Am 24. November kam die 2'000 von der SVP eingereichte Volksinitiative «gegen Asylrechtsmissbrauch» zur Abstimmung. Sie verlangte insbesondere, dass auf Asylgesuche von aus sogenannt sicheren Drittstaaten (zu denen alle die Schweiz umschliessenden Länder gehören) eingereisten Asylbewerbern nicht mehr eingetreten wird, und dass die Fürsorgeleistungen vom Bund einheitlich auf einem tiefen Niveau festgelegt und in der Regel nur als Sachleistung erbracht werden. Damit sollte nach Auffassung der SVP dem Umstand begegnet werden, dass immer mehr Arbeitssuchende und Kriminelle aus Südosteuropa oder der Dritten Welt das Asylrecht für eine illegale Einreise benutzen. Der Bundesrat und die Mehrheit des Parlaments empfahlen die Initiative zur Ablehnung, da die Initiative überholt sei und die strikte Drittstaatenregelung nicht umsetzbar oder sogar kontraproduktiv wäre, weil bei mangelnder Kooperation der Nachbarstaaten die nicht ins Asylverfahren aufgenommenen Personen auf unbestimmte Zeit in der Schweiz verbleiben würden. Bei einer Annahme bestünde zudem das Risiko, dass auch wirklich Verfolgte kein Asyl mehr erhalten würden, weshalb sie völkerrechtsmässig bedenklich sei.
In der Abstimmungskampagne wurde die Initiative nur gerade von der SVP und den kleinen Rechtsaussenparteien (Lega, SD, EDU) unterstützt. CVP, FDP (mit Ausnahme der Sektionen der Kantone SG, TG und AG), SP, GP, LP, EVP, alle Unternehmerverbände und Gewerkschaften, die kirchlichen Organisationen und die Hilfswerke lehnten sie ab. Selbst SVP-Bundesrat Schmid (svp/udc, BE) distanzierte sich deutlich von der Initiative. Zu Wort meldete sich auch das UNHCR: gemäss seinen Richtlinien sei es unakzeptabel, die Anträge von Asylsuchenden nur auf Grund ihres Fluchtwegs zurückzuweisen. Trotz dieser breiten Gegnerschaft geriet der Ausgang der Abstimmung zu einer absoluten Zitterpartie und zum knappsten je registrierten Abstimmungsergebnis, seit es das Initiativrecht gibt: Erst die letzten Auszählungen im Kanton Zürich zeigten im Lauf des Abends, dass die Initiative trotz erreichtem Ständemehr von einer äusserst knappen Mehrheit der Stimmbürgerinnen und Stimmbürger abgelehnt wurde. Am deutlichsten war die Zustimmung in den Kantonen Glarus, Schwyz, Thurgau, St. Gallen und Appenzell-Innerrhoden, am schwächsten in den Kantonen Genf, Jura, Waadt, Wallis und Neuenburg.
Abstimmung vom 24. November 2002
Initiative «gegen Asylrechtsmissbrauch»
Beteiligung: 48.1%
Ja: 1'119'342 (49.9%) / Stände: 10 5/2
Nein: 1'123'550 (50.1%) / Stände: 10 1/2
Parolen:
– Ja: SVP, SD, EDU, FPS, KVP, Lega.
– Nein: FDP (3*), CVP, SP, GP, LP, EVP, PdA, CSP; Economiesuisse, SAGV; SGB, CNG; SBK, SEK; Caritas, SFH, Amnesty international, HEKS; Eidg. Ausländerkommission (EKA).
– Stimmfreigabe: SBV, SGV.
* In Klammer Anzahl abweichender Kantonalsektionen
Die Vox-Analyse des Urnengangs zeigte, dass sich in der Frage der Annahme oder Ablehnung der Volksinitiative die Parteisympathien besonders stark auswirkten. Während die Anhängerschaft der SVP nahezu geschlossen (91%) hinter der Initiative ihrer Partei stand, wurde sie von den Sympathisanten der SP mit fast ebenso grosser Mehrheit abgelehnt (81%). Die Anhänger der beiden anderen Regierungsparteien folgten ebenfalls mehr (FDP, 66%) oder weniger deutlich (CVP, 54%) der Nein-Parole ihrer Partei. Die für Abstimmungen fast schon üblich gewordene Differenz zwischen Deutschschweiz und Romandie sowie die gesellschaftlichen Merkmale wirkten sich weniger aus als auch schon, obgleich die gesamte Romandie und das Tessin die Initiative verwarfen, während die Deutschschweiz (mit Ausnahme von Basel-Stadt, Bern, Luzern und Zug) ihr zustimmten. Einmal mehr zeigte sich aber in der Deutschschweiz ein Graben zwischen ländlichen Gebieten (59% Ja) und Grossagglomerationen (41%). Als Hauptmotiv für ihre Zustimmung zur Initiative nannten über 90% der Befragten die Unzufriedenheit mit der aktuellen Asylpolitik und den zuständigen politischen Behörden. 80% der Nein-Stimmenden hielten die Initiative für undurchführbar oder unmenschlich.