APS-Jahresrückblick 2024
Autorinnen und Autoren: Anja Heidelberger, Marlène Gerber, Guillaume Zumofen und Marc Bühlmann
2024 war die Themenpalette in der Schweizer Politik noch bunter als im Jahr 2023 – dies ganz im Unterschied zu den Vorjahren, die stark von verschiedenen Krisen geprägt waren (vgl. Jahresrückblicke 2020, 2021 und 2022). Schlaglichter auf verschiedene Bereiche warf 2024 sicherlich die direkte Demokratie, Folgen auf verschiedene Themen hatten aber – zumindest teilweise –auch die eidgenössischen Wahlen vom Oktober 2023. Aber vor allem die unter anderem durch die vorangegangenen Krisen bedingte angespannte Lage der Bundesfinanzen beschäftigte sowohl die Printmedien als auch das Parlament im Jahr 2024 überdurchschnittlich stark.
Sparprogramm bei den Bundesfinanzen
Die Schweizer Politik stand 2024 also stark im Zeichen des klammen Bundeshaushalts: Um die Schuldenbremse im Budget 2025 einhalten zu können, mussten 2024 gegenüber dem früheren Finanzplan CHF 2 Mrd. gespart werden. Das daraus resultierende heftige Ringen zwischen den verschiedenen Akteuren mit unterschiedlichsten finanziellen Begehrlichkeiten wurde begleitet von harten Debatten im Parlament und breiten Diskussionen in den Medien (vgl. Abbildung 2 der APS-Analyse 2024 der Parlamentsgeschäfte und Zeitungen). Betroffen waren – wie bei früheren Sparprogrammen – die schwach gebundenen Ausgaben, neu sollte jedoch auch bei stark gebundenen, also durch Gesetze festgelegte Ausgaben gespart werden.
Gewichtige Ursachen der schwierigen finanziellen Situation des Bundes waren unter anderem die Corona-Pandemie sowie der Ukraine-Krieg. Letzterer hatte nicht nur eine verstärkte Aufnahme von Geflohenen zur Folge, sondern war 2022 mit ein Grund für die Erhöhung des Armeebudgets auf 1 Prozent des BIP bis 2030 respektive 2032 gewesen. Die von Bundesrat und Parlament im Berichtsjahr im Rahmen der Armeebotschaft vorgenommene Erhöhung des Zahlungsrahmens 2025–2028 der Armee sowie die Aufstockung beim Rüstungsprogramm 2024 um insgesamt mehrere Milliarden verschärften die Situation der Bundesfinanzen weiter.
Gespart wurde insbesondere bei der Arbeitslosenversicherung: Bundesrat und Parlament kürzten mit einer Gesetzesänderung den Bundesbeitrag für die Jahre 2025 und 2026 um je CHF 600 Mio. Der Bundesrat schlug zudem Kürzungen oder Streichungen bei der Einlage in den Bahninfrastrukturfonds, beim Fonds Regionalentwicklung und beim Beitrag an den ETH-Bereich vor. Nicht zuletzt wurde auf eine Umsetzung von kostensteigernden Aufträgen des Parlaments in verschiedenen Bereichen der Landwirtschaft verzichtet.[stimmt das noch? siehe übernächster Abschnitt] Keine Senkung beantragte der Bundesrat hingegen beim Kantonsanteil an der direkten Bundessteuer, da der neue Entwurf zur Unterstützung der familienergänzenden Kinderbetreuung keine finanzielle Beteiligung des Bundes an den Betreuungskosten der Eltern mehr vorsah.
Während diese Kürzungen vornehmlich in Bereichen getätigt wurden, die über grössere Reserven verfügen, um so einen Leistungsabbau verhindern zu können, setzte der Bundesrat wie in den Jahren zuvor auch auf Querschnittskürzungen bei den schwach gebundenen Ausgaben, im aktuellen Jahr betrugen diese 1.4 Prozent. Fast die Hälfte dieser Kürzungen fielen beim WBF an, das über besonders viele entsprechende Ausgaben verfügt. In den Medien und im Parlament fanden vor allem die entsprechenden Einsparungen im Bildungs- und Kulturbereich Aufmerksamkeit, was womöglich dazu führte, dass die BFI-Botschaft 2025–2028 zu den am ausführlichsten debattierten Geschäften gehört (vgl. Tabelle 1).
Deutlich wurde der in den Medien so betitelte Verteilkampf im Dezember bei der Beratung des Bundesbudgets im Parlament – über keine Vorlage debattierte das Parlament 2024 wortreicher: National- und Ständerat sprachen der Armee CHF 530 Mio. und der Landwirtschaft CHF 42 Mio. mehr zu, als der Bundesrat geplant hatte. Im Gegenzug wurden die Querschnittskürzungen erhöht und insbesondere die Kredite für die Auslandhilfe, für Personalausgaben sowie für die Bundesasylzentren und die Sozialhilfe für Asylsuchende gekürzt – Letztere beiden begründet durch rückläufige Asylzahlen.
