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Wirtschaft
Geld, Währung und Kredit
Les autorités donnent de nouveau la priorité à la stabilité monétaire intérieure, tout en soulignant l'importance du taux de change pour notre économie orientée vers les échanges extérieurs — Le président de la direction de la Banque nationale se déclare partisan des principes constitutifs de l'économie de marché — Les Chambres approuvent une prolongation de l'arrêté urgent sur la sauvegarde de la monnaie— Le succès de la politique flexible de la masse monétaire se traduit par un bas niveau de renchérissement — La dépendance vis-à-vis des marchés étrangers inflationnistes s'exprime dans les taux de change; le cours du franc à l'exportation progresse de plus de 17% en un an — Les interventions à perte coûteuses de la Banque nationale sur le marché des devises mettent en question la politique dite de flottement impure — La Suisse participe à des actions multinationales d 'aide financière — Malgré les résistances des créanciers, le taux d'intérêt baisse encore — L 'affaire de Chiasso du Crédit Suisse porte atteinte au renom des banques suisses, donne l'occasion d'une initiative socialiste sur les banques et provoque une discussion fondamentale sur l'expansion de la place financière suisse.
Geld- und Währungspolitik
Die Möglichkeiten zur monetären Steuerung der schweizerischen Wirtschaft sind mit dem Übergang zum Floating im Jahre 1973 bedeutend grösser geworden. Dennoch hat die autonome Geldpolitik, wie sie seit 1975 zielbewusst verfolgt wird, bislang nicht alle in sie gesetzten Erwartungen erfüllen können. Denn internationale Verflechtung und Auslandabhängigkeit unserer Volkswirtschaft stempeln jeden Versuch, die vielfältigen Schwierigkeiten einer konjunkturellen und strukturellen Umbruchphase im Alleingang meistern zu wollen, von vornherein zur Illusion. Zwar ist es auf der einen Seite in bemerkenswertem Masse gelungen, die Entwicklung der inländischen Geldmenge unter Kontrolle zu bringen und damit den Inflationstrend der sechziger und frühen siebziger Jahre zu brechen, doch auf der andern Seite tritt die Abhängigkeit vom Ausland nunmehr bei den Wechselkursen in Erscheinung. Marktkräfte und Spekulation treiben den Schweizerfranken in bisher ungeahnte Höhen, was die Wettbewerbsfähigkeit unserer Exportwirtschaft und damit den Werkplatz Schweiz zu gefährden droht. Welche Bedeutung in diesem Zusammenhang dem Finanzplatz Schweiz zukommt, ist brisantes Thema einer hitzig geführten Diskussion, der namhafte Bankskandale zusätzlichen Zündstoff verleihen [1].
In der Zielsetzung der Geldpolitik räumten die Behörden auch 1977 einer Stabilisierung des internen Geldwertes erste Priorität ein. Da die kurzfristige Konjunkturbeeinflussung über monetäre Spritzen ohnehin nur eine inflatorische Aufblähung bewirke, müsse die Steuerung der Geldmenge auf die mittelfristige Wirtschaftsentwicklung ausgerichtet werden, dergestalt, dass die monetären Voraussetzungen für einen konjunkturellen Wiederaufschwung und für ein verstetigtes Wirtschaftswachstum zu schaffen seien, ohne die im Vorjahr erreichte Preisstabilität wiederum zu gefährden. Deutlicher als bisher wurde indes die Meinung vertreten, die Nationalbank dürfe neben der Geldmengenpolitik auf keinen Fall die Währungspolitik vernachlässigen, denn in einer offenen, auslandorientierten Volkswirtschaft komme der Pflege des Wechselkurses grösste konjunktur- und beschäftigungspolitische Bedeutung zu. Desgleichen bedürfe es einer aktiven Zinspolitik, um einerseits ausländische Gelder, die einen Aufwertungsdruck auf den Franken ausüben könnten, von der Schweiz abzuhalten und andererseits die Zinsenlast unter Kontrolle zu bringen, was angesichts der hohen Hypothekarverschuldung auch stabilitätspolitisch äusserst wichtig sei [2].
