Année politique Suisse 2009 : Grundlagen der Staatsordnung
Institutionen und Volksrechte
Das Parlament wählte den freisinnigen Neuenburger Didier Burkhalter zum Nachfolger für Pascal Couchepin in den Bundesrat; eine Kampfkandidatur der CVP blieb erfolglos. – Der Vorentwurf für eine Teilrevision des Bundespersonalgesetzes stiess in der Vernehmlassung auf heftigen Widerstand. – Das Parlament beschloss eine substantielle Erhöhung der Bundesbeiträge an die Fraktionssekretariate. – Der Stände- und der Nationalrat waren sich bei der Neuorganisation der Bundesanwaltschaft nicht einig. – Volk und Stände hiessen die Abschaffung der als nicht praktikabel beurteilten allgemeinen Volksinitiative gut.
 
Regierung
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Wahlen
Im Berichtsjahr kam es erneut zu einer Ersatzwahl für den Bundesrat. Der Vorsteher des EDI, der 67jährige freisinnige Welschwalliser Pascal Couchepin, erklärte am 12. Juni seinen Rücktritt auf Ende Oktober nach elf Jahren Regierungstätigkeit. In den Medien wurde er als Staatsmann gewürdigt, dem allerdings die Erfolge bei der Durchsetzung von Reformen oft versagt blieben. Dass Letzteres nicht allein an ihm lag, sondern auch mit den in seine Zuständigkeit fallenden komplexen Bereichen der Sozial- und Gesundheitspolitik zu tun hatte, wurde allerdings auch konzediert [1].
CVP-Präsident Darbellay (VS) hatte bereits im Februar angekündigt, dass seine Partei der FDP bei der nächsten Vakanz einen ihrer beiden Sitze streitig machen werde. Dabei rechtfertigte die CVP ihren Anspruch sowohl politisch als auch rechnerisch. Politisch sei die CVP zu bevorzugen, weil die FDP nach rechts in die Näher der SVP gerutscht sei und nur die CVP die wahre Mitte verkörpere. Rechnerisch gesehen habe die FDP zwar bei den letzten Wahlen den grösseren Wähleranteil erreicht, die Fraktionsgemeinschaft aus CVP, GLP und EVP verfüge aber über die grössere Nationalratsfraktion. Nachdem sich zuerst Darbellay selbst ins Spiel gebracht hatte, kristallisierte sich bald Ständerat und Fraktionschef Urs Schwaller (FR) als aussichtsreichster Kandidat heraus. Sein Manko bestand allerdings darin, dass er deutscher Muttersprache ist und zudem auch im deutschsprachigen Teil des mehrheitlich französischsprachigen Kantons wohnt. Von der FDP und auch von einem Teil der französischsprachigen Presse wurde sofort moniert, dass er deshalb nicht als Vertreter der Romandie gelten könne. Seine Kantonalpartei nominierte nicht nur ihn, sondern auch den französischsprachigen Freiburger Nationalrat de Buman. Die CVP-Fraktion entschied sich für eine Einerkandidatur und portierte Schwaller [2].
Die Medien spekulierten bereits vor der Rücktrittserklärung Couchepins über erfolgversprechende freisinnige Kandidaturen aus der Romandie und dem Tessin. Im Vordergrund standen dabei Nationalrat und Parteipräsident Fulvio Pelli (TI), Ständerat Didier Burkhalter (NE), die beiden Genfer Nationalräte Martine Brunschwig Graf und Christian Lüscher, welche ursprünglich zu den Liberalen gehört hatten, sowie der Waadtländer Regierungsrat Pascal Broulis. Von ihren respektiven Kantonalparteien zuhanden der FDP-Fraktion nominiert wurden Burkhalter, Brunschwig Graf und Lüscher; Pelli wurde von seiner Kantonalpartei empfohlen, aber nicht als offizieller Kandidat angemeldet. Die freisinnig-liberale Fraktion entschied sich Ende August für ein Zweierticket und schickte Burkhalter und Lüscher ins Rennen [3].
Am 16. September wählte die Vereinigte Bundesversammlung den Nachfolger von Pascal Couchepin. Es standen sich die beiden Kandidaten der FDP-Fraktion, Didier Burkhalter und Christian Lüscher und der Kandidat der CVP, Urs Schwaller, gegenüber. Die SP und die GP unterstützten Schwaller, wobei eine Minderheit der SP erklärte, aus gesellschafts- und aussenpolitischen Gründen [4] Burkhalter zu bevorzugen. Die SVP sprach sich für Lüscher aus und die BDP für beide Freisinnige. Im ersten Wahlgang lag Schwaller mit 79 Stimmen vor Lüscher mit 73 und Burkhalter mit 58; der Tessiner freisinnige Ständerat Dick Marty [5] erhielt 34 Stimmen. Im zweiten Wahlgang konnte Schwaller auf Kosten von Marty auf 89 Stimmen zulegen, Lüscher und Burkhalter kamen auf je 72. In der dritten Runde kam Schwaller auf 95 Stimmen und Burkhalter überholte mit 80 Stimmen Lüscher (63), worauf sich letzterer zugunsten von Burkhalter zurückzog. Im vierten Wahlgang fiel die Entscheidung: Bei einem absoluten Mehr von 120 wählte das Parlament mit 129 Stimmen Didier Burkhalter zum neuen Bundesrat; Schwaller hatte 106 und Lüscher 4 Stimmen erhalten. Da kein anderes Regierungsmitglied Wechselgelüste hatte, übernahm der 49jährige Burkhalter von Couchepin das EDI [6].
Als Nachfolger für Bundesratssprecher und Vizebundeskanzler Oswald Sigg (sp) trat anfangs April der SP-nahe André Simonazzisein Amt an [7].
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Wahlverfahren
Der Nationalrat sprach sich auf Antrag seiner SPK deutlich gegen die Volkswahl des Bundesrates aus. Er beschloss mit 140 zu 23 Stimmen, einer entsprechenden parlamentarischen Initiative Zisyadis (pda, VD) keine Folge zu geben. Neben der Volkswahl wollte der Initiant auch noch Mindestquoten für die Sprachgruppen und die Geschlechter einführen. Auch eine Mehrheit der SVP-Fraktion lehnte den Vorstoss ab. Auf Antrag der Zürcher SVP beschloss die Delegiertenkonferenz der nationalen SVP im August, die von ihr seit langem angekündigte Volksinitiative für die Volkswahl des Bundesrates definitiv zu lancieren. Diese verlangt die Volkswahl nach Majorzprinzip, wobei mindestens zwei Gewählte ihren Wohnsitz in der lateinischen Schweiz, d.h. in einem französisch- resp. italienischsprachigen Kanton oder im nichtdeutschen Teil eines mehrsprachigen Kantons haben müssen [8].
