Der Leidensweg der Bundesfinanzreform wurde 1970 um ein weiteres Stück verlängert. Nachdem der Ständerat noch in der Wintersession 1969 die Vorlage des Bundesrates behandelt und dabei in verschiedenen Punkten abgeändert hatte, befasste sich im Frühjahr 1970 der Nationalrat mit dem umstrittenen Geschäft. Da die Vorlage Steuererhöhungen bei der Warenumsatzsteuer (Wust) vorsah, kam der günstige Abschluss der Staatsrechnung 1969 für Bundesrat Celio ungelegen. Schon in der Eintretensdebatte wurden entscheidende Einwände gegen seine Vorlage angemeldet. Biel (LdU, ZH) vertrat im Namen seiner Fraktion eine grundsätzlich neue Konzeption. Er wollte eine Bundessteuer auf Einkommen und Vermögen einführen, an deren Ertrag Kantone und Gemeinden zur Hälfte beteiligt sein sollten. Diese Konzeption wurde ebenso eindeutig abgelehnt wie jene von Muret (PdA, VD), der dem Bund das alleinige Recht zur Besteuerung der juristischen Personen einräumen wollte. Die übrigen politisch gewichtigsten Einwände kamen indessen erst in der Detailberatung richtig zum Ausdruck. Die Nahziele der Vorlage blieben dabei nicht ernsthaft bestritten. Die Beseitigung der kalten Steuerprogression bei der Wehrsteuer (West), die durch Erleichterungen für Einkommen bis zu CHF 88'700 erreicht werden sollte, war unangefochten. Auch beim Maximalsatz der West wurde an den vom Bundesrat vorgeschlagenen neun Prozent (abzüglich 5% Rabatt) für Einzelpersonen und acht Prozent (abzüglich 5% Rabatt) für juristische Personen festgehalten. Anderslautende Anträge von Max Weber (soz., BE), der bei den Einzelpersonen auf zwölf Prozent gehen wollte, und von Eisenring (k.-chr., ZH), der acht Prozent vorschlug, wurden abgelehnt. Das gleiche Schicksal erlitten zwei Anträge von Fischer (rad., BE). Sowohl der Vorschlag, die Biersteuer auf dem Stand vom 31. Dezember 1970 zu fixieren, als auch das alte Postulat einer Minimalsteuer für Genossenschaften fanden wenig Anhänger. Bei den Sozialabzügen von der West ging der Nationalrat weiter als der Ständerat. Die entscheidenden Differenzen zum Ständerat entstanden aber erst bei den mittelfristigen Zielen der Finanzvorlage. Im Nationalrat wurde gegen die Opposition der Liberalen, der Konservativen und einiger Freisinniger die Befristung der Bundessteuern (114 zu 43 Stimmen) und die Fixierung von Höchstsätzen in der Verfassung (109 zu 47 Stimmen bei der Wust; 95 zu 55 Stimmen bei der West) wieder aufgehoben. Konsequenterweise wurde dann die Wehrsteuer in «direkte Bundessteuer» (DBST)umbenannt. Mit dem knappen Mehr von 69 zu 65 Stimmen nahm der Nationalrat auch noch einen neuen Artikel auf, der dem Bund die Kompetenz gab, die Harmonisierung der Steuern von Bund, Kantonen und Gemeinden zu fördern. Andererseits folgte er der kleinen Kammer, indem er die Provision der Kantone an der Verrechnungssteuer von sechs auf zwölf Prozent erhöhte. In der Gesamtabstimmung wurde die nur unwesentlich veränderte Vorlage des Bundesrates mit 90 zu 16 Stimmen angenommen.
Bundesbeschluss über die Änderung der Finanzordnung des Bundes (BRG 10360)- Schlagworte
- Datum
- 17. März 1970
- Prozesstyp
- Bundesratsgeschäft
- Geschäftsnr.
- 10360
- Akteure
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- Freisinnig-Demokratische Partei der Schweiz (FDP; -2009)
- Konservativ-christlichsoziale Volkspartei (Vorgängerin CVP)
- Landesring der Unabhängigen (LdU)
- Liberale Partei der Schweiz (LPS)
- Celio, Nello (fdp/prd) BR EFZD / CF DFFD
- Biel, Walter (ldu/adi, ZH) NR/CN
- Muret, André (pda/pst, VD) NR/CN
- Weber, Max (sp/ps, BE) NR/CN
- Eisenring, Paul (k.-chr./ccs, ZH) NR/CN
- Fischer, Otto (fdp/prd, BE) NR/CN
- Quellen
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anzeigen
- AB NR, 1970, S. 106 ff.
- AB NR, 1970, S. 159 ff.
- AB NR, 1970, S. 209 ff.
- BBl, 1969, II, S. 749 ff.
- Tat, 31.1.70; NZ, 3.2. und 5.4.70; JdG, 6.3.70.
von Ulrich Klöti
Aktualisiert am 02.09.2024
Aktualisiert am 02.09.2024