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Jahresrückblick 2022: Föderativer Aufbau

Die Diskussionen über Krisentauglichkeit und allfälligen Reformbedarf des schweizerischen föderalistischen Systems hielten 2022 wie schon in den Vorjahren an, allerdings in geringerer medialer Intensität: Mit dem Abflauen der Covid-19-Pandemie und der Aufhebung der meisten Massnahmen ging Anfang Jahr auch das Medieninteresse an Fragen des Föderalismus auf das Niveau vor der Pandemie zurück (siehe die Abbildungen in der angehängten APS-Zeitungsanalyse 2022).
Viele Medien, Behörden und Forschende zogen aber Bilanz darüber, ob der Föderalismus bei der Bekämpfung der Covid-19-Pandemie eher Fluch oder Segen gewesen sei. Dabei herrschte weitgehend Einigkeit, dass der Föderalismus verschiedentlich einem Schwarzpeter-Spiel Vorschub leistete, bei dem Bund und Kantone sich gegenseitig die Verantwortung für unpopuläre Entscheidungen zuschoben. Kantonal unterschiedliche Regelungen wurden oft als Flickenteppich wahrgenommen, was möglicherweise der generellen Akzeptanz von Einschränkungen schadete. Andererseits wurden dank dem «föderalen Labor» diverse innovative Lösungen in einem Kanton entwickelt und konnten im Erfolgsfall dann auch anderswo übernommen werden – so etwa die Zürcher Lösung für die Unterstützung von Kulturschaffenden, das Zuger Ampelsystem oder die Bündner Massentests, welche ihrerseits aus dem Wallis inspiriert waren. Weil der Föderalismus zu einer breiteren Abstützung politischer Massnahmen zwingt, hat er gemäss einer verbreiteten Einschätzung die Entscheidungsfindung verlangsamt und tendenziell verwässert, die Akzeptanz in der Gesellschaft dadurch aber vermutlich verbessert. Kritik gab es in den Medien, aber auch aus den Kantonen, an der Rolle der interkantonalen Konferenzen der Kantonsregierungen: Diese seien fälschlicherweise als Sprachrohre der Kantone gegenüber dem Bund und der Öffentlichkeit wahrgenommen worden.

Aufgrund dieser Diskussionen wurden teilweise auch Konsequenzen in Form von institutionellen Anpassungen gefordert. Ein von verschiedenen Seiten vorgebrachtes Anliegen war eine klarere Kompetenzzuteilung und eine bessere Koordination zwischen Bund und Kantonen. Derweil rückte die Konferenz der Kantonsregierungen (KdK) wieder von ihrer Ende 2020 formulierten Forderung nach einem paritätisch zusammengesetzten politisch-strategischen Führungsorgan von Bund und Kantonen ab; sie erachtete nun im Fall einer Krise bloss noch einen gemeinsamen Krisenstab auf operativer Ebene und eine Intensivierung des Dialogs auf strategischer Ebene für nötig. Zudem solle das Epidemiengesetz dem Bund künftig bereits in der besonderen Lage (und nicht erst in der ausserordentlichen Lage) eine «strategische Gesamtführung» und zusätzliche Kompetenzen für landesweite Massnahmen übertragen. Kritikerinnen und Kritiker witterten darin eine neue Schwarzpeter-Strategie: Die KdK wolle Verantwortung an den Bund abschieben. Die KdK selbst argumentierte hingegen, es gehe ihr um die Vermeidung von Flickenteppichen.

Die zwei Seiten der Föderalismusmedaille – einerseits Begünstigung innovativer Lösungen durch das föderale Labor, andererseits Verlangsamung einheitlicher Lösungen und Koordinationsbedarf zwischen Bund und Kantonen – blieben auch in anderen Bereichen ein unerschöpfliches Thema der öffentlichen Diskussion. So wurde etwa diskutiert, ob der Föderalismus bei der Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung(en) in der Schweiz als Motor oder vielmehr als Bremsklotz wirke.
Die Aufgabenteilung und die Zusammenarbeit zwischen Bund und Kantonen war auch bei der Aufnahme der zahlreichen nach der russischen Invasion aus der Ukraine Geflüchteten ein Thema. Aufgrund der erstmaligen Aktivierung des Schutzstatus S waren dabei Fragen zu klären, wie jene nach einem Schlüssel für die Zuteilung der Geflüchteten auf die Kantone oder nach der finanziellen Unterstützung des Bundes für ihre Betreuung in den Kantonen.
In der Diskussion um eine drohende Energieknappheit forderte die Konferenz kantonaler Energiedirektoren (EnDK) nebst der Einberufung eines Krisenstabs auf Bundesebene mehr und frühzeitigere koordinierende Vorgaben vom Bund, worauf dieser vorerst nicht einging. Manche Kommentatorinnen und Kommentatoren fühlten sich an das «Gschtürm» während der Covid-19-Pandemie erinnert: Erneut schöben Bund und Kantone einander gegenseitig die Verantwortung für unpopuläre Massnahmen zu.

Die Debatte um das Verhältnis zwischen Stadt und Land flaute im Vergleich zum Vorjahr deutlich ab – bis sie im Zusammenhang mit den Bundesratsersatzwahlen im Dezember unvermittelt wieder hochkochte: Einige Stimmen in den Medien befürchteten aufgrund der Wohnorte der künftigen Bundesratsmitglieder eine Übervertretung der ländlichen Schweiz, andere sahen auf lange Sicht gerade im Gegenteil die Städte übervertreten, während Agglomerations- und Landgemeinden weniger Bundesratsmitglieder stellten als es ihrem Bevölkerungsanteil entspräche. Dagegen gehalten wurde aber vor allem auch, dass die aktuellen Wohnorte der Bundesratsmitglieder bloss von marginaler Bedeutung für die Vertretung regionaler Interessen in der Schweiz seien.

Derweil tat sich bei zwei Volksabstimmungen ein Röstigraben auf: Sowohl beim knappen Ja zur AHV-21-Reform als auch beim Nein zum Medienpaket wurde die Romandie (und bei der AHV zudem das Tessin) von einer Mehrheit der Deutschschweiz überstimmt. Zwei im Berichtsjahr erschienene Studien zum Röstigraben gaben indessen eher zu Gelassenheit Anlass: Sie zeigten unter anderem, dass sämtliche Kantone – auch jene der Sprachminderheiten – deutlich häufiger auf der Gewinner- als auf der Verlierseite stehen und dass es bisher nicht einmal bei jeder hundertsten Volksabstimmung zu einem «perfekten» Röstigraben gekommen ist, bei dem sämtliche mehrheitlich französischsprachigen Kantone auf der einen und sämtliche Deutschschweizer Kantone auf der anderen Seite standen.

In der schier unendlichen Geschichte um die Kantonszugehörigkeit von Moutier unternahmen Beschwerdeführende 2022 einen Versuch, das Abstimmungsergebnis von 2021 mit einem Rekurs umzustossen. Das bernische Statthalteramt trat auf den Rekurs jedoch nicht ein, sodass es nicht zu einer weiteren Abstimmungswiederholung kommt: Moutier wird also vom Kanton Bern zum Kanton Jura übertreten – und zwar möglichst per 1. Januar 2026. Auf dieses Datum konnten sich die beiden Kantone und der Bund inzwischen einigen. Bis dahin ist noch eine Reihe inhaltlicher Fragen zu lösen, und das Ergebnis muss in Volksabstimmungen in den Kantonen Bern und Jura sowie mit einem Parlamentsbeschluss des Bundes abgesegnet werden.
Nachdem die bisher ebenfalls bernische Gemeinde Clavaleyres diesen Prozess bereits durchlaufen hatte, stellte der Wechsel von Clavaleyres zum Kanton Freiburg am 1. Januar 2022 nur noch eine Vollzugsmeldung dar. Es handelte sich dabei um die erste Grenzverschiebung zwischen zwei Schweizer Kantonen seit 1996, als Vellerat den Kanton Bern zugunsten des Kantons Jura verliess.

Häufiger als Kantonswechsel sind Gemeindefusionen innerhalb desselben Kantons. Der Trend zu weniger und grösseren Gemeinden ging 2022 weiter: Am 1. Januar 2022 betrug die Zahl der Gemeinden in der Schweiz 2'148, das waren 24 weniger als ein Jahr davor. Damit ging die Entwicklung in einem ähnlichen Tempo weiter wie in den Vorjahren.

Jahresrückblick 2022: Föderativer Aufbau
Dossier: Rétrospective annuelle 2022

Jahresrückblick 2022: Öffentliche Finanzen

Während die Covid-19-Pandemie im Jahr 2022 allgemein an Virulenz verloren hatte, blieb sie für den Politikbereich «Öffentliche Finanzen» sehr zentral. Im Zentrum stand die Frage, wie die bis Ende 2022 auf CHF 26 Mrd. angewachsenen pandemiebedingten, ausserordentlich verbuchten Schulden abgebaut werden sollen. Zwar hatten Parlamentsmitglieder verschiedene Vorschläge unterbreitet, mit einer Änderung des Finanzhaushaltgesetzes entschieden die Räte jedoch, dem Bundesrat zu folgen, die Abbaufrist um sechs Jahre zu verlängern und die Schulden durch die zukünftigen Kreditreste sowie allfällige Zusatzausschüttungen der SNB abzubauen.
Die Covid-19-Pandemie war jedoch nicht nur bei der Frage des Schuldenabbaus 2022, sondern bei vielen anderen Debatten zu den öffentlichen Finanzen immer wieder Thema. So behandelte das Parlament zahlreiche Vorstösse, die zu Beginn der Pandemie im Jahr 2020 eingereicht worden waren und nun entweder behandelt oder aber unbehandelt abgeschrieben werden mussten. Folglich debattierte das Parlament über parlamentarische Vorschläge zur steuerlichen Unterstützung der von der Pandemie besonders stark betroffenen Unternehmen, zum Beispiel durch einen zwölfmonatigen Mehrwertsteuererlass oder eine Mehrwertsteuerreduktion für die betroffenen Betriebe oder durch einen Abzug für Eigenfinanzierung bei der Unternehmenssteuer. Auch Vorstösse zur Finanzierung der Covid-19-Massnahmen – etwa mittels Streichung sämtlicher Zahlungen ans Ausland, wie zum Beispiel der zweiten Kohäsionsmilliarde, durch höhere Ausschüttungen der SNB oder durch neue Steuern, etwa in Form eines Solidaritäts-Zuschlags auf Dividenden und Kapitaleinlagereserven oder durch eine solidarische Steuer auf grossen Vermögen – wurden diskutiert, aber allesamt abgelehnt.

Noch immer zentral war Covid-19 auch in der im Sommer 2022 beratenen Staatsrechnung 2021, zumal die Pandemie erneut zu einem rekordhohen Defizit von CHF 12.2. Mrd. geführt hatte. Und obwohl Covid-19 in der Zwischenzeit stark an Intensität eingebüsst hatte, stritten National- und Ständerat im Rahmen des Nachtrags Ib zum Voranschlag 2022 erneut relativ heftig um die Finanzierung einzelner Covid-19-Massnahmen. Deutlich weniger stark von der Pandemie geprägt als in den zwei Jahren zuvor war hingegen der Voranschlag 2023: Statt mehrerer Milliarden sah der Bundesrat nur noch CHF 410 Mio. zur Pandemiebekämpfung vor, die neu ordentlich verbucht sowie teilweise durch die Kantone gegenfinanziert werden sollten. Stattdessen liessen nun der gestiegene Zahlunsbedarf für Schutzsuchende aus der Ukraine sowie die Erhöhung der Armeeausgaben die Gesamtausgaben ansteigen.

