Neue Finanzordnung 2004 (BRG 02.078)

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Im Sommer überwies der Ständerat eine Motion der CVP-Fraktion (Mo. 99.3548) aus dem Nationalrat, welche ein Gesamtkonzept für die Erneuerung der Bundesfinanzen forderte, als Postulat. Da die Kompetenz des Bundes, eine Mehrwertsteuer (MWSt) und eine direkte Bundessteuer zu erheben (die beiden Steuern machen 60% der Bundeseinnahmen aus) bis Ende 2006 befristet ist, gab der Bundesrat bereits im September einen Entwurf für eine neue Finanzordnung in die Vernehmlassung. Ziel ist es, die wichtigsten Einnahmenquellen des Bundes ohne Steuererhöhungen sicherzustellen, die Verfassung aufgrund verschiedener Entscheide der eidgenössischen Räte nachzuführen und das Steuersystem zu verbessern. Unter anderem soll der 1996 eingeführte MWSt-Sondersatz für den Tourismus von 3,6% auf den Normalsatz von 7,6 % angehoben und die Verbilligung der Krankenkassenprämien aus Mitteln der MWSt dauerhaft in der Verfassung verankert werden. Nach der Abstimmungsniederlage bei den Energievorlagen im September 2000 verzichtete der Bundesrat jedoch auf eine Steuerreform mit ökologischen Anreizen.

Ende Jahr präsentierte der Bundesrat seine Botschaft für eine Neue Finanzordnung; sie entsprach dem im Vorjahr in die Vernehmlassung gegebenen Entwurf. Die Vorlage beinhaltet insbesondere die Aufhebung der Befristung der direkten Bundessteuer und der Mehrwertsteuer sowie die Streichung des Sondersatzes von 3,6% im Tourismusbereich. Letzterer sei eine strukturpolitisch motivierte Finanzhilfe, die nicht in das Steuersystem gehöre. Da der Sondersatz umstritten ist – in ihrer Stellungnahme hatten sich die Hotellerie und die Tourismuskantone für seine Beibehaltung ausgesprochen –, soll separat darüber abgestimmt werden. Nach der Ablehnung der Energielenkungsabgabe verzichtete der Bundesrat auf eine Steuerreform mit ökologischen Anreizen. In der Vernehmlassung hatten sich vor allem economiesuisse und die Bankiervereinigung, aber auch der Strassenverkehrsverband gegen die definitive Verankerung der direkten Bundessteuer ausgesprochen. Der Schweizerische Treuhändlerverband und die SVP plädierten gar für die Abschaffung der direkten Bundessteuer.

In der Sommersession behandelte der Ständerat als Erstrat die Neue Finanzordnung und hiess im wesentlichen die Vorschläge des Bundesrates gut. In zwei Punkten hielt er jedoch an der bisherigen Regelung fest: Damit das Volk weiterhin regelmässig über die Einnahmen befinden kann, limitierte er das Recht der Regierung, die direkte Bundessteuer und die MWSt zu erheben, dehnte die Frist allerdings von 12 auf 14 Jahre aus – der Bundsrat hatte die Befristung aufheben wollen. Ausserdem beharrte der Ständerat auf dem MWSt-Sondersatz von 3,6% für die Hotellerie und überführte ihn in ordentliches Verfassungsrecht; bis anhin war er in den Übergangsbestimmungen der BV geregelt gewesen. Der Rat argumentierte, die umliegenden Länder würden den Tourismus ebenfalls mit einem MWSt-Sondersatz fördern. Aufgrund dieses Entscheides trat der Ständerat nicht auf die zweite Vorlage betreffend den Sondersatz der MWSt für Beherbergungsleistungen ein.

