Année politique Suisse 2009 : Grundlagen der Staatsordnung / Rechtsordnung
Strafrecht
Der Nationalrat behandelte in der Sommersession im Rahmen einer von der SVP verlangten Ausserordentlichen Session eine ganze
Reihe von parlamentarischen Vorstössen zum Strafrecht
und den 2007 eingeführten neuen Strafmassen. Er diskutierte zudem über das Ausmass und die Ursache von Kriminalität. Zu den überwiesenen Motionen siehe unten im jeweiligen Sachzusammenhang
[26].
Der Nationalrat war mit der Änderung einverstanden, welche der Ständerat im Vorjahr an der Motion von Evi Allemann (sp, BE) bezüglich der
Meldepflicht für gewalttätige Vorgänge vorgenommen hatte
[27].
Gegen den Widerstand der Linken überwies der Nationalrat eine Motion Joder (svp, BE) für eine
Verschärfung des Strafrahmens für vorsätzlich begangene Körperverletzung. Der Bundesrat hatte vergeblich darauf hingewiesen, dass der Strafrahmen für schwere Körperverletzung mit Strafen von minimal 180 Tagessätzen Geldstrafe bis zu maximal zehn Jahren Freiheitsentzug eigentlich gross genug sei, von den Gerichten aber nicht immer ausgeschöpft werde. Gerade bei Gewalt- und Sexualdelikten würden gemäss Bundesrat nur selten die strengst möglichen Strafen ausgesprochen. Eine Motion Fiala (fdp, ZH) für eine
Verschärfung des Strafrahmens für Kinderpornografie wurde von der Regierung mit dem selben Argument bekämpft und vom Nationalrat angenommen. Der Nationalrat überwies in der Folge ein Postulat Jositsch (sp, ZH), das vom Bundesrat einen Bericht darüber verlangt, ob die Gerichte den vom Gesetzgeber vorgesehenen Strafrahmen effektiv ausnutzen. Gewalttaten mit schweren Körperverletzungen oder gar Todesfolgen sind in den letzten Jahren oft von Jugendlichen begangen worden. Eine Motion Schlüer (svp, ZH), der bei derartigen Fällen die
Altersgrenze für die Beurteilung nach dem Jugendstrafrecht vom vollendeten 19. auf das 16. Altersjahr senken wollte, scheiterte jedoch mit 69 zu 114 Stimmen im Nationalrat. Nicht besser ging es einer analogen Motion Reimann (svp, AG) im Ständerat
[28].
Da die Ermittlungen bei grossen
Wirtschaftsdelikten oft sehr umfangreich, komplex und damit zeitraubend sind, beantragte Nationalrat Jositsch (sp, ZH) mit einer Motion eine
Verlängerung der Verjährungsfristen für derartige Delikte, damit ein Strafprozess überhaupt durchgeführt werden kann. Mit dem Einverständnis des Bundesrates überwiesen beide Parlamentskammern den Vorstoss
[29].
Eine Mehrheit des Nationalrats fand es ungerecht, dass der Entscheid, ob eine Tat ins
Strafregister eingetragen wird, bei Urteilen ohne Freiheitsentzug von der Höhe der Busse bestimmt wird. Da diese von den Einkommensverhältnissen des Täters abhängen kann, soll gemäss einer überwiesenen Motion Heer (svp, ZH) in Zukunft nicht mehr darauf, sondern nur noch auf die Schwere des Delikts abgestellt werden. Der Ständerat lehnte diese Motion ab
[30].
Der Ständerat überwies die Motion Glanzmann (cvp, LU) aus dem Jahr 2008 für eine rasche Unterzeichnung der
Cybercrime-Konvention des Europarates ebenfalls
[31].
Als Zweitrat überwies auch die grosse Kammer eine Motion Burkhalter (fdp, NE), welche vom Bundesrat einen Bericht über die effizientesten Möglichkeiten zur
Bekämpfung der Internetkriminalität und darauf aufbauend eine nationale Strategie dazu fordert. Im Einvernehmen mit dem Bundesrat überwies der Nationalrat auch eine Motion Büchler (cvp, SG) für eine Aufstockung des in der Bundesverwaltung mit der Bekämpfung von Computerkriminalität befassten Personals
[32].