Als Reaktion auf die Nichtwiederwahl von Christoph Blocher und seine Ersetzung durch Eveline Widmer-Schlumpf hatte die SVP einen neuen Paragrafen in ihre Parteistatuten aufgenommen. Dieser besagt, dass Parteimitglieder, die eine Wahl in den Bundesrat annehmen und nicht von der Fraktion nominiert worden sind, automatisch aus der Partei ausgeschlossen werden. Nationalrat Lustenberger (cvp, LU) sah darin eine unzulässige Einschränkung der Wahlfreiheit der Bundesversammlung und reichte eine parlamentarische Initiative ein mit dem Ziel, derartige Bestimmungen in Parteistatuten zu untersagen. Auf Antrag seiner SPK lehnte der Nationalrat dieses Ansinnen mit 136 zu 30 Stimmen ab. Die SPK argumentierte, dass dieser Paragraph eine privatrechtliche Vereinbarung zwischen einer Partei und ihren Mitgliedern darstelle und die Mitglieder der Bundesversammlung davon in ihrer Entscheidungsfreiheit eine bestimmte Person zu wählen nicht beeinträchtigt seien [9].
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Regierungsreform
Der Nationalrat bekräftigte einmal mehr seinen Wunsch nach der Umgestaltung der Departemente. Er überwies gegen den Antrag des Bundesrates, der argumentierte, er habe dies alles schon überprüft und für nicht sinnvoll gehalten, ein Postulat Burkhalter (fdp, NE) für eine grundsätzliche Neuorganisation der Departemente. Diese solle sich sowohl bei der Zuordnung der Ämter als auch bei der Benennung konsequent an den langfristigen Aufgaben und Prioritäten der Politik orientieren. Konkret nannte Burkhalter beispielsweise ein Departement für Sicherheit, das sich mit der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, der Justiz und der Landesverteidigung befassen würde. Eine Motion Lustenberger (cvp, LU) für die Schaffung eines Bildungsdepartementes konnte hingegen noch nicht behandelt werden, da sie Nationalrat Baader (svp, BL) bekämpfte [10].
Der Bundesrat beauftragte am 26. August das EJPD, in Zusammenarbeit mit der Bundeskanzlei bis zum Frühjahr 2010 Vorschläge für eine Regierungsreform auszuarbeiten. Dabei soll der Fokus einerseits auf primär organisatorische Reformen zur Verbesserung der Funktionsweise des Bundesratskollegiums gerichtet sein. Als zweiter Schwerpunkt soll die Option einer Verlängerung der Amtsdauer des Bundespräsidenten abgeklärt werden. Gegen den Willen des Bundesrates überwies der Nationalrat auch ein Postulat Burkhalter (fdp, NE), das eine Verlängerung der bisher auf ein Jahr beschränkten Amtsdauer des Bundespräsidenten auf zwei oder vier Jahre anregt. Ziel dieser Reform soll eine Stärkung dieses Postens und eine Verbesserung seiner Koordinations- und Führungsfunktion sein. Ohne Gegenstimme überwiesen beide Ratskammern auch noch eine vom Bundesrat unterstützte Motion Burkhalter, die verlangt, dass die Regierungsreform zu einem zentralen Thema der nächsten Legislaturplanung werden muss [11].
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Regierungspolitik
Die parlamentarische Beratung der Legislaturziele hatte sowohl 2004 als auch 2008 im Nationalrat zu tagelangen Debatten und Schaukämpfen zwischen der SVP und der Linken geführt. Daran hatte auch die 2008 erstmals praktizierte vereinfachte Differenzbereinigung zwischen den beiden Ratskammern nichts geändert. Die SVP-Fraktion forderte nun mit einer parlamentarischen Initiative, auf eine Detailberatung dieser Regierungsziele ganz zu verzichten und sie nicht mehr als Bundesbeschluss zu verabschieden, sondern nur noch zur Kenntnis zu nehmen. Die SPK-NR sprach sich dagegen aus, da gemäss Bundesverfassung das Parlament bei den wichtigen politischen Planungen mitzuwirken hat und sich nicht mit einer blossen Zurkenntnisnahme der Absichten der Regierung begnügen darf. Der Nationalrat schloss sich dieser Ansicht an und gab dieser auch von den Grünen und einer Minderheit der SP unterstützten parlamentarischen Initiative mit 87 zu 86 Stimmen keine Folge [12].
Der Ständerat sprach sich dagegen aus, ein Veto des Parlaments gegen Verordnungen des Bundesrates einzuführen. Im Gegensatz zur grossen Kammer im Vorjahr gab er einer entsprechenden parlamentarischen Initiative der SVP-Fraktion mit 27 zu 6 Stimmen keine Folge. Nach Ansicht seiner SPK würde diese Neuerung die Kompetenzen von Regierung und Parlament zu sehr vermischen [13].
 
Verwaltung
Zur Korruptionsbekämpfung (UNO-Konvention) siehe oben, Teil I, 1b (Strafrecht).
Nach dreijähriger Wartefrist kam das vom Bundesrat vorgeschlagene neue Bundesgesetz über Prüfung und Kontrolle der technischen Sicherheit ins Parlament. Angestrebt war damit eine einheitliche Regelung der Überprüfung der Sicherheit von Transportanlagen und ähnlichem. Die Vorlage war schon in der Vernehmlassung namentlich von den Kantonen kritisiert worden und stiess auch in den vorberatenden Parlamentskommissionen auf heftigen Widerspruch. Diese aufwändige Neuregelung und Vereinheitlichung der Kontrollabläufe sei überflüssig, da sich die bisherigen Prozesse und insbesondere die Arbeitsteilung zwischen privaten Verbänden und der Verwaltung bewährt hätten. Beide Parlamentskammern beschlossen auf Antrag ihrer Kommissionen mit grosser Mehrheit Nichteintreten. Der Nationalrat lehnte auch eine Zusammenlegung aller Bundesstellen ab, deren Aufgabe die Kontrolle der Sicherheit von Lebensmitteln und anderen Produkten ist. Er sprach sich auf Antrag des Bundesrates gegen eine im Vorjahr von der kleinen Kammer überwiesene entsprechende Motion Germann (svp, SH) aus [14].
