Jahresrückblick 2024: Soziale Gruppen
Wie bereits 2022 und 2023 trieben im Themenbereich «Soziale Gruppen» auch im Jahr 2024 Diskussionen im Asylbereich Politik und Medien um (vgl. Abbildung 2 der APS-Zeitungsanalyse). Im Unterschied zu den beiden vorangegangenen Jahren stiessen politische Vorstösse zur Verschärfung der Bestimmungen im Parlament indes vermehrt auf Unterstützung. Das Parlament beschloss bei der Beratung des Voranschlags 2025 zudem Kürzungen beim Betrieb der Bundesasylzentren sowie bei der Sozialhilfe für Asylsuchende. Begründet wurde dies mit den nach wie vor zwar hohen, aber im Vergleich zu 2023 rückläufigen Asylgesuchszahlen. Der Bundesrat erleichterte im Berichtsjahr durch eine Verordnungsänderung den Zugang zur beruflichen Ausbildung für abgewiesene Asylsuchende und Sans-Papiers und verordnete Massnahmen zur Stärkung der Arbeitsmarktintegration von Personen mit Schutzstatus S, womit auch auf diesem Weg eine Senkung der Ausgaben für die Sozialhilfe bezweckt wurde. Die Verbesserung der Erwerbsintegration im Asylbereich wurde auch vom Expertisebericht zur Entlastung des Bundeshaushalts empfohlen. National- und Ständerat diskutierten im Berichtsjahr ausführlich über eine Änderung des Asylgesetzes betreffend Sicherheit und Betrieb der Zentren des Bundes, die als Reaktion auf die 2020 und 2021 medial begleiteten Gewaltvorfälle in Bundesasylzentren geschaffen worden war (vgl. APS-Analyse der Wortmeldungen). Die Differenzbereinigung zum Geschäft wird 2025 in Angriff genommen. Schliesslich lancierte die SVP im Mai 2024 die Grenzschutzinitiative, die unter anderem die Einführung eines Kontingents für bewilligte Asylgesuche verlangt.
2024 kam mit der Volksinitiative «Keine 10-Millionen-Schweiz!» eine andere Initiative aus der Feder der SVP zustande, die den Bevölkerungszuwachs mittels Steuerung der Migration stärker kontrollieren will; insbesondere mit Massnahmen im Bereich Asyl und Familiennachzug. Eine Erleichterung des Familiennachzugs durch eine Beseitigung der Inländerinnen- und Inländerdiskriminierung bezweckt im Gegenteil dazu ein Kommissionsentwurf in Umsetzung einer parlamentarischen Initiative, dem jedoch ein Entscheid auf Nichteintreten droht. Die Schlussabstimmungen passierte indes ein in Auftrag einer anderen parlamentarischen Initiative ausgearbeiteter Entwurf im Bereich der Migration, der durch entsprechende ausländerrechtliche Bestimmungen Drittstaatenangehörige besser vor häuslicher Gewalt schützen will.
Eine Verstärkung des Schutzes vor Gewalt wurde auch für andere Personengruppen angestrebt: In der Frühjahrssession überwies der Ständerat eine Motion an den Bundesrat, die ein Impulsprogramm zur Prävention von Gewalt im Alter mit Fokus auf Betreuung fordert. Darüber hinaus will der Bundesrat in Erfüllung einer Motion auch Kinder und Jugendliche besser vor Gewalt schützen. Im September 2024 präsentierte er dazu seine Botschaft zur Verankerung des Rechts auf gewaltfreie Erziehung im Zivilgesetzbuch. Zudem überwies der Nationalrat 2024 zwei Postulate, die Berichte über sexuellen Missbrauch von Minderjährigen in der Familie und in Institutionen für Kinder und Jugendliche ausserhalb der Kirche verlangt. Schliesslich sollen Aufrufe zu Hass und Gewalt aufgrund des Geschlechts künftig unter Strafe gestellt werden. Nach dem Nationalrat gab auch der Ständerat sechs gleichlautenden parlamentarischen Initiativen mit dieser Forderung Folge.
