Anfang 2022 lancierte ein Komitee aus Corona-Massnahmen-kritischen Kreisen die eidgenössische Volksinitiative «Volk und Stände entscheiden über dringlich erklärte Bundesgesetze!». Das Begehren verlangt ein obligatorisches Referendum 100 Tage nach dem Beschluss dringlich erklärter Bundesgesetze.
Die Bundesversammlung kann Gesetze für dringlich erklären, wenn sie ohne Aufschub gelten sollen. Dies war 2020 bis 2022 etwa beim Covid-Gesetz und seinen Revisionen der Fall. Dringliche Bundesgesetze müssen befristet werden. Liegt die entsprechende Geltungsdauer unter einem Jahr, tritt das entsprechende Gesetz ausser Kraft. Ist die Geltungsdauer länger oder wird sie vom Parlament verlängert, kann das Referendum gegen das Gesetz ergriffen werden, wenn es eine Verfassungsgrundlage dafür gibt, oder gibt es ein obligatorisches Referendum, wenn das dringliche Gesetz keine Verfassungsgrundlage hat. Lehnt die Bevölkerung in einer obligatorischen oder fakultativen Referendumsabstimmung ein dringliches Gesetz ab, so tritt dieses nach einem Jahr ausser Kraft. Wird das Gesetz gutgeheissen, bleibt es so lange in Kraft, wie die beschlossene Frist, bzw. die Verlängerung, dies vorsieht.
Die Initiative fordert nun, dass auch dringliche Bundesgesetze, die auf weniger als ein Jahr befristet sind oder die über eine Verfassungsgrundlage verfügen, 100 Tage nach dem Parlamentsbeschluss in einer obligatorischen Abstimmung automatisch der Bevölkerung vorgelegt werden. Das Komitee argumentierte mit der Entmachtung des Stimmbürgers, die mit Notrecht herbeigeführt werde. In der NZZ wurde argumentiert, dass ein nachträgliches Referendum mit grösserer Wahrscheinlichkeit zu einer Unterstützung des Gesetzes führe als ein normales «aufschiebendes» Referendum, weil man sich bereits an eine Regel gewöhnt habe. Bis nämlich heute über ein Referendum zu einem dringlichen Bundesgesetz abgestimmt werden könne, vergehe meist fast ein Jahr. Bundesrat und Parlament würden dies ausnutzen, um Tatsachen zu schaffen. Seit dem Jahr 2000 seien 47 Bundesgesetze für dringlich erklärt worden, 12 davon während der Covid-19-Pandemie, berichtete die Weltwoche.
In der NZZ und der Weltwoche kam auch der Initiant des Begehrens, Alexandre Zindel, zu Wort. Er sei politisch ein unbeschriebenes Blatt und erhoffe sich keine Unterstützung von Parteien, weil diese «nicht ernsthaft an der Stärkung der Volksmitsprache interessiert» seien. Die Initiative hätte ursprünglich den Namen «Giacometti-Initiative» erhalten sollen in Erinnerung an den Staatsrechtler Zaccaria Giacometti, der während des Zweiten Weltkriegs das damalige Vollmachtenregime des Bundesrats kritisiert hatte. Obwohl Zindel einen entfernten Verwandten von Giacometti als Präsidenten des Initiativ-Komitees hatte gewinnen können und sich davon mehr Erfolg für den Namen der Initiative erhofft hatte, lehnte die Bundeskanzlei den vorgeschlagenen Initiativnamen ab. Das Begehren heisst offiziell «Volk und Stände entscheiden über dringlich erklärte Bundesgesetze!».
Die EDU, «Aufrecht Schweiz», die «Freunde der Verfassung» und die «Freiheitstrychler» sagten in der Folge ihre Unterstützung für die Initiative zu, deren Sammelfrist bis zum 25. Juli 2023 läuft.