Eine Untersuchung hatte ergeben, dass bei Aufträgen der öffentlichen Hand die Zahlungsdauer im Mittel fast 50 Tage beträgt und damit deutlich höher liegt als bei Privatkunden. Um diese Dauer zu verkürzen hiess der Nationalrat eine Motion Rotz (svp, OW) gut, welche vertraglich fixierte Zahlungsfristen von 30 Tagen für Bauaufträge des Bundes verlangt. Der Ständerat überwies diese Motion in einer von seiner Finanzkommission abgeänderten Version. Diese erweitert einerseits das Anwendungsfeld über die Baubranche hinaus und lässt andererseits bei komplizierten Aufträgen auch längere Zahlungsfristen zu. Motionen von Ständerat Jenny (svp, GL) und der SVP-Fraktion im Nationalrat, die Zahlungsfristen des Bundes für Rechnungen inländischer Lieferanten auf 20 resp. 10 Tage zu reduzieren, fanden hingegen keine Mehrheiten [15].
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Personal
Der im Vorjahr in die Vernehmlassung gegebene Vorentwurf für eine Teilrevision des Personalgesetzes fand nur bei der FDP Unterstützung. Für die Linke und die Personalverbände ging er zu weit, für die SVP wich er immer noch zu sehr von den Verhältnissen in der Privatwirtschaft ab. Als Konsequenz daraus stufte das EFD das Geschäft nicht mehr als prioritär ein [16].
 
Parlament
Die Mehrheit der Fraktionspräsidenten hatte beim Büro des Nationalrats eine Erhöhung der Bundesbeiträge an die Fraktionssekretariate angeregt. Das Büro stimmte im Mai diesem Gesuch zu und beantragte, im Einvernehmen mit dem Büro des Ständerats, mit einer parlamentarischen Initiative die Erhöhung des Grundbeitrags von 94 500 auf 112 000 Fr. pro Fraktion und des Beitrags je Fraktionsmitglied von 17 500 auf 20 800 Fr. Die Gesamtkosten dieser Besserstellung würden gut 900 000 Fr. betragen. Neu sollen zudem die Fraktionen der Verwaltungsdelegation des Parlaments jährlich Rechenschaft über die Verwendung dieser zweckgebundenen Gelder ablegen müssen. Als Hauptgründe für die bessere Entschädigung nannte das Büro die grössere Komplexität der Gesetzgebungsarbeit, die vom Bundesrat und auch von der Öffentlichkeit geforderte raschere parlamentarische Behandlung der Geschäfte und die gesteigerten Anforderungen der Medien an die Fraktionen und die Parlamentarier. Der Nationalrat trat in der Herbstsession gegen den Widerstand der SVP auf die Vorlage ein und hiess sie gut. Allerdings bewilligte er, ohne es zu merken, nicht die vom Büro beantragten Beträge, sondern Zahlen, welche irrtümlicherweise auf der Fahne standen: Einen Grundbeitrag von 144 500 Fr. und eine Zahlung pro Fraktionsmitglied von 20 000 Fr. Der Ständerat korrigierte dies nicht, sondern übernahm auf Antrag seines Büros, das fand, die Fraktionssekretariate müssten wesentlich stärker unterstützt werden, diesen höheren Grundbeitrag. Er beschloss zudem, den Mitgliedsbetrag im selben Verhältnis dazu zu belassen wie vorher, was eine Heraufsetzung auf 26 000 Fr. bedeutete. Insgesamt kostete damit die Erhöhung nicht 915 000 sondern fast 2,6 Mio Fr. Gegen den Widerstand der SVP und der FDP schloss sich der Nationalrat diesem grosszügigen Entscheid an [17].
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Instrumente
Die Beratung von Motionen und Postulaten wird im Nationalrat oft verschoben, weil sie von einem Ratsmitglied bekämpft werden, und sie fallen dann später aus den Traktanden, weil die Frist für ihre Behandlung abgelaufen ist. Norbert Hochreutener (cvp, BE) verlangte, wenigstens denjenigen Vorstössen, die vom Bundesrat unterstützt werden, eine gewisse Vorzugsbehandlung einräumen und damit zu verhindern, dass ihre Behandlung von einem einzigen Ratsmitglied verzögert und schlussendlich verhindert werden kann. Wie das geschehen soll, führte er in seiner in der Herbstsession von der grossen Kammer überwiesenen Motion nicht aus [18].
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Parlamentsmandat
Einen Teilerfolg konnte Nationalrat Freysinger (svp, VS) mit seinem Vorstoss für mehr Transparenz über die Interessenbindungen der Parlamentarier verbuchen. Seine parlamentarische Initiative verlangte, dass in der bereits vorhandenen öffentlichen Liste der Interessenbindungen auch die jährlichen Einkünfte deklariert werden, die sich aus Mandaten wie Vorstands- oder Verwaltungsratsmitgliedschaften ergeben. Der Nationalrat gab dieser von der SP, der GP und einer Mehrheit der SVP unterstützten Initiative mit 101 zu 69 Stimmen Folge. Im Ständerat, wo die Linke und die SVP schwächer vertreten sind, scheiterte sie jedoch mit 21 zu 13 Stimmen. Neu im Nationalrat eingereicht, aber im Berichtsjahr noch nicht behandelt wurden zwei Vorstösse von Graf-Litscher (sp, TG) und Reimann (svp, SG) für die Schaffung eines Registers aller im Bundeshaus aktiven Lobbyisten [19].