Der Versuch, den Binnenwert des Frankens konstant und seinen Aussenwert inmitten einer inflationierenden Umwelt gleichzeitig möglichst tief zu halten, stellt einen Balanceakt mit tendenziell widersprüchlicher Zielsetzung dar, der nur dann einigermassen von Erfolg gekrönt sein kann, wenn die Behörden über ein ausgebautes und differenziertes Notenbankinstrumentarium verfügen. Weil die Nationalbank im Zeichen des «gesteuerten Floating» den Frankenkurs nicht völlig frei gibt, bedarf sie flexibler Instrumente, um auf die Entwicklung der Geldmenge korrigierend einwirken zu können, wenn diese infolge der Devisenmarktinterventionen von der vorgegebenen Zielgrösse abzuweichen droht. Anhand einer Revision des Notenbankgesetzes sollen nun die bisher vorwiegend auf Notrecht basierenden Möglichkeiten im ordentlichen Recht verankert werden [3]. Direktionspräsident Leutwiler versicherte, dass die Nationalbank ,die im Vernehmlassungsverfahren von Bank- und Wirtschaftskreisen geäusserten ordnungspolitischen Vorbehalte, über die wir bereits vor einem Jahr berichtet haben [4], ernst nehmen wolle; auch das Direktorium finde keinen Gefallen an einer Denaturierung der Geld- und Kreditpolitik und sei bereit, auf das neuartige Instrument der Mindestreserven auf Bankaktiven und die damit verbundene struktur- und regionalpolitisch motivierte Ausnahmekompetenz zu verzichten. Die Behörden sollten sich auf wettbewerbsneutrale Globâlmassnahmen beschränken und den in Gang befindlichen Bereinigungsprozess nicht zu verhindern suchen, da sich überholte Strukturen auf die Dauer ohnehin nicht halten liessen. Die Finanzierungshilfen, Zinsverbilligungsaktionen und Kurssicherungsgeschäfte zugunsten strukturschwacher Exportbereiche, die übrigens noch einmal verlängert wurden, hätten nur vorübergehenden Charakter und dienten dazu, diesen mit Härten verbundenen Bereinigungsprozess etwas zu erleichtern. Leutwilers Kritik am wachsenden Staatsanteil des Bruttosozialprodukts und seine dezidierte Forderung, die Gewinnchancen der Privatwirtschaft seien zu verbessern, dienten wohl dazu, allfällig noch vorhandene Zweifel an der marktwirtschaftlichen Orientierung des Notenbankchefs weiter abzubauen [5].
Da das Nationalbankgesetz auf vielseitigen Wunsch hin erst dann revidiert werden soll, wenn es sich zusätzlich. zum Notenbankartikel (Art. 39 BV) auch auf den neuen Konjunkturartikel (Art. 31 qunquies BV) abstützen lässt, bleiben die Behörden vorerst auf notrechtliche Kompetenzen angewiesen. Die Räte genehmigten eine Verlängerung des dringlichen Bundesbeschlusses über den Schutz der Währung oppositionslos [6].
Manche Kritiker mutet es als skurrile Fiktion an, wenn die Nationalbank trotz ihrer volkswirtschaftlichen Bedeutung weiterhin nach privatwirtschaftlichem Vorbild als Aktiengesellschaft organisiert bleiben soll. Zuhanden einer späteren Totalrevision des Nationalbankgesetzes überwies der Nationalrat ein Postulat Schmid (sp, SG), das u.a. vorschlägt, das Erwerbsstreben aus der gesetzlichen Zweckbestimmung des Noteninstituts zu streichen [7].
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Um die Wirtschaftskreise über ihre Absichten zu informieren, gab die Nationalbank bereits vor Jahresbeginn die Zielgrösse ihrer Geldmengenpolitik bekannt. Für 1977 wurde eine Ausweitung der Geldmenge um nur 5% ins Auge gefasst, da in den beiden letzten Jahren die Zielvorgabe von jeweils 6% überschritten worden war und die Wirtschaft infolgedessen über ein ausreichendes Liquiditätspolster verfügte. Die restriktivere Politik, die nicht zuletzt auch gefährliche Inflationskeime ersticken helfen sollte, kam während des ersten Semesters im wesentlichen dadurch zustande, dass die Nationalbank im Zusammenhang mit den konversionspflichtigen Kapitalexporten mehr Dollar verkaufte, als sie am Devisenmarkt zwecks Kurspflege erstand. Damit entzog sie dem Markt Franken; um den Verknappungserscheinungen im Bankensystem und dem Zinsanstieg entgegenzuwirken, gab sie die restlichen Mindestguthaben auf ausländischen Einlagen frei, welche die Banken bei ihr zu halten bisher noch verpflichtet waren, und alimentierte den Geldmarkt namentlich über die Ultimotermine mit kurzfristigen Liquiditätsswaps (vorübergehende Abgabe von sofort zahlbaren Sichtfranken gegen erst später fällig werdende Termindollar). In der zweiten Jahreshälfte lagen die Verhältnisse gerade umgekehrt, indem die Devisenmarktkäufe die Dollarabgaben für Kapitalexporte bei weitem übertrafen. Um die Geldmenge nicht zu stark ansteigen zu lassen, musste die Nationalbank dem hochliquiden Markt Mittel entziehen, indem sie nun Abschöpfungsswaps tätigte (vorübergehende Annahme von Sichtfranken gegen Termindollar) und bei den Geschäftsbanken Sterilisierungsreskriptionen plazierte (Schuldverschreibungen des Bundes, deren Gegenwert bei der Nationalbank stillgelegt wird). Der Erfolg dieser flexiblen Geldpolitik, die mit Hilfe des notrechtlich erweiterten Notenbankinstrumentariums möglich war, zeigte sich darin, dass die Ausweitung der Geldmenge mit 5,4% die vorgegebene Zielgrösse nur geringfügig überschritt. Die durchschnittliche Teuerungsrate, gemessen am Index der Konsumentenpreise, lag denn 1977 auch nur bei 1,3%, verglichen etwa mit 1,7% im Vorjahr [8].
