Dringliche Bundesbeschlüsse gegen die Entsolidarisierung und über die Kostendämpfung (BRG 91.069)

In Beantwortung einer Interpellation Piller (sp, FR) zur Kostenexplosion im Gesundheitswesen versprach Bundespräsident Cotti, dem Parlament noch vor Ablauf des Jahres Überbrückungsmassnahmen zur Kostendämpfung im Gesundheitssektor vorzulegen.

Der dringliche Bundesbeschluss B vom Dezember 1991 über befristete Massnahmen gegen die Kostensteigerung im Gesundheitswesen strebte eine Plafonierung der Prämienerhöhungen auf rund 10% für 1992 an. Für die meisten Versicherten erhöhten sich die Prämien jedoch über diesen Prozentsatz, da vom Bundesbeschluss nur die Grund- sowie die Einzelversicherung betroffen waren. Zusatz- und Kollektivversicherte mussten deshalb weitergehende Prämienerhöhungen hinnehmen. Mit dem Hinweis auf schwindende Reserven versuchten überdies vor allem die mitgliederstarken Kassen, das BSV zu Sonderregelungen zu bewegen. Die meisten Ausnahmegesuche wurden jedoch abgelehnt.

Auch die Kantone machten teilweise handfeste Opposition gegen die Bundesbeschlüsse. Zehn Kantone erhöhten nur wenige Tage vor Inkrafttreten des Tarifstopps ihre Spitaltaxen zum Teil massiv über die vom Bund festgelegte Limite von 7,8% hinaus. Die Krankenkassenverbände in den Kantonen Aargau, Bern, Nidwalden, Schaffhausen und Thurgau wollten die Spitaltaxerhöhungen nicht akzeptieren und legten beim Bundesrat Beschwerde ein. Dieser gab der Beschwerde zumindest für den Kanton Schaffhausen statt.

Obwohl der Risikoausgleich zwischen den Krankenkassen 1994 voll greifen soll und dannzumal enorme Prämienerhöhungen bei den sogenannten "Billigkassen" zu erwarten sind, hielt die Abwanderung von den traditionellen zu den günstigeren "jungen" Kassen ungebremst an. Dies hing auch damit zusammen, dass aus Mangel an aktuellen Daten die Solidaritätsbeiträge aufgrund der zwei Jahre zurückliegenden Versicherungsbestände errechnet wurden, was zu schwerwiegenden statistischen Verzerrungen führte. Das BSV revidierte deshalb die entsprechende Verordnung mit dem Ziel, den Risikoausgleich realitätsnaher und effizienter zu gestalten.

Die 1991 beschlossenen individuellen Prämienverbilligungen für die Jahre 1992 bis 1994 scheiterten in vielen Kantonen an der angespannten Finanzlage bzw. an der fehlenden Rechtsbasis. Bundesrat und Parlament hatten die 300 Mio. Fr. Bundesbeiträge an die Bedingung gekoppelt, dass die Ausschüttung an die Kantone nur erfolgt, wenn diese — abgestuft nach ihrer Finanzkraft — den gleichen bis den dreifachen Betrag zuschiessen. Nur gerade 13 Kantone reichten fristgemäss bis Ende Juni ein entsprechendes Gesuch ein, einige von ihnen — so etwa Bern und Solothurn — beanspruchten lediglich einen Teil der ihnen zustehenden Bundesgelder. Die 100 Mio. Fr. pro Jahr werden aber dennoch ausgeschüttet. In einer zweiten Runde sollen jene Kantone die restlichen Gelder erhalten, die in der ersten Verteilrunde mitgemacht haben, und zwar unabhängig von der Höhe der kantonalen Prämienverbilligungen.

Bundesbeschluss über befristete Massnahmen gegen die Kostensteigerung in der Krankenversicherung (BRG 92.067)

Da der Bundesbeschluss B auf ein Jahr befristet war, legte der Bundesrat anfangs Juni Vorschläge für ein Anschlussprogramm vor. Im stationären Bereich kam er der Kritik der Kantone entgegen und liess für die Berechnung der Spitaltarife neben dem Preis- auch den Lohnindex zu. Bei der Festsetzung der Preise und Tarife der ambulanten Behandlung wurde keine Anderung gegenüber dem Vorjahr vorgenommen. So sollte ein Tarif- und Preisstopp in Kraft treten, wenn der Anstieg der Behandlungskosten je Versicherten und Jahr höher ist als der Anstieg der Konsumentenpreise plus ein Drittel.