Die Untersuchung der GPK und einer ihrer Subkommissionen über die Hintergründe der Entlassung von Bundesanwalt Roschacher beschäftigte das Parlament weiterhin. Konkret ging es um die Aufhebung der strafrechtlichen Immunität von Parlamentsmitgliedern. Auf Antrag seiner Rechtskommission hielt der Nationalrat mit 96 zu 75 Stimmen daran fest, die Immunität des SVP-Nationalrats Brunner (SG) aufzuheben. Gemäss der Kommissionsmehrheit handelte es sich bei der Tat Brunners um einen derart schweren Fall der Verletzung der Kommissionsvertraulichkeit, dass sie nicht nur disziplinarisch, sondern auch strafrechtlich geahndet werden soll. Die kleine Kammer bestätigte aber ihren Entscheid aus dem Vorjahr, Brunners Immunität nicht aufzuheben und legte damit das Geschäft ad acta. Alt-Bundesrat Blocher (svp, ZH) und Nationalrat Mörgeli (svp, ZH) ihrerseits hatten Strafanzeige gegen die damaligen Sprecher der Subkommission der GPK, die Nationalräte Lucrezia Meier-Schatz (cvp, SG) und Glasson (fdp, FR) und Angestellte der Bundesanwaltschaft eingereicht. Die Mehrheit der Rechtskommission des Nationalrats gelangte zum Schluss, dass kein Fall von Amtsgeheimnisverletzung vorliege und die Immunität nicht aufzuheben sei. Nach einer sehr animierten Diskussion, in welcher die SVP ihre Vorwürfe wiederholte, GPK-Mitglieder hätten zusammen mit Angestellten der Bundesanwaltschaft gegen Blocher komplottiert, trat das Plenum auf das Gesuch um Immunitätsaufhebung nicht ein; nach der Abstimmung verliess die SVP-Fraktion unter Protest den Saal. Im Ständerat hatte die Mehrheit der Rechtskommission beantragt, auf das Gesuch einzutreten und die Immunität nicht aufzuheben. Der Rat selbst folgte aber einem Minderheitsantrag Marty (fdp, TI), auf das Gesuch gar nicht einzutreten, weil auch eine an einer Medienorientierung im Auftrag einer Parlamentskommission gemachte Äusserung unter die absolute Immunität fallen müsse. Die im Parlamentsgesetz in diesem Zusammenhang enthaltene Bezeichnung „in den Räten und deren Organen“ gemachte Aussagen, sei deshalb sinngemäss und nicht wortwörtlich auszulegen [20].
 
Gerichte
Das Bundesverwaltungsgericht hatte im Vorjahr das Parlament um die Bewilligung von sechs zusätzlichen Richterstellen ersucht. Im massgeblichen Gesetz ist ein Bereich von 50 bis 70 Stellen genannt, in der Ausführungsverordnung ist die Anzahl aber auf 64 fixiert. Das mit der Oberaufsicht über das Bundesverwaltungsgericht betraute Bundesgericht erachtete in der aktuellen Konsolidierungsphase dieser neuen Instanz die Aufstockung um eine italienischsprachige Richterstelle zur Bewältigung der Pendenzen im Asylbereich als ausreichend. Die Rechtskommission des Ständerats hatte zuerst nur eine auf zwei Jahre befristete Stelle genehmigen wollen. Da dies rechtlich nicht möglich war, beantragte es dem Plenum mit einer parlamentarischen Initiative, die Zahl der ordentlichen Vollzeitrichterstellen von 64 auf 65 aufzustocken, was auch der Bundesrat unterstützte. Eine linke Kommissionsminderheit forderte eine Erhöhung auf 67 Stellen, drang damit aber beim Parlament, das die Vorlage in der Sommersession verabschiedete, nicht durch [21].
Ende August meldete das Bundesverwaltungsgericht neuen Personalbedarf an. Anlass dazu war die grosse Anzahl von Beschwerden, die im Zusammenhang mit dem Amtshilfegesuch der USA bei der Aufklärung von Steuerdelikten von Kunden der schweizerischen Grossbank UBS zu erwarten waren. Um die UBS vor zivilrechtlichen Klagen zu schützen, hatte sich die Schweiz in einem am 19. August unterzeichneten bilateralen Abkommen verpflichtet, ein rund 4450 Konten betreffendes Amtshilfegesuch der USA innert eines Jahres zu bearbeiten. Die für die Bewältigung dieser Arbeit erforderlichen Richterstellen sollten jedoch nicht dauerhaft eingerichtet werden. Da die rechtlichen Grundlagen für die Schaffung von befristeten Richterstellen noch fehlen, beantragte die Rechtskommission des Nationalrats mit dem Einverständnis ihrer Schwesterkommission der kleinen Kammer, eine entsprechende Verordnung der Bundesversammlung und die Bewilligung von höchstens fünf zusätzlichen, auf zwei Jahre befristeten Richterstellen. Eine aus Mitgliedern der SVP gebildete Kommissionsminderheit bekämpfte diesen Vorschlag, der Bundesrat unterstützte ihn. Der Nationalrat nahm die befristete Erhöhung der Richterzahl und die zugrundeliegende Rechtsgrundlage gegen den Widerstand der SVP an. Nachdem auch die kleine Kammer oppositionslos damit einverstanden war, konnte die Vorlage noch in der Herbstsession verabschiedet werden [22].
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Justizreform
In der Differenzbereinigung bei der Vorlage zur Schaffung eines eidgenössischen Patentgerichtes hielt der Ständerat daran fest, dass alle, also auch die nebenamtlichen Richter durch die Vereinigte Bundesversammlung und nicht durch ein Fachgremium zu wählen sind. Nachdem die grosse Kammer in einer ersten Runde auf ihrer auch vom Bundesrat unterstützten Lösung beharrt hatte, gab sie angesichts der klaren Stimmenverhältnisse im Ständerat nach [23].
Die aus dem Vorjahr verbliebene Differenz beim Patentanwaltsgesetz wurde rasch beigelegt, indem der Ständerat die Version der grossen Kammer übernahm. Der Nationalrat überwies mit dem Einverständnis des Bundesrats eine Motion seiner Rechtskommission für eine Vereinheitlichung der Bestimmungen des anwaltlichen Berufsgeheimnisses in allen Verfahrensrechten des Bundes [24].