Zweites grosses Thema im Politikbereich der öffentlichen Finanzen war im Jahr 2022 die OECD-Mindestbesteuerung. Der Bundesrat veröffentlichte im Juni 2022 seine Botschaft dazu, in der er eine Verfassungsänderung vorschlug, um die Mindestbesteuerung beruhend auf einer befristeten Verordnung per Januar 2024 einführen zu können. Umgesetzt werden soll die Mindestbesteuerung durch eine Ergänzungssteuer, die dann anfällt, «wenn eine in der Schweiz tätige Unternehmensgruppe die Mindestbesteuerung in der Schweiz oder im Ausland nicht erreicht». Umstritten war im Parlament vor allem die Frage, welcher Anteil dieser Zusatzeinnahmen an den Bund und welcher an die Kantone gehen soll. In der Wintersession einigten sich die Räte darauf, 75 Prozent der Einnahmen den Kantonen zukommen zu lassen, diskutiert worden waren aber auch zahlreiche weitere Varianten. In den Medien wurde darüber diskutiert, ob es aufgrund dieser höheren Unternehmensbesteuerung Massnahmen zum Erhalt der Steuerattraktivität der Schweiz brauche. Der Nationalrat wollte entsprechende Massnahmen untersuchen lassen und nahm dazu ein Postulat an, das eine Strategie zum Erhalt der Attraktivität der Schweiz im Rahmen der OECD-Mindestbesteuerung forderte. Die grossen grundsätzlichen Diskussionen zur Mindestbesteuerung, welche die Medien im Vorjahr noch geführt hatten, blieben im Jahr 2022 aber aus, wie auch Abbildung 2 der APS-Zeitungsanalyse 2022 verdeutlicht.

Darüber hinaus begann der Nationalrat die Beratung der neusten Mehrwertsteuerrevision, die grösstenteils auf eine Vereinfachung der Mehrwertsteuer abzielte. Für einige Diskussionen wird im kommenden Jahr wohl auch die Erhöhung der Abzüge für Krankenkassenprämien im DBG sorgen, auf die der Ständerat in der Wintersession aufgrund der drohenden Steuerausfälle von CHF 400 Mio. jährlich nicht eintrat . Erstmals behandelt wurde zudem die Tonnagesteuer auf Seeschiffe, mit welcher der Bundesrat und die Mehrheit des Nationalrats die Steuerbelastung für Seeschifffahrtsunternehmen senken und somit die Wettbewerbsfähigkeit der Schweiz in diesem Bereich erhöhen wollten. Schliesslich kam im Oktober die Initiative «für eine zivilstandsunabhängige Individualbesteuerung (Steuergerechtigkeits-Initiative)» zustande, gemäss der zukünftig alle Personen unabhängig von ihrem Zivilstand besteuert werden sollen.

Jahresrückblick 2022: Öffentliche Finanzen
Dossier: Rétrospective annuelle 2022

Jahresrückblick 2022: Gesundheit, Sozialhilfe, Sport

Zu Beginn des Jahres 2022 wurde befürchtet, dass die Covid-19-Pandemie auch in diesem Jahr das politische Geschehen der Schweiz dominieren würde: Mitte Januar erreichte die Anzahl laborbestätigter täglicher Neuansteckungen mit 48'000 Fällen bisher kaum denkbare Höhen – im Winter zuvor lagen die maximalen täglichen Neuansteckungen noch bei 10'500 Fällen. Die seit Anfang 2022 dominante Omikron-Variante war somit deutlich ansteckender als frühere Varianten – im Gegenzug erwies sie sich aber auch als weniger gefährlich: Trotz der viermal höheren Fallzahl blieben die Neuhospitalisierungen von Personen mit Covid-19-Infektionen deutlich unter den Vorjahreswerten. In der Folge nahm die Dominanz der Pandemie in der Schweizer Politik und in den Medien fast schlagartig ab, wie auch Abbildung 1 verdeutlicht. Wurde im Januar 2022 noch immer in 15 Prozent aller Zeitungsartikel über Covid-19 gesprochen, waren es im März noch 4 Prozent. Zwar wurde im Laufe des Jahres das Covid-19-Gesetz zum fünften Mal geändert und erneut verlängert, über die Frage der Impfstoff- und der Arzneimittelbeschaffung gestritten und versucht, in verschiedenen Bereichen Lehren aus den letzten zwei Jahren zu ziehen. Jedoch vermochten weder diese Diskussionen, die zwischenzeitlich gestiegenen Fallzahlen sowie ein weltweiter Ausbruch vermehrter Affenpocken-Infektionen das mediale Interesse an der Pandemie erneut nachhaltig zu steigern.

Stattdessen erhielten im Gesundheitsbereich wieder andere Themen vermehrte Aufmerksamkeit, vor allem im Rahmen von Volksabstimmungen und der Umsetzung von Abstimmungsentscheiden.
Einen direkten Erfolg durch ein direktdemokratisches Instrument erzielte das Komitee hinter der Volksinitiative «Kinder ohne Tabak». Die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger hiessen diese Initiative am 13. Februar mit 56.7 Prozent gut. Das Volksbegehren ziel darauf ab, dass Kinder und Jugendliche nicht länger mit Tabakwerbung in Berührung kommen. Während das Initiativkomitee die Vorlage unter anderem damit begründete, dass durch das Werbeverbot dem Rauchen bei Jugendlichen Einhalt geboten werden könne, führten die Gegnerinnen und Gegner die Wirtschaftsfreiheit an. Zudem befürchtete die Gegnerschaft, dass in Zukunft weitere Produkte wie Fleisch oder Zucker mit einem vergleichbaren Werbeverbot belegt werden könnten. Der Bundesrat gab Ende August einen gemäss Medien sehr strikten Entwurf zur Umsetzung der Initiative in die Vernehmlassung. Während die Stimmbevölkerung Werbung für Tabakprodukte verbieten wollte, bewilligte das BAG ein Gesuch der Stadt Basel zur Durchführung von Cannabisstudien; die Städte Bern, Lausanne, Zürich und Genf lancierten ebenfalls entsprechende Studien. Zudem können Ärztinnen und Ärzte seit dem 1. August medizinischen Cannabis ohne Bewilligung durch das BAG verschreiben.

Teilweise erfolgreich waren im Jahr 2022 aber auch die Initiantinnen und Initianten der Organspende-Initiative. 2021 hatte das Parlament eine Änderung des Transplantationsgesetzes als indirekten Gegenvorschlag gutgeheissen, woraufhin das Initiativkomitee die Initiative bedingt zurückgezogen hatte. Im Januar kam das Referendum gegen die Gesetzesänderung zustande. Mit dem Gesetz beabsichtigten Bundesrat und Parlament die Einführung einer erweiterten Widerspruchslösung, wobei die Angehörigen der verstorbenen Person beim Spendeentscheid miteinbezogen werden müssen. Auch wenn es sich dabei um eine Abschwächung der Initiativforderung handelte, ging die Änderung dem Referendumskomitee zu weit; es äusserte ethische und rechtliche Bedenken. Die Stimmbevölkerung nahm die Gesetzesänderung am 15. Mai allerdings deutlich mit 60.2 Prozent an. Damit gewichtete sie die von den Befürwortenden hervorgehobene Dringlichkeit, die Spenderquote zu erhöhen und etwas gegen die langen Wartezeiten auf ein Spenderorgan zu unternehmen, stärker als die Argumente des Referendumskomitees. In den Wochen vor dem Abstimmungssonntag wurde die Vorlage vermehrt von den Zeitungen aufgegriffen, wie Abbildung 1 der APS-Zeitungsanalyse verdeutlicht.

Nach dem deutlichen Ja an der Urne im November 2021 unterbreitete der Bundesrat dem Parlament im Mai 2022 seine Botschaft zur Umsetzung eines ersten Teils der Pflegeinitiative. Dieser entspricht dem indirekten Gegenvorschlag, den die Legislative ursprünglich als Alternative zur Volksinitiative ausgearbeitet hatte. Ohne grosse Änderungen stimmten die beiden Kammern der Gesetzesrevision zu.

Noch immer stark von der Covid-19-Pandemie geprägt waren die Diskussionen zu den Spitälern. Da die Überlastung der Spitäler und insbesondere der Intensivstationen während der Pandemie eine der Hauptsorgen dargestellt hatte, diskutierten die Medien 2022 ausführlich darüber, wie es möglich sei, die Intensivstationen auszubauen. Vier Standesinitiativen forderten zudem vom Bund eine Entschädigung für die Ertragsausfälle der Krankenhäuser während der ersten Pandemiewelle, der Nationalrat gab ihnen indes keine Folge.

Von einer neuen Krise betroffen war die Medikamentenversorgung. Die Versorgungssicherheit wurde als kritisch erachtet, was die Medien auf den Brexit, die Opioidkrise in den USA sowie auf den Ukrainekrieg zurückführten. Der Bundesrat gab in der Folge das Pflichtlager für Opioide frei. Das Parlament hiess überdies verschiedene Motionen für eine Zulassung von Medizinprodukten nach aussereuropäischen Regulierungssystemen gut, um so die Medikamentenversorgung auch mittelfristig sicherzustellen (Mo. 20.3211, Mo. 20.3370). Kein Gehör fand hingegen eine Standesinitiative aus dem Kanton Aargau zur Sicherung der Landesversorgung mit essenziellen Wirkstoffen, Medikamenten und medizinischen Produkten, durch ausreichende Lagerhaltung, Produktion in Europa und durch die Vereinfachung der Registrierung in der Schweiz.

Im Bereich des Sports war das Jahr 2022 durch mehrere Grossanlässe geprägt, die nicht nur in sportlicher, sondern auch in politischer Hinsicht für Gesprächsstoff sorgten. Die Olympischen Winterspiele in Peking Anfang Jahr und die Fussball-Weltmeisterschaft der Männer in Katar zum Jahresende standen aufgrund von Menschenrechtsverletzungen an den Austragungsstätten in den Schlagzeilen. Skandale gab es aber nicht nur in der internationalen Sportwelt, sondern auch hierzulande, wo Vorwürfe bezüglich Missständen im Synchronschwimmen erhoben wurden und die 1. Liga-Frauen-Fussballmannschaft des FC Affoltern nach einem Belästigungsskandal praktisch geschlossen den Rücktritt erklärte. Erfreut zeigten sich die Medien hingegen über eine Meldung im Vorfeld der Fussball-Europameisterschaft der Frauen, dass die Erfolgsprämien durch die Credit Suisse und die Gelder für Bilder- und Namensrechte durch den SFV für die Spielerinnen und Spieler der Nationalmannschaft der Frauen und Männer künftig gleich hoch ausfallen sollen. Sinnbildlich für den wachsenden Stellenwert des Frauenfussballs stand ferner eine Erklärung des Nationalrats in der Wintersession 2022, wonach er die Kandidatur zur Austragung der Fussball-Europameisterschaft der Frauen 2025 in der Schweiz unterstütze. Trotz dieser verschiedenen Diskussionen im Sportbereich hielt sich die Berichterstattung dazu verglichen mit derjenigen zu gesundheitspolitischen Themen in Grenzen (vgl. Abbildung 1). Dies trifft auch auf die Medienaufmerksamkeit für die Sozialhilfe zu, die sich über das gesamte Jahr hinweg unverändert auf sehr tiefem Niveau bewegte.