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Als weniger erfolgreich erwies sich indes die Währungspolitik, erhöhte sich doch der exportgewogene Frankenkurs innert Jahresfrist nominell um mehr als 17%. Das erste Semester war zwar noch durch eine ruhige Entwicklung am Devisenmarkt gekennzeichnet, so dass auf Anfang Mai das Banknoteneinfuhrverbot aufgehoben werden konnte, nachdem auch die Kapitalflucht insbesondere aus Italien abgenommen hatte. Doch Ende Juni setzte dann ein scharfer Kursrückgang der amerikanischen Währung ein, der sich gegen das Jahresende hin zusehends verstärkte und den Dollar von 2.44 auf 2.00 Franken zwang. Die besondere Attraktivität des Schweizerfrankens hatte zur Folge, dass sich dessen Kurs gegenüber fast allen anderen Währungen verfestigte. Die Nationalbank sah sich deshalb veranlasst, die Massnahmen gegen den Zufluss von Geldern aus dem Ausland wieder zu verschärfen [9].
Die Devisenmarktinterventionen des Noteninstituts erreichten einen Umfang von 15,3 Mia Fr. ; da der bewilligungspflichtige Kapitalexport gegenüber dem Vorjahr leicht zurückging — wohl nicht zuletzt deshalb, weil sich die Ausländer in immer teurer werdenden Schweizerfranken nicht mehr so stark verschulden wollten —, blieb die Nationalbank per saldo auf neuen Währungsreserven im Gegenwert von 4 Mia Fr. sitzen. Insgesamt resultierte aus Abschreibungen auf dem Devisenbestand ein namhafter Verlust von 1,4 Mia Fr., der die Ertragsrechnung massiv belastete und das Noteninstitut zur Auflösung offener und stiller Reserven zwang [10].
Angesichts solcher Verluste und im Hinblick auf den währungspolitischen Misserfolg stellte sich erneut die Frage nach dem volkswirtschaftlichen Nutzen von Devisenmarktinterventionen im Zeichen des «gesteuerten Floating ». Monetaristische Kritiker bezweifelten grundsätzlich, dass sich ein Abrücken vom reinen Floating lohne, denn auf die Dauer setzten sich die Marktkräfte ohnehin durch und erzwängen Wechselkursrelationen, die im entsprechenden Verhältnis zu den unterschiedlichen Inflationsraten der betreffenden Volkswirtschaften stünden. Ohne diese Tendenz eines langfristigen Ausgleichs in Abrede zu stellen, betonten die Behörden, auf kurze Sicht könnten sich die Wechselkurse ganz anders verhalten, was das Eingreifen der Notenbank notwendig mache. Der Schweizerfranken sei mit erstaunlicher Regelmässigkeit in Stufen angestiegen; auf eine Phase stabiler Kursentwicklung während ungefähr eines Jahres sei jeweils ein starker Anstieg von kürzerer Dauer gefolgt, dem die Tendenz des «Überschiessens» geeignet habe. Solch rapide Ausschläge bärgen die Gefahr einer eindeutigen Überbewertung des Schweizerfrankens, welche die Exportwirtschaft trotz niedriger Inflationskosten nicht mehr wettmachen könne. Um geordnete Marktbedingungen herzustellen, müsse die Nationalbank zusätzlich auch kleinere, meist zinsbedingte Kursfluktuationen zu glätten suchen [11].