Der Nationalrat überwies eine Motion Glanzmann (cvp, LU) für eine
Registrierungspflicht bei Wireless-Prepaid-Karten für Mobiltelefone
[33].
Der Nationalrat überwies eine Motion Schmid-Federer (cvp, ZH), welche der Polizei
verdeckte Ermittlungen nicht nur dann gestatten will, wenn der Verdacht auf eine Straftat besteht, sondern bereits dann, wenn mit der Möglichkeit einer Straftat gerechnet werden muss. Der Bundesrat hatte im Nationalrat erfolglos dagegen argumentiert, dass eine derartige Regelung nicht in die eidgenössische Strafprozessordnung gehöre, sondern als polizeirechtliche Massnahme in die Kompetenz der Kantone falle. Im Ständerat fand diese Argumentation aber Zustimmung und die Motion wurde abgelehnt
[34].
Die Auseinandersetzungen mit den USA über die Auslieferung von Kundendaten der UBS veranlasste die FDP-Fraktion, mit einer Motion die
Beschleunigung im Verfahren der Internationalen Rechtshilfe zu fordern. Dies soll vor allem mit einer Beschränkung der Einsprachemöglichkeiten geschehen. Der Nationalrat überwies diesen Vorstoss einstimmig wie auch eine ähnliche, auf die Amtshilfe bezogene Motion Bischof (cvp, SO). Zustimmung fand auch eine Motion der BDP, welche verlangt, das Rechtshilfegesetz sei in dem Sinne zu ändern, dass die Schweiz
ausnahmsweise bei allen Fiskaldelikten Rechtshilfe gewähren kann, wenn bei Verweigerung der Rechtshilfe wichtige Interessen des Landes auf dem Spiel stehen
[35].
Der Nationalrat überwies gegen den Antrag des Bundesrates eine Motion Segmüller (cvp, LU), welche die Landesregierung auffordert, zusammen mit den Kantonen für einen
Ausbau des Bestandes der Polizeikräfte zu sorgen. Dasselbe und zusätzlich auch noch eine Aufstockung des
Grenzwachtkorps speziell für die Verbrechensbekämpfung in den Grenzregionen verlangte auch eine vom Nationalrat überwiesene, von der kleinen Kammer aber abgelehnte Motion Robbiani (cvp, TI). Der Nationalrat und nach ihm auch der Ständerat überwiesen eine Motion Fehr (svp, ZH) für eine Aufstockung des Grenzwachtkorps um 2-300 Personen. Die kleine Kammer strich allerdings die Nennung einer konkreten Zahl
[36].
Zur Schaffung eines bewaffneten Bahnsicherheitsdienstes siehe unten, Teil I, 6b (Chemins de fer).
Zur Anpassung der Bestimmungen über die Strafbehörden des Bundes an die neue schweizerische Strafprozessordnung und zur Reorganisation der Aufsicht über die Bundesanwaltschaft siehe unten, Teil I, 1c (Gerichte).
In der Fortsetzung der Differenzbereinigung bei der
Vereinheitlichung der
Jugendstrafprozessordnung war zuerst der Nationalrat an der Reihe. Er lehnte die Möglichkeit des Beizugs einer Vertrauensperson durch den Angeklagten weiterhin ab. Auch bei der Pflichtverteidigung beharrte er darauf, dass diese erst dann eingesetzt wird, wenn eine Freiheitsstrafe von mindestens einem Monat droht und nicht bloss vierzehn Tage. Bei der Frage der Anrechnung einer stationären Beobachtung an eine Freiheitsstrafe übernahm die grosse Kammer den Kompromissvorschlag des Ständerats. Letzterer gab dann in der Frage der Pflichtverteidigung nach, bestätigte aber seinen Entscheid zugunsten des Beizugs einer Vertrauensperson. Die Einigungskonferenz bevorzugte diese Variante. Nachdem der Nationalrat damit einverstanden war, wurde die neue Jugendstrafprozessordnung in der Schlussabstimmung im Ständerat einstimmig und im Nationalrat gegen den geschlossenen Widerstand der SVP verabschiedet
[37].
Die
Kritik am neuen Sanktionssystem im Strafgesetzbuch, das unter anderem kürzere Freiheitsstrafen durch bedingt oder unbedingt ausgesprochene Geldstrafen ersetzt hat, ging im Berichtsjahr weiter. Auch der Bundesrat teilte die Meinung, dass das neue Sanktionssystem einige Probleme geschaffen hat. Er sprach sich aber gegen sofortige Einzelkorrekturen aus und kündigte an, seine Revisionsvorschläge aufgrund einer
Gesamtschau erarbeiten zu wollen
[38].