Jahresrückblick 2022: Gesundheit, Sozialhilfe, Sport
Dossier: Rétrospective annuelle 2022

Jahresrückblick 2022: Institutionen und Volksrechte

Spätestens seit dem Rücktritt von Ueli Maurer als Bundesrat Ende September dominierte die Suche nach seiner Nachfolgerin oder seinem Nachfolger den Themenbereich «Institutionen und Volksrechte» (vgl. Abbildung 1 der APS-Zeitungsanalyse). Mit dem Rücktritt von Simonetta Sommaruga Ende November standen im Dezember 2022 gleich zwei Bundesratsersatzwahlen an. Maurer hatte seinen Rücktritt mit dem Wunsch begründet, noch einmal etwas Neues machen zu wollen, und Simonetta Sommaruga hatte sich entschieden, in Folge eines Schlaganfalles ihres Mannes ihr Leben neu auszurichten. Wie bei Bundesratsersatzwahlen üblich, überboten sich die Medien mit Spekulationen, Expertisen, Interpretationen und Prognosen. Bei der SVP galt die Kandidatur von Hans-Ueli Vogt (svp, ZH), der sich 2021 aus der Politik zurückgezogen hatte, als Überraschung. Dennoch zog ihn die SVP-Fraktion anderen Kandidatinnen und Kandidaten vor und nominierte ihn neben dem Favoriten Albert Rösti (svp, BE) als offiziellen Kandidaten. Bei der SP sorgte der sehr rasch nach der Rücktrittsrede von Simonetta Sommaruga verkündete Entscheid der Parteileitung, mit einem reinen Frauenticket antreten zu wollen, für Diskussionen. Die medialen Wogen gingen hoch, als Daniel Jositsch (ZH) dies als «Diskriminierung» bezeichnete und seine eigene Bundesratskandidatur verkündete. Die SP-Fraktion entschied sich in der Folge mit Elisabeth Baume-Schneider (sp, JU) und Eva Herzog (sp, BS) für zwei Kandidatinnen. Zum Nachfolger von Ueli Maurer wurde bereits im 1. Wahlgang Albert Rösti mit 131 von 243 gültigen Stimmen gewählt. Hans-Ueli Vogt hatte 98 Stimmen erhalten (Diverse: 14). Für die SP zog Elisabeth Baume-Schneider neu in die Regierung ein. Sie setzte sich im dritten Wahlgang mit 123 von 245 gültigen Stimmen gegen Eva Herzog mit 116 Stimmen durch. Daniel Jositsch hatte in allen drei Wahlgängen jeweils Stimmen erhalten – deren 6 noch im letzten Umgang. Die Wahl der ersten Bundesrätin aus dem Kanton Jura wurde von zahlreichen Beobachterinnen und Beobachtern nicht nur als Überraschung gewertet, sondern gar als Gefahr für das «Gleichgewicht» der Landesregierung kommentiert (Tages-Anzeiger). Die rurale Schweiz sei nun in der Exekutive übervertreten, wurde in zahlreichen Medien kritisiert.

Der Bundesrat stand aber nicht nur bei den Wahlen im Zentrum des Interesses. Diskutiert wurde auch über Vor- und Nachteile einer Erhöhung der Zahl der Regierungsmitglieder, wie sie eine parlamentarische Initiative Pa.Iv. 19.503 forderte – es war bereits der sechste entsprechende Vorstoss in den letzten 30 Jahren. Die Begründungen hinter den jeweiligen Anläufen variieren zwar über die Zeit – der neueste Vorstoss wollte «die Konkordanz stärken», also mehr Spielraum für parteipolitische aber auch für gendergerechte Vertretung schaffen – die Projekte nahmen bisher aber stets denselben Verlauf: Auch in diesem Jahr bevorzugte das Parlament den Status quo.
Verbessert werden sollte hingegen die Krisenorganisation des Bundesrates. Dazu überwiesen beide Kammern gleichlautende Motionen und Postulate der GPK beider Räte, die Rechtsgrundlagen für einen Fach-Krisenstab sowie eine Gesamtbilanz der Krisenorganisation des Bundes anhand der Lehren aus der Corona-Pandemie verlangten.

Auch das Parlament sollte als Lehre aus der Pandemie krisenresistenter gemacht werden. Aus verschiedenen, von Parlamentsmitgliedern eingereichten Ideen hatte die SPK-NR eine einzige Vorlage geschnürt, die 2022 von den Räten behandelt wurde. Dabei sollten aber weder der Bundesrat in seiner Macht beschränkt, noch neue Instrumente für das Parlament geschaffen werden – wie ursprünglich gefordert worden war. Vielmehr sah der Entwurf Möglichkeiten für virtuelle Sitzungsteilnahme im Falle physischer Verhinderung aufgrund höherer Gewalt und die Verpflichtung des Bundesrates zu schnelleren Stellungnahmen bei gleichlautenden dringlichen Kommissionsmotionen vor. Umstritten blieb die Frage, ob es statt der heutigen Verwaltungsdelegation neu eine ständige Verwaltungskommission braucht. Der Nationalrat setzte sich für eine solche ein, der Ständerat lehnte sie ab – eine Differenz, die ins Jahr 2023 mitgenommen wird.
Nicht nur die Verwaltungskommission, auch die Schaffung einer ausserordentlichen Aufsichtsdelegation war umstritten. Die vom Nationalrat jeweils mit grosser Mehrheit unterstützte Idee, dass es neben der PUK und den Aufsichtskommissionen ein mit starken Informationsrechten ausgerüstetes Gremium geben soll, das als problematisch beurteilte Vorkommnisse in der Verwaltung rasch untersuchen könnte, war beim Ständerat stets auf Unwille gestossen. Auch nach einer Einigungskonferenz konnten sich die Räte nicht auf eine Lösung verständigen, woraufhin der Ständerat das Anliegen versenkte, zumal er die bestehenden Instrumente und Akteure als genügend stark erachtete.

Seit vielen Jahren Zankapfel zwischen den Räten ist die Frage nach der Höhe der Löhne in der Bundesverwaltung. In diesem Jahr beendete der Ständerat eine beinahe sechsjährige Diskussion dazu, indem er auf eine entsprechende Vorlage der SPK-SR auch in der zweiten Runde nicht eintrat, obwohl der Nationalrat deutlich für eine Obergrenze von CHF 1 Mio. votiert hatte. Die SPK-NR sorgte in der Folge mit einer neuerlichen parlamentarischen Initiative für ein Verbot von «goldenen Fallschirmen» für Bundeskader dafür, dass diese Auseinandersetzung weitergehen wird.

In schöner Regelmässigkeit wird im Parlament auch die Einführung einer Verfassungsgerichtsbarkeit diskutiert. Zwei entsprechende Motionen wurden in diesem Jahr von der Mehrheit des Ständerats abgelehnt, da das aktuelle System, in welchem die Letztentscheidung dem direktdemokratischen Element und nicht der Judikative überlassen wird, so gut austariert sei, dass ein Verfassungsgericht nicht nötig sei. Freilich ist sich das Parlament der Bedeutung der obersten Bundesgerichte durchaus bewusst. Ein Problem stellt dort seit einiger Zeit vor allem die chronische Überlastung aufgrund der hohen Fallzahlen dar. Daher werde gemäss Justizministerin Karin Keller-Sutter mittelfristig eine Modernisierung des Bundesgerichtsgesetzes geprüft, kurzfristig sei eine Entlastung aber nur durch eine Erhöhung der Zahl der ordentlichen Richterinnen und Richter zu erreichen. Eine entsprechende parlamentarische Initiative der RK-NR hiessen beide Kammern gut, allerdings jeweils gegen die geschlossen stimmende SVP-Fraktion, die in der Erhöhung lediglich «Flickwerk» sah.

Die mittels direktdemokratischer Abstimmungen verhandelte Schweizer Politik zeigte sich 2022 einigermassen reformresistent. Nachdem im Februar gleich beide zur Abstimmung stehenden fakultativen Referenden (Gesetz über die Stempelabgaben und Medienpaket) erfolgreich waren, wurde in den Medien gar spekuliert, ob die Bundespolitik sich nun vermehrt auf Blockaden einstellen müsse. Allerdings passierten dann im Mai und im September 4 von 5 mittels Referenden angegriffenen Bundesbeschlüsse die Hürde der Volksabstimmung (Filmgesetz, Organspende, Frontex, AHV21). Einzig die Revision des Verrechnungssteuergesetzes wurde im September an der Urne ausgebremst. 2022 war zudem die insgesamt 25. Volksinitiative erfolgreich: Volk und Stände hiessen die Initiative «Kinder und Jugendliche ohne Tabakwerbung» gut. Die beiden anderen Volksbegehren (Massentierhaltungsinitiative, Initiative für ein Verbot von Tier- und Menschenversuchen) wurden hingegen abgelehnt.

Dass in der Schweizer Politik manchmal nur ganz kleine Schritte möglich sind, zeigen die erfolglosen Bemühungen, den Umfang an Stimm- und Wahlberechtigten zu erhöhen. Der Nationalrat lehnte zwei Vorstösse ab, mit denen das Stimmrecht auf Personen ohne Schweizer Pass hätte ausgeweitet werden sollen. Auch die Wahrscheinlichkeit, dass das Stimmrechtsalter in naher Zukunft auf 16 gesenkt werden wird, hat sich im Jahr 2022 eher verringert: Zwar wies eine knappe Mehrheit des Nationalrats den Abschreibungsantrag für eine parlamentarische Initiative, welche eine Senkung des Alters für das aktive Stimmrecht verlangt und welcher 2021 beide Kammern Folge gegeben hatten, ab und wies sie an die SPK-NR zurück, damit diese eine Vorlage ausarbeitet. In zwei Kantonen wurde die Senkung des Stimmrechtsalters im Jahr 2022 an der Urne aber deutlich verworfen: in Zürich im Mai mit 64.8 Prozent Nein-Stimmenanteil, in Bern im September mit 67.2 Prozent Nein-Stimmenanteil.

Allerdings fielen 2022 auch Entscheide, aufgrund derer sich das halbdirektdemokratische System der Schweiz weiterentwickeln wird. Zu denken ist dabei einerseits an Vorstösse, mit denen Menschen mit Behinderungen stärker in den politischen Prozess eingebunden werden sollen – 2022 nahmen etwa beide Kammern eine Motion an, mit der Einrichtungen geschaffen werden, die helfen, das Stimmgeheimnis für Menschen mit Sehbehinderung zu gewährleisten. Zudem gaben National- und Ständerat einer parlamentarischen Initiative für die Barrierefreiheit des Live-Streams der Parlamentsdebatten Folge, damit auch hörgeschädigte Menschen diesen folgen können. Andererseits verabschiedete der Bundesrat die Verordnung zu den künftigen Transparenzbestimmungen bei Wahlen und Abstimmungen. Ob und wie die erstmals für die eidgenössischen Wahlen 2023 bzw. für das Finanzjahr 2023 vorzulegenden Kampagnen- und Parteibudgets die politischen Debatten beeinflussen werden, wird sich weisen.

