Bundesrat Celio zog zwei Konsequenzen aus dem Abstimmungsergebnis. Einmal kündigte er unmittelbar nach Bekanntwerden des Resultats eine neue Vorlage an. Diese lag im Dezember bereits vor. Sie verzichtete auf die mittelfristigen Strukturreformen, war bis 1980 befristet und sah für natürliche Personen bei der direkten Bundessteuer (DBST) einen leicht erhöhten Höchstsatz von 9.5 Prozent vor. Damit die Vorlage im Sommer 1971 bereits vor das Volk kommen könne; wurde angekündigt, der Ständerat werde sich in einer ausserordentlichen Session im Januar, der Nationalrat im Frühjahr damit befassen. Weil auch dieses beschleunigte Vorgehen es nicht erlaube, bei der West die erhöhten Sozialabzüge rechtzeitig in Kraft zu setzen, wurde ein nach Steuerbetrag gestaffelter Rabatt von 5 bis 25 Prozent vorgesehen. Die anderen wesentlichen Punkte wurden aus der verworfenen Vorlage übernommen. Die zweite Konsequenz betraf das Budget 1971.

Nachdem die Vorlage für eine neue Bundesfinanzordnung im November 1970 am Ständemehr gescheitert war, legte der Bundesrat einen neuen Entwurf vor. Einerseits sollte damit die kalte Progression beseitigt, anderseits dem Bund zusätzliche Einnahmen erschlossen werden. Auf die umstrittenen mittelfristigen Strukturreformen wurde verzichtet, und damit waren die Maximalsätze für die Warenumsatzsteuer (Wust) und die Wehrsteuer (West) wieder in die Verfassung aufgenommen. Für die Wust wurden Höchstsätze von 4 für Detail- und von 6 Prozent für Engroslieferungen vorgesehen; bei der West der natürlichen Personen wurde die Höchstbelastung, um der Opposition von links entgegenzukommen, auf 9.5 Prozent angesetzt anstelle der 9 Prozent in der abgelehnten Vorlage. Im Bedarfsfalle sollten die Höchstsätze beider Steuern durch Bundesbeschluss, der dem fakultativen Referendum unterliegt, bis zu einem Zehntel erhöht werden können. Für die nach dem Tarif geschuldete West war eine Ermässigung von 5 Prozent vorgesehen, die durch nicht dem Referendum unterstehendem Bundesbeschluss aufgehoben werden kann. Somit betrug die Flexibilität bei der West insgesamt 15 Prozent. Auch eine Befristung der neuen Ordnung, und zwar bis Ende 1980, war vorgesehen. Da aus administrativen Gründen die erhöhten Sozialabzüge bei der West erst auf den 1. Januar 1973 zu verwirklichen waren, schlug der Bundesrat an deren Stelle für die Steuerperiode 1971/72 einen Staffelrabatt von 25 Prozent auf den ersten CHF 100 und von 15 Prozent auf den nächsten CHF 400 Jahressteuer vor. Schliesslich sah auch die neue Vorlage vor, den Anteil der Kantone an der Verrechnungssteuer von bisher 6 auf 12 Prozent zu erhöhen. Dieser neue Satz sollte allerdings erst auf 1. Januar 1972 in Kraft gesetzt werden können.

Im Ständerat, der die neue Finanzordnung in einer Sondersession im Januar 1971 behandelte, erfuhr die Vorlage kaum Änderungen. Einzig die Befristung wurde bis 1982 ausgedehnt. Der Nationalrat änderte die Finanzvorlage in der Frühjahrssession nur noch in zwei Punkten ab: Bei der West wurde der Abzug vom Erwerbseinkommen der Ehefrau von CHF 1'000 auf CHF 2'000 erhöht und die Auflage, die kalte Progression auszugleichen, in eine imperativere Formulierung gekleidet. Alle anderen Abänderungsanträge wurden abgelehnt: Das gilt für die Anträge auf Verzicht auf eine sachliche Fixierung der Biersteuer, für die Einführung einer Minimalsteuer für nicht gewinnstrebende Genossenschaften, für einen Zusatz, der eine Harmonisierung der kantonalen Steuergesetze anstrebte, für eine getrennte Veranlagung des Erwerbseinkommens der Ehefrau, für eine Erhöhung des Staffelrabattes bei der West auf 30 Prozent sowie für eine Streichung des Artikels, der eine Erhöhung des Anteils der Kantone am Ertrag der Verrechnungssteuer vorsah. Am heftigsten umstritten waren die Höchstsätze der West. Aber auch der namentlich von sozialdemokratischer und unabhängiger Seite unterstützte Antrag, diese Höchstgrenze auf 12 statt auf 9.5 Prozent festzusetzen, unterlag mit 93 zu 62 Stimmen. In der Gesamtabstimmung nahm der Nationalrat die Vorlage mit 110 zu 19 Stimmen an.

Die Oppositionsgruppe rekrutierte sich aus den Kreisen der PdA und des Landesrings. Die ersten stellten der Finanzvorlage, die sie als «Reform für die Reichen» bezeichneten, ein prinzipielles Nein entgegen. Die zweiten begründeten ihre Ablehnung mit Mängeln der Vorlage. Sie kritisierten das Fehlen von Ansätzen zu einer Steuerharmonisierung, die mangelnde Rücksicht auf die arbeitenden Ehefrauen, den Verzicht auf jede Reform und auch die «Privilegierung der Reichen». Schliesslich lehnte auch die EVP die Finanzordnung ab, und zwar weil der Bundesrat den Bierbrauern bei der Regelung der Biersteuer «ungerechtfertigte Sonderrechte» eingeräumt habe. Alle übrigen bedeutenden schweizerischen Parteien, Verbände und Gruppierungen empfahlen den Stimmbürgern, ein Ja in die Urne zu legen. Sie taten dies ohne grosse Begeisterung und im Bewusstsein, dass für grössere Reformen, wie sie von den Parteien in ihren Wahlprogrammen postuliert wurden, keine tragfähige Mehrheit zu finden war. Die Abstimmung vom 6. Juni warf keine hohen Wellen. Sie ergab einen komfortablen Stimmenüberschuss (930'878 Ja, 348'702 Nein) für die Vorlage. Kein einziger Stand lehnte sie ab. Das nochmalige Absinken der Stimmbeteiligung auf 37 Prozent wurde teilweise der erstmaligen Teilnahme der Frauen an einem eidgenössischen Urnengang zugeschrieben. Das Aktionskomitee für die Rechte von Volk und Ständen in Steuersachen, das im November 1970 die damalige Vorlage mit einer Gegeninitiative bekämpft hatte, sah seine Ziele erreicht und verzichtete auf die Einreichung des Volksbegehrens.


Abstimmung vom 06. Juni 1971

Beteiligung: 37.76%
Ja: 930'878 (72.75%) / Stände: 19 6/2
Nein: 348'702 (27.25%) / Stände: 0

Parolen:
- Ja: CVP, FDP, LPS, SD, SPS, SVP.
- Nein: EVP, LdU, PdA.