Mit diesen – und wenigen einnahmeseitigen oder budgettechnischen – Massnahmen gelang es zwar, das Budget 2025 kostenbremsekonform auszugestalten, jedoch droht auch in den Folgejahren ein finanzielles Defizit. Aus diesem Grund schlugen das Parlament in Form von Vorstössen und eine vom Bundesrat eingesetzte Expertengruppe in einem medial stark debattierten Bericht weitere Sparmöglichkeiten vor. Gespart werden soll dabei unter anderem bei der Klima- und Energiepolitik.
Verstärkt wurde die Kostenproblematik auf Bundesebene 2024 auch durch die Direkte Demokratie: Mit Annahme der 13. AHV-Rente wächst durch die Beteiligung des Bundes an den AHV-Einnahmen auch die Mehrbelastung für die Bundesfinanzen – wenn auch aufgrund eines Rechenfehlers des BSV weniger stark als ursprünglich angenommen. Die Sparmassnahmen wurden vom Bundesrat auch schon in früheren Jahren mit angenommenen Initiativen und der Erarbeitung von Gegenvorschlägen begründet. Im Moment belasten etwa die Umsetzung der Pflegeinitiative (siehe unten) und die indirekten Gegenvorschläge zur Prämienentlastungs- und zur Steuergerechtigkeitsinitiative (siehe nachfolgend) das Budget zusätzlich.
Die direkte Demokratie als Trendsetterin und Korrekturinstanz
Die direkte Demokratie ist aber nicht nur potenzielle Kostentreiberin und bringt damit die Budgetpläne von Bundesrat und Parlament durcheinander, sondern erweitert die politische Agenda, zwingt dem Parlament neue Lösungsansätze auf oder veranlasst es, solche zu revidieren.
Im Jahr 2024 waren die Sozialversicherungen Dauerthema an der Abstimmungsurne und erhielten im Vergleich zu den drei vorangegangenen Jahren deutlich überdurchschnittliche Medienaufmerksamkeit; ebenso wie, damit einhergehend, Fragen rund um die Alterung der Bevölkerung. Insgesamt konnte sich die Stimmbevölkerung sechsmal zu Fragen in diesem Themenbereich äussern – also bei der Hälfte aller Vorlagen. Dabei wurde mit der Initiative für eine 13. AHV-Rente das insgesamt 26. Volksbegehren an der Urne angenommen, erstmals überhaupt eine linke Initiative, die einen Ausbau des Sozialstaats anstrebte. Über konkrete Auswirkungen einer anderen Initiative wurde auch im Gesundheitsbereich wortreich diskutiert: Das Parlament konnte jedoch zur Umsetzung der bereits angenommenen Initiative «Ja zum Schutz der Kinder und Jugendlichen vor Tabakwerbung» noch keine Einigung erzielen.
Initiativen wirken sich allerdings als Trendsetterinnen auf den Schweizer Politikbetrieb aus, schon lange bevor es zu einer Urnenabstimmung kommt. Volksbegehren werden dabei im Parlament oft als wichtige Vehikel benutzt, um in langen Debatten für eigene ideologische Standpunkte zu werben. 2024 gab es initiativbedingt vor allem Diskussionen über die Steuergerechtigkeitsinitiative und deren indirekten Gegenvorschlag, zu denen 2024 von allen vom Parlament beratenen Vorlagen am sechstmeisten Wortmeldungen gezählt wurden (vgl. Tabelle 1). Auch die Vorlage für ein Bundesgesetz über die Unterstützung der familienergänzenden Kinderbetreuung, die gemäss Ständerat der Kita-Initiative als indirekter Gegenvorschlag gegenübergestellt werden soll, gab innerhalb und ausserhalb des Bundeshauses viel zu reden. Nicht zuletzt diskutierte das Parlament im Berichtsjahr intensiv über die Umweltverantwortungsinitiative, die im Februar 2025 ohne Gegenvorschlag zur Abstimmung kommen wird.
Die politische Agenda wird mitunter auch schon vor der parlamentarischen Debatte von Volksbegehren beeinflusst. Auch wenn etwa die Initiative «200 Franken sind genug!» noch nicht vom Parlament beraten wurde, warf sie im Medienbereich bereits ihre Schatten voraus: Der Bundesrat entschied, die Gebühren ab 2029 schrittweise auf CHF 300 zu senken. Auch die Ankündigung des Bundesrats, für die Initiative «Blackout stoppen» einen indirekten Gegenvorschlag ausarbeiten zu wollen, sorgte für mediale Diskussionen.