In welche Richtung diese Revision zielen soll, machte der Nationalrat mit der Überweisung einer Reihe von parlamentarischen Vorstössen, namentlich aus den Reihen der SVP und der CVP, klar. So stimmte er zwei Motionen von Rickli (svp, ZH) zu, welche eine
Abschaffung des teilbedingten Strafvollzugs für Freiheitsstrafen von über zwei Jahren resp. eine
Verlängerung der Widerrufsfrist bei bedingten Strafen von drei auf fünf Jahre fordern. Er überwies auch eine Motion Häberli-Koller (cvp, TG) für die
Abschaffung der bedingten Geldstrafen und eine Motion Amherd (cvp, VS) für die
Wiedereinführung von unbedingten Haftstrafen von unter 24 Monaten. Die Abschaffung der bedingten Geldstrafen wurde auch von diversen Kantonsregierungen gefordert. Der Ständerat beschloss auf Antrag seiner Rechtskommission, dass diese Motionen nicht als verbindlichen Auftrag an den Bundesrat überwiesen werden sollen, sondern als Prüfungsaufträge. Damit soll verhindert werden, dass voreilig einige Detailkorrekturen am Strafensystem vorgenommen werden, die zu neuen Problemen führen könnten
[39].
Der Nationalrat lehnte ein Motion Geissbühler (svp, BE), welche das
Geldstrafensystem
ganz abschaffen wollte, mit 91 zu 90 Stimmen ab. Für die Abschaffung sprachen sich die SVP, die BDP und eine klare Mehrheit der CVP aus. Mehr Erfolg hatte hingegen Nationalrat Baettig (svp, JU), der mit einer Motion die
Abschaffung der bedingt ausgesprochenen gemeinnützigen Arbeit verlangte. Der Bundesrat war mit der Überweisung einverstanden und gab bekannt, dass das EJPD eine Evaluation des gesamten neuen Strafensystems eingeleitet habe. In diesem Zusammenhang stellte sich der Nationalrat auch hinter eine Motion Stamm (svp, AG), welche verlangte, dass die Verpflichtung zu einer solchen gemeinnützigen Arbeit nicht vom Einverständnis des Verurteilten abhängig gemacht wird. Ebenfalls angenommen wurde eine weitere Motion Stamm für die
Wiedereinführung der kurzen Freiheitsstrafen von unter sechs Monaten. Im Ständerat fiel die Ausserordentliche Session in der Sommersession zur Kriminalität sehr kurz aus. Er überwies dabei eine Motion Luginbühl (bdp, BE) für die Wiedereinführung der kurzen Freiheitsstrafen und die Abschaffung der bedingten Geldstrafen an seine Rechtskommission zur Vorprüfung. Die vom Nationalrat überwiesenen Motionen behandelte er in der Wintersession und wandelte sie grösstenteils in Prüfungsaufträge um; die Motion Stamm für die Wiedereinführung der kurzen Haftstrafen lehnte er ab
[40].
Als unbefriedigend empfand eine Mehrheit des Nationalrats das
Strafmass für Vergewaltigungen. Da mit dem neuen Strafrecht Freiheitsstrafen von unter drei Jahren nicht zwingend abzusitzen sind (vorher lag die Grenze bei 18 Monaten), hat sich gemäss den Zahlen des Bundesamtes für Justiz der Anteil der bloss zu einer bedingten Strafe verurteilten Vergewaltiger stark erhöht. Der Rat überwies eine Motion Rickli (svp, ZH), welche die Mindeststrafe auf drei Jahre Freiheitsentzug festlegen will. Er akzeptierte auch eine zweite Motion Rickli für eine Heraufsetzung der Mindeststrafe für die Vergewaltigung eines Kindes unter zwölf Jahren auf sieben Jahre Freiheitsentzug. Der Bundesrat hatte in beiden Fällen eine Ablehnung empfohlen. Er tat dies nicht, weil er grundsätzlich gegen eine Strafverschärfung war, sondern weil er die neu entstandenen Probleme mit den Strafmassen in einer Gesamtschau behandeln möchte. Er wurde dabei aber nur von der SP und der GP unterstützt
[41].