Jahresrückblick 2021: Institutionen und Volksrechte
Dossier: Rétrospective annuelle 2022

Jahresrückblick 2022: Kultur, Sprache, Kirchen

Nach gut zwei Jahren Covid-19-Pandemie war es dieses Jahr endlich wieder so weit: Die Schweiz durfte die Kultur wieder ohne Einschränkungen geniessen. Bereits am 16. Februar 2022 hob der Bundesrat den Grossteil der nationalen Massnahmen – auch diejenigen im Kulturbereich – auf, woraufhin es in der Kultur ein breites Aufatmen und Erwachen gab. Konzerte und Festivals, sowie Museen, Theater oder Kinos konnten wieder gänzlich ohne Einschränkungen besucht werden. Dies führte auch dazu, dass der Kulturbereich – nach zwei Jahren verstärkter Aufmerksamkeit durch Covid-19 – in den Medien etwas aus dem Fokus geriet, wie Abbildung 2 der APS-Zeitungsanalyse zeigt.

Die Kulturpolitik der Schweiz war 2022 von drei grösseren Themen geprägt: der Abstimmung zur Revision des Filmförderungsgesetzes, dem neuen Bundesgesetz über den Jugendschutz in den Bereichen Film und Videospiele und der Frage, wie die Schweiz mit Nazi-Raubkunst umgehen soll.

Nachdem die Beratungen zur Revision des Filmförderungsgesetzes – Lex Netflix – nach langwierigen Diskussionen als letztes Geschäft der Kulturbotschaft 2021-2024 in der Herbstsession 2021 zu einem Abschluss gekommen war, ergriffen die Jungfreisinnigen, die Jungen Grünliberalen sowie die Junge SVP Ende Januar 2022 erfolgreich das Referendum. Streaming-Anbietende wie Netflix oder Disney+ sollten mit diesem Gesetz unter anderem dazu verpflichtet werden, vier Prozent des Umsatzes in das schweizerische Filmschaffen zu investieren oder für die Bewerbung Schweizer Filme einzusetzen. Zudem mussten die Plattformen 30 Prozent des Angebots mit europäischen Beiträgen füllen. Die bürgerlichen Jungparteien störten sich besonders an diesen beiden Punkten: Zum einen befürchteten sie, mit der Pflichtabgabe würde eine Erhöhung der Abo-Preise einhergehen, und zum anderen erachteten sie die Quote für europäische Filme und Serien als «bevormundend und eurozentristisch». Die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger nahmen das Gesetz im Mai 2022 jedoch mit 58.1 Prozent Ja-Stimmen an. Der Abstimmungskampf war dann auch das einzige Ereignis des Jahres, welches im Bereich Kulturpolitik zu einem substantiellen Anstieg der medialen Berichterstattung führte (vgl. Abbildung 1 der APS-Zeitungsanalyse).

Ohne grosse mediale Beachtung fanden in der Herbstsession 2022 die Beratungen um das neue Bundesgesetz über den Jugendschutz in den Bereichen Film und Videospiele nach gut zwei Jahren ein Ende. Ziel des Gesetzes soll es sein, Kinder und Jugendliche besser vor Gewalt- und Sexualdarstellungen in Filmen und Videospielen zu schützen, etwa durch eine schweizweite Alterskennzeichnung und -kontrolle der Produkte. Die Verantwortung, diese Regelungen zu entwickeln, wurde den Branchenorganisationen überlassen, welche entsprechende Expertinnen und Experten hinzuziehen sollen.

Für hitzige mediale Debatten sorgte hingegen die Kunstsammlung von Emil Bührle, der gemäss Medien ein Nazisympathisant und Waffenlieferant im Zweiten Weltkrieg war. Als Teile seiner Sammlung im Sommer 2021 im Kunsthaus Zürich ausgestellt worden waren, waren darob hitzige Diskussionen entbrannt, insbesondere weil Bührle Nazi-Raubkunst besessen habe und die Provenienz bei einigen Werken der Sammlung nicht endgültig geklärt sei. Diese Debatte ging auch an Bundesbern nicht ohne Spuren vorbei. So nahmen die Räte eine Kommissionsmotion der WBK-NR an, welche die Schaffung einer Plattform für die Provenienzforschung von Kulturgütern forderte. Weiter hiessen sie eine Motion gut, mit der eine unabhängige Kommission für NS-verfolgungsbedingt entzogene Kulturgüter geschaffen werden sollte. Offen liessen die Räte, ob eine solche Kommission auch für Raubkunst aus kolonialen Kontexten geschaffen werden soll.

Rund um die kirchen- und religionspolitische Fragen blieb es in der Bundespolitik im Jahr 2022 eher ruhig, jedoch weckte die katholische Kirche der Schweiz einige mediale Aufmerksamkeit, wie erneut in der APS-Zeitungsanalyse ersichtlich wird. Der Universität Zürich war im Frühling 2022 in Form eines Pilotprojekts ein Forschungsauftrag erteilt worden, mit dem die sexuellen Missbräuche innerhalb der Schweizer katholischen Kirche seit 1950 wissenschaftlich untersucht werden sollten. Dabei sollte ein Fokus auf die Strukturen gelegt werden, welche dabei geholfen hatten, die Missbräuche zu vertuschen. Zu diesem Zweck öffnete die katholische Kirche der Schweiz ihre Geheimarchive für die Forschenden.
Heftige Debatten rief auch der vom Churer Bischof Joseph Maria Bonnemain eingeführte, für die Angestellten aller Ebenen der katholischen Kirche verbindliche Verhaltenskodex hervor, mit dem sexuellem Missbrauch vorgebeugt werden sollte. Einige Priester von Chur weigerten sich, den Kodex zu unterzeichnen, da einzelne Weisungen daraus der katholischen Lehre entgegenlaufen würden – so untersage er es etwa, sich negativ über die sexuelle Ausrichtung von Menschen auszusprechen.

Anfang 2022 verlängerte das SEM die muslimische Seelsorge in den Bundesasylzentren, welche Anfang 2021 in einzelnen Regionen als Pilotprojekt eingeführt worden war. Zuvor hatte eine Studie des Schweizerischen Zentrums für Islam und Gesellschaft (SZIG) der Universität Freiburg eine positive Bilanz gezogen. Sollten die Ergebnisse auch nach diesem Jahr positiv ausfallen, strebt das SEM eine permanente Einführung des Angebots und einen Ausbau auf alle Bundesasylzentren an – sofern die Finanzierung dafür gesichert werden kann. Bereits 2018 war ein entsprechendes Pilotprojekt aufgrund fehlender finanzieller Mittel auf Eis gelegt worden.

Jahresrückblick 2022: Kultur, Sprache, Kirchen
Dossier: Rétrospective annuelle 2022

Im Dezember 2022 kam der Bundesrat zum Schluss, dass es derzeit keine neuen staatlichen Instrumente brauche, um die Resilienz der Schweizer Unternehmen zu stärken. Dies legte er in einem Bericht in Erfüllung eines Postulats Noser (fdp, ZH) dar, welcher auf einer Unternehmensbefragung mit anschliessendem Expertinnen- und Expertengespräch basierte. Ständerat Ruedi Noser hatte in seinem Postulat vorgeschlagen, die Bildung von steuerbefreiten Reserven in Unternehmen zu prüfen, die in ausserordentlichen Situationen – wie beispielsweise einer Pandemie – auf Beschluss des Bundesrats aufgelöst werden könnten. Auf diese Weise könne die Risikovorsorge der Schweizer Unternehmen gestärkt werden, hatte sich der Zürcher erhofft. Der Bundesrat argumentierte aber, dass sich ein solcher «ordnungspolitischer Eingriff» nur durch ein Marktversagen rechtfertigen würde – das hier aber nicht gegeben sei. Zudem würden entsprechende steuerliche Massnahmen zu unerwünschten Verzerrungen führen. Der Status quo, insbesondere die antizyklisch agierenden automatischen Stabilisatoren – die Arbeitslosenversicherung, die Kurzarbeit, das progressive Steuersystem und die Schuldenbremse –, sei besser geeignet, um Krisen zu bewältigen. Die einzelnen Unternehmen würden zudem am besten eigenständig entscheiden, welche finanziellen Mittel sie als Reserven anlegen möchten, schloss der Bundesrat seinen Bericht.

Renforcer la résistance des entreprises suisses (Po. 20.3544)
Dossier: Covid-19 – Mesures visant à atténuer les conséquences économiques

Im Dezember 2020 reichte Balthasar Glättli (gp, ZH) eine Motion für ein nachhaltiges Impulsprogramm zur Bewältigung der Corona-Krise ein. Dieses Impulsprogramm sollte verschiedene Massnahmen und Ziele verfolgen, wie erhöhte Investitionen in den Klimaschutz, Schaffung neuer Arbeitsplätze in nachhaltigen Bereichen, neue Erwerbsperspektiven für Menschen in Kurzarbeit oder Arbeitslosigkeit durch Weiterbildungen und Umschulungen, eine Ausbildungsoffensive gegen den Fachkräftemangel oder Verbesserungen der Arbeitsbedingungen im Gesundheitsbereich. Der Bundesrat beantragte in seiner Stellungnahme vom Februar 2021, die Motion abzulehnen, und verwies dabei auf bereits geplante Investitionen und Bemühungen seinerseits sowie des Parlaments. Im Dezember 2022 wurde die Motion abgeschrieben, da sie nicht innerhalb der zweijährigen Frist behandelt worden war.

Grüner aus der Corona-Krise: Für ein nachhaltiges Impulsprogramm, das Klimaschutz-Jobs, Zukunfts-Jobs und Care-Jobs schafft (Mo. 20.4726)
Dossier: Covid-19 – Mesures visant à atténuer les conséquences économiques

En décembre 2020, une motion a été lancée par Rocco Cattaneo (plr, TI) pour que les convocations au service civil soient rendues plus contraignantes dans une situation de crise. Actuellement, un civiliste convoqué a la possibilité de recourir contre sa convocation, en raison de la structure légale du service civil. Ainsi, sur les 16'000 civilistes convoqués durant la crise du Covid-19, seuls 550 ont été mobilisés. La mesure demandée par l'élu tessinois consiste à renforcer la Loi sur le service civil (LSC) pour que, dans de telles situations de crises, il soit possible de recruter rapidement suffisamment de civilistes. Avec cette motion, le député Cattaneo pose la question de la fonction d'urgence du service civil.
La motion n'a pas eu de suite car le Parlement ne l'a pas traitée dans le délai de deux ans fixé par la loi.