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Bundesanwaltschaft
Der Ständerat behandelte in der Sommersession die im Vorjahr vom Bundesrat vorgeschlagene Anpassung der Bestimmungen über die Strafbehörden des Bundes an die neue schweizerische Strafprozessordnung. Er stellte sich dabei gegen die von der Regierung angestrebte Wahl und Überwachung der Bundesanwaltschaft durch den Bundesrat. Damit dieser Bundesanwalt über eine unabhängige Stellung verfügt, sollen er und seine Ersatzleute vom Parlament gewählt und von einer Fachaufsichtskommission überwacht werden. Dieses Aufsichtsgremium soll sich aus je einem Richter des Bundesgerichts und des Bundesstrafgerichts, zwei praktizierenden Anwälten und drei Fachleuten, die weder Richter noch Anwälte sind, zusammensetzen. Die Rechtskommission des Nationalrats übernahm diese Regelung. Sie scheiterte in der Wintersession im Plenum aber am Widerstand der SVP, der CVP und der BDP, welche dagegen ins Feld führten, dass durch die Parlamentswahl des Bundesanwalts diese Funktion zu sehr von der Politik abhängig werde, und dass die Rolle und Stellung des Aufsichtsgremiums unklar sei. Der Nationalrat beschloss ferner die Schaffung einer vollwertigen Rekursinstanz für Urteile des Bundesstrafgerichts. Zuständig für diese nicht bloss formale, sondern auch materielle Überprüfung soll das Bundesgericht sein [25].
 
Volksrechte
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Nutzung der Volksrechte
Im Berichtsjahr kam es zu zwei mit einem fakultativen Referendum verlangten Volksabstimmungen (Personenfreizügigkeit, biometrische Pässe). Das Volk stimmte jeweils dem Parlamentsbeschluss zu, im Fall der Pässe allerdings nur äusserst knapp. Ausserdem entschieden Volk und Stände über zwei Volksinitiativen und nahmen davon eine, die Minarettverbotsinitiative, als insgesamt siebzehnte an. Daneben hiessen Volk und Stände auch vier vom Parlament beschlossene Verfassungsänderungen gut.
Im Jahr 2009 wurden sieben Volksinitiativen eingereicht (2008: 8). Das Volk entschied über zwei Volksbegehren; eines – das Verbot des Baus neuer Minarette – fand Zustimmung. Eine Volksinitiative wurde zurückgezogen („Gegen masslosen Bau umwelt- und landschaftsbelastender Anlagen“). Damit stieg Ende 2009 der Bestand der eingereichten, aber dem Volk noch nicht zum Entscheid vorgelegten Initiativen auf 17 (2008: 13). Neu lanciert wurden im Jahr 2009 acht Volksinitiativen (2008: 4).
Insgesamt kam es somit zu acht Volksabstimmungen (2 Volksinitiativen, 4 obligatorische und 2 fakultative Referenden). Bei 7 von diesen 8 Entscheiden folgten die Stimmberechtigten dem Antrag von Regierung und Parlament (2008: 8 von 10). Beim Minarettverbot entschied das Volk anders als die Behörden.
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Reform der Volksrechte
Zum Jugend- und Ausländerstimmrecht siehe oben, Teil I, 1b (Bürgerrecht und Stimmrecht).
Im August reichte die AUNS ihre Volksinitiative „Für die Stärkung der Volksrechte in der Aussenpolitik (Staatsverträge vors Volk!)“ mit 108 579 gültigen Unterschriften ein. Mehr Mitsprache für das Volk in der Aussenpolitik strebte auch eine parlamentarische Initiative Gross (sp, ZH) an. Sie verlangte die Einführung einer „Internationalen Volksmotion“. Mit dieser könnte eine bestimmte Anzahl von Bürgerinnen und Bürger (im Text waren 20 000 erwähnt) das Parlament ersuchen, dem Bundesrat einen bestimmten aussenpolitischen Auftrag zu erteilen [26].
In der Volksabstimmung vom 27. September waren Volk und Stände damit einverstanden, auf die 2003 in die Verfassung aufgenommene allgemeine Volksinitiative wieder zu verzichten. Eine Kampagne fand nicht statt; gegen die Streichung ausgesprochen hatten sich nur die Lega und die PdA. Das Resultat fiel mit einem Ja-Stimmenanteil von 67,9% (1 307 237 Ja gegen 618 664) und keinem einzigen ablehnenden Kanton deutlich aus [27].
Bundesbeschluss über die Streichung der allgemeinen Volksinitiative
Abstimmung vom 27. September 2009

Beteiligung: 40,4%
Ja: 1 307 237 (67,9%) / 20 6/2 Stände
Nein: 618 664 (32,1%) / 0 Stände

Parolen:
Ja: SVP, SP, FDP (1)*, CVP (2)*, GP (1)*, EVP, BDP, GLP, CSP, EDU (1)*, FPS, SD; SGV, SBV, Travail.Suisse.
Nein: Lega, PdA.

* In Klammer Anzahl abweichender Kantonalsektionen
Der Nationalrat nahm die Diskussion wieder auf über Volksinitiativen, die ganz oder teilweise im Gegensatz zu Völker- oder Menschenrechtsbestimmungen resp. zu in der Bundesverfassung verankerten Grundrechten stehen und sich deshalb nicht textgetreu umsetzen lassen. Er gab dabei einer parlamentarischen Initiative Vischer (gp, ZH) Folge, welche die Ungültigkeit von Initiativen verlangt, die „materiell gegen den Grundrechtsschutz oder gegen die Verfahrensgarantien des Völkerrechtes“ verstossen. Gleichzeitig überwies er auch ein Postulat seiner SPK, welche vom Bundesrat einen Bericht über den zukünftigen Umgang mit derartigen Volksinitiativen und eine allfällige verfassungsrechtlich abgestützte Ausweitung des Umfangs des „zwingenden Völkerrechts“ fordert. Die SVP hatte beide Vorstösse erfolglos bekämpft, Minderheiten der CVP und der FDP nur die Initiative Vischer. Die in den letzten Jahren häufiger vorgekommene Konkurrenz zwischen Verfassungsbestimmungen und Volksinitiativen motivierten den Nationalrat auch, einer parlamentarischen Initiative Studer (evp, AG) aus dem Jahre 2005 für die Einführung eines Verfassungsgerichts gegen den Widerstand der SVP Folge zu geben. Als Reaktion darauf erwogen SVP-Spitzenpolitiker die Lancierung einer Volksinitiative, welche Volksinitiativen in jedem Fall, also auch bei Verletzung von zwingendem Völkerrecht, über internationales Recht stellen will [28].
