Anfang April 2022 entschied das Bundesgericht letztinstanzlich, dass Kathrin Bertschy (glp, BE) Mutterschaftstaggeld zurückzahlen muss. Weil sie im März 2019, also wenige Wochen nach der Geburt ihrer Tochter, im Nationalrat abgestimmt habe, gelte ihr Mutterschaftsurlaub als abgebrochen. Die von ihr nachher bezogenen Taggelder für ihre freiberufliche Arbeit muss die Nationalrätin laut Gerichtsurteil deshalb zurückerstatten. Die Tätigkeit als Parlamentarierin gelte als «umfassende Arbeitsleistung» und das Erwerbsersatzgesetz sehe vor, dass der Anspruch auf Entschädigung erlösche, wenn die Arbeit wieder aufgenommen werde, so die Begründung des obersten Gerichts. Kathrin Bertschy hatte die Rückzahlungsforderung der Ausgleichskasse zuerst ans Berner Verwaltungsgericht und dann ans Bundesgericht weitergezogen.

Kathrin Bertschy zeigte sich ob des Urteils in den Medien enttäuscht. Damit würde Müttern mit Parlamentsmandat faktisch untersagt, ihre demokratischen Rechte auszuüben. Es gehe ihr nicht ums Geld – ihr hauptsächliches Einkommen stamme aus der Parlamentsarbeit und der zurückzuzahlende Betrag liege bei rund CHF 7'000, wusste die NZZ zu berichten –, sondern darum, Parlamentarierinnen auf kantonaler Ebene zu schützen, die unter Umständen hohe Einbussen hätten, wenn sie sich für ihre politischen Rechte statt für ihr Einkommen entscheiden würden. Zu diesem Entscheid würden sie gezwungen, «einfach, weil sie Mütter geworden sind», so Bertschy im Tages-Anzeiger.

Ebenfalls abgelehnt wurde vom Bundesgericht die Forderung Bertschys, dass die Taggelder nach Ende der Frühjahrssession 2019 wieder hätten ausgerichtet werden müssen. Das Gesetz sehe vor, dass die 14 Wochen Mutterschaftsurlaub am Stück zu beziehen seien, so das Bundesgericht in seinem Urteil. Es sei entmündigend, dass Mütter nicht selber entscheiden dürften, wie sie den Mutterschaftsurlaub aufteilten, hatte Bertschy vergeblich argumentiert.

Der Fall wird ein Nachspiel haben – nicht nur, weil sich der Frauenverband Alliance F überlegte, das Bundesgerichtsurteil vor dem europäischen Menschenrechtsgerichtshof anzufechten, sondern auch, weil sich das Parlament mit vier Standesinitiativen beschäftigte, die eine Regelung für eine bessere Vereinbarkeit von Mutterschaft und Parlamentsmandat forderten.

Dossier: Vereinbarkeit der Parlamentsarbeit mit Familie und Beruf