Kandidaturen und Listen - Eidgenösissche Wahlen 2011

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Obwohl die bürgerliche Zusammenarbeit nicht mehr so gut funktionierte wie vor vier Jahren, nahm die Anzahl an Listenverbindungen zu. 2011 kam es zu total 135 Verbindungen verschiedener Parteien (ohne Unterlistenverbindungen). 2007 lag diese Zahl bei 116 (inklusive der 5 Verbindungen der damals noch nicht fusionierten FDP und LPS). Die hohe Zahl war insbesondere den taktischen Verbindungen der GLP (28 Verbindungen mit acht unterschiedlichen Parteien) und der BDP (29 Verbindungen mit sechs unterschiedlichen Parteien) geschuldet. Die Erfolge gaben den beiden Parteien zwar recht – nicht weniger als sechs Sitze der GLP wären ohne Listenverbindungen nicht zu Stande gekommen – die rein strategischen und wenig inhaltlichen Verbindungen stiessen hingegen auch auf Kritik. Verzerrungen im Sinne von Differenzen zwischen nationaler Wählerstärke und Sitzanteilen sind bei Nationalratswahlen normal und auf unterschiedliche Wahlkreisgrössen mit unterschiedlich hohen Wahlhürden sowie auf die Möglichkeit von Listenverbindungen zurückzuführen. Es ist dann jeweils von Proporzglück oder Proporzpech die Rede, was je nachdem als stossend oder gar „ungerecht“ empfunden wird. So büssten etwa die Grünen mit einem Verlust von 1,2 Wählerprozenten ganze fünf Sitze ein, während die SP mit einem ähnlichen Verlust von 0,8 Wählerprozenten drei Sitze zulegen konnte. In den Kantonen waren die Verzerrungen teilweise noch extremer. So konnten die Grünen etwa im Kanton Basel-Stadt mit 13,4% mehr als doppelt so viele Wählerinnen und Wähler hinter sich vereinen als die Baselstädtische CVP (6,5%). Trotzdem verloren die Grünen ihren Sitz und die CVP konnte – dank geschickter Listenverbindung – einen Sitz gewinnen. Die Unterschiede in der Wahlkreisgrösse und die inhaltlichen und taktischen Listenverbindungen führten bei den Wahlen 2011 zu folgenden nationalen Verteilungen. Proporzglück hatte, wie schon mehrfach in der Vergangenheit, die SP, die 18,7% der Wähleranteile aber 23% der Sitze für sich gewinnen konnte. Auch die CVP war – gemessen an ihrem Wähleranteil (12,3%) im Nationalrat übervertreten (14% der Sitze). Proportionaler war die Vertretung der SVP (26,6% Wähleranteil und 27% Sitzanteil) und der FDP (15,1% Wähleranteil und 15% Sitzanteil). Auch die GLP profitierte von ihren Listenverbindungen (5,4% Wähleranteil und 6% Sitzanteil), während die BDP (5,4% Wähleranteil und 4,5% Sitzanteil) und die Grünen (8,4% Wähleranteil und 7,5% Sitzanteil) eher Proporzpech zu beklagen hatten. In den Medien wurde die Prüfung eines alternativen Wahlsystems angemahnt, mit dem diese Verzerrungen kleiner und taktische Listenverbindungen nicht mehr möglich wären. Mit dem so genannten doppelten Pukelsheim hätten auch kleinere Parteien in kleinen Wahlkreisen bessere Wahlchancen, was sich auch positiv auf den Wettbewerb auswirken würde. Mit diesem auch in einigen Kantonen schon eingeführten System werden die Sitze in einem ersten Schritt aufgrund nationaler Wählerstärken verteilt, bevor sie im zweiten Schritt auf Listen umgerechnet werden.

Schweizweit am meisten Kandidierende stellte die FDP (445 Personen auf 49 Listen), gefolgt von der SP (433 Personen, 49 Listen), der CVP (396 Personen, 46 Listen), den Grünen (391, 40 Listen) und der SVP (390 Personen, 47 Listen). Für die GLP kandidierten etwas weniger Personen (241, 21 Listen) als für die EVP (243, 18 Listen) und die BDP war mit weniger Kandidierenden vertreten (151, 16 Listen) als die EDU (164, 13 Listen). Die PdA trat mit 100 Kandidierenden auf sechs Listen an und für die SD kandidierten 72 Personen ebenfalls auf sechs Listen. Die CSP präsentierte 35 Kandidierende auf vier Listen und die Lega portierte 8 Kandidierende auf einer Liste. Die restlichen 389 Kandidaten stammten von anderen, kleineren Gruppierungen, die mit total 49 Listen vertreten waren.