Covid-19. Rendre les convocations au service civile contraignantes en cas de situation d'urgence (Mo. 20.4407)
Dossier: Loi sur le service civil

In der Wintersession machte sich der Nationalrat daran, die gewichtige Differenz in der Vorlage für eine bessere Handlungsfähigkeit des Parlamentes in Krisensituationen zum Ständerat zu diskutieren. Zwar waren sich beide Kammern darin einig, dass diese Krisenresistenz mit verschiedenen Massnahmen verbessert werden soll, und der Nationalrat hiess auch alle von der kleinen Kammer angebrachten, vor allem begrifflichen Korrekturen gut. Bei der Frage, ob es eine Verwaltungskommission brauche oder nicht, schieden sich aber die Geister. Der Nationalrat folgte hier seiner SPK-NR und hielt an der Idee fest, dass eine solche neue Kommission geschaffen werden müsse. Der Ständerat hatte sich auf den Standpunkt gestellt, dass die bereits bestehende Verwaltungsdelegation ausreiche und in Krisensituationen Überwachungsaufgaben wahrnehmen könne.

Kontrolle von Notrecht und Handlungsfähigkeit des Parlaments in Krisensituationen verbessern (Pa.Iv. 20.437, Pa.Iv 20.438))
Dossier: Le Parlement en situation de crise

Le Conseil des États a unanimement rejeté la motion de la CTT-CN, qui demandait la prolongation des mesures de soutien à la presse écrite mises en place durant la pandémie. Au nom de la CTT-CE, Lisa Mazzone (verts, GE) a fait remarquer que la motion ne constituait pas une bonne solution pour remédier aux problèmes rencontrés par la presse. En prévoyant de prolonger provisoirement les aides pour l'année 2022, l'objet était déjà quasiment obsolète. Pour la verte genevoise, cela ne remettait cependant pas en cause le besoin d'aide financière à la presse. Elle a évoqué les tarifs postaux pour la distribution des journaux, les mesures peu contestées du paquet d'aide aux médias, et le projet de légiférer sur les droits voisins en faveur des médias, comme autant de sujets qui alimenteront les discussions au Parlement en 2023.

Prolongation limitée dans le temps des mesures transitoires en faveur de la presse écrite (Mo. 22.3378)
Dossier: l'aide à la presse après le refus du paquet d'aide aux médias

Im November 2022 publizierte der Bundesrat den Bericht «Wissenschaftliches Potenzial für Krisenzeiten nutzen» in Erfüllung der Postulate von Matthias Michel (fdp, ZG; Po. 20.3280) sowie von Jacqueline de Quattro (fdp, VD; Po. 20.3542).
Die zweite Evaluation des Krisenmanagements des Bundes in der Covid-19-Pandemie hatte gezeigt, dass der Einbezug der Wissenschaft ins Krisenmanagement wichtig sei, dass aber auch geklärt werden müsse, wie dieser Einbezug im Detail ausgestaltet werden soll. Im Postulatsbericht wurden vier verschiedene Varianten für einen verbesserten Einbezug geprüft. Dabei wurde die Option, ad-hoc-Gremien basierend auf einem interdisziplinären wissenschaftlichen Netzwerk zu etablieren, aufgrund eines Grundlagenberichts und der Rückmeldungen aus Wissenschaft und Bundesverwaltung präferiert. Der Bundesrat beauftragte in der Folge die BK und das WBF mit der Erarbeitung eines Umsetzungsvorschlags dieser Option bis Ende 2023. Im Umsetzungsvorschlag sollen insbesondere die Regeln und Prozesse für den Einbezug von wissenschaftlichen ad-hoc-Gremien definiert werden.

Wissenschaftliches Potenzial für Krisenzeiten nutzen (Po. 20.3280)

Mitte November zog Kaja Christ (glp, BS) ihre parlamentarische Initiative, mit der sie rechtliche Grundlagen für einen digitalen Parlamentsbetrieb respektive die digitale Teilnahme am physischen Betrieb gefordert hatte, zurück. Die Forderung war im Rahmen der Vorlage zur Handlungsfähigkeit des Parlamentes in Krisensituationen aufgenommen worden.

Schaffung der rechtlichen Grundlagen für einen digitalen Parlamentsbetrieb respektive die digitale Teilnahme am physischen Betrieb (Pa.Iv. 20.425)
Dossier: Le Parlement en situation de crise

Infolge der überwiesenen Motion 22.3008 «Unterstützung der Durchführung der SBB-Interventionen und einer langfristigen Vision in Covid-19-Zeiten» beschloss der Bundesrat im Oktober 2022, die bereits im Dezember 2021 festgelegten Massnahmen zur finanziellen Stabilisierung der SBB weitgehend beizubehalten, jedoch einzelne Elemente anzupassen: Mit einem A-Fonds-Perdu-Beitrag des Bundes in der Höhe von rund CHF 1.25 Mrd. sollen die 2020-2022 eingefahrenen Verluste im Fernverkehr ausgeglichen werden. Zudem sollen die Finanzierungsinstrumente der SBB besser definiert werden. Ausserdem beabsichtige der Bundesrat, die für den Ausbau des Schienennetzes fehlenden Mittel des BIF gänzlich auszugleichen. Für die Umsetzung dieser Punkte sei eine Revision des SBB-Gesetzes sowie des Schwerverkehrsabgabegesetzes geplant. Mit diesen geplanten Massnahmen würden die SBB zusätzliche Beiträge von insgesamt rund CHF 3 Mrd. erhalten.

Finanzielle Unterstützung der SBB in 2021 aufgrund der Corona-Pandemie
Dossier: Covid-19 et transport

Ende 2020 forderten fast hundert Regierungen, angeführt von Indien und Südafrika, zusammen mit zahlreichen NGOs eine temporäre Aussetzung der Patente auf Covid-19-Impfstoffen. Dies soll einen Technologietransfer und somit einen schnelleren und günstigeren Zugang zu den entsprechenden Impfstoffen für Menschen in Ländern mit niedrigerem Einkommen ermöglichen. Möglich sei eine solche Aussetzung aufgrund einer seit 1995 bestehenden Ausnahmeregel im TRIPS-Abkommen für geistiges Eigentum der WTO. Im Januar 2021 wandten sich verschiedene Schweizer NGOs in einem offenen Brief mit der Forderung an den Bundesrat, einen entsprechenden Antrag bei der WTO-Sitzung im Februar 2021 zu unterstützen. Dies sei auch im Sinne der Schweiz, zumal die Pandemie nur gemeinsam besiegt werden könne. Im September 2021 reichte der Kanton Jura überdies eine Standesinitiative ein, in der er ebenfalls ein entsprechendes Engagement der Schweiz forderte.

In den Medien wurde dieser Problematik ein gewisses Verständnis entgegengebracht. So seien zum Beispiel 80 Prozent der ersten Milliarde Impfdosen in den reichen Ländern verwendet worden – dort werde überdies 25-mal schneller geimpft als in den Ländern mit niedrigeren Einkommen. Reiche Länder mit 16 Prozent der Weltbevölkerung hätten zudem über die Hälfte der Impfstoffe aufgekauft, während in 100 Ländern noch keine Person geimpft worden sei. Schliesslich seien im Juni 2021 90 Prozent der Impfungen in den G20-Staaten erfolgt und nur 0.3 Prozent in den Staaten mit den niedrigsten Einkommen. Als besonders stossend wurde dies in den Medien in Anbetracht der hohen Kursgewinne und Umsätze der mit der Impfung beschäftigen Unternehmen erachtet.
Zu Wort kamen in den Medien aber auch die Pharmaunternehmen und -verbände, welche die Forderung ablehnten. So sei die Entwicklung der Impfstoffe einerseits das Verdienst der Unternehmen, andererseits sei eine Aussetzung der Patente kontraproduktiv, weil es dadurch zukünftig an Investitionen fehlen würde – so werde die entsprechende Forschung nur aufgrund der Verdienstaussichten fremdfinanziert. Darüber hinaus reiche der Erhalt eines Patents zur Produktion nicht aus – anschliessend stelle sich das Problem der fehlenden Rohstoffe und Herstellungskapazitäten.
Die Medien zeigten sich grösstenteils von letzterer Argumentation überzeugt, vereinzelt wurde jedoch auch darauf hingewiesen, dass die Covid-19-Impfstoffe zu einem grossen Teil von Staaten mitfinanziert worden seien – insbesondere durch die USA. Die WOZ ergänzte, dass die Impferfolge zu einem grossen Teil auch auf jahrzehntelanger öffentlich finanzierter Forschung beruhten. Zudem seien gemäss SP-Nationalrat Molina (sp, ZH) etwa in Indien und Südafrika durchaus Produktionskapazitäten vorhanden. Als Alternative wurde vor allem die Verteilung der Impfstoffe durch die Covax-Initiative für einen gerechten Zugang zu Covid-19-Impfstoffen hervorgehoben. Diese funktioniere jedoch nicht, weil die Industriestaaten die meisten Impfstoffe aufkaufen würden und somit für die übrigen Staaten mangels zu niedriger Produktion keine Impfstoffe übrig blieben, erwiderte erneut die WOZ.

Im Februar 2021 sprach sich die Schweizer Delegation beim WTO-Treffen für die Aufrechterhaltung der Patente aus, genauso wie die Delegationen der meisten EU-Staaten und der USA. Im Mai 2021 wurde jedoch bekannt, dass die US-Regierung ihre Meinung in der Zwischenzeit geändert hatte und eine zeitlich begrenzte Aufhebung der Patente befürwortete. Dazu wäre jedoch eine einstimmige Entscheidung der WTO nötig, wie die Medien berichteten. Im Anschluss an diese Meldung aus den USA brachen die Aktienkurse von Biontech, Curevac und Moderna gemäss NZZ ein.

Am World Health Summit der G20 im Mai 2021 blieb eine Entscheidung zu den Patenten aus, jedoch versprachen die Pharmaunternehmen Pfizer, Moderna und Johnson&Johnson eine vermehrte, teilweise vergünstigte Lieferung von Covid-19-Impfstoffen in die Staaten mit tieferen Einkommen. Nachdem Ende 2021 die 12. WTO-Ministerkonferenz Corona-bedingt verschoben werden musste, wurde es in den Medien trotz verschiedener erneuter Aufrufe von NGOs still um die Forderung.

Im Oktober 2022 sprach sich die SGK-SR gegen die Forderung des Kantons Jura aus, zumal die Impfkapazitäten in der Zwischenzeit stark gesteigert worden waren, während die Nachfrage nach dem Impfstoff abnahm.

Sollen Patente für Covid-19-Impfstoffe zugunsten ärmerer Länder ausgesetzt werden?