Um die Prämienaufschläge der Krankenkassen bis zum Inkrafttreten des revidierten KVG in Grenzen zu halten, entwickelte die Verwaltung ein neues Konzept. Ausgangspunkt für die Berechnung der höchstzulässigen Prämienerhöhung sollten nicht mehr die Prämien einer Kasse sein, sondern die durchschnittliche Vorjahresprämie aller Kassen eines Kantons. Mit diesen kantonalen Richtprämien wollte der Bundesrat unter den Mitgliedern der verschiedenen Kassen einen gewissen Ausgleich schaffen. Voraussetzung dazu war der 1991 vom Parlament beschlossene Risikoausgleich (Beschluss A) unter den Krankenkassen, der 1993 wirksam werden soll. Dieser Ausgleich führt dazu, dass Kassen mit einer günstigen Risikostruktur (viele jüngere Männer) ihre tieferen Prämien stark erhöhen müssen. Diese zusätzlichen Mittel fliessen über einen Ausgleichsfonds zu jenen Kassen, die eine schlechtere Risikostruktur aufweisen (Frauen und ältere Versicherte) und erlauben, deren Prämien stabil zu halten. Die kantonalen Richtprämien dürfen jährlich um höchstens 180% der Vorjahresteuerung erhöht werden. Im Unterschied zum ersten Massnahmenpaket sollte auch die Beschwerdemöglichkeit der Kassen nicht mehr gegeben sein.

Das Anschlussprogramm stiess bei den meisten Kantonsregierungen, den Leistungserbringern und den Krankenkassen sowie bei den bürgerlichen Parteien auf breite Ablehnung. Von den Bundesratsparteien unterstützte einzig die SP die vorgeschlagenen Massnahmen. Dennoch wich der Bundesrat nicht von seiner Linie ab und baute in die definitive Vorlage gar noch eine Verschärfung ein, nämlich für 1993 einen generellen Tarifstopp im ambulanten Bereich. Dieser sollte 1994 nur unter der Bedingung aufgehoben werden können, dass 1993 das Ziel des alten Erlasses – eine Kostensteigerung um höchstens 133% der allgemeinen Teuerung – erreicht würde.

Der Ständerat trat ohne Begeisterung auf die Vorlage ein. Im Detail brachte er dann im Sinn von mehr Flexibilität und grösserer Opfersymmetrie einige nicht unwesentliche Korrekturen an. Oppositionslos wurden lediglich die gelockerten Tarifbeschränkungen im stationären Bereich angenommen. Im ambulanten Sektor gab die kleine Kammer vorerst einem Modell den Vorzug, welches im Gegensatz zum Vorschlag des Bundesrates bereits 1993 Tariferhöhungen für jene Leistungserbringer zulassen wollte, welche seit 1990 keine Erhöhung des Taxpunktwertes vorgenommen haben. Durch einen Rückkommensantrag Coutau (lp, GE) in letzter Minute wurden die Ärzte dann noch milder behandelt: statt für den einjährigen Tarifstopp mit grosszügiger Ausnahmeregelung stimmte der Ständerat nun einer generellen Erhöhung der Preise und Tarife im ambulanten Sektor zu, es sei denn, die Kosten würden damit mehr als ein Drittel über die allgemeine Teuerung ansteigen. Ein Antrag Onken (sp, TG), die Krankenkassen zum Abschluss besonderer Tarifverträge mit kostengünstig arbeitenden Arzten zu ermächtigen, wurde mit deutlichem Mehr abgelehnt. Die Plafonierung der kantonalen Richtprämien schliesslich wurde nur unter der Bedingung angenommen, dass das gesetzliche Minimum der Reserven der Kassen ausdrücklich garantiert bleibt.