Der Nationalrat überwies gegen den Willen des Bundesrates eine Motion Darbellay (cvp, VS) für Veränderungen im Strafvollzug. Konkret fordert der Motionär bilaterale Abkommen, namentlich mit Balkanstaaten, für den
Strafvollzug für ausländische Verurteilte in ihrem Heimatland. Dasselbe verlangt auch eine vom Nationalrat gutgeheissene Motion Stamm (svp, AG)
[42].
Die Sozialdemokratin Galladé (ZH) verlangte mit zwei Motionen, die mit der letzten Jugendstrafrechtsrevision erfolgte Senkung der Alterslimite für die
Anordnung von erzieherischen und therapeutischen Massnahmen von 25 auf 22 Jahre in bestimmten Fällen wieder rückgängig zu machen. Obwohl sich der Bundesrat dagegen aussprach, weil diese Anordnung über das 22. Altersjahr hinaus bereits möglich sei, überwies der Nationalrat beide Vorstösse
[43].
Mit der Überweisung einer Motion Heim (sp, SO) sprach sich der Nationalrat für eine Verschärfung der Gesetzesbestimmungen gegen
häusliche Gewalt aus. Der Motionstext verlangt insbesondere, dass eine auf Wunsch der Betroffenen eingestellte Strafuntersuchung unwiderruflich wieder aufgenommen wird, wenn die Tatperson rückfällig geworden ist. Eine Motion Geissbühler (svp, BE), die Bestimmung zu streichen, wonach ein Opfer eine Sistierung des Verfahrens beantragen kann, und häusliche Gewalt eindeutig entweder zum Antrags- oder zum Offizialdelikt zu erklären, scheiterte im Nationalrat äusserst knapp
[44].
Der Nationalrat unterstützte eine Motion Fiala (fdp, ZH) für die Schaffung eines besonderen Straftatbestandes
Stalking. Der Bundesrat argumentierte vergeblich, dass dieser Vorstoss überflüssig sei, weil der Tatbestand der Nachstellung bereits im Strafrecht enthalten sei
[45].
Ein Komitee um Christine Bussat, welche an der im Vorjahr vom Volk gutgeheissenen Unverjährbarkeitsinitiative massgeblich beteiligt gewesen war, lancierte im Herbst eine
Volksinitiative mit dem Titel „
Pädophile sollen nicht mehr mit Kindern arbeiten dürfen“. Diese verlangt, dass wegen Sexualdelikten mit Kindern verurteilten Personen verboten wird, je wieder eine „berufliche oder ehrenamtliche Tätigkeit mit Minderjährigen oder Abhängigen auszuüben“
[46].
Mit knapper Mehrheit (89 zu 84 Stimmen) sprach sich der Nationalrat gegen eine Motion der SVP aus, welche eine
obligatorische Nachbetreuung aller wegen Missbrauchs von Kindern Verurteilten verlangte. Die ablehnende Rechtskommission begründete ihren Antrag damit, dass diese Massnahme für schwere Taten bereits bestehe, für alle Delikte aber unverhältnismässig wäre. Mit einer noch knapperen Mehrheit (88 zu 87) stimmte er dagegen einer Motion Rickli (svp, ZH) zu, welche ein
nationales Register für verurteilte Pädophile fordert
[47].
Entgegen dem Antrag seiner Rechtskommission gab das Plenum des Nationalrats einer parlamentarischen Initiative der SVP Folge, welche eine Strafverschärfung (mindestens fünf Jahre Freiheitsentzug) für Vergewaltigungen fordert, welche durch eine Gruppe begangen wurden. Eine entsprechende Strafverschärfung sei auch im Jugend- und Kinderstrafrecht einzuführen. Hintergrund dieser Forderung waren mehrere Vorfälle von
Gruppenvergewaltigungen von Schulmädchen durch Jugendliche gewesen. Die Argumente der Kommissionsmehrheit, dass nicht erwiesen sei, dass die Kriminalität von Jugendlichen mit hohen Strafen reduziert werden könne, und dass den Richtern genügend Spielraum für die Strafzuteilung gewährt werden müsse, vermochten nicht zu überzeugen
[48].