Im September 2021 reichte der Kanton Jura eine Standesinitiative ein, mit der er den weltweiten Zugang zu Covid-19-Impfstoffen verlangte. Darin nahm das jurassische Kantonsparlament eine Debatte im Rahmen der WTO auf und kritisierte die einseitige Verteilung der Impfstoffe: Während die reichen Staaten für 13 Prozent der Weltbevölkerung 50 Prozent der Impfdosen reserviert hätten, fehlten für die ärmeren Regionen Impfstoffe und Spendengelder zur Beschaffung der Impfstoffe. Zur Verbesserung der Situation sei eine Lockerung des Patentschutzes, wie sie gemäss einem WTO-Abkommen von 1995 in gesundheitlichen Notlagen möglich sei, nötig. Die Schweiz müsse daher «darauf pochen», dass von dieser WTO-Regelung Gebrauch gemacht werde.
Als die SGK-SR die Initiative im Oktober 2022 behandelte, hatte sich die Situation allerdings verändert: Aktuell sei die Impfstoffnachfrage rückläufig, es müssten gar Impfstoffe vernichtet werden, begründete die Kommission unter anderem ihren einstimmigen Antrag, der Initiative keine Folge zu geben. Auch in Krisenzeiten müsse zudem geistiges Eigentum zur Förderung von Innovation geschützt werden.

Impfungen von öffentlichem Interesse müssen für alle zugänglich sein (Kt.Iv. 21.319)

Der Ständerat beriet in der Herbstsession 2022 die Vorlage der SPK-NR, mit der die Handlungsfähigkeit des Parlamentes in Krisensituationen verbessert werden soll. Im Grossen und Ganzen bestehe «grosse Harmonie» innerhalb der Kommission und gegenüber dem Nationalrat, leitete Kommissionssprecher Andrea Caroni (fdp, AR) die Anträge der SPK-SR ein. Er erinnerte daran, dass es in der Vorlage nicht darum gehe, die Kompetenzen des Bundesrats in Krisensituationen zu beschneiden, wie dies von vielen ursprünglichen Vorstössen gefordert worden sei, die es nicht in die Schlussvorlage geschafft hätten. Vielmehr solle das Parlament dank einer Klärung von Regeln und dank moderner Technik auch in Notsituationen weiterhin rasch und flexibel handeln können.
In der Folge beschloss der Ständerat Korrekturen einiger Details. Zu diskutieren gab dabei auch in der kleinen Kammer die Ermöglichung virtueller Teilnahme. Im Gegensatz zum Nationalrat wollte eine Minderheit Stöckli (sp, BE), dass Parlamentsmitglieder, die durch höhere Gewalt oder behördliche Anordnung nicht physisch an Sitzungen teilnehmen können, nicht nur virtuell an Abstimmungen, sondern auch an Wahlen teilnehmen können. Mit 29 zu 15 Stimmen wurde dieser Antrag allerdings abgelehnt. Wenn hingegen das gesamte Parlament aufgrund höherer Gewalt nicht physisch tagen kann, sollen virtuelle Teilnahmen gemäss der Kommissionsmehrheit sowohl bei Abstimmungen als auch bei Wahlen möglich sein. So müsse gerade bei Bundesratsrücktritten in Krisen sichergestellt werden, dass ein neuer Bundesrat gewählt werden könne, so die Argumentation von Kommissionssprecher Caroni. Eine Minderheit Fässler (mitte, AI), welche die nationalrätliche Fassung vorziehen und auf virtuelle Wahlen verzichten wollte, setzte sich hier allerdings durch. Darüber hinaus entschied der Ständerat, dass Abstimmungen nicht wiederholt werden sollen, wenn ein virtuell an einer Sitzung teilnehmendes Mitglied aus technischen Gründen nicht abstimmen kann.
Eine gewichtige Differenz zum Nationalrat sah die SPK-SR bei der vom Nationalrat beschlossenen Etablierung einer ständigen Verwaltungskommission vor – sie wollte gänzlich auf diese verzichten. Die Kommission sehe hier keine Vorteile und auch der Bezug zu einer Krisensituation erschliesse sich ihr nicht, begründete Andrea Caroni den Kommissionsantrag. Die heutige Verwaltungsdelegation könne auch in Krisenzeiten die Aufgaben einer Verwaltungskommission übernehmen. Der Ständerat folgte dem Antrag stillschweigend.
Bei der Frage der Fristen für die Stellungnahme bei Kommissionsmotionen durch den Bundesrat nahm die kleine Kammer nach kurzer Diskussion die von der Kommission empfohlene Position des Nationalrats ein und lehnte den Antrag von Bundeskanzler Walter Thurnherr, beim Status quo zu bleiben, ab. Kommissionssprecher Caroni wies darauf hin, dass es hier eine Regelung brauche, obwohl man während der Pandemie «das Glück [gehabt habe], auf einen Bundesrat zu stossen, der Motionen sehr schnell beantwortete», dies aber eben freiwillig getan habe. Mit der neuen Regelung müsste der Bundesrat bis zur nächsten Session Stellung nehmen, wenn Kommissionsmotionen spätestens eine Woche vor Beginn der Session eingereicht würden. Bisher liege diese Frist bei einem Monat vor Sessionsbeginn. Wenn man bedenke, dass mit der neuen Regelung ein entsprechender Vorstoss «rücksichtsvollerweise» wohl gegen Ende der Session traktandiert würde, blieben der Regierung also mit der neuen Regelung rund vier Wochen für eine Stellungnahme, so Caroni. Der Minderheitsantrag von Thomas Minder (parteilos, SH), der nicht nur für Kommissionsmotionen, sondern auch für dringliche Einzelmotionen kürzere Fristen für Regierungsstellungnahmen vorsehen wollte, wurde jedoch mit 29 zu 12 Stimmen abgelehnt.
Die Gesamtabstimmung passierte die Vorlage mit 39 zu 4 Stimmen. Die Verordnung wurde mit 41 zu 1 Stimme angenommen und das Geschäftsreglement des Ständerats erhielt oppositionslos 42 Stimmen. Da für Letzteres lediglich die kleine Kammer zuständig ist, wurde noch in der Herbstsession eine Schlussabstimmung abgehalten, in der das Geschäft mit 45 zu 0 Stimmen gutgeheissen wurde.

Kontrolle von Notrecht und Handlungsfähigkeit des Parlaments in Krisensituationen verbessern (Pa.Iv. 20.437, Pa.Iv 20.438))
Dossier: Le Parlement en situation de crise

Die sozialdemokratische Fraktion wollte mittels einer während der Covid-19-Pandemie im Herbst 2020 eingereichten Motion erreichen, dass dem Personal von Krankenhäusern sowie vergleichbaren stationären und ambulanten Einrichtungen, welche Covid-19-Patientinnen und -Patienten behandeln, eine einmalige Corona-Prämie von CHF 4'000 zugestanden wird. Das Geschäft kam anlässlich der Herbstsession 2022 in den Nationalrat. Dort setzte sich Barbara Gysi (sp, SG) für das Anliegen ihrer Fraktion ein: Die Prämie sei angesichts der grossen Belastung und der unternommenen Anstrengungen und Überstunden der Betroffenen, mit denen sie die Gesundheitsversorgung während der Covid-19-Pandemie gewährleistet hatten, gerechtfertigt. Weiter betonte sie die Wichtigkeit der Wertschätzung des Gesundheitspersonals. Bundesrat Guy Parmelin anerkannte zwar den Beitrag, den das Gesundheitspersonal während der Pandemie geleistet hatte, gab aber zu bedenken, dass sich viele Arbeitnehmende aus unterschiedlichen Berufen in dieser Zeit speziell engagiert hätten. Eine Corona-Prämie sei nicht angebracht, weil diese einer Bevorzugung einer bestimmten Gruppe gleichkäme. Zudem wies der Wirtschaftsminister auf die Pflegeinitiative hin, mit deren Annahme sich die Stimmbevölkerung für eine Verbesserung der Situation von qualifizierten Arbeitskräften im Gesundheitswesen ausgesprochen habe. Der Bundesrat empfahl die Motion daher zur Ablehnung. Mit 118 zu 64 Stimmen folgte der Nationalrat dieser Empfehlung. Während sich die Fraktionen der SP und der Grünen geschlossen für den Vorstoss aussprachen, lehnten ihn die anderen Fraktionen geschlossen ab.

Corona-Prämie (Mo. 20.4307)

Rund ein Jahr nach ihrer Einreichung zog Thomas Minder (parteilos, SH) seine parlamentarische Initiative zurück, mit der er die Möglichkeit hatte schaffen wollen, Motionen dringlich zu erklären. Insbesondere die Pandemie habe gezeigt, dass ein Bedürfnis bestehe, ein legislatives Instrument zu haben, mit dem rasch reagiert werden könne – so die Begründung Minders für seinen Vorstoss. Im Moment könnten einzig Interpellationen und Anfragen als dringlich erklärt werden, nicht aber Vorstösse, mit denen das Parlament auf kurzfristige Ereignisse aktiv reagieren könne. Minder schlug ein qualifiziertes Mehr als Notwendigkeit für eine Dringlichkeitserklärung vor und forderte in diesem Falle beschleunigte Behandlungsfristen durch Exekutive und Legislative.
Der Rückzug des Vorstosses dürfte auch auf die ablehnende Haltung der SPK-SR zurückzuführen sein. Diese hatte in ihrem Bericht vom August 2022 nicht nur mit 8 zu 3 Stimmen bei 1 Enthaltung empfohlen, der Initiative keine Folge zu geben, sondern in ihrer Erwägung dargelegt, dass auch eine dringliche Motion von beiden Räten angenommen werden müsste. Dies benötige aber mindestens zwei aufeinanderfolgende Sessionen, weshalb auch eine dringlich erklärte Motion keine rasche Wirkung entfalten würde. Allerdings erwähnte die SPK-SR in ihrem Bericht auch, dass im Rahmen der Vorlage zur besseren Handlungsfähigkeit des Parlaments in Krisensituationen neu gleichlautende, in beiden Räten eingereichte Kommissionsmotionen in der gleichen Session behandelt werden könnten und bei jeweiliger Annahme in beiden Räten tatsächlich eine Beschleunigung erreicht werden könne, weil so nur eine Session nötig wäre. Kommissionsmotionen würden sich im Gegensatz zu Motionen von Einzelratsmitgliedern zudem auch deshalb für eine Erhöhung der Entscheidungsgeschwindigkeit eignen, weil sie bereits auf einem Konsens innerhalb der zuständigen Kommission beruhten.

Motionen dringlich erklären (Pa.Iv. 21.492)

In der Herbstsession 2022 behandelten National- und Ständerat den ersten Teil des Nachtrags II zum Voranschlag 2022 im Rahmen einer von der SVP-Fraktion beantragten ausserordentlichen Session (22.9015). Die ausserordentliche Session war einberufen worden, nachdem die FinDel den dringlichen Kredit zur Elektrizitätswirtschaft, also den Nachtragskredit über CHF 4 Mrd. sowie den Verpflichtungskredit über CHF 10 Mrd. für den Rettungsschirm für die Elektrizitätswirtschaft, gutgeheissen hatte. Da das Parlament den Verpflichtungskredit in der Zwischenzeit genehmigt hatte und die übrigen Kredite des Nachtrags II erst zu einem späteren Zeitpunkt behandelt wurden, wurde in der Herbstsession lediglich über den Nachtragskredit für die Elektrizitätswirtschaft diskutiert und abgestimmt.