Solange die grossen Volkswirtschaften wie die USA nicht darauf bedacht sind, ihre Ertragsbilanz auszugleichen und die Inflation zu bekämpfen, sind indessen die Möglichkeiten einer kleinen Volkswirtschaft wie der Schweiz gering, auf die Entwicklung der Wechselkurse erfolgreich einzuwirken, ohne die eigene Stabilitätspolitik preiszugeben. Der hohe Grad der finanziellen Verflechtung und der Auslandabhängigkeit unserer Wirtschaft legt es aber immerhin nahe, bei der Finanzierung der internationalen Zahlungsbilanzungleichgewichte tatkräftig mitzuwirken. Im Rahmen des Internationalen Währungsfonds leistete die Nationalbank einen Beitrag von 850 Mio Fr. an Grossbritannien und beteiligte sich an einem Stützungskredit für Italien ; sie erklärte sich zudem bereit, mit 1,8 Mia Fr. an zusätzlichen Finanzierungshilfen des Internationalen Währungsfonds (sog. «Witteveen-Fazilitäten») mitzuwirken. Der Bund sprach einen Kredit von 71 Mio Fr. zugunsten einer internationalen Beistandsaktion für Portugal. Die Aktivitäten im Rahmen multinationaler Finanzhilfeoperationen trugen dazu bei, dass der Schweiz im Rat der Gouverneure des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank der Status eines Beobachters eingeräumt wurde [12].
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Sowohl aus wechselkurs- wie auch aus stabilitätspolitischen Gründen war die Nationalbank in ihrer Zinspolitik bestrebt, Geld- und Kapitalmarktsätze möglichst tief zu halten ; Mitte Juli senkte sie den Diskont- und den Lombardsatz um je 1/2 % auf 1 1/2 % bzw. 2 1/2 %, womit der tiefste Stand seit zwanzig Jahren erreicht wurde. Die Zinssätze stiegen zwar in der ersten Jahreshälfte an, nicht zuletzt infolge der restriktiven Geldmengenpolitik, waren jedoch im zweiten Semester wieder rückläufig und lagen am Jahresende durchwegs unter dem Ausgangsstand [13]. Während Kleinrentner diese Entwicklung zum Teil beklagten, wurde von anderer Seite betont, die niedrige Inflation garantiere eine positive Realverzinsung und mache niedrige nominelle Zinssätze volkswirtschaftlich nötig, zumal in einem Land, dessen Hypothekarverschuldung so gross sei wie das Bruttosozialprodukt [14].
Allerdings, die Zinsverbilligung schlug nicht sofort auf die Hypothekarsätze durch, geschweige denn auf die Mieten. Die Banken begegneten dem Vorwurf, sie könnten infolge der vergrösserten Zinsmarge zwischen Bankeinlagen und Bankdarlehen zu hohe Gewinne realisieren, mit dem Hinweis, sie hätten zu Zeiten höherer Zinssätze teure Gelder aufgenommen, auf denen sie heute noch sässen und die nun die Zinsrechnung mit beeinflussen würden [15]. Nach den Berechnungen eines namhaften Wirtschaftswissenschafters belaufen sich die Mehrkosten, die den schweizerischen Hausbesitzern und ihren Mietern solchermassen aus Fehleinschätzungen der Zinsentwicklung durch Bankfachleute erwachsen, auf mehrere Milliarden Franken [16].
Ein ähnlicher Vorwurf traf übrigens auch den Bund, der für seinen Tresoreriebedarf bereits im voraus teure Gelder aufgenommen hatte, ohne diese dann auch immer optimal zu plazieren. Die Behörden rechtfertigten den dadurch entstandenen Verlust an Stèuergeldern mit dem Argument, dass der Bund sich nicht nur wie ein Geschäftsmann verhalten könne, sondern auch Konjunkturpolitik zu treiben habe. Insbesondere dürfe man die Gläubiger auf dem Kapitalmarkt nicht dadurch verärgern, dass man teure Anleihen vorzeitig zurückzahle, nur um billigere plazieren zu können [17].
Genau dieses Vorgehen wählten indessen viele Schuldner auf dem Kapitalmarkt, der durch ein Überangebot charakterisiert war und nur noch halb so stark beansprucht wurde wie im Vorjahr. Die vorzeitigen Rückzahlungen vieler hochverzinslicher Anleihen riefen der Forderung, die Interessen der Gläubiger seien besser zu schützen, indem auch die Schuldner das Zinsrisiko mittragen müssten [18]. Gegen die rasante Talfahrt der Kapitalzinsen sträubten sich namentlich die Banken, und sie bewirkten noch im Frühjahr einen Zeichnungsmisserfolg für eine 3 ¾ %-Anleihe der Eidgenossenschaft, doch gegen Ende Jahr hatten die Zinssätze die bislang hart verteidigte 4%-Grenze endgültig unterschritten [19].