Vermehrt wollte die kleine Kammer hingegen die Patienten in die Pflicht nehmen. Gegen den erbitterten Widerstand von Onken (sp, TG) und Roth (cvp, JU), welche die ebenso entschiedene Unterstützung von Bundesrat Cotti fanden, führte der Rat eine Franchise von 10 Fr. pro Tag für die stationäre Behandlung ein. Unbestritten blieb dagegen die Beschränkung der Gesamtfranchise auf 500 Fr. im Jahr. Von der Kostenbeteiligung im Spital ausgenommen wurden auf Antrag Schmid (cvp, AI) neben den Kindern und den Chronischkranken auch die Frauen im Wochenbett. Keine Opposition erwuchs auch dem Kommissionsantrag, dass Krankenkassen in der Krankenpflege-Grundversicherung nur noch die Pflichtleistungen übernehmen müssen. Mit deutlichem Mehr beschränkte der Rat die Grundversicherung zudem auf Medikamente, die in der Arzneimittel- oder Spezialitätenliste figurieren.

Anders als in der kleinen Kammer war im Nationalrat das Eintreten nicht unbestritten, doch wurde ein Rückweisungsantrag Rychen (svp, BE), welcher die Unterstützung der AP und eines Teiles der FDP fand, deutlich abgelehnt. In der Detailberatung standen sich bei den Arzttarifen drei Anträge gegenüber. Rychen (svp, BE) wollte die Preise einfrieren, Allenspach (fdp, ZH) plädierte für den Beschluss des Ständerates, und die Kommissionsmehrheit sprach sich für den ursprünglichen Entscheid der kleinen Kammer aus. Dank einer Allianz aus SP, CVP, Grünen und SD setzte sich schliesslich dieser Tarifstopp mit Ausnahmen – von denen rund 40% der Arzte profitieren können – mit einer Zweidrittelsmehrheit durch. Den Selbstbehalt für Spitalpatienten kippte der Nationalrat mit praktisch demselben Stimmenverhältnis aus der Vorlage. Dem Argument des Ständerates, dadurch werde das Kostenbewusstsein der Patienten geschärft, setzten die Gegner dieser Bestimmung die Behauptung gegenüber, hier gehe es nicht ums Sparen, sondern um das Abwälzen der Kosten auf die Schultern der Versicherten. Ebenfalls nichts wissen wollte der Nationalrat vom Beschluss des Ständerates, nur noch die Kosten für Medikamente der Arznei- und Spezialitätenliste durch die Grundversicherung abzudecken. Er übernahm damit das Anliegen eines Antrags Plattner (sp, BS) im Ständerat, welcher vergebens darauf hingewiesen hatte, dass die in der Liste nicht aufgeführten Naturheilmittel nicht nur sanfter, sondern auch billiger seien. In den anderen Punkten (Tarife und Preise im stationären Bereich, Prämienplafonierung) schloss sich die grosse der kleinen Kammer an.

In der Differenzbereinigung einigten sich die beiden Räte auf einen Kompromiss. Der Ständerat gab bei den Arzttarifen nach und kam auf sein ursprüngliches Modell eines gemilderten Tarifstopps zurück. Auch bei den Medikamenten schwenkte er auf die Linie des Nationalrates ein. Dieser akzeptierte dafür die Selbstbeteiligung der Patienten im Spital. Damit der Beschluss auf den 1. Januar 1993 in Kraft treten kann, wurde er für dringlich erklärt. Gleich wie der Beschluss A vom Vorjahr wurde er auf Ende 1994 befristet. Bis dann soll nach dem mehrfach geäusserten Willen von Regierung und Parlament das revidierte KVG verabschiedet und in Kraft gesetzt sein.

Wie bereits in der Parlamentsdebatte von ihrem Waadtländer Abgeordneten Zisyadis angekündigt, reichte die PdA wegen des Selbstbehalts im stationären Bereich das Referendum gegen diesen Bundesbeschluss ein.

Wegen der neu eingeführten Kostenbeteiligung von zehn Franken pro Tag im Spital wurde von der PdA das Referendum gegen die im Vorjahr vom Parlament verabschiedeten und für 1993 und 1994 wirksam werdenden dringlichen Massnahmen gegen die Kostensteigerung in der Krankenversicherung eingereicht, doch wurde die Vorlage in der Volksabstimmung mit über 80% Ja-Stimmen sehr deutlich angenommen.