Bei Volksinitiativen kommt es vor, dass die Initianten mit einem vom Parlament beschlossenen indirekten Gegenvorschlag zufrieden sind und ihr Begehren eigentlich zurückziehen möchten. Oft enthält dieser Gegenvorschlag auf Gesetzesstufe die Klausel, dass er nur dann in Kraft treten kann, wenn die Initiative entweder zurückgezogen oder in der Volksabstimmung abgelehnt worden ist. Da damit die offizielle Publikation des Gegenvorschlags und der Beginn der Sammelfrist für ein allfälliges Referendum erst nach dem Rückzug erfolgen, sind die Initianten über dessen Schicksal im Ungewissen und verzichten aus diesem Grund manchmal auf einen Rückzug. Ständerat Lombardi (cvp, TI) schlug deshalb in der Form einer parlamentarischen Initiative die Einführung des bedingten Rückzugs einer Volksinitiative vor. Die SPK des Ständerats arbeitete eine entsprechende Teilrevision des Gesetzes über die politischen Rechte aus. Da mit der Volksinitiative „Lebendiges Wasser“ und der als indirekten Gegenvorschlag konzipierten Revision des Gewässerschutzgesetzes ein konkreter Anwendungsfall im Parlament hängig war, drängte sie auf eine rasche Behandlung des Geschäfts. Sie beantragte, dass der Rückzug einer Volksinitiative nur dann gelten soll, wenn der Gegenvorschlag auch wirklich in Kraft tritt. Wird das Referendum ergriffen und der Gegenvorschlag vom Volk abgelehnt, dann findet anschliessend eine Abstimmung über die Volksinitiative statt. In der Vernehmlassung hatten sich FDP und SVP skeptisch gezeigt, der Bundesrat hingegen sprach sich für diese Neuerung aus [29].
Das Parlament hiess die Einführung des bedingten Rückzugs einer Volksinitiative bereits in der Herbstsession gut. Im Ständerat geschah dies einstimmig. Im Nationalrat stellte die SVP erfolglos einen Nichteintretensantrag, wobei die Begründung allerdings verwirrend war. Gemäss ihrem Sprecher Schibli (svp, ZH) würde diese bedingte Rückzugsmöglichkeit die Rechte des Volkes einschränken, da dieses Anspruch darauf habe, in jedem Fall über eine Initiative abzustimmen. Auch eine Mehrheit der FDP war für Nichteintreten, da die Neuerung die Ausübung der Volksrechte komplizierter gestalten würde. In der Schlussabstimmung verabschiedete der Nationalrat die neuen Bestimmungen mit 106 zu 88 Stimmen; dagegen waren die praktisch geschlossene SVP und eine grosse Mehrheit der FDP. In der kleinen Kammer gab es keine Gegenstimmen [30].
Der Nationalrat lehnte auf Antrag seiner SPK eine parlamentarische Initiative Chevrier (cvp, VS) für eine Begrenzung der Zahl der eidgenössischen Volksabstimmungen auf zwölf pro Jahr deutlich ab [31].
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Abstimmungen und Wahlen
Die SPK des Nationalrats publizierte einen Vorschlag zur Umsetzung der parlamentarischen Initiative Gross (sp, ZH) für fairere Abstimmungskampagnen, welcher der Rat 2005 Folge gegeben hatte. Eine Subkommission der SPK hatte dabei verschiedene Möglichkeiten untersucht. Die Verhandlungen mit der SBB über die Möglichkeit, in den grossen Bahnhöfen Gratisplakatierflächen anzubieten, brachten einige konkrete Resultate. So wird in Zukunft ein Plakat mit dem Parolenspiegel der nationalen Parteien gratis in grossen SBB-Bahnhöfen ausgehängt werden. Die für die Meinungsbildung als viel wichtiger eingestuften elektronischen Medien waren hingegen zu keinen Konzessionen bereit. Die Radio- und Fernsehanstalt SRG lehnte es ab, den Parteien freiwillig Sendezeit für die Gratisausstrahlung von politischer Werbung einzuräumen. Ihrer Ansicht nach sind die bestehenden redaktionellen politischen Sendegefässe zur Meinungsbildung durchaus ausreichend. Trotzdem verfolgte die SPK-NR diese Idee der Gratiswerbespots für Parteien weiter und arbeitete Grundlagen für eine gesetzliche Verpflichtung der SRG aus. In der im Spätherbst 2007 durchgeführten Vernehmlassung äusserten sich SP und CVP positiv, die FDP skeptisch und die SVP ablehnend; negativ fielen auch die Rückmeldungen der meisten Interessenverbände aus. Die Kritiker bemängelten insbesondere, dass mit diesen kurzen Werbespots der Parteien die Aussagen noch plakativer und die Diskussion noch oberflächlicher würde. Im Mai des Berichtsjahres stellte sich die SPK mit 14 zu 8 Stimmen hinter den Antrag, den Parteien mit Fraktionsstatus und den Initiativ- und Referendumskomitees im Fernsehen und im Radio während den Kampagnen gratis Werbezeit einzuräumen. Damit soll das zum Teil erhebliche Ungleichgewicht bei der bezahlten Abstimmungswerbung für bestimmte Anliegen ausgeglichen werden. Es soll auch vermieden werden, dass bei Themen, bei denen sich weder Parteien noch breit abgestützte Interessenverbände finanziell engagieren wollen, kaum Werbung für einen Parlamentsbeschluss gemacht wird. Dass dies geschehen kann, hatte sich beispielsweise bei der Volksabstimmung über die neue Bundesverfassung im Jahr 1999 gezeigt, als die Befürworter keine Mittel für Inserate oder Plakate einsetzen wollten und damit Kleinstparteien und intransparente kleine Gruppen einen unangemessenen Einfluss nehmen konnten. Formal soll auf Gesetzesstufe (Radio- und Fernsehgesetz resp. Gesetz über die politischen Rechte) der Grundsatz der Gratiswerbung für politische Anliegen eingeführt und die dazu berechtigten Parteien und Gruppierungen bezeichnet werden; die konkreten Ausführungsdetails sollen anschliessend in einer speziellen Verordnung der Bundesversammlung geregelt werden.