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Banken
Trotzdem gelang es den Banken, insbesondere den grössten unter ihnen, sich ein fettes Zinspölsterchen zuzulegen ; jedenfalls stieg der ausgewiesene Reingewinn oft wesentlich stärker an als die Bilanzen, deren Wachstum sich gegenüber dem Vorjahr leicht zurückbildete. Dass Bankbilanzen allerdings weitgehend manipulierbar sind, zeigte exemplarisch der Jahresabschluss der Schweizerischen Kreditanstalt, deren Reingewinn — dank Auflösung stiller Reserven — um 17% anstieg, obwohl dieses Institut einen Milliardenverlust zu verkraften hatte [20].
Der gute Ruf, den die Schweizer Banken normalerweise im In- und Ausland geniessen, wurde durch mehrere Bankskandale in Mitleidenschaft gezogen, deren bedeutendster und verlustreichster die «Affäre Chiasso» war. Drei Direktoren einer Tessiner Filiale der Schweizerischen Kreditanstalt hatten seit längerer Zeit und mit aggressiven Methoden italienische Fluchtgelder angeworben und in eine zweifelhafte Finanzgesellschaft mit Sitz in Liechtenstein investiert, statt sie, wie vereinbart, erstklassigen Adressen des Euromarktes zuzuleiten. Nachdem diese illegalen Transaktionen anlässlich bedeutender Liquiditätsschwierigkeiten der erwähnten Liechtensteiner Finanzgesellschaft ruchbar geworden waren, wurden die Filialdirektoren erst in ihrem Amte sistiert und bald darauf dem Untersuchungsrichter übergeben. Die Generaldirektion in Zürich bestritt zunächst, von den Geschäften der Filiale Chiasso gewusst zu haben, doch da sich dieses Dementi als falsch erwies, sah sich auch der Präsident der Generaldirektion, H. Wuffli, zum Rücktritt gezwungen [21].
Das Ausmass der Verluste wurde zuerst vorsichtig mit 250 Mio Fr. beziffert, später aber auf etwa 2 Mia Fr. geschätzt. Die Nationalbank erteilte zusammen mit zwei Grossbanken dem geschädigten Institut eine Kreditzusage in der Höhe von insgesamt 3 Mia Fr., die jedoch nicht beansprucht wurde. Da die Bekanntgabe der Verluste das Bedürfnis der Banken an flüssigen Mitteln erhöhte und zu einer Anspannung auf dem Geldmarkt führte, musste die Nationalbank dem Bankensystem kurzfristige Swapfazilitäten offerieren [22].
Schwieriger als die materiellen Einbussen sind jedoch die psychologischen und politischen Auswirkungen der «Affäre Chiasso» einzuschätzen. Auf die öffentliche und auf die veröffentliche Meinung wirkte der Skandal zunächst jedenfalls wie ein Schock, und selbst der Bundesrat sah sich veranlasst, eine Erklärung abzugeben, während im Parlament zahlreiche Vorstösse lebhafte Debatten auslösten [23]. Bald kristallisierten sich in der Diskussion zwei antagonistische Gruppen heraus, die anhand einer unterschiedlichen Interpretation des Bankskandals auch ihre gegensätzlichen politischen Motivationen zu erkennen gaben. Bank- und Wirtschaftskreise, denen sich auch die bürgerlichen Parteien und die Behörden mehrheitlich zugesellten, bezeichneten als Ursache der «Affäre Chiasso» persönliches Versagen, vor dem man sich in Zukunft mittels eines Ausbaus der internen und externen Bankkontrolle leidlich schützen könne [24]. Die in der Schweiz domizilierten Banken und die Schweizerische Bankiervereinigung einerseits sowie die Nationalbank andererseits schlossen denn auch eine Vereinbarung über die Sorgfaltspflicht bei der Entgegennahme von Geldern und über die Handhabung des Bankgeheimnisses ab, die es den Banken bei Strafe untersagt, bei illegalen Kapitaltransfers ihre Hilfe anzubieten oder Täuschungsmanövern ihrer Kunden gegenüber Behörden des In- und Auslandes aktiv Vorschub zu leisten [25]. Von eher linksstehenden Kreisen wurde jedoch dieses Gentlemen's Agreement als reine Alibiübung bezeichnet, die am Kern der Sache vorbeiziele, denn der Bankskandal könne nicht allein auf persönliches und organisatorisches Versagen zurückgeführt werden, sondern sei Ausdruck strukturell bedingter Anfälligkeiten des expandierenden Bankensystems und der profitorientierten Wirtschaft, denen letztlich nur mit einem Systemwandel beizukommen sei [26]. Die Sozialdemokraten bereiteten zu dem Zweck eine Volksinitiative vor, die den Missbrauch des Bankgeheimnisses zu stoppen, die Bankgeschäfte durchsichtiger zu machen und die Einlagen der Sparer vor Bankzusammenbrüchen besser zu sichern verlangt [27].