Der Nationalrat stimmte einer Motion Aubert (sp, VD) zu, welche eine
allgemeine Meldepflicht für Misshandlungen und sexuelle Vergehen an Kindern bei den kantonalen Kinderschutzbehörden fordert. Der Bundesrat war damit einverstanden, erklärte aber, dass er den Ständerat auffordern werde, die Zulassung von bestimmten Ausnahmen (insbesondere die Berücksichtigung des Berufsgeheimnisses von Ärzten) in den Motionstext aufzunehmen
[49].
Der Ständerat hiess die im Vorjahr vom Nationalrat überwiesene Motion Sommaruga (sp, GE) zum Kinderschutz ebenfalls gut. Diese verlangt einen
verbesserten Schutz der Kinder vor rückfallgefährdeten Sexualtätern, überlässt die Ausarbeitung der konkreten Massnahmen und strafrechtlichen Bestimmungen aber dem Bundesrat
[50].
Die Einführung eines
Alarmsystems bei Entführungen von Kindern machte Fortschritte. Das EJPD und die Konferenz der kantonalen Justiz- und Polizeidirektoren einigten sich am 2. April, ein solches Warnsystem nach französischem Vorbild bis Ende Jahr aufzubauen. Daran beteiligt sein sollen auch die Radiostationen und Mobilfunkanbieter. Das Parlament überwies zur Unterstützung dieser Bestrebungen eine entsprechende Motion Burkhalter (fdp, NE)
[51].
Der Ständerat hiess die Motion Amherd (cvp, VS) aus dem Jahr 2007 für die Schaffung eines neuen Straftatbestandes des
virtuellen Kindsmissbrauchs im Internet (z.B. in so genannten chat-rooms) ebenfalls gut
[52].
Der Bundesrat empfahl die im Vorjahr eingereichte
Ausschaffungsinitiative der SVP zur Ablehnung. Er schlug aber vor, ihr mit der Teilrevision des Ausländergesetzes einen indirekten Gegenvorschlag gegenüber zu stellen. Dieser sieht vor, dass bei der Erteilung einer unbefristeten Niederlassungsbewilligung an einen Ausländer dessen Integration berücksichtigt wird. Zudem sollen die Gründe für den Widerruf von ausländerrechtlichen Bewilligungen präzisiert werden um eine einheitlichere und konsequentere Praxis zu erreichen. Der Ständerat beschloss auf Antrag seiner Staatspolitischen Kommission, das Geschäft nicht bereits in der Wintersession zu behandeln, sondern an die Kommission zurückzugeben mit dem Auftrag, die Gültigkeit der Volksinitiative und die Opportunität eines direkten Gegenvorschlags abzuklären
[53].
Vor der letzten Strafrechtsrevision im Jahre 1998 hatten Richter eine
Landesverweisung als Nebenstrafe verhängen können. Diese Bestimmung war gestrichen worden, da ein Entzug der Aufenthaltsbewilligung für verurteilte Kriminelle von den Einwanderungsbehörden vorgenommen werden kann. Der Nationalrat gab einer parlamentarische Initiative Darbellay (cvp, VS) für eine Wiederherstellung des alten Zustandes keine Folge, da dies zu Unklarheiten und einem Konkurrenzverhältnis zwischen Gerichten und Verwaltung führen würde
[54].
Im Sommer kam ein Runder Tisch unter der Leitung von Bundesrat Maurer zum Schluss, dass eine breite Repressionspolitik mit der präventiven Registrierung aller Fussball- und Eishockeyzuschauer (so genannte
Fancard) eher ungeeignet sei, um Ausschreitungen an und im Umfeld von Sportveranstaltungen zu verhindern. In Projektgruppen soll aber geklärt werden, wie die Identität der oft vermummten Krawallmacher besser eruiert werden kann, wie das Verbot des Abbrennens von Fackeln (so genanntes pyrotechnisches Material) durchgesetzt und wie der übermässige Alkoholkonsum, der gewalttätiges Verhalten oft begünstigt, eingeschränkt werden kann
[55].
Im Einvernehmen mit dem Bundesrat lehnte der Ständerat eine im Vorjahr von der grossen Kammer überwiesene Motion Hochreutener (cvp, BE) als unpraktikabel ab, welche Kinder vor
Gewaltdarstellung im Fernmeldebereich (d.h. auf Mobiltelefonen) schützen wollte
[56].
