In seinem Bericht in Erfüllung eines Postulats Bulliard-Marbach (mitte, FR) hielt der Bundesrat im Oktober 2022 fest, dass die Schweiz mittlerweile zu den wenigen verbliebenen Staaten in Europa gehöre, die ein Verbot von Gewalt in der Erziehung beziehungsweise die Förderung einer gewaltfreien Erziehung nicht gesetzlich verankert habe. Von den 27 EU-Staaten verfügten lediglich Italien, die Slowakei, Tschechien und Belgien über keine entsprechenden Bestimmungen, wobei Belgien bereits Arbeiten aufgenommen habe. Dennoch vertrat die Regierung die Ansicht, dass keine zusätzlichen gesetzlichen Regelungen zum Schutz der Kinder vor Gewalt notwendig seien. Mit der 1978 erfolgten Abschaffung des Züchtigungsrechts im Rahmen des neuen Kindesrechts sowie mit dem aus dem Völkerrecht resultierenden generellen Verbot der Gewalt an Kindern und den bestehenden verfassungsrechtlichen und strafrechtlichen Bestimmungen bestünden ausreichende Schutzmassnahmen. Viel wichtiger als neue gesetzliche Bestimmungen seien Sensibilisierungsmassnahmen und «ein ausgebautes Kinder- und Jugendhilfesystem». Der Bundesrat wies in seiner Auslegeordnung jedoch auch darauf hin, dass Sensibilisierungsmassnahmen zusammen mit einem expliziten gesetzlichen Verbot «in einzelnen Staaten mittelfristig zu einer positiven Veränderung im Erziehungsverhalten der Eltern und zu einer Senkung der Gewaltakzeptanz geführt» hätten.
Würde man die gewaltfreie Erziehung explizit im Zivilgesetzbuch (ZGB) festschreiben wollen – dies verlangte die Postulantin den Bundesrat zu prüfen – sähe der Bundesrat als potentiell mehrheitsfähige Lösung die Etablierung einer programmatischen Norm in den ZGB-Bestimmungen zur elterlichen Erziehung. Eine solche Lösung würde keinen direkten Rechtsanspruch für das Kind schaffen und hätte somit keine Veränderung oder Infragestellung der Funktionsweise der KESB oder der Strafverfolgungsbehörden zur Folge. Die Eltern würden in ihrer Erziehungsfreiheit somit nicht eingeschränkt. Vielmehr würde eine solche Bestimmung präventiv wirken und Leitbildcharakter aufweisen, was ergänzt durch Massnahmen zur Erleichterung des Zugangs zu Stellen mit Beratungs- und Hilfsangeboten, die gewünschte Wirkung zeigen könnte, so der Bundesrat. Unter der gewaltfreien Erziehung verstand der Bundesrat neben einer Erziehung ohne Anwendung von körperlichen Strafen auch eine Erziehung ohne den Einsatz von «anderen Formen entwürdigender Gewalt».