So mündete denn die Auseinandersetzung um die «Affäre Chiasso» in eine Grundsatzdiskussion über den Finanzplatz Schweiz, dessen Dimension und dessen Wachstum in ein immer prekäreres Verhältnis zu den Bedingungen und Möglichkeiten eines Kleinstaates zu geraten scheinen. Während kritische Stimmen den tendenziellen Widerspruch zwischen Werkplatz Schweiz und Finanzplatz Schweiz betonten und vor Risiken warnten, die auch angesichts der gravierenden Schwierigkeiten im internationalen Zahlungsverkehr mit einer wachsenden Finanzverflechtung verbunden sind [28], bekannten sich Bank- und Wirtschaftskreise sowie die bürgerlichen Parteien und der Bundesrat zum kräftig expandierenden Bankensystem als einer tragenden Säule unserer Volkswirtschaft, dessen Bedeutung als Arbeitgeber, Steuerzahler und Financier auf keinen Fall unterschätzt werden dürfe [29]. Auch der Direktionspräsident der Notenbank, F. Leutwiler, bescheinigte dem Finanzplatz eine gesamtwirtschaftlich sinnvolle und nützliche Funktion, gab indes zu bedenken, dass ein starkes Auseinanderklaffen der Wachstumsraten verschiedener Wirtschaftssektoren einer harmonischen Entwicklung nicht unbedingt zuträglich sei; Abkehr vom überbetonten Wachstumsdenken und vermehrte Berücksichtigung qualitativer Aspekte seien deshalb nicht zuletzt auch für die Schweizer Banken bedenkenswerte Ziele [30].
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[1] Vgl. K. Schiltknecht, «Die Geldpolitik der Schweiz unter dem System flexibler Wechselkurse », in Schweiz. Zeitschrift für Volkswirtschaft und Statistik, 113/1977, S. 1 ff. ; O. Knapp, Die schweizerische Wechselkurspolitik in der Zeit von 1968-1975, Diss. St. Gallen, Samedan 1977. Zur Abhängigkeit vom Ausland vgl. auch oben, Teil I, 2.
[2] Vgl. F. Leutwiler, Referat an der Generalversammlung der SNB, Beilage zu SNB, Monatsbericht, 52/1977, Nr. 5 ; ders., Die Rolle der Notenbank in der Konjunkturpolitik, Aarau 1977 (Veröffentlichungen der Aargauischen Industrie- und Handelskammer, 21); SNB, Geschäftsbericht, 70/1977, S. 9 f. Vgl. auch E. von Moos, «Ist Inflation unvermeidbar?» in Civitas, 32/1976-77, S. 307 ff. ; J. Magri, « Bemerkungen zur Geschichte und zu den Aufgaben der Schweizerischen Nationalbank», in Gewerkschaftliche Rundschau, 69/1977, S. 69 ff.; Evolution, 7/1976-77, S. 93 ff. und 137 ff.; SBG, Wirtschafts-Notizen, November 1977, S. 7 f.; Presse vom 11.4.78. Vgl. ferner SPJ, 1976, S. 64.
[3] Vgl. F. Ritzmann, Zum Instrumentarium der Schweizerischen Nationalbank, Bern 1977 (Bankwirtschaftliche Forschungen, 45); B. Gehrig, «Zur vorgeschlagenen Ausgestaltung des Mindestreserveninstruments», in Schweiz. Zeitschrift für Volkswirtschaft und Statistik. 113/1977, S. 141 ff. Vgl. auch TA, 3, 5.1.77; 23, 28.1.77; Ring, 1, 24.1.77 ; Bund, 40, 17.2.77 ; wf, Dok., 10, 7.3.77 ; 14.3.4.78 ; NZZ. 99, 29.4.77 ; LNN, 228, 30.9.77. Vgl. ferner BBI, 1978, I, S. 769 ff. (Botschaft zur Revision).