Die häufigste Art von Unterlisten waren altersspezifische Listen. Rund ein Viertel aller Listen waren entsprechend Jugendlisten (95) oder Seniorenlisten (5). Regionallisten gab es total 38. Getrennte Frauen- und Männerlisten waren ausser Mode geraten: Es gab nur noch 5 Geschlechterlisten, 2007 waren es noch 22. Einen Boom erlebten auch die internationalen Listen.

Bei den Wahlen im Herbst kam es zudem zu zahlreichen Doppelkandidaturen und Wechselabsichten: 27 amtierende Nationalrätinnen und Nationalräte kandidierten 2011 sowohl für den Nationalrat wie auch für den Ständerat. Drei amtierende Nationalräte kandidierten neu lediglich für die kleine Kammer und ein amtierender Ständerat wollte in die grosse Kammer gewählt werden.

Wie vor vier Jahren kam es in praktisch allen Kantonen mit mehr als einem Nationalratssitz zu einer Listenverbindung zwischen der SP und den Grünen. Einzig im Tessin und im Aargau fanden sich Sozialdemokraten und GP nicht. Die einst fast traditionelle bürgerliche Allianz zwischen FDP, CVP und SVP war hingegen nur noch im Kanton Waadt anzutreffen. Die FDP hatte sich – im Gegensatz zu 2007 – von der SVP losgesagt. Vor vier Jahren gab es noch in nicht weniger als neun Kantonen (ZH, BE, BS, BL, AG, TG, VD, NE, JU) Verbindungen zwischen Freisinn und Volkspartei. Während die SVP 2011 in acht Kantonen mit der EDU und im Tessin mit der Lega alliierte, suchte die FDP Partnerinnen in der Mitte. Fündig wurde sie dabei allerdings lediglich drei Mal in der BDP (SO, NE, SZ) und vier Mal in der CVP (ZG, SH, NE, GE). In allen anderen Kantonen wagte der Freisinn einen Alleingang und begründete dies damit, dass er das liberale Potenzial nicht verwässern wolle. Heiss umworben als Listenpartner waren die beiden neuen Herausforderinnen BDP und GLP, die verschiedenste Zweckbündnisse mit der CVP, der EVP, aber auch der FDP eingingen. Ein Thema in der Presse waren dabei insbesondere die Gespräche zwischen CVP und BDP, bei denen auch taktische Momente hinsichtlich des BDP-Bundesratssitzes vermutet wurden. Im Kanton Aargau verband sich die GLP mit den Grünen und im Kanton Graubünden zusätzlich noch mit der SP. Im Grossen und Ganzen zeichneten die Listenverbindungen in den Kantonen taktische Einigung bei der Linken, eine gespaltene Rechte und eine relativ bunte Mitte nach.

Einen neuen Rekord stellte auch die Zahl der kandidierenden Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer dar: 69 Kandidierende auf 14 separaten Listen und 6 Einzelkandidaturen wurden eingereicht (2007: 44 Kandidierende). Vor allem die etablierten Parteien entdeckten das Potenzial der Wählerschaft im Ausland, lebt doch rund jeder zehnte Schweizer Wahlberechtigte ausserhalb seines Heimatlandes. Insbesondere die SVP (8 Listen mit 43 Kandidierenden in AG, BS, GE, GR, SH, SO, SZ, ZH) und die SP (3 Listen mit 14 Kandidierenden in GE, SH, ZH), aber auch die CVP (2 Listen mit 6 Kandidierenden in AG, GE) und die Grünen (1 Liste mit 6 Kandidierenden in GE) versuchten das Potenzial zu nutzen. Keiner der Kandidierenden, die vorwiegend aus Frankreich (20) und Deutschland (10) stammten, schaffte allerdings die Wahl.

Der Trend zu immer mehr Kandidierenden auf immer mehr Listen hielt auch bei den Wahlen 2011 an. Berücksichtigt man lediglich die Kantone mit mehr als einem Sitz (alle ausser UR, OW, NW, GL, AI, AR) bewarben sich insgesamt 3458 Personen auf total 365 Listen für die verbleibenden 194 Nationalratssitze (2007: 3089 Personen auf 311 Listen). Die Zunahme der Listen war dabei nicht primär einer Zunahme von politischen Gruppierungen, sondern der Strategie der Parteien geschuldet, die zahlreiche Unterlisten präsentierten. Für die sechs Sitze in den Kantonen mit Einerwahlkreis wurden insgesamt 14 Kandidaturen eingereicht. Auch für den Ständerat nahm die Zahl der Bewerbungen zu. Insgesamt kandidierten für die ersten Wahlgänge 152 Personen (2007: 142).