Der Bundesrat sah in seiner ausführlichen Stellungnahme Schwachpunkte sowohl beim Grundsatz als auch bei der konkreten Umsetzung der vorgeschlagenen Neuerung. Da diese zudem einen massiven Eingriff in die Programmfreiheit der Radio- und Fernsehveranstalter bedeuten würde, beantragte er Rückweisung. Im Nationalrat hatten die Vorschläge der SPK keine Chance: er entschied sich gegen die Stimmen der SP und der Grünen für Nichteintreten [32].
Nach der Meinung von Bundesrat und Nationalrat soll die politische Werbung an Autostrassen und Autobahnen auch dann aus Gründen der Verkehrssicherheit verboten bleiben, wenn die Plakate nicht direkt am Strassenrand, sondern auf einem landwirtschaftlichen Grundstück in einiger Entfernung platziert werden. Der Nationalrat lehnte eine von der SVP, der BDP und Minderheiten der FDP und CVP unterstützte Motion Zuppiger (svp, ZH) für eine Aufhebung dieses Verbots mit 88 zu 74 Stimmen ab [33].
Das Internet wird als Werbeinstrument bei der Unterschriftensammlung für Referenden und Initiativen sowie bei Volksabstimmungen immer wichtiger. Das Referendum gegen die Einführung der biometrischen Pässe war 2008 weitgehend aufgrund einer Kampagne im Internet zustande gekommen. Im Berichtsjahr fand ein mittels e-mail an rund 400 000 Personen verschickter Werbefilm für eine Zustimmung zur Weiterführung der Personenfreizügigkeit mit der EU grosse Beachtung; die Wirkung auf das Abstimmungsverhalten hielt sich allerdings in engen Grenzen. Sehr umstritten war bei der gleichen Abstimmung eine nur während der Kampagne aufgeschaltete Internet-Seite aus Deutschland. Diese Seite einer fiktiven Agentur gab vor, deutschen und osteuropäischen Sozialhilfeempfängern eine Niederlassungsbewilligung für die Schweiz zu vermitteln und wurde von den Gegnern der Freizügigkeit mit Empörung als Beweis für die negativen Konsequenzen der bilateralen Verträge mit der EU zitiert [34].
Nach mehrjährigen Versuchen in verschiedenen Gemeinden bei eidgenössischen und kantonalen Volksabstimmungen beschlossen die Genfer Stimmberechtigten, das System der Stimmabgabe über das Internet (e-voting) definitiv einzuführen. Mehrere Kantone vereinbarten, die im Kanton Zürich erprobte Lösung zu nutzen, um ihren Auslandschweizern die elektronische Stimmabgabe zu ermöglichen. Basel-Stadt schloss einen entsprechenden Vertrag mit Genf ab [35].
Erneut lehnte der Nationalrat einen Vorstoss für die Einführung des Wahlsystems „Doppelter Pukelsheim“ bei den Nationalratswahlen ab. Gegen eine entsprechende parlamentarische Initiative Zisyadis (pda, VD) wurde eingewendet, dass dieses System zwar die Proportionalität der Sitzverteilung gemäss nationalen Wähleranteilen verbessern würde, es bei der Verteilung der Parteimandate auf die Kantone aber zu Verzerrungen kommen könnte, welche im Widerspruch zum Wählerwillen des Kantons stünden [36].
 
Weiterführende Literatur
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Allgemeines
Barben, Judith, Spin doctors im Bundeshaus: Gefährdung der direkten Demokratie durch Manipulation und Propaganda, Baden 2009.
Biaggini, Giovanni e.a. (Hg.), Demokratie, Regierungsreform, Verfassungsfortbildung: Schwerpunkte aus dem wissenschaftlichen Werk von René Rhinow dargestellt von Schülern, kommentiert von Freunden und Kollegen: Symposium für René Rhinow zum 65. Geburtstag, Basel 2009.
Fischer, Manuel / Fischer, Alex / Sciarini, Pascal, „Power and conflict in the Swiss political elite: an aggregation of existing network analyses“, in Swiss Political Science Review, 2009, S. 31-62.
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Regierung
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Verwaltung
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Parlament
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Gerichte
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Volksrechte
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H.H.
 
[1] Presse vom 13.6.09; NZZ, 30.10.09.
[2] SN, 17.2.09; Lib., 21.7.09 (Darbellay); NLZ und NZZ, 13.6.09; Bund und BZ, 15.6.09 sowie Presse vom 16.-18.6.09 (Schwaller und Sprachenfrage); Bund, 19.8.09 und Lib., 25.8.09 (CVP-FR); BaZ, 29.8.09 und Presse vom 9.9.09 (Fraktion).
[3] Presse vom 1.-11.6.09. Nominationen: Bund, 9.7.09 (Burkhalter); LT, 24.7.09 (Brunschwig Graf und Lüscher); Presse vom 7.8.09 (Broulis); AZ, 11.8.09 (Pelli); Presse vom 29.8.09 (Fraktion).
[4] Siehe dazu Lit. Gross und NZZ, 26.8.09.
[5] Für den linksliberalen Marty hatten sich u.a. Repräsentanten der SP und die Tessiner Grünen ausgesprochen (SN, 26.8.09).
[6] AB NR, 2009, S. 1841 ff.; Presse vom 17.9.-19.9.09.
[7] TA, 21.3.09; NZZ, 27.3.09. Zu Sigg siehe TA, 25.3.09. Zur Ernennung Simonazzis siehe SPJ 2008, S. 34.
[8] Zisyadis: AB NR, 2009, S. 778 f. SVP: Presse vom 1.7., 24.8. und 5.10.09. Die Lancierung der Initiative erfolgte im Januar 2010.
[9] AB NR, 2009, S. 1748 ff. Siehe SPJ 2008, S. 33.
[10] AB NR, 2009, S. 568 (Burkhalter) und 2329 (Lustenberger). Vgl. dazu auch die Antwort des neuen BR Burkhalter auf eine Interpellation Fetz (sp, BS) in AB SR, 2009, S. 1277 sowie NZZ, 30.5.09 und SZ, 30.12.09 (Gerüchte über den Versuch, die Bildung im EVD zu konzentrieren). Siehe SPJ 2008, S. 35.
