Das Ringen um die beiden Aargauer Ständeratssitze begann rund 16 Monate vor den Wahlen im Oktober 2023 überraschend früh, als der erst 2019 ins Stöckli gewählte Hansjörg Knecht (svp, AG) anfangs Juli 2022 den Verzicht auf eine erneute Kandidatur bekanntgab. Mit dem Rücktritt eines Bisherigen auf Ende Legislatur sah sich der Kanton Aargau mit einer neuen Ausgangslage konfrontiert, denn bis anhin schien klar, dass der SVP-Ständerat sowie sein FDP-Amtsgenosse Thierry Burkhart (fdp, AG) als Kronfavoriten in die Ständeratswahlen gehen würden. Die Nomination von Thierry Burkart, welcher von seiner Partei als «profiliert» und als «Parteipräsident, der den besten Job mache» (Aargauer Zeitung, AZ), ausgezeichnet wurde, erfolgte im Januar 2023 unumstritten. Für die SVP ging es hingegen nun darum, ihren erst vor vier Jahren wiedergewonnenen Ständeratssitz mit einer neuen Person zu verteidigen. Nachdem sich alle übrigen von der Presse als mögliche Kandidierende gehandelten Parteimitglieder selbst aus dem Rennen genommen hatten, nominierte die Aargauer SVP an der Delegiertensitzung im Januar 2023 einstimmig Nationalrat Benjamin Giezendanner (svp, AG) – laut AZ ein «klassischer SVP-Hardliner», der als Unternehmer und Gewerbeverbandspräsident in der Wirtschaft gut vernetzt sei.
Der frei werdende Ständeratssitz eröffnete den übrigen Parteien die Möglichkeit, der SVP ihren Sitz mit eigenen Kandidierenden streitig zu machen und dem Kanton Aargau «eine geteilte Standesstimme» (AZ) zu bescheren. Den Anfang im «Tanz ums Stöckli» (AZ) machte die SP, deren Delegierten noch im August 2022 einstimmig die Aarauer Nationalrätin Gabriela Suter (sp, AG) ins Rennen um den freigewordenen Ständeratssitz entsandten. Gemäss Aargauer Zeitung war dies eine reine Formsache, denn Suter, die dem moderaten, sozialliberalen Flügel der Partei angehöre, habe längst als «Kronfavoritin» (AZ) der Partei gegolten und sei die einzige Bewerberin gewesen. Rund einen Monat später folgte die EVP mit der Nominierung ihrer Parteipräsidentin und Nationalrätin Lilian Studer (evp, AG). Die Chancen einer EVP-Ständerätin wurden von der Presse jedoch als sehr gering eingeschätzt, zumal die Partei bei diesen Wahlen auch um den Verbleib im Nationalrat kämpfte. Im November ernannten die Delegierten der Mitte Marianne Binder-Keller (mitte, AG) zur Ständeratskandidatin. Die Kantonalpräsidentin und Nationalrätin war bereits 2019 angetreten, wobei ihr damals auf Rang drei der Einzug in den Ständerat verwehrt geblieben war. Die Grünen hofften auf einen Einzug in den Ständerat mit Irène Kälin (gp, AG), die 2022 als Nationalratspräsidentin höchste Schweizerin war – ein Amt, welches laut Aargauer Zeitung insbesondere bei unabhängigen Wählerinnen und Wählern für Bekanntheit sorge. Auch die Grünliberalen fassten den Ständeratssitz ins Auge und schickten die ehemalige Grossrätin Barbara Portmann (AG, glp) ins Rennen. Im Sommer 2023 stiessen schliesslich die parteilose Nancy Holten (AG, parteilos), der «Dauerkandidat» (AZ) Pius Lischer (AG, parteilos) und die Coronaskeptikerin Theres Schöni (AG, parteilos) als Kandidierende hinzu. Kurz nach Ablauf der Anmeldefrist war somit klar, dass es einen «Ansturm aufs Stöckli» (Blick) gebe; insgesamt zehn Kandidatinnen und Kandidaten stellten sich für die beiden Aargauer Ständeratssitze zur Verfügung.