Gewaltvorfälle wurden im Zusammenhang mit der LGBTQIA+-Gemeinschaft thematisiert. Im Mai berichteten die Medien über eine starke Zunahme von Hassdelikten gegenüber Angehörigen dieser Personengruppe. Für überdurchschnittliche Medienaufmerksamkeit für LGBTQIA+-Personen sorgte im Mai indes Nemo mit dem Sieg am Eurovision Song Contest und die daraufhin formulierte politische Forderung zur Einführung einer dritten Geschlechtskategorie im Personenstandsregister (vgl. Abbildung 1 der APS-Zeitungsanalyse).
Im Bereich der Familienpolitik verabschiedete das Parlament ohne viel Aufhebens aber entgegen dem Willen des Bundesrats eine Änderung des Familienzulagengesetzes zur Einführung des vollen Lastenausgleichs in den Kantonen. Deutlich stärker beschäftigte sich die Politik innerhalb und ausserhalb des Parlaments hingegen mit der Beteiligung des Bundes an der Finanzierung der ausserfamiliären Kinderbetreuung (vgl. APS-Analyse der Wortmeldungen). Nachdem sich der Bundesrat aufgrund der angespannte Lage der Bundesfinanzen und mit Verweis auf die Zuständigkeit der Kantone bereits im Vorjahr gegen eine Kostenbeteiligung des Bundes an den Betreuungskosten von Eltern gestellt hatte, gab die ständerätliche Kommission im März ein Alternativmodell in die Vernehmlassung. Besagtes Modell, das insbesondere die Arbeitgebenden in die Finanzierungspflicht nehmen will, stiess in der Wintersession im Ständerat trotz gemischten Vernehmlassungsergebnissen auf deutliche Zustimmung. Anders als der Nationalrat beschloss die Kantonskammer bei der Beratung des Geschäfts zudem, den Bund ebenfalls von der finanziellen Beteiligung an der Weiterentwicklung des ausserfamiliären Betreuungsangebots zu befreien. Diese Vorlage wollte der Ständerat überdies zum indirekten Gegenvorschlag zur im Vorjahr eingereichten Kita-Initiative machen. Zur Förderung der Gleichstellung in der Arbeitswelt befasste sich der Nationalrat im Berichtsjahr ausführlich mit einer Vorlage zur Einführung der Individualbesteuerung.
Wie bereits im Vorjahr erhielten Forderungen von Menschen mit Behinderungen auch im Berichtsjahr viel Beachtung. Dazu trug insbesondere die Inklusions-Initiative bei, welche die rechtliche und tatsächliche Gleichstellung von Menschen mit und ohne Behinderungen in allen Lebensbereichen fordert und die im September eingereicht wurde. Ende Jahr gab der Bundesrat bekannt, einen indirekten Gegenvorschlag zur Initiative ausarbeiten zu wollen. Der Nationalrat überwies im Berichtsjahr zudem ein Kommissionspostulat, das vom Bundesrat die Überprüfung von möglichen Massnahmen zur Verbesserung der politischen Teilhabe von Menschen mit Behinderungen verlangt, womit das Parlament eine aus der Behindertensession 2023 resultierte Forderung aufnahm. Zehn Jahre nach Inkrafttreten der UNO-Behindertenrechtskonvention überwies der Nationalrat im Mai ferner ein Postulat, das eine Aufdeckung von Widersprüchen zwischen den geltenden Schweizer Rechtsgrundlagen und der besagten Konvention fordert. Denn solche gibt es gemäss den Interessenorganisationen für Menschen mit Behinderungen noch einige, die sich auch nicht mit der Ende 2023 in die Vernehmlassung geschickten Teilrevision des Behindertengleichstellungsgesetzes auflösen liessen.