Im Nationalrat bedauerten Grüne und EVP in der Eintretensdebatte, dass im Rahmen der neuen Finanzordnung keine Ökosteuern auf nicht erneuerbaren Energien vorgesehen waren. In der Detailberatung lehnte die grosse Kammer sowohl den Antrag Baader (svp, BL), den Höchstsatz der Gewinnsteuer für Unternehmen auf 8% zu senken, als auch den Antrag Strahm (sp, BE) für einen unveränderten Höchstsatz von 9,8% ab; sie folgte dem Vorschlag des Bundesrates, den Höchstsatz bei 8,5% festzusetzen. Ebenfalls chancenlos blieben zwei Anträge der SVP, die für jede neue zusätzliche Steuerbelastung eine Kompensation bei einer anderen Steuer verlangt hatte resp. eine Erhöhung der MWSt mit einer Senkung der direkten Steuern hatte kompensieren wollen, um die Steuerquotenneutralität zu gewährleisten und so die Staats- und Fiskalquote in den Griff zu bekommen. Gegen die Stimmen der Linken befürwortete der Nationalrat wie zuvor der Ständerat die Möglichkeit der unbefristeten Fortführung des Hotellerie-Sondersatzes. Mit 80:75 Stimmen folgte er ferner einem Minderheitsantrag Pelli (fdp, TI), die Verwendung des nicht zweckgebundenen Ertrags der MWSt für die Entlastung der unteren Einkommensschichten und nicht speziell für die Verbilligung der Krankenkassenprämien allein festzulegen. Bei der Befristung der Finanzordnung bis 2020 schloss sich die grosse Kammer mit 80:67 Stimmen dem Ständerat an. Das Gesetz passierte die Gesamtabstimmung mit 114:19 Stimmen.

In der Frühlingssession bereinigten die Räte die letzten Differenzen bei der neuen Finanzordnung und schrieben in der Verfassung fest, dass grundsätzlich 5% des nicht zweckgebundenen Mehrwertsteuerertrages für die Prämienverbilligung der Krankenkassen eingesetzt werden sollen, sofern das Gesetz nicht eine andere Verwendung zur Entlastung der unteren Einkommensschichten festlegt. Die Vorlage passierte die Schlussabstimmung in beiden Räten einstimmig.

Die Vorlage zur neuen Finanzordnung wurde im Vorfeld der Abstimmung kaum bekämpft. Einzig die politisch unbedeutende Partei der Arbeit und drei Kantonssektionen der SVP (SG, VS, ZG) gaben die Nein-Parole heraus.

Abstimmung vom 28. November 2004

Beteiligung: 36,8%
Ja: 1 258 895 (73,8%) / 19 6/2 Stände
Nein: 446 662 (26,2%) / 1 Stand

Parolen:
– Ja: CVP, FDP, SP, SVP (3*), GP, LP, CSP, EDU, EVP, FP, Lega, SD; ZSA, economiesuisse, SGV, SBV, SGB, Travail.Suisse.
– Nein: PdA.
* In Klammer Anzahl abweichender Kantonalsektionen


Am 28. November 2004 stiess die neue Finanzordnung bei einer grossen Mehrheit der Stimmenden (73,8%) und allen Kantonen ausser Zug (51% Nein) auf Zustimmung. Die Vox-Analyse zeigte auf, dass eine deutliche Mehrheit der Stimmbevölkerung keine Ahnung hatte, um was es bei der Vorlage ging. Manche glaubten, sie bilde einen Teilaspekt der Neugestaltung des Finanzausgleichs und der Aufgabenteilung (NFA), über die sie am selben Wochenende zu befinden hatten. Auf den Abstimmungsentscheid hatte dies jedoch keine Auswirkungen: Nichtinformierte stimmten exakt gleich wie die wenigen, welche sich mit dem Inhalt der neuen Finanzordnung befasst hatten. Die schlechten Kenntnisse und die Verwechslung mit der NFA führten dazu, dass die Einstellung zu letzterer zum wichtigsten Bestimmungsgrund für den Entscheid über die neue Finanzordnung wurde. Wer der NFA zustimmte, hiess zu 92% auch die neue Finanzordnung gut; wer die NFA ablehnte, votierte zu 65% ebenfalls gegen die Finanzordnung. Wie bei der NFA waren auch bei der Finanzordnung die Einkommensverhältnisse das einzige soziale Merkmal, das die Stimmabgabe beeinflusste; am deutlichsten war die Zustimmung bei Personen in gutsituierten Haushalten.