Die direkte Demokratie ist aber natürlich insbesondere in den Wochen vor einem Abstimmungswochenende wichtigster Treiber der Themenkonjunktur in den Medien (vgl. Abbildung 2). Nach den teilweise überraschenden Ausgängen bei den zwölf Abstimmungsvorlagen wurde spekuliert, ob das Jahr nach den eidgenössischen Wahlen zu besonders starker Behördenskepsis geführt habe. Genährt wurde diese Spekulation durch die Annahme der Volksinitiative für eine 13. AHV-Rente und der Ablehnung von vier der sechs Referenden (angenommen wurden das Stromgesetz und EFAS, abgelehnt wurden die BVG-Reform, der Ausbau des Autobahnnetzes und die beiden Mietrechtsvorlagen). Das Jahr entsprach in der Tat nicht dem langjährigen Trend, der eine zunehmende Übereinstimmung zwischen Behörden und Bevölkerung zeigt. Ob dieses Jahr eine Ausnahme darstellt oder ob die erstarkten Gewerkschaften und die Wahlverliererinnen die direkte Demokratie verstärkt als Oppositionsinstrumente gegen die neuen Parlamentsmehrheiten nutzen können werden, wird sich weisen.
Interessant ist bei der Idee der direkten Demokratie als Korrektiv auch, dass die SVP als Wahlgewinnerin (+9 Sitze) hinsichtlich ihrer Parolenfassung lediglich bei 4 der 12 Abstimmungsvorlagen mit der Mehrheit übereinstimmte. Bei den Wahlverliererinnen deckte sich die gefasste Parole hingegen häufiger mit dem Abstimmungsausgang: Die GP (-5 Sitze) und die GLP (-6 Sitze) trafen mit ihren Stimmempfehlungen bei neun (75%) bzw. acht (67%) der insgesamt zwölf Abstimmungsvorlagen die Mehrheitsverhältnisse. Bei der SP lag dieser Wert bei 75 Prozent, bei der FDP und der Mitte bei jeweils 50 Prozent. Dieses «Checks-and-Balances-Phänomen» war in den beiden Jahren nach den eidgenössischen Wahlen 2019 weniger ausgeprägt (SVP: -12 Sitze und 55% Abstimmungserfolge; GP: +17 Sitze und 50% Abstimmungserfolge).
Politischer Richtungswechsel mit dem neuen Parlament?
Mit 9 Sitzgewinnen für die SVP und Verlusten vor allem von Grünen (-5) und GLP (-6) hatten die Medien nach den eidgenössischen Wahlen 2023 von einem Rechtsrutsch gesprochen. Als Folge wurde im Berichtsjahr über die Polarisierung der Schweizer Politik diskutiert. Aber machten sich die parteipolitischen Verschiebungen im ersten Jahr der neuen Legislatur hinsichtlich Abstimmungsverhalten und Themensetzung im neuen Parlament bemerkbar?
Eine Auswertung aller im Parlament im Jahr 2024 beratenen Motionen und Postulate (vgl. Tabelle 2) zeigt, dass von Mitgliedern der SVP-Fraktionen stammende Vorstösse im ersten Jahr der neuen Legislatur eine höhere Zustimmungsquote erzielten als in der vorangegangenen Legislatur. Die Unterstützung für Vorstösse von Mitgliedern der SP- und Grünen-Fraktionen ging hingegen deutlich zurück. Unklar bleibt dabei allerdings, inwiefern diese Änderungen im Abstimmungsverhalten den neuen Mehrheitsverhältnissen im Parlament oder einer sich geänderten gesellschaftlichen Problemwahrnehmung geschuldet sind.
