Wie gut ist das politische System der Schweiz gegen Wahl- und Abstimmungsbetrug geschützt? Diese Frage stellte sich im Rahmen einer Gerichtsverhandlung Anfang Juli 2021, bei der sich der ehemalige Stadtschreiber von Frauenfeld wegen qualifizierten Wahlbetrugs verantworten musste. Die GLP hatte noch am Tag nach den Thurgauer Grossratswahlen 2020 aufgrund der Panaschierstatistik auf seltsame Resultate in der Kantonshauptstadt hingewiesen, worauf der Stadtschreiber persönlich die veröffentlichten Resultate überprüfte und diese bestätigte. Nachdem die GLP noch einmal insistierte, machte das Wahlbüro den Stadtschreiber darauf aufmerksam, dass die Zahlen darauf hindeuten würden, dass hundert Wahlzettel vergessen, verloren gegangen oder vertauscht worden sein müssen. Noch einmal überprüfte der Beamte die Zettel. Laut Anklageschrift fiel ihm bei dieser zweiten Kontrolle auf, dass 100 Wahlzettel der GLP wohl versehentlich auf dem Stapel der SVP gelandet waren. Er soll sodann realisiert haben, dass eine Korrektur zu einer Veränderung der Anzahl Sitze zu Lasten der SVP und zu Gunsten der GLP führen würde. Vermutlich um sein Gesicht als Verantwortlicher zu wahren, sei er anschliessend zur Fälschung geschritten – so die Anklageschrift: Er meldete lediglich einen der beiden falsch gezählten Stapel, vernichtete 100 Wahlzettel der GLP, trennte SVP-Listen aus vorrätigen Wahlbüchlein heraus und legte diese in den Stapel der SVP; laut Anklageschrift fanden sich diese Zettel alle hintereinander und waren nicht vollständig gefaltet, was den Betrug schliesslich auffliegen liess. Diese Zettel wiesen zudem im Gegensatz zu anderen kaum Fingerabdrücke und Gebrauchsspuren auf. Auf mindestens zwei Zetteln fanden sich zudem Fingerabdrücke des Stadtschreibers selber. Dies flog auch deshalb auf, weil die GLP in der Folge einen Wahlrekurs eingereicht und eine Nachzählung gefordert hatte. In der Tat erhielten die Grünliberalen aufgrund der nun korrekten Auszählung auf Kosten der SVP nachträglich einen zusätzlichen Sitz zugesprochen.

Der Angeklagte beteuerte seine Unschuld. Die beiden Richterinnen und der Richter des Bezirksgerichts Frauenfeld sahen sein Verschulden allerdings als erwiesen an und verurteilten ihn zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 12 Monaten und einer Busse von CHF 3'000. Ungeklärt blieb allerdings die Frage, ob die Stapel mit den 100 Wahlzetteln bereits zuvor in betrügerischer Absicht vertauscht worden waren. Der Angeklagte zog das Urteil auch deshalb ans Obergericht weiter. Nachdem dieses das Urteil bestätigte, gab der Angeklagte bekannt, auch das Bundesgericht noch anrufen zu wollen.

In den Medien, in denen der Fall grosse Aufmerksamkeit erhielt, gingen die Meinungen über die Sicherheit des politischen Systems auseinander. Während der Tages-Anzeiger vor «Sicherheitslücken» und «lächerlich tiefen» Standards warnte, wies die Aargauer Zeitung darauf hin, dass im Milizsystem auch Fehler passieren dürften. Umstritten war zudem, ob dieses Ereignis das Vertrauen in die Demokratie beeinträchtige. Der Tages-Anzeiger zitierte den Thurgauer Staatsanwalt Stefan Haffter, der von einem «rabenschwarzen Tag für die Demokratie» sprach. In der Aargauer Zeitung wurde freilich die Hoffnung laut, dass das Ereignis dazu führe, dass die Regeln für die lokalen Wahlbüros überdacht würden und damit das Vertrauen gestärkt werden könnte. Es sei vor allem nicht nachvollziehbar, dass der Stadtschreiber mehrmals alleine habe agieren können. Allerdings lehnte der Thurgauer Grossrat in der Folge eine Motion ab, mit der stärkere Kontrollen hätten eingeführt werden sollen.