Im Nationalrat legten Ursula Schneider Schüttel (sp, FR) sowie Jean-Paul Gschwind (mitte, JU) die Position der Mehrheit der FK-NR dar: Wie im Bundesgesetz über subsidiäre Finanzhilfen zur Rettung systemkritischer Unternehmen der Elektrizitätswirtschaft diskutiert worden sei, sei der Kredit zur Sicherstellung der Elektrizitätsversorgung der Schweiz nötig. Der Kredit selbst war denn auch bei den meisten Fraktionen nicht umstritten, auch wenn sie sich davon wenig begeistert zeigten. Drei Minderheiten Egger (svp, SG) wollten jedoch Rahmenbedingungen für die Kreditvergabe definieren, unter anderem um die Axpo «an die ganz kurze Leine» zu nehmen, wie Lars Guggisberg (svp, BE) betonte. So sollten erstens die Kantone als Eigentümerinnen der drei betroffenen Energieunternehmen die Hälfte des Kredits übernehmen. Da die Kantone während Jahren die Dividenden eingestrichen hätten, sollten sie jetzt auch für die Risiken aufkommen müssen, verlangte Minderheitssprecher Egger. Weil bisher keine gründliche Risikoprüfung stattgefunden habe, verlangte eine zweite Minderheit überdies eine solche. Und schliesslich sollte es den Unternehmen drittens während der Dauer der Gewährung dieser Darlehen verboten werden, spekulative Eigenhandelsgeschäfte zu tätigen. So habe eine Studie entsprechende Handelsgeschäfte der Axpo aufgedeckt, diese seien der Grund für ihre fehlende Liquidität, argumentierte Mike Egger. Die meisten Kommissions- und Fraktionssprechenden sprachen sich gegen die Minderheitsanträge aus, zumal diese bereits bei der Schaffung des entsprechenden Gesetzes abgelehnt worden seien. Schliesslich erläuterte Finanzminister Maurer den Rahmen des Geschäfts: Die Alpiq habe im Jahr 2021 beinahe innerhalb von Stunden einen Kredit zur Sicherstellung ihrer Liquidität benötigt. Anschliessend habe der Bundesrat befürchtet, dass solche Fälle zukünftig vermehrt auftreten könnten. Da die Kantone nicht innerhalb weniger Tage solche Beträge bereitstellen könnten, habe man sich mit ihnen geeinigt, dass der Bund die Zuständigkeit für Axpo, Alpiq und BKW übernehme, während die Kantone für die übrigen rund sechzig an der Börse gehandelten Stromversorgenden verantwortlich bleiben. Darüber hinaus sei beispielsweise bezüglich der Axpo eine kantonale Lösung schwierig zu erreichen, weil diese zuerst die Parlamente der acht Eignerkantone passieren müsste. Aufgrund der Grösse der drei Unternehmen und der daraus resultierenden Gefahr eines Dominoeffekts bei Ausfall eines der drei Unternehmen bestehe überdies nicht nur ein regionales, sondern ein schweizweites Interesse an ihrem Überleben. Entsprechend sei der erste Antrag der Minderheit Egger abzulehnen. Auch die anderen beiden Minderheitsanträge beantragte die Regierung zur Ablehnung, etwa da eine gründliche Risikoprüfung durch externe Fachleute stattgefunden habe. Der Finanzminister betonte darüber hinaus, dass die drei Unternehmen «nur im absoluten Notfall auf das Darlehen zurückgreifen» würden, da man die entsprechenden Bedingungen sehr unvorteilhaft ausgestaltet habe.
Im Anschluss an die Debatte zum Kredit für den Rettungsschirm schritt der Nationalrat zur Abstimmung: Mit 137 zu 46 Stimmen (bei 1 Enthaltung) sprach er sich für Annahme des Nachtragskredits aus, wobei die Mehrheit der SVP-Fraktion ablehnend votierte. Die drei Minderheitsanträge zu den Voraussetzungen für die Darlehensgewährung fanden nur in der SVP-Fraktion Zustimmung und wurden jeweils mit 134 zu 50 Stimmen abgelehnt.

Im Ständerat blieb zwei Tage später trotz ausserordentlicher Session eine Diskussion über den ersten Teil des Nachtrags II aus, es lagen auch keine Minderheitsanträge vor. Nachdem Johanna Gapany (fdp, FR) und Finanzminister Maurer die Vorlage präsentiert hatten, nahm die kleine Kammer den Nachtragskredit mit 29 zu 8 Stimmen (bei 5 Enthaltungen) an. Hier waren die parteipolitischen Fronten jedoch weniger deutlich, so stammten die ablehnenden Stimmen sowie die Enthaltungen von einzelnen Mitgliedern der SVP-, der FDP.Liberalen- sowie der Mitte-Fraktion. Die übrigen Kredite des Nachtrags II zum Voranschlag 2023 wird das Parlament in der Wintersession beraten.

Nachtrag II zum Voranschlag 2022 (BRG 22.042)
Dossier: Aperçu des finances fédérales 2022: Budget et comptes d'Etat

In der Herbstsession 2022 setzte sich der Nationalrat als Erstrat mit der fünften Änderung des Covid-19-Gesetzes auseinander. Dabei wurden zwar auch einzelne neue Bestimmungen diskutiert, hauptsächlich stand aber die Gültigkeitsdauer des Covid-19-Gesetzes insgesamt sowie einzelner Regelungen im Mittelpunkt des Interesses.
Eine Minderheit Glarner (svp, AG) wehrte sich gegen Eintreten. Der Minderheitensprecher kritisierte ausführlich die bisherigen Corona-Massnahmen, insbesondere die Zertifikatspflicht, und beschuldigte Bundesrat und Parlament unter anderem, «Tausende Existenzen vernichtet» zu haben. Neben dieser «Drangsalierung der Bevölkerung und der Wirtschaft» kritisierte er etwa auch den Einfluss, den die WHO auf die Gesetzgebung des Bundes nehme. Da man inzwischen «nicht einmal mehr ganz so sicher [sei], ob es sich im Sinne der WHO wirklich um eine echte Pandemie gehandelt» habe, solle der Nationalrat nicht auf die Gesetzesänderung eintreten. Dieser Antrag fand jedoch nur bei einer Mehrheit der SVP-Fraktion Zustimmung und wurde mit 130 zu 43 (bei 3 Enthaltungen) abgelehnt. Die Sprechenden der übrigen Fraktionen wiesen darauf hin, dass man nicht wisse, wie sich die Covid-19-Pandemie in Zukunft entwickeln werde, und man daher mit einer Verlängerung des Gesetzes sicherstellen wolle, dass man auch in den nächsten zwei Wintern noch über die nötigen Instrumente zur Bekämpfung der Pandemie verfüge. Bundesrat Berset verwies darauf, dass man sich zur Zeit in einer Übergangsphase befinde, die Wachsamkeit und Reaktionsfähigkeit erfordere – wofür verschiedene Regelungen des Covid-19-Gesetzes wichtig seien. Dabei schlug die Regierung vor, nur einen Teil der bisherigen Massnahmen zu verlängern, nicht aber die meisten Unterstützungsmassnahmen. Abschliessend liess es sich der Gesundheitsminister ob der Vorwürfe des Minderheitensprechers nicht nehmen, ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass keine dieser Regelungen etwas mit der WHO zu tun hätten.

Bei der Detailberatung standen nicht nur die Fragen zur Verlängerung von Massnahmen an, der Bundesrat beabsichtigte auch, die Kantone stärker in die Verantwortung zu nehmen. So sollten diese zukünftig ab 2023 für die Organisation der Covid-19-Tests verantwortlich sein: Sie sollten das Angebot gewährleisten und die Kosten übernehmen. Nach der Rückkehr in die normale Lage gemäss Epidemiengesetz könne der Bund die entsprechenden Kosten nicht mehr ewig übernehmen, stattdessen müssten die Kantone ihre Verantwortung wieder wahrnehmen, forderte der Gesundheitsminister und mit ihm eine Minderheit Aeschi (svp, ZG). Die Kommissionsmehrheit wollte die Organisation der Tests jedoch weiterhin beim Bund belassen, um einen «Flickenteppich von verschiedenen Massnahmen» zu verhindern, wie es Kommissionssprecher Hess (mitte, BE) formulierte. Mit 136 zu 55 Stimmen folgte der Nationalrat der Kommissionsmehrheit, die SVP-Fraktion und eine Minderheit der FDP.Liberalen-Fraktion stimmten dem Bundesrat zu.
Stattdessen schlug die Kommissionsmehrheit eine andere Neuregelung hinsichtlich kantonaler Belange vor. So habe man im Dezember 2021 bereits die Finanzierung der Vorhalteleistungen durch die Kantone – also die Bereitstellung der Spitalkapazitäten – geregelt, nun müsse der Bund auch bezüglich der Finanzierung der Vorhalteleistungen bei ausserkantonalen Patientinnen und Patienten Regeln schaffen. Eine Minderheit Hess, vertreten durch Ruth Humbel (mitte, AG), befürchtete jedoch, dass solche Bundesregelungen Forderungen nach Abgeltung durch den Bund nach sich ziehen würden, und empfahl diese zur Ablehnung. Mit 112 zu 78 Stimmen folgte der Nationalrat der Kommissionsmehrheit, einzig die SVP- und eine Mehrheit der Mitte-Fraktion sprachen sich für den Minderheitsantrag aus.

Abändern wollte der Bundesrat auch die Massnahmen zum Schutz besonders gefährdeter Arbeitnehmender. Hier wollte die Regierung die Pflicht zur Lohnfortzahlung, falls behördliche Massnahmen keine Weiterarbeit erlaubten, durch eine Pflicht, den Betroffenen Homeoffice oder gleichwertige Ersatzarbeit anzubieten, ersetzen. Eine Minderheit Flavia Wasserfallen (sp, BE) beantragte die Beibehaltung der bisherigen Formulierung. «Wenn der Bund Massnahmen anordnet, muss auch Erwerbsersatz an die Arbeitgebenden ausbezahlt werden», betonte die Minderheitensprecherin. Mit 109 zu 81 Stimmen folgte der Nationalrat der Regierung, die Minderheitsposition unterstützten die Fraktionen der SP, GLP und Grünen.
Zudem wollte der Bundesrat die Regelungen zum Proximity Tracing im Epidemiengesetz durch Regelungen zu einem sogenannten Presence-Tracing ergänzen. Damit sollten Teilnehmende von Veranstaltungen freiwillig «ihre Anwesenheit ohne Angabe von Personendaten» erfassen können. Eine Minderheit Glarner wollte die Regelungen zum Proximity und Presence Tracing streichen, da Ersteres «ein Riesenflop» gewesen sei. Besonders energisch kritisierte der Minderheitensprecher überdies eine bereits bestehende Regelung, wonach der Bundesrat völkerrechtliche Vereinbarungen unter anderem zur «Harmonisierung der Massnahmen zur Erkennung, Überwachung, Verhütung und Bekämpfung übertragbarer Krankheiten» eingehen könne. Dadurch würde die Schweiz «gezwungen sein, Massnahmen des Auslands zu übernehmen». Mit 141 zu 50 Stimmen folgte der Nationalrat der Kommissionsmehrheit. Eine Mehrheit der SVP-Fraktion sprach sich für den Minderheitenantrag aus.