Im Vorfeld der Wahl rechneten die Aargauer Zeitung und der Blick fest mit einer Wiederwahl von Thierry Burkart im ersten Wahlgang, womit die Wahl laut Aargauer Zeitung auf einen «Kampf zwischen Mitte-links und der SVP hinaus» laufe. Der Sitz der wählerstärksten SVP komme gemäss Aargauer Zeitung aber nur «dann ins Wackeln», wenn sich Mitte-links im zweiten Wahlgang auf eine einzige Kandidatin einige – dies hätten bereits die vergangenen Ständeratswahlen sowie jene im Kanton St. Gallen gezeigt, argumentierte die Aargauer Zeitung. Wie die Zeitung vor den Wahlen zudem darlegte, budgetierten Gabriela Suter und Benjamin Giezendanner für den Wahlkampf mit CHF 210'000 respektive CHF 180'000 am meisten finanzielle Mittel, gefolgt von Marianne Binder (CHF 150'000), Irène Kälin (CHF 60'000), Barbara Portmann (CHF 40'000) und Lilian Studer mit einem Budget von CHF 30'000.

Am ersten Wahlgang beteiligten sich knapp 46 Prozent der Aargauer Stimmbevölkerung. Wie erwartet worden war, übertraf Thierry Burkart das absolute Mehr von 96'112 Stimmen mit 105'897 Stimmen auf Anhieb und wurde damit komfortabel im ersten Wahlgang im Amt bestätigt. Mit rund 20'000 Stimmen Rückstand folge auf dem zweiten Rang Benjamin Giezendanner (86'430 Stimmen), der das absolute Mehr somit genauso wie Gabriela Suter (51'930 Stimmen), Marianne Binder (48'414 Stimmen), Irène Kälin (38'511 Stimmen), Barbara Portmann (20'692 Stimmen), Lilian Studer (16'499 Stimmen) und deutlich abgeschlagen Nancy Holten (4'212 Stimmen), Theres Schöni (3'542 Stimmen) sowie Pius Lischer (1'964 Stimmen) verpasste.

Die Karten wurden, wie von der Aargauer Zeitung prognostiziert, für den zweiten Wahlgang «neu gemischt». Aufgrund ihrer Resultate im ersten Wahlgang verzichteten die Kandidatinnen der Grünen (Irène Kälin), der Grünliberalen (Barbara Portmann) und der EVP (Lilian Studer) auf den zweiten Umgang. Auch die Sozialdemokratin Gabriela Suter gab wenige Tage nach dem ersten Wahlgang den Rückzug ihrer Bewerbung bekannt, da sie «die Unterstützung nicht gespürt» habe und sie sich «für eine übergeordnete politisch wichtige Sache» (AZ) – die Verhinderung eines Rechtsrutsches – zurücknehmen wolle. Im Sinne einer «Anti-SVP-Allianz» (Blick) und mit dem Ziel einer Aargauer Frau im Ständerat stellten sich schliesslich alle Mitte-links-Parteien hinter die Mitte-Kandidatin Marianne Binder-Keller. Sie trat somit zu einem Ständeratsduell mit dem SVP-Kandidaten Benjamin Giezendanner an, der auf die Unterstützung der FDP zählen konnte. Weiterhin im Rennen um den Ständeratssitz wollten die freilich chancenlosen Nancy Holten und Pius Lischer bleiben.

Der Schulterschluss von Mitte-links brachte schliesslich die «grosse Wende» (AZ), wie sich im zweiten Wahlgang vom 19. November zeigte: Aus einem Rückstand von rund 38'000 Stimmen im ersten Wahlgang machte Marianne Binder-Keller mit 84'431 Stimmen in der zweiten Runde einen Vorsprung von 5'000 Stimmen, setzte sich damit gegen ihren Kontrahenten Benjamin Giezendanner durch und wurde ins Stöckli gewählt. Der SVP-Kandidat büsste im Vergleich zum ersten Wahlgang rund 7'000 Stimmen ein und konnte im November lediglich noch 79'429 Stimmen auf sich vereinen. Nancy Holten (2'879 Stimmen) und Pius Lischer (1'385 Stimmen) blieben erwartungsgemäss ohne Einfluss auf die Entscheidung. Die Wahlbeteiligung lag im zweiten Wahlgang bei 38.1 Prozent.