[4] Vgl. SPJ, 1976, S. 65.
[5] Vgl. die in Anm. 2 erwähnten Schriften von F. Leutwiler. Vgl. auch SBG, Wirtschafts-Notizen, April 1977, S.3 f.
[6] Vgl. BBl, 1977,II, S. 325 ff.; Amtl. Bull. NR, 1977, S. 787 ff.; Amtl. Bull. StR. 1977, S. 516 ff.; AS, 1977, S. 1859 f.
[7] Vgl. Amtl. Bull. NR. 1977, S. 866 ff.; BaZ, 98. 11.4.78.
[8] Vgl. SNB, Geschäftsbericht, 70/1977, S. 11 ff.; Gesch.ber., 1977, S. 175 f.; Mitteilung der Kommission für Konjunkturfragen (in der Folge zitiert: Mitteilung/Konjunkturfragen), Nr. 250, S. 9 f., Beilage zu Die Volkswinschaft, 51/1978, Heft 2. Vgl. auch J. Marbacher, Das Zahlungsverkehrssystem der Schweiz, Bern 1977 (Bankwirtschaftliche Forschungen, 41). Vgl. femer Presse vom 20.12.77; Ww, 1, 4.1.78.
[9] Vgl. SNB, Geschäftsbericht, 70/1977, S. 49 ff.; Gesch.ber.. 1977, S. 178; Mitteilung/Konjunkturfragen, Nr. 250, S. 13. Vgl. auch wf, Dok., 27/28, 4.7.77; 35, 29.8.77; Ww, 31, 3.8.77; 11, 15.3.78; Presse vom 28.9.77; TA, 228, 30.9.77; 3, 5.1.78; JdG, 238, 12.10.77; NZZ, 241, 14.10.77; Presse vom 21. und 22.12.77; gk 6, 2.2.78.
[10] Vgl. SNB, Geschäftsbericht, 70/1977, S. 45 und 80; NZZ, 170, 22.7.77; 98, 28.4.77; wf, Artikeldienst, 17, 24.4.78.
[11] Vgl. Mitteilungsblatt des Delegierten für Konjunkturfragen, 33/1977, S. 53 ff; SBG, Wirtschafts-Notizen, März 1977, S. 3 ff.; Februar 1978, S. 3 ff.; BaZ, 147, 2.7.77 ; 6, 7.1.78 ; 22, 23.1.78 ; TA. 227, 29.9.77 ; Bund, 248, 22.10.77; 5, 7.1.78; NZZ, 271, 18.11.77; 7, 10.1.78.
[12] Vgl. SNB, Geschäftsbericht, 70/1977, S. 13 und 20 ; Gesch.ber.,1977, S. 178 ; BBl, 1977,11, S. 1315 f.; 1978, I, S. 414 f. Vgl. auch R. Larre, «La situation monétaire internationale et la Suisse», in Revue économique et sociale, 35/1977, S. 169 ff.; H. Bachmann in Aussenwirtschaft, 32/1977, S. 6 ff. und 297 ff.; TA. 190, 17.8.77; 197, 25.8.77.
[13] Vgl. SNB, Geschäftsbericht, 70/1977, S. 45 ff.; Mitteilung/Konjunkturfragen. Nr. 250, S. 12 f.
[14] Vgl. Evolution, 7/1976-77, S. 77 f. und 173 fl.; TA, 105, 6.5.77; 293,15.12.77; LNN, 265,12.11.77; Vat., 33, 9.2.78; Badener Tagblatt, 38, 15.2.78.
[15] Vgl. TW, 15, 19.1.77; 306, 30.12.77; AZ, 32, 7.2.77; Vr., 126, 2.6.77; Ww, 49, 7.12.77; BaZ, 309. 12.12.77; Zeitdienst, 9, 3.3.78.
[16] Prof. Erbe in BaZ, 55, 26.3.77.
[17] Vgl. Amtl. Bull. NR. 1977, S. 942 (Einfache Anfrage Schmid, sp, SG); Ostschw., 17, 21.1.77; TW, 70, 24.3.77; Tat, 121, 25.5.77.
[18] Vgl. TA, 12, 15.1.77; NZZ, 204, 1.9.77. Vgl. auch SNB, Geschäftsbericht, 70/1977, S. 40 ff.; Mitteilung/ Konjunkturfragen, Nr. 250, S. 11.
[19] Vgl. Bund, 40, 17.2.77; 241, 14.10.77; 273, 21.11.77; TW, 41, 18.2.77; 187, 12.8.77; BaZ, 98, 11.5.77.