[11] BR: AB NR, 2009, S. 1472 (Frage Wasserfallen, fdp, BE). Vorstösse: AB NR, 2009, S. 568 f. (Postulat) und 1631 f. (Motion); AB SR, 2009, S. 696 ff.
[12] AB NR, 2009, S. 353 f. Siehe SPJ 2008, S. 35.
[13] AB SR, 2009, S. 187 ff.; NZZ, 17.2.09. Siehe SPJ 2008, S. 35 f.
[14] Gesetz: AB SR, 2009, S. 627 f.; AB NR, 2009, S. 1351 ff. Siehe SPJ 2006, S. 32. Verwaltungszusammenlegung: AB NR, 2009, S. 1224 f. Siehe SPJ 2008, S. 119.
[15] AB NR, 2009, S. 1250 f. (Rotz) und 1548 (SVP); AB SR, 2009, S. 556 f. (Jenny) und 1267 f.; LT, 28.5.09.
[16] NZZ, 6.1.09; BZ, 13.3.09. Siehe SPJ 2008, S. 36 f.
[17] BBl, 2009, S. 6197 ff. und 6205 f.; AB NR, 2009, S. 1639 ff., 1960 f. und 2355; AB SR, 2009, S. 1017 ff. und 1313; TA, 29.5.09; Bund, 22.9.09; NZZ, 18.11.09.
[18] AB NR, 2009, S. 1798; SGT, 16.3.09.
[19] Mo. Freysinger: AB NR, 2009, S. 295 ff.; AB SR, 2009, S. 388 f. Pa. Iv. 09.286 (Litscher-Graf) und Mo. 09.3835 (Reimann): TA, 26.9.09.
[20] AB NR, 2009, S. 422 ff. (Brunner) sowie 429 ff. und 564 ff. (Meier-Schatz und Glasson); AB SR, 2009, S. 637 (Brunner) und 638 f. (Meier-Schatz und Glasson); SGT, 13.1. und 16.1.09; NZZ, 11.6.09. Siehe SPJ 2007, S. 38 f. und 2008, S. 38 f. Zu Blochers Klagen gegen GPK-Mitglieder siehe auch den Jahresbericht 2008 der GPK in BBl, 2009, S. 2575 ff. Die Klagen gegen die Mitarbeiter der Bundesanwaltschaft wurden vom zuständigen Staatsanwalt nicht weiter verfolgt und eine Beschwerde Blochers gegen diesen Einstellungsentscheid vom Bundesstrafgericht abgelehnt: NZZ, 16.5.09; NLZ und NZZ, 12.11.09.
[21] BBl, 2009, S. 1365 ff. und 1377 ff. (BR); AB SR, 2009, S. 203 ff. und 734; AB NR, 2009, S. 921 ff. und 1312.
[22] BBl, 2009, S. 6635 ff. und 6645 ff. (BR); AB NR, 2009, S. 1692 ff. und 1829; AB SR, 2009, S. 958 f. und 1004; TA, 3.8.09. Zum Abkommen mit den USA siehe unten, Teil I, 4b (Banken).
[23] AB SR, 2009, S. 93 f., 186 f. und 281; AB NR, 2009, S. 273 f., 381 f. und 595; BBl, 2009, S. 2023 ff. Siehe SPJ 2008, S. 39.
[24] Gesetz: AB SR, 2009, S. 98 f. und 281; AB NR, 2009, S. 595; BBl, 2009, S. 2013 ff. Siehe SPJ 2008, S. 39. Motion: AB NR, 2009, S. 1622.
[25] AB SR, 2009, S. 587 ff.; AB NR, 2009, S. 2252 ff. Zur Kritik an der vom SR vorgesehenen Aufsichtsbehörde siehe Martin Killias und Lorenz Meyer in NZZ, 25.8. resp. 26.11.09. Siehe SPJ 2008, S. 39 ff.
[26] AUNS: BBl, 2009, S. 6057 ff. Siehe SPJ 2008, S. 41. Gross: AB NR, 2009, S. 2288 ff.
[27] BBl, 2009, S. 8719 ff.; BaZ, 9.9.09; NZZ, 10.9. (Gross, sp, ZH) und 19.9.09 (Müller, fdp, AG und Lustenberger, cvp, LU); Presse vom 28.9.09. Siehe SPJ 2008, S. 41 f.
[28] AB NR, 2009, S. 290 ff. (Postulat und pa. Iv. Vischer) und 689 ff. (pa. Iv. Studer); SoZ, 13.12.09; BaZ und BüZ, 14.12.09 (SVP). Die Idee der Vorprüfung von Volksinitiativen erhielt anlässlich der parlamentarischen Beratung der Ausschaffungsinitiative der SVP neuen Auftrieb (TA, 10.12.09; BüZ, 11.12.09 (Maissen, cvp, GR); vgl. auch oben, Teil I, 1b, Strafrecht). Siehe SPJ 2000, S. 32 (Verfassungsgericht) und 2008, S. 42.
[29] BBl, 2009, S. 3591 ff. und 3609 f. (BR). Zur Gewässerschutzinitiative siehe unten, Teil I, 6d (Protection des eaux).
[30] AB SR, 2009, S. 694 ff., 919 f. und 1003; AB NR, 2009, S. 1627 ff. und 1827; BBl, 2009, S. 6655 ff.
[31] AB NR, 2009, S. 1001 ff.
[32] BBl, 2009, S. 5833 ff. und 5885 ff. (BR); AB NR, 2009, S. 1870 ff.; TA, 12.5.09. Siehe SPJ 2005, S. 40 und 2008, S. 260.
[33] AB NR, 2009, S. 1371.
[34] Referendum: SPJ 2008, S. 20; Lib., 8.1.09; Bund, 12.1.09. Freizügigkeitsabstimmung: TA, 6.2. und 10.2.09; Hirter, Hans / Linder, Wolf, Vox. Analyse der eidgenössischen Abstimmung vom 8. Februar 2009, Bern 2009, S. 14.
[35] GE: TA und TG, 10.2.09. Auslandschweizer: NZZ, 16.6. (BS) und 5.9.09. Siehe dazu auch SPJ 2007, S. 39.
[36] AB NR, 2009, S. 2159 ff. Siehe SPJ 2008, S. 42 f.
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