Dringlicher Bundesbeschluss über Massnahmen gegen die Kostensteigerung in der Krankenversicherung. Abstimmung vom 26. September 1993
Beteiligung: 39,8%

Ja: 1 416 209 (80,5%) / 20 6/2 Stände
Nein: 342 002 (19,5%) / 0 Stände

Parolen:
-Ja: FDP, SP, CVP, SVP, GP, LP, LdU, EVP, AP, SD, EDU; SGB, CNG, VSA, SBV, SGV; Krankenkassenkonkordat, FMH, Schweiz. Patienten-Organisation.
-Nein: PdA, Lega.

Die Vox-Analyse dieses Urnengangs wertete den Ausgang der Abstimmung als Vertrauensbeweis gegenüber Bundesrat und Parlament, und dies homogen über alle Bevölkerungsgruppen hinweg. Sowohl Befürworter als auch Gegner stützten ihren Entscheid zu einem grossen Teil auf das Bestreben, die steigenden persönlichen Ausgaben für die Krankenversicherung zu bremsen. Die Befürworter akzeptierten den Bundesbeschluss dabei als valablen Kompromiss, während die Gegner radikalere Lösungen zum Schutz der kleinen Einkommen bevorzugt hätten.

Verlängerung dreier dringlicher Bundesbeschlüsse (BRG 94.002)

Die Gültigkeitsdauer der drei dringlichen Bundesbeschlüsse zur Anhebung der Subventionen an die Krankenkassen (1990), über Massnahmen gegen die Entsolidarisierung in der Krankenversicherung (1991) und gegen die Kostensteigerung in der Krankenversicherung (1992) war seinerzeit bis zum 31. Dezember 1994 befristet worden, in der Annahme, das neue Gesetz über die Krankenversicherung (KVG) könne am 1. Januar 1995 in Kraft treten. Da das Gesetz erst in der Frühjahrssession von den Räten verabschiedet wurde (s. unten), zeigte die Anhörung der Kantone und der Versicherer, dass ein Inkrafttreten selbst ohne Referendum frühestens auf den 1. Januar 1996 in Frage kommen könnte. Weil die drei Bundesbeschlüsse aber den reibungslosen Übergang zum neuen Gesetz bezwecken, beantragte der Bundesrat dem Parlament deren Verlängerung bis zum Inkrafttreten des neuen Gesetzes, längstens aber bis zum 31. Dezember 1997. Die einzige gewichtige Änderung gegenüber den früheren Beschlüssen sah der Bundesrat bei den Massnahmen gegen die Entsolidarisierung (Beschluss B) vor. In Umsetzung des vor der Abstimmung zur Mehrwertsteuer abgegebenen Versprechens, zur sozialen Abfederung der neuen Steuer während fünf Jahren jeweils 5% von deren Ertrag (schätzungsweise rund 500 Mio. Fr.) zur Verbilligung der Krankenkassenprämien für die sozial schwächere Bevölkerung zu verwenden, schlug der Bundesrat vor, ab 1995 die Bundessubvention auf 600 Mio Fr. zu erhöhen, nämlich 100 Mio. gemäss dem Beschluss B von 1991 und 500 Mio. aus der Mehrwertsteuer. Damit die Kantone dies nicht zum Vorwand nehmen können, ihre eigenen Beiträge einzufrieren, wollte die Landesregierung die Kantone verpflichten, wie bis anhin ungefähr 200 Mio. Fr. zur gezielten Prämienverbilligung beizusteuern.

Als Erstrat stimmte die grosse Kammer der Vorlage zu, verkürzte aber die Verlängerung von drei auf zwei Jahre, weil sie nicht schon für den Fall einer Ablehnung des revidierten Krankenversicherungsgesetzes vorsorgen wollte. Zudem entliess sie beim Beschluss B die Kantone wieder aus der Verantwortung. Diesen soll weiterhin freigestellt werden, ob sie durch eigene Beiträge die Bundessubventionen auslösen wollen oder nicht. Im Ständerat führte ein Antrag Schmid (cvp, AI), angesichts der Ausschüttung der Mehrwertsteuermillionen seien die 100 Mio. Fr. des Beschlusses B aus Rücksicht auf die prekäre Finanzlage des Bundes zu kappen, zu einer längeren Diskussion, doch schwenkte die kleine Kammer schliesslich - wenn auch nur knapp - auf die Linie des Nationalrates ein.