Gegenläufig zur starken Zunahme der Zahl an Listen und Kandidierenden war der Frauenanteil unter der Anwärterschaft auf einen Sitz im Bundeshaus. Waren 2007 insgesamt noch 35,2% aller für den Nationalrat Kandidierenden Frauen, lag dieser Anteil 2011 noch bei 32,8%. Der höchste Kandidatinnenanteil fand sich im Kanton Genf (37,6%) und am wenigsten Frauen kandidierten im Kanton Schaffhausen (23,8%). Der traditionell niedrigere Frauenanteil in der kleinen Kammer (im Vergleich zum Nationalrat) spiegelte sich auch bei den Ständeratskandidaturen wieder: Lediglich 19,1% der Kandidierenden für die ersten Wahlgänge waren Frauen. Damit kam es auch bei den Ständeratswahlen zu einem Rückgang im Vergleich zu den ordentlichen Wahlen von 2007 (22,5%). Die Frauenanteile variierten stark zwischen den Parteien. Waren bei der SP 46,6% der Kandidierenden Frauen, betrug dieser Anteil bei der CVP 34,3%, bei der FDP 24,5% und bei der SVP 18,5%. Der höchste Frauenanteil kandidierte bei den Grünen (48,6%). Die GLP (31,5%) und die BDP (20,5%) reihten sich hinsichtlich ihres Frauenanteils bei den Kandidierenden in der Mitte ein.

Auch aufgrund der zahlreichen Jugendlisten war das Durchschnittsalter der Kandidierenden mit 40,5 leicht tiefer als bei den Wahlen 2007 (41 Jahre). Männliche Kandidaten waren dabei durchschnittlich nur unwesentlich älter als die Kandidatinnen (Männer: 41 Jahre, Frauen 39 Jahre). Rund 200 Kandidierende waren zwischen 18 und 20 Jahre alt. In der Kategorie zwischen 20 und 30 Jahren fanden sich weit über 1000 Personen. 54 Kandidatinnen und Kandidaten waren älter als 70 Jahre, der älteste mit Jahrgang 1928.

Die gewachsene Anzahl an Kandidierenden für die kleine Kammer bedeutete auch verstärkten Wettbewerb. War es bei den Ständeratswahlen 2007 noch in fünf Kantonen zu stillen Wahlen (NW, OW) oder zu Wahlen ohne Herausforderer (AR, GL, UR) gekommen, war dies für die Ständeratswahlen von 2011 nur noch in zwei Kantonen der Fall (AR, NW). In nicht weniger als 13 Kantonen mussten zweite Wahlgänge entscheiden, weil sich die Stimmen in den ersten Umgängen zu stark verteilten, und so die absoluten Mehrheiten nicht von zwei Kandidaten erreicht wurden. Auch dies kann – im Vergleich mit 2007, als es in acht Kantonen zu zweiten Wahlgängen kam – als Indiz für einen zunehmenden Wettbewerb um die Sitze in der kleinen Kammer gedeutet werden.

Unter den Kandidierenden fanden sich einige prominente Quereinsteiger. In Bern trat der Fernsehmoderator Matthias Aebischer für die SP an und wollte es seinen Vorgängern Filippo Leutenegger (fdp, ZH, 2011 wiedergewählt), Maximilian Reimann (svp, AG, 2011 wiedergewählt), Anton Schaller (ldu, ZH, bis 1999) oder Werner Vetterli (svp, ZH, bis 1999) gleichtun, die ebenfalls den Sprung vom Fernsehstudio in die Politik geschafft hatten. Ein ehemaliger Skirennfahrer (Paul Accola, svp, GR), ein Herzchirurg (Thierry Carrel, fdp, BE), der Präsident der Ärzteverbindung FMH (Jacques de Haller, sp, BE) ein Kriminologe (Martin Kilias, sp, AG) und der parteilose Vater der Abzocker-Initiative (Thomas Minder, SH) wollten von ihrer Bekanntheit Profit ziehen und direkt in die nationale politische Arena einsteigen. Zudem lächelten einige bekannte Köpfe von den Wahlplakaten, die sich einen Wiedereinstieg erhofften, allen voran Christoph Blocher (svp, ZH) aber auch Alexander Tschäppät (sp, BE), Christoph Eymann (lp, BS), Silva Semadeni (sp, GR) oder die erste grüne Nationalrätin aus Solothurn, Marguerite Misteli.