In der Folge diskutierte der Nationalrat über die Verlängerungen des Gesetzes und einzelner Massnahmen. Der Bundesrat hatte vorgeschlagen, die Geltungsdauer des Gesetzes vom 31. Dezember 2022 auf den 30. Juni 2024 zu verlängern, um die Instrumente gegen die Pandemie für die nächsten zwei Winter zu sichern. Diesbezüglich lagen zwei Minderheitsanträge vor, wobei eine Minderheit I Glarner das Gesetz bis Ende März 2023, eine Minderheit II Dobler (fdp, SG) bis Ende Juni 2023 in Kraft belassen wollte. Eine allfällige Ausbreitung der Krankheit sei spätestens im Frühling vorbei, weshalb das Gesetz maximal bis Ende März 2023 verlängert werden solle – wenn überhaupt –, forderte Andreas Glarner. Auch Marcel Dobler wollte das Gesetz «nur so lange wie nötig verlängern und nicht auf Vorrat», bei einem Ende im März 2023 müsste über eine allfällige Verlängerung aber genau während der Grippesaison beraten werden, gab er zu Bedenken. Kommissionssprecher Lorenz Hess warnte vor weiteren «Hauruckübungen» bei einem frühzeitigen Auslaufen des Gesetzes. Mit einer Verlängerung bis 2024 sei man «für den Fall eines Falles bereit». Die Mehrheit setzte sich gegen die Minderheit Glarner durch (mit 109 zu 75 Stimmen bei 3 Enthaltungen), die zuvor der Minderheit Dobler vorgezogen worden war. Der Minderheitsposition von Andreas Glarner folgten Mehrheiten der SVP- und der FDP.Liberalen-Fraktion und ein Mitglied der Mitte-Fraktion.

Eine Mehrheit der SPK-NR hatte zudem einen Antrag zur fünften Änderung des Covid-19-Gesetzes eingereicht. Sie wollte die Regelung zur Stimmabgabe in Abwesenheit bei Quarantäne oder Isolation ebenfalls bis Ende Juni 2024 verlängern, was der Bundesrat nicht vorgesehen hatte. Falls erneut eine Pflicht zur Quarantäne und Isolation ausgerufen würde, sollten die Nationalratsmitglieder in der Lage sein, wenn nötig digital abzustimmen. Eine Minderheit Buffat (svp, VD) der SPK-NR sprach sich jedoch gegen diese Verlängerung aus. Mit 142 zu 49 Stimmen folgte der Nationalrat gegen den Willen der SVP-Fraktion der Kommissionsmehrheit. Darüber hinaus verlängerte der Nationalrat mit 141 zu 48 Stimmen (bei 2 Enthaltungen) entgegen einer Minderheit Aeschi die Regelung zum Covid-19-Zertifikat, lehnte aber mit 125 zu 66 Stimmen einen Minderheitsantrag von Flavia Wasserfallen ab, wonach zusätzlich auch die Massnahmen bezüglich EO, ALV, KAE sowie Kultur- und Härtefallhilfen bis Ende Juni 2024 gültig bleiben sollten.

Schliesslich entschied sich der Nationalrat mit 140 zu 48 Stimmen, das Gesetz erneut dringlich zu erklären, und sprach sich damit gegen einen Minderheitsantrag Aeschi aus. Nach drei Jahren «im ausserordentlichen Modus» und einen Tag nach einer weiteren Dringlicherklärung eines Gesetzes solle man zu einer «durchdachten Gesetzgebung» zurückkehren, hatte Thomas Aeschi vergeblich argumentiert. Gesundheitsminister Berset plädierte jedoch dafür, die Regelungen ohne Unterbruch ab dem 1. Januar 2023 zu verlängern. Mit 140 zu 47 Stimmen (bei 1 Enthaltung) nahm der Nationalrat den Entwurf der fünften Änderung des Covid-19-Gesetzes in der Gesamtabstimmung an. Eine Mehrheit der SVP-Fraktion sprach sich für Ablehnung aus.

Fünfte Revision des Covid-19-Gesetzes (Verlängerung und Änderung ausgewählter Bestimmungen; BRG 22.046)
Dossier: Loi COVID-19 et révisions

Im Herbst 2020 – inmitten der Covid-19-Pandemie – forderte Min Li Marti (sp, ZH) den Bundesrat dazu auf, geeignete Massnahmen zu ergreifen, um die existenzielle Sicherheit des Kultursektors und der kulturellen Vielfalt im Rahmen der Pandemie zu sichern. Konkret solle er einen Fonds bereitstellen, welcher den Sektor dabei unterstützt, Angebote in die digitale Welt zu übertragen. Der Bundesrat beantragte die Motion zur Ablehnung, da im Rahmen des Covid-19-Gesetzes bereits Hilfsmassnahmen für die Kultur eingerichtet worden seien.
Zwei Jahre später, in der Herbstsession 2022, zog die Motionärin ihren Vorstoss ohne Begründung zurück.

Sicherstellung der kulturellen Teilhabe und Vielfalt (Mo. 20.4098)

Als Erstrat stimmte der Nationalrat in der Herbstsession 2022 über eine Verlängerung der Covid-19-Testpflicht für ausreisepflichtige Personen bis Ende Juni 2024 ab. Während die Mehrheit der SPK-NR eintreten empfahl, argumentierte eine Kommissionsminderheit unter anderem, dass die bestehenden Zwangstests das Recht der Betroffenen auf Selbstbestimmung verletzten. Unter Umständen brächten sie einen starken Eingriff in deren körperliche Integrität mit sich, weshalb die Vorlage abzulehnen sei. Die Forderung der Kommissionsminderheit wurde allerdings lediglich von den einstimmigen Fraktionen der SP und Grünen unterstützt: Die grosse Kammer trat mit 118 zu 61 Stimmen auf die Vorlage ein und nahm den Entwurf in der Gesamtabstimmung mit 118 zu 62 Stimmen an.

Verlängerung der Bestimmungen zum Covid-19-Test bei der Ausschaffung (BRG 22.047)

Nachdem sich die SGK-NR gegen die vier Standesinitiativen zur Beteiligung des Bundes an den Ertragsausfällen und Mehrkosten von Spitälern und Kliniken während der ersten Covid-19-Welle (Kt.Iv. SH 20.331; Kt.Iv. AG 21.304; Kt.Iv. TI 21.307; Kt.Iv. BS 21.312) ausgesprochen hatte, kamen die Initiativen in der Herbstsession 2022 in den Nationalrat. Eine Minderheit rund um Manuela Weichelt-Picard (al, ZG) war der Auffassung, dass der Bund in die Pflicht genommen werden sollte, da er während der Pandemie gewisse Eingriffe der Spitäler verboten hatte. Zudem habe er in vergleichbaren Situationen auch beim öffentlichen Ortsverkehr Vergütungen vorgenommen. Kommissionssprecher Christian Lohr (mitte, TG) teilte diese Ansicht indes nicht. Der Bund habe bereits die Finanzierung des grössten Teils der gesundheitlichen Covid-19-Massnahmen übernommen. So sei dieser etwa für Gesundheitskosten in der Höhe von CHF 5 Mrd. aufgekommen. Mit jeweils ungefähr 140 zu 35 Stimmen gab der Nationalrat den Standesinitiativen keine Folge. Einzig die grüne Fraktion sprach sich geschlossen für Folgegeben aus, die anderen Fraktionen votierten geschlossen (GLP-Fraktion) oder grossmehrheitlich dagegen.

Auch der Bund soll für die Spitäler zahlen (St.Iv. 20.331; St.Iv. 21.304; St.Iv. 21.307; St.Iv. 21.312)

In der Herbstsession 2022 schrieb der Ständerat das Postulat Graf (gp, BL; Po. 21.3079) für eine offizielle Gedenkfeier für die Covid-19-Opfer und ihre Angehörigen durch das Schweizer Parlament stillschweigend ab. Maya Graf zeigte sich zwar enttäuscht, dass es nicht möglich gewesen sei, «den Covid-Opfern, den Langzeiterkrankten und auch ihren Angehörigen [...] zu gedenken bzw. Mut zuzusprechen». Sie erachtete den Zeitpunkt aber ebenfalls als «abgelaufen» und erklärte sich folglich mit der Abschreibung einverstanden.

Abschreibung des Postulats für eine offizielle Gedenkfeier für die Covid-19-Opfer und ihre Angehörigen (BRG 21.057)

Im Mai 2022 reichten die GPK beider Räte je eine gleichlautende Motion ein, mit denen sie Rechtsgrundlagen für einen Fach-Krisenstab forderten. Das Krisenmanagement müsse ergänzt und Grundlagen für einen Krisenstab – als Beispiel wurde die Covid-19-Taskforce vorgebracht – geschaffen werden, mit denen verschiedene Modalitäten geregelt würden, wie etwa die Organisation der Führungsstrukturen oder die Festlegung der konkreten Aufgaben eines solchen Krisenorgans. Die Motionen waren Resultat des GPK-Berichts zur Krisenorganisation des Bundes während der Covid-19-Pandemie. Dort sei festgestellt worden, dass viele Aktivitäten der Covid-Taskforce einer rechtlichen Grundlage entbehrt hatten, obwohl das Krisenorgan eine zentrale Stellung im Krisenmanagement des Bundes eingenommen habe. Es brauche deshalb eine Anpassung und Erweiterung der bestehen Rechtsgrundlagen. Der Bundesrat beantragte die Ablehnung des Anliegens. Die berechtigte Forderung werde bereits «in laufenden Arbeiten überprüft». Allerdings sollten nicht nur Krisenstäbe, sondern die gesamte Krisenorganisation betrachtet werden. Er warnte davor, alle Eventualitäten regeln zu wollen, weil eine Krise «Flexibilität und Agilität» erfordere und die Handlungsfähigkeit durch zu viele Rechtsvorschriften eingeschränkt würde.
Im Nationalrat beantragte Thomas Aeschi (svp, ZG) zu Beginn der Herbstsession 2022 die Ablehnung der Motion (22.3506). Statt dem Bundesrat mit einem Fachgremium noch mehr Macht zu gewähren, müsse vielmehr die Handlungsfähigkeit des Parlaments gestärkt werden, so die schriftliche Begründung. Mit 129 zu 51 Stimmen hiess die grosse Kammer die Motion jedoch gut. Der Grossteil der SVP-Fraktion und eine kleine Minderheit der Mitte-Fraktion lehnten den Vorstoss ab.
Im Ständerat stiess Bundeskanzler Walter Thurnherr, der die Position des Bundesrats vertrat, Mitte der Herbstsession 2022 mit seinem Argument auf mehr Wohlwollen: Jedes Mal nach einer Krise – es habe ja in den letzten Jahren nicht nur die Pandemie gegeben – würden ganz viele Evaluationen und Berichte verfasst, bloss um dann trotzdem wieder zum Alltag zurückzukehren. Er plädiere im Namen des Bundesrats für weniger Berichte und dafür für eine grössere Konzentration auf die Umsetzung verschiedener Empfehlungen. Mit 24 zu 20 Stimmen hiess dann aber doch eine knappe Mehrheit des Ständerats die Motion (22.3507) gut. Weil damit beide konnexen Motionen angenommen wurden, wird der Bundesrat Rechtsgrundlagen für Krisenstäbe schaffen müssen.

Fach-Krisenstab (Mo 22.3507 und Mo 22.3506)