Zuletzt aktualisiert: 27.05.2019, 16:41 Uhr

Dossier: Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetz (RVOG) Als PDF speichern

Referendum gegen das Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetz

Dossier: Regierungsreformen in den 90er Jahren

Die sich vor allem aus rechtsbürgerlichen Kreisen rekrutierenden Gegner der Reform machten ihre Drohung mit dem Referendum wahr. Unmittelbar nach der Schlussabstimmung formierte sich ein von Steinemann (fp, SG), Früh (fdp, AR), Seiler (svp, BE) und Schmidhalter (cvp, VS) präsidiertes "Komitee gegen eine aufgeblähte Bundesverwaltung mit überflüssigen Staatssekretären". Unterstützung fanden sie bei der AUNS; mit der Unterschriftensammlung wurde ein Berner PR-Büro betraut. Noch vor Jahresende waren die benötigten 50 000 Unterschriften beisammen.

Nachdem das von rechtsbürgerlichen Kreisen im Vorjahr lancierte Referendum gegen die "Regierungsreform 93" mit rund 70 000 Unterschriften zustande gekommen war, setzte der Bundesrat die Volksabstimmung auf den 9. Juni fest. Die Kampagne vermochte keine grossen Emotionen zu entfachen; die Gegner thematisierten einzig die Frage der Staatssekretäre und deren Kosten. Auf Befürworterseite befanden sich zwar die drei grössten Parteien, aber ihre Zustimmung fiel eher gedämpft aus. So entschieden sich bei der FDP acht Kantonalsektionen für die Nein-Parole, und auch der Vorstand der SPS hatte sich nur mit 26:19 Stimmen - und gegen Parteipräsident Bodenmann - für eine Unterstützung entschieden. Einzig der Bundesrat setzte sich ernsthaft für die Reform ein. Die Gegner, bei denen der Gewerbeverband die Kampagne koordinierte, brauchten sich angesichts der Gleichgültigkeit der Öffentlichkeit und der schwachen Gegenwehr der meisten Befürworter auch nicht übermässig zu engagieren.


Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetz
Abstimmung vom 9. Juni 1996

Beteiligung: 31,3%
Ja: 544 630 (39,4%)
Nein: 837 990 (60,6%)

Parolen:
- Ja: FDP (8*), SP, CVP (3*), LP, EVP; SGB, CNG.
- Nein: SVP (1*), FP, SD, LdU (1*), EDU; Vorort, SGV.
- Stimmfreigabe: GP, PdA.

* Anzahl abweichender Kantonalsektionen

Das Resultat fiel mit einem Nein-Stimmenanteil von rund 60% deutlich aus. Nur gerade in den Kantonen Genf, Neuenburg und Waadt stimmte das Volk der Vorlage zu. Am wuchtigsten war die Ablehnung in den kleinen ländlichen Kantonen der Zentral- und Ostschweiz, aber auch die stark industrialisierten Mittellandkantone Aargau und Solothurn steuerten Nein-Anteile von über 70% bei. Die Vox-Analyse bestätigte, dass sich die Gegner vorwiegend an den Staatssekretären und dabei vor allem an den dadurch entstehenden Kosten gestört hatten.

neue Botschaft für ein Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetz

Dossier: Regierungsreformen in den 90er Jahren

Bereits am 16. Oktober präsentierte der Bundesrat eine neue Botschaft für ein Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetz. Dieses enthält die unbestrittenen Elemente der in der Volksabstimmung abgelehnten Vorlage und verzichtet auf die Schaffung von Staatssekretärstellen. Als Kernpunkte der Reform blieben demnach noch die teilweise Übertragung von Organisationskompetenzen vom Parlament auf den Bundesrat und die rechtlichen Voraussetzungen für die Einführung von neuen Methoden zur Verwaltungsführung (New Public Management, NPM).

Wie oben dargestellt, lehnte das Volk am 9. Juni das neuen Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetz ab. Dieses hätte neben der umstrittenen Schaffung von zusätzlichen Staatssekretärstellen auch die gesetzlichen Grundlagen für eine an den Prinzipien des New Public Management (NPM) ausgerichtete Verwaltung mit Globalbudgets und Leistungsaufträgen für einzelne Amtsstellen gebracht. Diese unbestrittenen Neuerungen behielt der Bundesrat in seinem um die Staatssekretäre erleichterten Entwurf für eine Neuauflage des Gesetzes bei.