Der Nationalrat überwies eine Motion Hochreutener (cvp, BE) für ein Verbot des Verkaufs von
gewalttätigen Computerspielen (so genannte Ego-Shooter) an Kinder und Jugendliche. Obwohl der Bundesrat für Ablehnung plädierte, weil die rechtlichen Grundlagen für ein Verbot für die Darstellung von grausamer Gewalt bereits bestehen und Verkaufseinschränkungen unter dem Aspekt des Jugendschutzes in der Kompetenz der Kantone liegen, überwies der Nationalrat den Vorstoss. Noch weiter geht eine vom Nationalrat ebenfalls gutgeheissene Motion Allemann (sp, BE), die ein grundsätzliches Verbot der Herstellung, des Verkaufs und der Weiterverbreitung von Computerspielen fordert, bei denen „grausame Gewalttätigkeiten gegen Menschen und menschenähnliche Wesen zum Spielerfolg beitragen“. In der Herbstsession verabschiedete der Nationalrat auch noch ein Postulat Schmid-Federer (cvp, ZH), welches vom Bundesrat einen Forschungsbericht zum grundsätzlichen Gefährdungspotential von Computerspielen, namentlich auch in Bezug auf Suchtgefahr, fordert
[57].
Da das sexuelle Mündigkeitsalter in der Schweiz 16 Jahre beträgt, ist die
Prostitution von mindestens 16jährigen Jugendlichen nicht verboten. Ob das Parlament diesen Zustand ändern möchte, ist noch unklar. Der Nationalrat lehnte zwar in der Sommersession eine Motion Barthassat (cvp, GE) für einen neuen Straftatbestand mit 87 zu 69 Stimmen ab, akzeptierte aber am gleichen Tag mit 96 zu 76 Stimmen eine Motion Kiener-Nellen (sp, BE) für die Strafbarkeit von Freiern, die bei mindestens 16 Jahre alten Jugendlichen für sexuelle Dienstleistungen bezahlen
[58].
Als Zweitrat hiess der Ständerat den Beitritt der Schweiz zum
UNO-Übereinkommen gegen Korruption gut. In der Schlussabstimmung stimmte der Nationalrat mit 169 zu 21 Stimmen zu; die Opposition kam von einer Minderheit der SVP-Fraktion. In der kleinen Kammer gab es keine Gegenstimmen
[59].
Die 2007 lancierte
Volksinitiative „für den Schutz vor Waffengewalt“ wurde im Februar eingereicht. Sie verlangt neben einem Verbot der privaten Aufbewahrung von militärischen Dienstwaffen insbesondere auch einen Bedarfs- und Fähigkeitsnachweis für den Besitz von privaten Waffen und ein zentrales Waffenregister. Der
Bundesrat empfahl sie kurz vor Jahresende
zur Ablehnung. Der geforderte Bedarfs- und Fähigkeitsnachweis wäre seiner Ansicht nach schwierig zu kontrollieren und würde einen grossen administrativen Aufwand verursachen. Zudem fehlten bei verschiedenen davon betroffenen Gruppen von Waffenbesitzern (zum Beispiel Sammlern) objektive, leicht überprüfbare Kriterien für diesen Bedarfs- und Fähigkeitsnachweis. Bezüglich der Armeewaffen glaubt der Bundesrat mit seinen Vorschlägen im Rahmen einer Anpassung des Militärgesetzes sowie der zugehörenden Verordnungen die Anliegen der Initiative berücksichtigt zu haben. Schliesslich sprach er sich gegen ein nationales Waffenregister aus, da die kantonalen Dateien ausreichend seien
[60].
Zumindest in der Frage des
zentralen Waffenregisters erhielt die Volksinitiative auch im Nationalrat Unterstützung. Dieser überwies mit 92 zu 90 Stimmen eine Motion Lang (gp, ZG) für die Schaffung einer solchen nationalen Datenbank. Der Ständerat annullierte diesen Beschluss dann aber, indem er die Motion ablehnte. Die vom Grünen Müller (AG) verlangte Einführung eines Bedarfs- und Fähigkeitsnachweises, wie dies auch die Volksinitiative vorsieht, blieb bereits in der grossen Kammer erfolglos: Der Nationalrat lehnte eine entsprechende Motion mit 110 zu 72 Stimmen ab
[61].
