiten Wahlgang stattdessen jene der SVP zur Wahl. Dies geschah mit dem Argument, im Bundeshaus müssten die bürgerlichen Kräfte gestärkt werden. Diese Strategie führte bei manchen FDP-Kantonalparteien zu internen Zerreissproben. Auch von ausserhalb der Partei wurde teilweise Kritik laut, die FDP lehne sich damit zu sehr an die SVP an und verprelle ihre moderaten Wählenden – umso mehr, als in einem Teil dieser Kantone der SVP keine linke Kandidatur gegenüberstand, sondern eine der Mitte oder der GLP.
So widersetzten sich die FDP-Frauen in Zürich ihrer kantonalen Mutterpartei und empfahlen den SVP-Kandidaten, der im zweiten Wahlgang gegen eine GLP-Kandidatin antrat, nicht zur Wahl, da sie sich in dessen Profil nicht wiederfänden. Ihr Entscheid für Stimmfreigabe war intern jedoch so kontrovers, dass als Reaktion einige Mitglieder aus der Zürcher FDP-Frauensektion austraten und ein Frauenkomitee zur Unterstützung des SVP-Kandidaten gründeten.
In Solothurn kritisierte der abtretende FDP-Nationalrat Kurt Fluri die Unterstützung seiner Partei für den SVP-Kandidaten, der im zweiten Wahlgang einer Kandidatin der SP gegenüberstand: Als Wirtschaftspartei dürfe die FDP nicht über die europa- und migrationspolitischen Positionen der SVP hinwegsehen. Aus der Solothurner Mitte, welche selbst auf eine Wahlempfehlung im zweiten Wahlgang verzichtet hatte, hiess es zudem in der Solothurner Zeitung, die FDP mache sich zur «Juniorpartnerin der SVP» und habe offensichtlich «nicht kapiert, dass es neben der Bruchlinie zwischen SP und Bürgerlichen auch eine solche zwischen Bürgerlichen und Rechtspopulisten gibt».
In Schaffhausen verzichtete die FDP-Kandidatin gemäss Medienberichten nicht ganz freiwillig auf einen zweiten Wahlgang, sondern wurde von der Parteispitze dazu gedrängt, weil diese dem in der SVP-Fraktion politisierenden parteilosen Amtsinhaber Thomas Minder bessere Wahlchancen einräumte. Parteiinterne Kritikerinnen und Kritiker sahen darin einen Glaubwürdigkeitsverlust für die Partei, und prominente Parteimitglieder schlossen sich entgegen der Parteiparole einem Komitee für den SP-Kandidaten an.
Im Aargau schliesslich hatte die FDP ihren eigenen Ständeratssitz schon im ersten Wahlgang sichern können. Vor dem zweiten Wahlgang ging es darum, ob die Mitte- oder die SVP-Kandidatur unterstützt werden sollte. Die Parteileitung entschied sich für die SVP, was sie mit grösseren inhaltlichen Überschneidungen als bei der Mitte-Kandidatin und dem Wunsch nach einer «ungeteilten bürgerlichen Standesstimme» begründete. Auch hier äusserten einzelne prominente Parteimitglieder öffentliche Kritik an diesem SVP-freundlichen Kurs.
Dass letztlich in keinem dieser vier Kantone die Wahl des jeweiligen SVP-Kandidaten gelang, gab den Kritikerinnen und Kritikern in der FDP zusätzlichen Auftrieb. Die zurückgezogene Schaffhauser Ständeratskandidatin Nina Schärrer (SH, fdp) etwa befand im Blick, die FDP brauche wieder «mehr Rückgrat» und dürfe sich nicht «immer nur als Juniorpartner der SVP positionieren», sonst «verlieren wir unser liberales Profil». Und mit Thierry Burkart (AG, fdp) stellte gegenüber den Medien auch der Präsident der FDP Schweiz, der für die Nationalratswahlen die Listenverbindungen mit der SVP unterstützt hatte, die Strategie der betreffenden Kantonalparteien in Frage: «Im Zweifelsfall» solle man bei Ständeratswahlen selbst antreten, denn «nur wer antritt, kann eine Wahl gewinnen». Für die Zukunft forderte er, dass die nationale Parteizentrale ein Mitspracherecht bekommen solle, wenn die Kantonalparteien über Ständeratskandidaturen und Listenverbindungen entscheiden.