Der Ständerat liess ebenfalls keine Zeit verstreichen und befasste sich schon in der Wintersession mit dem neuen Vorschlag. Eintreten war unbestritten. Eine Differenz zur Regierungsvorlage ergab sich bei den Vorschriften über die Entscheidfindung im Bundesrat. Während der Bundesrat weiterhin Stimmenthaltung zulassen wollte, beschloss der Ständerat mit knappem Mehr, dass dies nur für Exekutivmitglieder erlaubt sein soll, welche sich an den Beratungen nicht beteiligt haben. Der Ständerat baute zudem ein parlamentarisches Mitspracheinstrument bei der Verwaltungsführung nach den Methoden des NPM ein. Er verpflichtete die Regierung, bei der Formulierung von Leistungsaufträgen für Verwaltungseinheiten die zuständigen Kommissionen der beiden Parlamentskammern zu konsultieren. Bundeskanzler Couchepin hatte sich dagegen vergeblich mit dem Argument gewehrt, dass im Sinne einer klaren Kompetenzausscheidung die Einflussnahme des Parlaments auf die Genehmigung der Globalbudgets (und damit implizit des Leistungsauftrags) im Rahmen der Budgetdebatte beschränkt bleiben sollte. Die kleine Kammer beauftragte zudem den Bundesrat, vier Jahre nach Inkraftsetzen des Gesetzes dem Parlament einen Evaluationsbericht zur Umsetzung der Methoden der neuen Verwaltungsführung vorzulegen.

Als Zweitrat stimmte in der Frühjahrssession auch der Nationalrat dem neuen Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetz (RVOG) zu. Entgegen dem Ständerat verzichtete er darauf, bei Bundesratsbeschlüssen die Stimmenthaltung zu verbieten. Anträge der Liberalen und von Loeb (fdp, BE), welche dem Bundespräsidenten mehr Kompetenzen zuteilen wollten (durch die exklusive Sprecherrolle bei Angelegenheiten von grosser Bedeutung resp. durch die Festlegung der bundesrätlichen Tages- und Prioritätenordnung), scheiterten. Der Nationalrat stimmte der Idee der kleinen Kammer zu, die Mitwirkungsrechte des Parlaments bei der mit dem neuen Gesetz ermöglichten Erteilung von Leistungsaufträgen für nach den Methoden des New Public Management (NPM) geführte Verwaltungseinheiten auszubauen. Die Regierung wird damit verpflichtet, die zuständigen Parlamentskommissionen zu konsultieren. Zudem führte der Nationalrat - durch eine Teilrevision des Geschäftsverkehrsgesetzes - ein "Auftrag" genanntes neues parlamentarisches Instrument ein. Dieses erlaubt es dem Parlament, dem Bundesrat Richtlinien bezüglich der Grundsätze und Kriterien von Leistungsaufträgen vorzugeben. Die Richtlinien sind für die Regierung zwar nicht absolut verbindlich, Abweichungen davon müssen aber vor dem Parlament begründet werden. Ein solcher Auftrag muss von beiden Parlamentskammern in identischer Form verabschiedet werden, wobei der Entwurf in beiden Räten abgeändert werden kann. Dieser Auftrag als Richtlinie für Geschäfte, die in die Kompetenz des Bundesrates fallen, bedeutet eine teilweise Vorwegnahme der Vorschläge der SPK beider Räte für die Neugestaltung der Beziehungen zwischen Exekutive und Legislative im Rahmen der Verfassungsrevision (siehe dazu unten, Parlament).

Der Ständerat verzichtete in der Differenzbereinigung auf das Verbot der Stimmenthaltung bei Abstimmungen im Bundesrat und schloss sich auch beim neuen Instrument des parlamentarischen Auftrags der grossen Kammer an. In der Schlussabstimmung enthielt sich in der grossen Kammer neben einigen bürgerlichen Nationalräten eine deutliche Mehrheit der SP-Fraktion der Stimme oder lehnte die Vorlage ab. Der Grund dafür lag in ihrer Befürchtung, dass mit der Ausrichtung auf NPM-Methoden politische und ökologische Überlegungen von den rein betriebswirtschaftlichen Aspekten der Verwaltungsführung in den Hintergrund gedrängt würden. Die im Vorjahr nach dem negativen Ausgang der Volksabstimmung vom Ständerat überwiesene Motion [96.3254] Saudan (fdp, GE) für eine abgespeckte Neuauflage des Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetzes konnte als erledigt abgeschrieben werden.

Bei der Anpassung der Ratsreglemente an die Revision des Geschäftsverkehrsgesetzes schlugen die SPK vor, dass das neue Instrument des Auftrags sowohl von Kommissionen und Fraktionen, als auch von einzelnen Ratsmitgliedern eingereicht werden kann, wobei auf jeden Fall eine Vorberatung in der zuständigen Parlamentskommission erfolgen muss. Sobald diese Kommission einem Auftrag zugestimmt hat, gilt er als von ihr übernommen und kann - anders als etwa eine Motion - vom Urheber nicht mehr zurückgezogen werden. In seiner Stellungnahme zu diesen Ausführungsbestimmungen wiederholte der Bundesrat seine Skepsis gegenüber dem neuen Instrument, das seiner Ansicht nach einer klaren Kompetenzausscheidung widerspricht. Da aber die nötigen Grundsatzentscheide bereits gefallen waren, gab er seiner Erwartung Ausdruck, dass er schon vor den ersten Kommissionsberatungen über einen Auftrag seine Meinung dazu ausdrücken könne, und dass er mit vollem Antragsrecht zu allen Kommissions- und Plenarsitzungen eingeladen werde. Die beiden Parlamentskammern hiessen die von den Kommissionen beantragten Änderungen ihrer Reglemente oppositionslos gut.