Die vom Bundesrat beantragte
Anpassung des Waffengesetzes an die Veränderung der EU-Waffenrichtlinie (Schengen-Besitzstand) erforderte keine wichtigen Änderungen. Als Erstrat stimmte der Ständerat ohne Gegenstimmen zu. Der mit grundsätzlicher Kritik an der Anpassung schweizerischer Gesetze an EU-Richtlinien begründete Nichteintretensantrag SVP im Nationalrat hatte keine Chance. Die grosse Kammer beschloss allerdings entgegen dem Antrag des Bundesrates zwei Bestimmungen, welche nach Ansicht der Kritiker nicht konform mit den EU-Vorgaben sind. Es handelt sich dabei um eine Lockerung der Vorschriften für die Ausleihe von Sportwaffen und um die Registrierungsvorschriften bei Reparaturen. In der Differenzbereinigung lehnte der Ständerat diese beiden Beschlüsse des Nationalrats ab. Nachdem die grosse Kammer auf ihren Entscheiden beharrt hatte, blieb der Ständerat bezüglich der Ausleihe von Sportwaffen auf seiner Position und präsentierte bei der Registrierung bei Reparaturen einen Kompromissvorschlag. Da der Nationalrat nicht nachgab, trat die Einigungskonferenz in Funktion. Sie bestätigte die Version des Ständerats, worauf das Parlament die Vorlage in dieser Form gegen den Widerstand der SVP verabschiedete
[62].
[26]
AB NR, 2009, S. S.1005 ff.;
SN, 20.5.09; Presse vom 4.6.09.
[27]
AB NR, 2009, S. 289 f. Siehe
SPJ 2008, S. 25.
[28]
AB NR, 2009, S. 1008 (Joder), 1009 (Fiala) und 1015 (Schlüer und Jositsch);
AB SR, 2009, S. 965 f. Zum BR siehe dessen Antworten auf ein Postulat Jositsch und eine Interpellation Rickli (svp, ZH) in
AB NR, 2009, Beilagen III, S. 872 resp. Beilagen VI, S. 352 f. Zur Kritik an der ungenügenden Ausschöpfung des Strafrahmens durch die Gerichte siehe auch Martin Killias in
Bund, 21.3.09 und die Replik von Marcel Niggli und Christof Riedo in
NZZ, 26.3.09. Siehe auch
SPJ 2008, S. 25.
[29]
AB NR, 2009, S. 1010;
AB SR, 2009, S. 1292.;
BaZ, 25.4.09.
[30]
AB NR, 2009, S. 1016;
AB SR, 2009, S. 1292 f.
[31]
AB SR, 2009, S. 962. Siehe
SPJ 2008, S. 26.
[32]
AB NR, 2009, S. 987 ff. (Burkhalter) und 1013 (Büchler);
AB SR, 2009, S. 1266 f..
[33]
AB NR, 2009, S. 1006.
[34]
AB NR, 2009, S. 1011.;
AB SR, 2009, S. 1291 f.
[35]
AB NR, 2009, S. 1281 (FDP) und 1282 (Bischof). Zur Auseinandersetzung mit den USA siehe unten, Teil I, 4b (Banken).
[36]
AB NR, 2009, S. 1008 (Segmüller und Robbiani) und 1255 f. (Fehr);
AB SR, 2009, S. 1292 (Robbiani) und 1263 ff. (Fehr);
NLZ, 10.12.09.
[37]
AB NR, 2009, S. 65 ff., 270 ff., 420 ff. und 593;
AB SR, 2009, S. 95 f., 206 und 279;
BBl, 2009, S. 1993 ff. Siehe
SPJ 2008, S. 26 f.
[38] Vgl. dazu die Antwort des BR auf eine Interpellation der FDP (
AB NR, 2009, Beilagen III, S. 896 f.). Siehe
SPJ 2008, S. 27. Zur Diskussion um die neuen Strafmasse siehe auch Franz Riklin und Kurt Seelmann in
NZZ, 9.5. resp. 2.6.09.
[39]
AB NR, 2009, S. 1018 (Rickli und Häberli-Koller) und 1019 (Amherd);
AB SR, 2009, S. 1304 ff. (es betraf dies die Motionen Heim, Baettig, Stamm (gemeinnützige Arbeit), Rickli (2), Sommaruga, Häberli-Koller und Amherd). Grundsätzlich schärfere Sanktionen gegen Gewalt- und Sexualtäter (auch Jugendliche) fordert auch eine von beiden Räten überwiesene Motion Hochreutener, cvp, BE (
AB NR, 2009, S. 1018;
AB SR, 2009, S. 1293 f.). Kantone:
TA, 30.5.09;
NZZ, 2.7.09.
