Abstrakte Normenkontrolle von Notverordnungen (Pa.Iv. 20.430)

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Zwar habe das Parlament gestützt auf das Bundesgesetz «über die Wahrung von Demokratie, Rechtsstaat und Handlungsfähigkeit in ausserordentlichen Lagen» (AS 2011 1381) die Möglichkeit, auf finanzrechtliche Aspekte und konkrete Befristungen von Notverordnungen Einfluss zu nehmen, die Möglichkeit einer juristischen Kontrolle im Sinne einer abstrakten Normenkontrolle von Notverordnungen durch das Bundesgericht gebe es hingegen nicht, begründete die GP-Fraktion ihre parlamentarische Initiative zur Schaffung einer solchen. Die Verhältnismässigkeit von bundesrätlichen und parlamentarischen Notverordnungen, die unter Umständen sehr lange in Kraft seien und von anderen Gewalten nicht kontrolliert werden könnten, müsse insbesondere in Krisenzeiten gewahrt bleiben. Es gehe hier explizit nicht um die Einführung eines Verfassungsgerichts, sondern darum, die Rechtmässigkeit von Notrecht rasch abstrakt prüfen zu können.
Zwar habe in der SPK-NR «eine gewisse Skepsis» gegenüber einer bundesgerichtlichen Normenkontrolle geherrscht, mit 13 zu 10 Stimmen bei 2 Enthaltungen hätte sich aber eine knappe Mehrheit der Kommission dafür ausgesprochen, der Idee Folge zu geben, wie der Medienmitteilung der Kommission Mitte Mai 2021 zu entnehmen war.

Dossier: Le Parlement en situation de crise

Nachdem die SPK-SR der parlamentarischen Initiative der GP-Fraktion für die Einführung einer abstrakten Normenkontrolle von Notverordnungen keine Folge hatte geben wollen, schwenkte auch die SPK-NR um. Letztere hatte sich Ende Mai 2021 noch knapp für Folgegeben entschieden, lehnte die Idee im Januar 2023 jedoch mit 21 zu 3 Stimmen deutlich ab. In der Zwischenzeit hatte sich einiges getan: So war der Vorschlag einer juristischen Überprüfung von bundesrätlichen Notverordnung im Rahmen der Beratungen der Handlungsfähigkeit des Parlaments in Krisen sowohl vom Nationalrat als auch vom Ständerat deutlich abgelehnt worden. Dies war laut Kommissionsbericht denn auch der Grund für die Positionsänderungen innerhalb der SPK-NR.
In der Nationalratsdebatte in der Frühjahrssession 2023 versuchte Balthasar Glättli (gp, ZH) im Namen seiner Fraktion, dem Rat die parlamentarische Initiative doch noch schmackhaft zu machen: Sowohl der Bundesrat als auch das Parlament könnten – das habe die Covid-19-Krise gezeigt – Notverordnungen beschliessen, die sehr weitreichend in Grundrechte eingreifen würden. Da gegen solche Beschlüsse kein Referendum ergriffen werden könne, brauche es die dritte Gewalt und die Möglichkeit für Stimmbürgerinnen und Stimmbürger, Notverordnungen gerichtlich überprüfen zu lassen. Glättlis Aufruf zu «helfen, die Demokratie auch notstandsfest zu machen», verhallte aber praktisch ungehört. Die 31 Parlamentsmitglieder, die der Initiative hätten Folge geben wollen, stammten allesamt aus der geschlossen stimmenden Grünen-Fraktion – einzig unterstützt von Benjamin Fischer (svp, ZH) – und standen einer Mehrheit von 163 ablehnenden Parlamentsmitgliedern gegenüber.

Dossier: Le Parlement en situation de crise