[20] Vgl. Bund, 52, 3.3.78 ; wf, Dok., 9, 27.2.78 ; 10, 6.3.78 ; gk, 11, 9.3.78. Vgl. auch SNB, Geschäftsbericht, 70/ 1977, S. 37 ff.; SKA, Bulletin, 83/1977, Nr. 12, S. 33 f.; SBG, Wirtschafts-Notizen, April 1978, S. 10 f.
[21] Vgl, die Presse ab Mitte April 1977, Vgl, auch M. Mabillard / R. de Weck, Scandale au Crédit Suisse, Genève 1977.
[22] Vgl. SNB, Geschäftsbericht, 70/1977, S. 35; SKA, Bulletin, 83/1977, Nr. 7, S. 13 ff.; 84/1978, Nr. 1/2, S. 8 ff.; Nr. 3, S. 17 ff.; Nr.4, S. 11 ff. Vgl auch Bund, 106, 7.5.77; 154, 5.7.77; TA, 259, 5.11.77; Presse vom 11.11.77; Focus, 91, Dezember 1977, S. 18 ff.; 92, Januar 1978, S. 8 f.
[23] Vgl. Amtl. Bull. NR,1977, S. 504 (Erklärung BR und Diskussion), S. 790 ff. und 835 f. (Interpellation Auer, fdp, BL; Motion und Interpellation Carobbio, psa, TI; Interpellation SP-Fraktion; Interpellation FDP-Fraktion; Interpellation SVP-Fraktion; Interpellation CVP-Fraktion; Interpellation LdU-Fraktion; Motion SP-Fraktion; Motion Ziegler, sp, GE; Postulat König, Idu, ZH; Postulat Müller, na, ZH); Amtl. Bull. StR, 1977, S. 201 f. (Erklärung BR), S. 440 ff. (Interpellation FDP-Fraktion).
[24] Vgl. Schweiz. Bankiervereinigung, Jahresbericht, 65/1976-77, S. 57 ff.; W. Linder in Schweizer Monatshefte, 57/1977, S. 169 ff.; wf, Dok., 19, 9.5.77 ; 45, 7.11.77 ; Schweiz. Bankverein, Der Monat, 1977, Nr. 9, S. 8 ff. Presse vom 1.10.77 (Bankiertag). Vgl. auch unten, Teil III b (Bankiervereinigung).
[25] Vgl. SNB, Geschäftsbericht, 70/1977, S. 59 und Presse vom 3.6.77.
[26] Vgl. gk, 17, 5.5.77 ; 22, 23.6.77 ; 26, 4.8.77 ; VO, 98, 7.5.77 ; SP-Information, 10, 19.5.77 ; 17, 6.10.77 ; 18, 20.10.77 ; Zeitdienst, 18, 6.5.77 ; 20, 20.5.77 ; 46, 18.11.77.
[27] Vgl. SP-Information, 13, 30.6.77; 22, 22.12.77; Vr, 289, 10.12.77. Vgl. auch J. Tanner, «Materialien zur Bankeninitiative», in Infrarot, Nr. 32, Jan./Febr. 1978, S. 4 ff.
[28] Vgl. J.-M. Laya, L’argent secret et les banques suisses, Lausanne 1977 ; Ww, 1,5.1.77 ; TA, 37, 14.2.77 ; 218, 19.9.77; LNN, 71, 25.3.77; SP-Information, 9, 5.5.77; 15, 1.9.77; gk, 19, 26.5.77; 44, 15.12.77; BaZ, 190, 13.8.77; 296, 28.11.77; TW, 192, 18.8.77; 296, 17.12.77; TAM, 49, 10.12.77.
[29] Vgl. Gesch.ber., 1977, S. 174; H. J. Mast, Das schweizerische Bankwesen, Zürich 1977; ders., »Redimensionierung des Finanzplatzes Schweiz?», in Schweiz. Zeitschrift für Volkswirtschaft und Statistik, 113/ 1977, S. 115 f ; C. Lutz in Schweizer Monatshefte, 57/1977, S. 686; SKA, Bulletin, 83/1977, Nr. 4, S. 8 ff. ; SBG, Wirtschafts-Notizen, August/September 1977, S. 3 ff.; Schweiz. Bankverein, Der Monat, Nr. 9, S. 5 ff.
[30] Vgl. F. Leutwiler, Die Schweiz als internationaler Finanzplatz — Wachstum in Grenzen, Zürich 1977 (Schriftenreihe des Vororts, 12).
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