[40]
AB NR, 2009, S. 1013 (Geissbühler und Baettig) und 1014 (Stamm);
AB SR, 2009, S. 721 f. (Luginbühl) und 1293 (Stamm).
[41]
AB NR, 2009, S. 1016 f.;
TA, 23.3.09. Zur Diskussion über die neuen Strafmasse siehe auch oben.
[42]
AB NR, 2009, S. 1006 (Darbellay) und 1009 (Stamm).
[43]
AB NR, 2009, S. 1007 und 1010.
[44]
AB NR, 2009, S. 1012 (Heim) und 1013 (Geissbühler). Der SR wandelte die Motion Heim in einen Prüfungsauftrag um (
AB SR, 2009, S. 1304 ff.).
[45]
AB NR, 2009, S. 1009.
[46]
BBl, 2009, S. 7021 ff.;
TA, 13.2. und 30.9.09;
NLZ, 7.7.09. Im Initiativkomitee sitzen unter anderem die NR Galladé (sp, ZH), Freysinger (svp, VS), Darbellay (cvp, VS) und Brönnimann (edu, BE).
[47]
AB NR, 2009, S. 141 f. (SVP) und 1007 (Rickli). Siehe dazu auch die Antwort des BR auf eine Interpellation Rickli in
AB NR, 2009, Beilagen III, S. 257 ff.
[48]
AB NR, 2009, S. 143 f.
[49]
AB NR, 2009, S. 1010.
[50]
AB SR, 2009, S. 177. Siehe
SPJ 2008, S. 28.
[51]
AB SR, 2009, S. 177 ff.;
AB NR, 2009, S. 935 ff.;
BaZ, 13.3. und 3.4.09;
NLZ, 2.4.09;
AZ, 27.4.09;
TA, 16.10.09.
[52]
AB SR, 2009, S. 961 f. Siehe
SPJ 2007, S. 27.
[53]
BBl, 2009, S. 5097 ff.;
AB SR, 2009, S. 1296 ff. Siehe dazu
SPJ 2008, S. 39 und unten, Teil I, 7d (Ausländerpolitik).
[54]
AB NR, 2009, S. 351 ff.
[55]
NLZ, 25.5.09;
WoZ, 28.5.09;
TA, 24.6.09. Speziell zur Fancard siehe
SGT, 14.12.09. Siehe
SPJ 2008, S. 29.
[56]
AB SR, 2009, S. 962. Siehe
SPJ 2008, S. 29.
[57]
AB NR, 2009, S. 1007 (Hochreutener), 1017 (Allemann) und 1804 (Schmid-Federer). Siehe dazu auch die Antwort des BR auf eine Interpellation Flückiger-Bäni, svp, AG (
AB NR, 2009, Beilagen V, S. 503 f.);
TA, 7.4.09. Vgl. auch unten, Teil I, 8c (Neue Kommunikationstechnologien).
[58]
AB NR, 2009, S. 1011 (Barthassat) und 1018 (Kiener-Nellen);
NLZ, 21.7.09;
TG, 14.12.09.
[59]
AB SR, 2009, S. 97 f . und 280;
AB NR, 2009, S. 594;
BBl, 2009, S. 2115. Siehe
SPJ 2008, S. 30.
[60]
BBl, 2009, S. 2125 ff. (Einreichung);
BBl, 2010, S. 137 ff. (BR);
BZ, 24.2.09. Siehe
SPJ 2007, S. 28 und
2008, S. 84 f. Zum militärischen Aspekt siehe unten, Teil I, 3 (Armement).
[61]
AB NR, 2009, S. 398 (Lang) und 399 (Müller);
AB SR, 2009, S. 867 f.
[62]
BBl, 2009, S. 3649 ff.;
AB SR, 2009, S. 865 f., 931f., 1182 ff., 1278 f. und 1312;
AB NR, 2009, S. 1603 ff., 1930 ff., 2164 ff., 2275 ff. und 2354;
BBl, 2009, S. 8801 ff.;
NZZ, 14.5.09.
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