Thematische Akzentverschiebungen lassen sich 2024 mit Blick auf die eingereichten Vorstösse aufzeigen – dies war jedoch in ähnlichem Rahmen auch in den Vorjahren jeweils der Fall und dürfte entsprechend nicht nur der neuen Parlamentszusammensetzung geschuldet sein: In absoluten Zahlen dominierten auch in diesem Berichtsjahr neu eingereichte Vorstösse zu den Themen «Soziale Gruppen» – insbesondere zu Asylfragen – sowie zu den Sozialversicherungen. Verglichen mit dem Vorjahr und gemessen an der Zahl neuer Vorstösse kann das anteilsmässig grösste zusätzliche Interesse allerdings im Medienbereich, der Landesverteidigung sowie den politischen Institutionen festgestellt werden (vgl. Abbildung 1): Im Medienbereich erwies sich die Ausgestaltung der Medienförderung als Dauerbrenner, bei der Landesverteidigung drehten sich die meisten neu eingereichten Vorstösse um Fragen der Zusammenarbeit mit der NATO und der EU sowie der Finanzierung der Armee (vgl. oben). Bei den politischen Institutionen standen Vorschläge für Wahlrechtsänderungen im Zentrum. Solche Forderungen werden zwar nach eidgenössischen Wahlen stets laut, 2024 scheinen sie aber erstmals grössere Umsetzungschancen zu haben. Zahlreiche Vorstösse wurden zudem zur Regelung der Unterschriftensammlung eingereicht, nachdem eine Medienrecherche zum Schluss gekommen war, dass die Zahl missbräuchlicher Unterschriften hoch sein dürfte. Verglichen mit dem Vorjahr deutlich zurück ging die Vorstossaktivität 2024 hingegen im Themenbereich «Geld, Währung und Kredit». 2023 hatte der Zusammenbruch der Credit Suisse hier für grosse parlamentarische Betriebsamkeit geführt.
Richtungsänderungen lassen sich bei einzelnen konkreten Themen feststellen: So war das Stimmrechtsalter 16 im alten Parlament noch unterstützt worden, vom neuen wurde es aber schliesslich versenkt. Und auch im Asylbereich stiessen politische Vorstösse zur Verschärfung der Bestimmungen verglichen mit den Vorjahren vermehrt auf Unterstützung. Und schliesslich kann auch bei der Diskussion um Atomenergie eine Verschiebung festgestellt werden: Hatten Vorstösse für einen Ausbau von Atomstrom vor den Wahlen keine Chancen – gleich deren vier waren in der 51. Legislatur abgelehnt worden –, nahm der Ständerat 2024 nach einer sehr langen Debatte ein Postulat an, das die Überprüfung eines Weiterbetriebs bestehender Kernkraftwerke fordert.
Schwieriger festzustellen sind Richtungswechsel bei Vorlagen, die bereits in der vorhergehenden Legislatur aufgegleist worden waren und die nun das neu zusammengesetzte Parlament intensiv beschäftigten. Solche Geschäfte, die 2024 vom Parlament besonders wortreich diskutiert wurden, fanden sich nicht zuletzt im Umweltbereich, wo das Umweltschutzgesetz und das CO2-Gesetz zur Debatte standen, nachdem Letzteres im Jahr 2021 in einer ersten Version an der Urne abgelehnt worden war. Viel Aufmerksamkeit im neuen Parlament und in den Medien generierte diesbezüglich auch das Urteil des EGMR bezüglich der Klage des Vereins «Klimaseniorinnen Schweiz», das die Räte zu einer Erklärung veranlasste und eine ausserordentliche Session zur Europäischen Menschenrechtskonvention begründete. Wortreich weitergeführt wurden auch die parlamentarischen Diskussionen zum Zollgesetz – es wurde 2024 am drittmeisten diskutiert. Neu aufgenommen wurden im Wirtschaftsbereich die Beratungen über das lange vorgespurte Investitionsprüfungs- sowie über das Kartellgesetz. Schliesslich dürfte auch die E-ID bzw. die Umsetzung des neuen Bundesgesetzes über den elektronischen Identitätsnachweis, welches das Parlament 2024 nach jahrelangem Seilziehen verabschiedete, noch zu reden geben.
Was 2024 sonst noch wichtig war
Abseits des Parlamentsbetriebs und der direktdemokratischen Schaubühne aber medial dennoch intensiv begleitet wurden die Verhandlungen des Bundesrats für ein weiteres Abkommenspaket mit der EU, deren Abschluss Ende Jahr verkündet wurde.
Auch der Konflikt im Nahen Osten, der 2024 nicht zuletzt zu Diskussionen über ein Verbot der Hamas und der Hisbollah, über eine Einstellung der Zahlungen an die UNRWA sowie zu pro-palästinensischen Demonstrationen an den Universitäten führte, dürfte – genau wie auch der Krieg in der Ukraine – weiterhin auch im Fokus der Schweizer Aussenpolitik bleiben.
Einen Abschluss fand Ende Jahr auch der PUK-Bericht zur Notfusion der CS mit der UBS. Nach 2023 war es im Parlament und in den Medien wieder ruhiger geworden um den Bankensektor. Dies dürfte sich 2025 mit Erscheinen des Berichts wieder ändern.
Natürlich gab es 2024 noch viele weitere wichtige Ereignisse. Mehr dazu findet sich in den verschiedenen thematischen APS-Jahresrückblicken. Leitend für die Entscheidung, was 2024 wichtig war oder nicht, war in diesen verschiedenen Kapiteln vor allem die Expertise der APS-Reaktorinnen und Redaktoren.